Obgleich Marcus Calpurnius Bibulus sein Vorhaben von der Rostra und vor einer großen Menschenmenge ankündigte, die sich großteils wegen der Frühlingsspiele in Rom eingefunden hatte, beschloß Caesar, nicht öffentlich darauf zu reagieren.

Er berief den Senat zu einer Sitzung hinter fest verschlossenen Türen ein.

»Marcus Bibulus hat seine Rutenbündel durchaus korrekt zum Tempel der Venus Libitina gesandt, wo sie so lange ruhen werden, bis ich sie an den Kalenden des Mai übernehme, wie es mein Recht ist. Wir dürfen jedoch nicht zulassen, daß dieses Jahr alle öffentlichen Angelegenheiten zum Stillstand kommen. Ich sehe es Roms Wählern gegenüber als meine Pflicht an, das Regierungsmandat, das man mir — und Marcus Bibulus — anvertraut hat, zu erfüllen. Und daher werde ich regieren. Die Prophezeiung, die Marcus Bibulus von der Rostra herab zitiert hat, ist mir bekannt. Gegen sie habe ich zwei Einwände zu erheben: Der erste Einwand ist, daß nicht eindeutig aus ihr hervorgeht, von welchem Jahr die Rede ist, der zweite, daß sie sich auf mindestens vier verschiedene Weisen deuten läßt. Solange daher die quindecimviri sacris faciundis noch damit beschäftigt sind, den Sachverhalt zu überprüfen und die erforderlichen Nachforschungen anzustellen, muß ich davon ausgehen, daß Marcus Bibulus’ Vorgehen rechtsungültig ist. Zum wiederholten Male fühlt er sich dazu berufen, Roms religiöses mos mairoum im Sinne seiner eigenen politischen Zwecke zu deuten. Wie auch die Juden betrachten wir die Religion als Teil unseres Staates und glauben, daß er nicht prosperieren kann, wenn seine religiösen Vorschriften und Gebräuche entwürdigt werden.

Wir sind jedoch das einzige Volk, das gesetzliche Verträge mit seinen Göttern schließt. Wir können mit ihnen handeln und Tauschgeschäfte machen. Wichtig ist dabei nur, daß wir die Macht der Götter in die rechten Bahnen lenken; am besten tun wir dies, indem wir uns an unsere Auflagen halten, indem wir alles tun, um Roms Glück und Wohlergehen zu sichern. Marcus Bibulus erzielt mit seiner Handlungsweise genau das Gegenteil. Die Götter werden es ihm nicht danken, er wird fernab von Rom und ungetröstet sterben.«

Wenn nur Pompeius gelassener wirken würde! Man sollte meinen, er wüßte nach einer so langen und ruhmreichen Laufbahn, daß manche Dinge ihre Zeit brauchen! Doch den verwöhnten Knaben in ihm hat er immer noch nicht abgelegt. Er erwartet die Erfüllung aller seiner Wünsche, und obendrein will er noch Anerkennung.

»Es bleibt nun diesem Hause überlassen, darüber zu entscheiden, welchen Kurs ich ab jetzt einschlagen werde«, fuhr der Erste Konsul fort. »Ich werde eine Abstimmung durchführen lassen. Diejenigen von euch, die meinen, daß die Geschäfte ruhen sollten, weil sich der Zweite Konsul in sein Haus zurückgezogen hat, mögen sich zu meiner Linken aufstellen. Und die, die davon überzeugt sind, daß die Regierungsgeschäfte zumindest bis zur Urteilssprechung der Fünfzehn fortgeführt werden sollten, finden sich zu meiner Rechten ein. Ich werde nicht länger an die Vernunft und die Liebe zu Rom appellieren. Laßt abstimmen, versammelte Väter.«

Das Ganze war ein abgekartetes Spiel, und Caesars Instinkt hatte ihm geraten, es jetzt nicht mehr hinauszuzögern; je länger die Senatorenschäflein über Bibulus’ Handlungsweise nachgrübeln konnten, um so wahrscheinlicher würden sie davor zurückschrecken, sich ihm zu widersetzen. Schlug er gleich zu, hätte er eine Chance.

Doch das Abstimmungsergebnis war für jedermann überraschend: Fast alle Mitglieder des Senats fanden sich auf Caesars rechter Seite ein, ein Hinweis darauf, wie ärgerlich die Männer über Bibulus’ gnadenlose Entschlossenheit waren, Caesar zu Fall zu bringen, und sei es um den Preis von Roms Ruin. Die wenigen boni auf der linken Seite standen da wie versteinert.

»Ich lege auf das heftigste Protest ein, Gaius Caesar!« rief Cato, als die Senatoren zu ihren Plätzen zurückgekehrt waren.

Pompeius, dessen Stimmung sich nach diesem einhelligen Sieg der Vernunft gebessert hatte, wetzte nun seine Krallen. »Setz dich und halt den Mund, du scheinheiliger Tugendbold!« herrschte er Cato an. »Für wen hältst du dich, daß du dich hier zum Richter und Geschworenen aufspielst? Du bist nichts weiter als ein ehemaliger Volkstribun, der es nicht einmal zum Prätor bringen wird!«

»Oh, oh, oh!« entgegnete Cato und taumelte dabei wie ein schlechter Schauspieler, der soeben von einem Dolch aus Papier durchbohrt wurde. »Hört euch nur den großen Pompeius an, der einst Konsul war, bevor es ihm gelang, sich zu der Größe eines Volkstribunen aufzuschwingen! Weißt du, was du bist? Du bist ein verfassungswidriger, prinzipienloser, unrömischer Ausbund an Arroganz und Eitelkeit — du bist ein Gallier, der wie ein Gallier denkt — ein Schlächter, der Sohn eines Schlächters ist — ein Kuppler, der Patriziern schmeichelt, um Heiraten in Kreisen auszuhandeln, die nicht die seinen sind — ein Zuhälter, dessen Leidenschaft es ist, sich schön zu kleiden, damit er sich in der Bewunderung der Menge sonnen kann — ein östlicher Potentat, der mit Vorliebe in Palästen lebt — ein Politiker, der kompetentere Politiker für sich arbeiten lassen muß — ein Radikaler, schlimmer als die Gracchen — ein Feldherr, der in zwanzig Jahren keine Schlacht geschlagen hat, ohne nicht mindestens doppelt so viele Truppen wie der Feind zur Verfügung gehabt zu haben — ein Feldherr, der herumstolziert und Lorbeeren sammelt, die andere, bessere Männer sich verdienten — ein Konsul, der in einem Leitfaden nachzulesen pflegte, wie er sich verhalten sollte — UND EIN MANN, DER RÖMISCHE BÜRGER OHNE PROZESS HINRICHTEN LIESS, BEZEUGT VON MARCUS JUNIUS BRUTUS!«

Um die Senatsmitglieder war es nun geschehen: Sie brachen in Beifallsrufe aus, johlten und pfiffen; Füße stampften so heftig auf den Boden, daß die Dachbalken zitterten; Hände klatschten wie ein Trommelwirbel. Nur Caesar wußte, wie schwer es ihm jetzt fiel, gelassen dazusitzen. Oh, was für eine meisterhafte Schmährede! Wie hatte er sie genossen!

Doch dann sah er Pompeius, und ihn verließ der Mut. Beim Jupiter, dieser Tor nahm den hysterischen Applaus persönlich! Verstand er denn noch immer nicht? Keiner der Anwesenden scherte sich darum, wer Zielscheibe der Schimpftirade gewesen war. Es war ganz einfach die beste Stegreifschmährede gewesen, die man in diesem Haus seit langer Zeit gehört hatte. Der Senat von Rom würde auch einem tingitanischen Affen applaudieren, wenn dieser seine Sache nur halb so gut gemacht hätte! Doch hier saß Pompeius und sah vermutlich deprimierter aus als damals, als Quintus Sertorius ihn in Spanien schlug. Er war geschlagen, besiegt von einer unverschämten Zunge. Erst jetzt, in diesem Augenblick, erkannte Caesar, wie unsicher, wie erpicht auf Anerkennung Pompeius der Große wirklich war.

Es war Zeit zu handeln. Nachdem er die Versammlung aufgelöst hatte, blieb Caesar auf dem kurulischen Podium stehen, während die begeisterten Senatoren aus dem Raum strömten, in angeregte Gespräche vertieft; die meisten von ihnen drängten sich um Cato, klopften ihm auf die Schulter und überhäuften ihn mit Lob. Die größte Schwierigkeit bestand darin, daß Caesar angesichts von Pompeius Niedergeschlagenheit nicht das tun konnte, was korrekt gewesen wäre — Cato so herzlich zu gratulieren, als sei er sein treuer politischer Verbündeter. Statt dessen mußte er Gleichgültigkeit zur Schau tragen.

»Hast du Crassus gesehen?« fragte ihn Pompeius, als sie allein waren. »Hast du ihn gesehen?« Seine Stimme schwoll zu einem Kreischen an. »In den Himmel hat er ihn gelobt! Auf welcher Seite steht dieser Mann eigentlich?«

»Auf unserer, mein lieber Freund. Du hast ein zu dünnes Fell, wenn du die Reaktion der Senatsmitglieder als persönliche Kritik auffaßt. Der Applaus galt nur einer grandiosen kleinen Rede. Für gewöhnlich ist Cato ein fürchterlicher Langweiler, ein monotoner Dauerredner. Doch dies hier war brillant auf seine Art.«

»Es war auf mich gemünzt! Auf mich!«

»Ich wünschte nur, ich wäre das Opfer gewesen«, sagte Caesar. »Es war ein Fehler, nicht in den Applaus einzustimmen. Dann hättest du nicht wie ein Spielverderber dagestanden. In der Politik darfst du keine persönlichen Schwächen zeigen, ganz gleich, wie du dich fühlen magst. Es hat dich sehr getroffen, und jeder konnte es beobachten.«

»Du bist auch auf ihrer Seite!«

»Nein, Magnus, weder ich noch Crassus sind es. Ich möchte es eher so ausdrücken: Während du fernab von Rom Siege davongetragen hast, haben wir unsere Lehrzeit in der politischen Arena absolviert.« Er beugte sich ein wenig nieder, schob seine Hand unter Pompeius’ Ellenbogen und zog ihn mit einer Kraft hoch, die Pompeius einem solch schlanken Mann nie zugetraut hätte. »Komm jetzt, sie sind alle fort.«

»Ich kann mich hier im Haus nie wieder blicken lassen!«

»Unfug! Beim nächsten Treffen bist du wieder hier, strahlend wie eh und je; du wirst auf Cato zugehen, ihm die Hand schütteln und ihm gratulieren. Das gleiche werde auch ich tun.«

»Auf keinen Fall, das bringe ich nicht über mich!«

»Ich werde ein paar Tage lang keine Sitzung einberufen. Bis zum nächsten Treffen wirst du dich beruhigt haben. Komm jetzt zu mir nach Hause, iß mit mir zu Abend. Sonst gehst du doch nur wieder in dein großes, leeres Haus auf dem Carinae und mußt in der Gesellschaft von ein paar Philosophen speisen. Du solltest endlich wieder heiraten, Magnus.«

»Das würde ich auch gern, doch ich habe keine Frau getroffen, die mir gefallen hätte. Das hat auch keine Eile mehr, wenn du als Mann bereits ein paar Söhne und eine Tochter gezeugt hast. Und ausgerechnet du mußt mir das sagen! Im Domus Publica gibt es auch keine Frau, und du hast nicht mal einen Sohn!«

»Ein Sohn wäre zwar schön, ist aber nicht notwendig. Ich habe Glück gehabt mit meinem einen Küken, meiner Tochter. Ich würde sie nicht einmal für Minerva und Venus zusammen tauschen.«

»Sie ist doch mit dem jungen Caepio Brutus verlobt, nicht?«

»Ja.«

Als sie das Domus Publica betraten, rückte der Gastgeber Pompeius den bequemsten Stuhl hin und versorgte ihn mit Wein; darauf entschuldigte er sich für einen Augenblick, um seine Mutter aufzusuchen.

»Wir haben einen Gast zum Abendessen«, sagte Caesar, als er seinen Kopf zu Aurelias Tür hereinsteckte. »Pompeius! Könnt ihr, du und Julia, uns dabei Gesellschaft leisten?«

Nicht die geringste Regung war Aurelia anzumerken. Sie nickte nur und erhob sich dann von ihrem Schreibtisch. »Gewiß, Caesar.«

»Wirst du uns rufen lassen, wenn das Essen fertig ist?«

»Aber natürlich«, antwortete sie und ging zur Treppe.

Julia war eben beim Lesen und hörte deshalb nicht, wie ihre Großmutter den Raum betrat. Aurelia klopfte prinzipiell niemals an Julias Tür, da sie zu einer Generation gehörte, die überzeugt war, daß junge Leute selbst in ihren eigenen vier Wänden vorbildliches Verhalten üben sollten. Es lehrte sie Selbstdiziplin und Vorsicht. Die Welt konnte so grausam sein, man bereitete ein Kind besser rechtzeitig darauf vor.

»Kein Brutus heute?«

Julia sah auf, lächelte sie an und seufzte: »Nein, avia, heute nicht. Er hat ein Treffen mit seinen Geschäftsführern, und ich glaube, daß sie anschließend alle drei mit Servilia speisen wollen. Sie läßt sich nach wie vor gern auf dem laufenden halten, obwohl sie Brutus jetzt gestattet, seine Angelegenheiten selbst zu regeln.«

»Nun, das wird dein Vater gern hören.«

»Warum? Ich dachte, er schätzt Brutus.«

»Das tut er auch, doch heute hat er selber einen Gast, es könnte sein, daß sie unter vier Augen reden möchten. Uns kann man ja verscheuchen, sobald das Essen abgetragen ist; doch Brutus könnte er wohl kaum so behandeln, oder?«

»Wer ist es denn?« fragte Julia, nicht sonderlich interessiert.

»Ich weiß es nicht, er hat es mir noch nicht gesagt.« Hmm, gar nicht so einfach! dachte Aurelia. Wie kann ich sie nur dazu bringen, ihr schmeichelndstes Gewand anzulegen, ohne daß ich mich verrate? Sie räusperte sich. »Julia, hat tata dich schon in deinem neuen Kleid gesehen, das ich dir zum Geburtstag geschenkt habe?«

»Nein, ich glaube, nicht.«

»Dann ziehe es doch jetzt einmal an. Und auch deinen Silberschmuck! Wie klug von ihm, dir Silber und nicht Gold zu schenken. Ich habe keine Ahnung, wer bei ihm ist, doch es ist jemand von Bedeutung; deshalb wird er sich freuen, wenn wir uns beide von unserer besten Seite zeigen.«

Ihre Worte schienen nicht allzu künstlich zu klingen, denn Julia lächelte nur und nickte. »Wieviel Zeit bleibt mir noch bis zum Essen?«

»Eine halbe Stunde.«

»Was wird die Tatsache, daß Bibulus sich in sein Haus zurückgezogen hat, um den Himmel zu beobachten, für uns bedeuten, Caesar?« fragte Pompeius. »Heißt es zum Beispiel, daß unsere Gesetze im nächsten Jahr für ungültig erklärt werden könnten?«

»Nicht die, die vor dem heutigen Tag erlassen worden sind, Magnus; für dich und Crassus besteht daher keinerlei Gefahr. Meine Provinz ist am ehesten gefährdet, da ich Vatinius und die Plebs dazu benötige — obwohl die Plebs nicht religiös gebunden ist, weshalb ich sehr bezweifle, daß Bibulus die Plebiszite und andere Aktiviäten von Volkstribunen als Frevel hinstellen kann. Trotzdem würden wir einen Prozeß führen müssen und wären abhängig vom Stadtprätor.«

Der Wein — es war Caesars bester (und stärkster) — begann allmählich Pompeius’ Gleichgewicht wiederherzustellen, auch wenn seine Stimmung noch immer leicht gedrückt war. Er schaute sich um und fand, das Domus Publica passe zu Caesar. Überall satte, dunkle Farben und kostbare Vergoldungen. Wir blonden Männer kommen vor einem solchen Hintergrund am besten zur Geltung, dachte er stolz.

»Dir ist natürlich klar, daß wir ein zweites Gesetz zur Landreform verabschieden müssen«, sagte Pompeius plötzlich. »Ich pendle ständig zwischen Rom und dem Land hin und her und habe deshalb auch mit meinen eigenen Augen gesehen, wie schwer die Kommissare es jetzt haben. Wir brauchen den Ager Campanus.«

»Und den Staatsgrund von Capua. Ja, ich weiß«, sagte Caesar gelassen.

»Bibulus wird aber jedes neue Gesetz annullieren.«

»Vielleicht auch nicht. Magnus. Wenn ich es als ergänzenden Gesetzentwurf konzipiere, der dem ursprünglichen Gesetz beigefügt wird, ist es nur schwer zu vereiteln. Die Kommissare und die Komiteemitglieder bleiben zwar die gleichen, doch das ist kein Problem. Es hieße, daß wir zwanzigtausend deiner Veteranen im Laufe eines Jahres dort unterbringen könnten, zusätzlich noch fünftausend Bürger der untersten Klasse. Wir sollten ferner in der Lage sein, weitere zwanzigtausend Veteranen auf anderem Grund und Boden fast ebenso schnell anzusiedeln. Das würde uns genügend Zeit verschaffen, um Orte wie Arretium von ihren Ländern loszueisen; und auch das Schatzamt wäre nicht mehr genötigt, in solchem Umfang wie bisher Privatbesitz anzukaufen. Der campanische ager publicus gehört dem Staat ja bereits, daher können wir ihn ohne weiteres besiedeln lassen.«

»Es wird dann aber keine Pachtgelder mehr geben«, wandte Pompeius ein.

»Das stimmt. Doch du weißt ebenso wie ich, daß die Pachterträge nicht so lukrativ sind, wie sie sein sollten. Die Senatoren zahlen nur mit großem Widerwillen.«

»Das gilt auch für die Senatorenfrauen, die eigenes Vermögen haben«, sagte Pompeius grinsend.

»Wie das?«

»Terentia. Sie denkt nicht dran, auch nur einen einzigen Sesterz ihrer Pacht zu bezahlen, dabei ist sie Pächterin ganzer Wälder. Eichenholz für die Schweine! Sicher ein sehr einträgliches Geschäft. Diese Frau ist hart wie ein Felsbrocken. Cicero tut mir leid!«

»Wie stellt sie es an, daß man sie nicht belangt?«

»Sie behauptet, unter den Ländereien befinde sich ein heiliges Wäldchen.«

»Schlau!« lachte Caesar.

»Dafür verhält sich allerdings das Schatzamt nicht eben freundlich gegenüber Bruder Quintus; er ist kürzlich aus der Provinz Asia zurückgekehrt.«

»Was hat er denn für Probleme mit dem Schatzamt?«

»Man besteht darauf, ihm sein letztes Gehalt in cistophori auszuzahlen.«

»Was gibt es daran auszusetzen? Es ist gutes Silber, jeder einzelne davon ist vier Denare wert.«

»Vorausgesetzt, du findest jemanden, der sie dir abnimmt«, grinste Prompeius. »Ich habe diese Dinger kistenweise mitgebracht, doch niemals auch nur erwogen, sie als Zahlungsmittel zu verwenden. Du weißt doch, wie mißtrauisch die Leute gegenüber ausländischen Münzen sind! Ich habe dann dem Schatzamt vorgeschlagen, sie einzuschmelzen und Silberbarren daraus zu machen.«

»Das heißt also, das Schatzamt hat etwas gegen Quintus Cicero.«

»Ja, und ich frage mich, warum.«

Das Gespräch wurde durch Eutychus’ Klopfen unterbrochen, der verkündete, das Essen sei fertig, und die beiden Männer gingen zum Speisezimmer hinüber. Wenn man sie nicht für eine größere Gesellschaft benötigte, so waren fünf der insgesamt sechs Liegen weggeräumt; die noch verbleibende Liege, der längs eines langen, schmalen Tisches in Kniehöhe zwei Stühle gegenüberstanden, stand in dem schönsten Teil des Raumes, von dem man auf die Kolonnade und das Hauptperistyl blickte.

Als Caesar und Pompeius den Raum betraten, halfen zwei Diener ihnen, ihre Togen abzulegen, die aus so viel Stoff bestanden, daß man sich in ihnen nicht zurücklehnen konnte. Sie wurden sorgfältig gefaltet und zur Seite gelegt, während die Männer zu dem hinteren Teil der Liege gingen, wo sie sich setzten und ihre Senatorenschuhe mit den sichelförmigen Spangen der Konsuln auszogen; dann ließen sie sich von denselben Dienern die Füße waschen. Pompeius nahm als Gast selbstverständlich den locus consularis, den Ehrenplatz, ein. Die Männer lagen halb auf dem Bauch, halb auf der linken Hüfte, den linken Ellbogen stützten sie auf ein rundes Kissen. Alles, was auf dem Tisch stand, war für sie in bequemer Reichweite.

Pompeius’ Stimmung hatte sich gehoben. Er blickte anerkennend auf das Peristylium mit seinen wunderschönen Fresken, dem herrlichen Marmorbecken und den Springbrunnen. Wie schade, daß nicht mehr Licht hier hereinfiel. Dann wanderte sein Blick weiter zu den Fresken, die die Wände des Speisezimmers schmückten: Sie stellten die Schlacht am Regillussee, in der einst Castor und Pollux die Stadt Rom gerettet hatten, dar.

Und gerade als er dabei war, die Tür genauer zu betrachten, betrat Göttin Diana das Speisezimmer. Es konnte niemand anderer als Diana sein! Göttin der mondhellen Nacht, halbirdisches Wesen, mit schwebenden Bewegungen von anmutiger, glänzender Schönheit. Die jungfräuliche Göttin, nach der die Männer sich verzehrten, und die doch keusch blieb. Diese Diana aber, die den Raum nun halb durchschritten hatte, sah seinen Blick und blieb, die blauen Augen weit geöffnet, ein wenig linkisch stehen.

»Magnus, das ist meine Tochter Julia.« Caesar deutete auf den Stuhl Pompeius gegenüber. »Nimm bitte dort Platz, Julia, und unterhalte unseren Gast. Ah, da ist ja meine Mutter!«

Aurelia ließ sich Caesar gegenüber nieder, während einige Diener die Speisen hereintrugen, und andere die Becher brachten, die sie mit Wein und Wasser füllten. Die Frauen, fiel Pompeius auf, tranken nur Wasser.

Wie schön Caesars Tochter war! Wie köstlich, wie entzückend! Sie war das reinste Traumgeschöpf, empfahl ihm die Gerichte, die Spezialität der Köche waren, bat ihn, dieses und jenes zu versuchen, immer mit einem Lächeln ohne jede Scheu, jedoch auch ohne sinnliche Ermutigung. Er wagte sie zu fragen, wie sie denn ihre Tage verbringe (wen kümmerten schon ihre Tage — was machte die kleine Diana mit ihren Nächten, wenn der Mond hoch am Himmel stand und ihr Triumphwagen sie zu den Sternen brachte?) Sie gab zur Antwort, daß sie lese oder spazierenginge, die Vestalinnen oder ihre Freundinnen besuche, sprach mit einer tiefen, weichen Stimme, die ihn an schwarze Flügel vor einem strahlend hellen Himmel erinnerte. Als sie sich nach vorne neigte, konnte er sehen, wie zierlich, wie grazil sie gebaut war, wenn ihm der Anblick ihres Busens auch verborgen blieb. Die Arme waren zart, doch rundlich, mit einem winzigen Grübchen in jedem Ellbogen, die Augen von leicht violett getönter Haut umgeben, auf jedem Augenlid leuchtete der Silberglanz des Mondes. Und was für lange, durchsichtige Wimpern sie hatte! Und Augenbrauen, die so hell waren, daß man sie kaum sah. Sie war ungeschminkt, und ihre blaßrosa Lippen weckten das wilde Verlangen in ihm, sie zu küssen.

Pompeius und Julia waren bald so ins Gespräch vertieft, daß sie Caesar und Aurelia gar nicht mehr wahrnahmen. Sie sprachen von Homer und Hesiod, Xenophon und Pindar, von Pompeius’ Reisen in den Osten; sie hing an seinen Lippen, als sei seine Zunge ebenso begnadet wie die Ciceros, und überhäufte ihn mit Fragen, die alles wissen wollten. Hatte er den Berg Ararat gesehen? Wie sah der jüdische Tempel aus? Konnte man wirklich auf dem Toten Meer spazierengehen? Hatte er jemals einen Schwarzen zu Gesicht bekommen? Und wie sah König Tigranes aus? War es denn wahr, daß einst die Amazonen in Pontus, an der Mündung des Flusses Thermodon, gelebt hatten? Hatte er je eine Amazone gesehen? Angeblich hatte ja Alexander der Große ihre Königin irgendwo am Fluß Jaxartes kennengelernt. Oh, was für wundervolle Namen, Oxus, Araxes und Jaxartes — wie war es menschlichen Zungen möglich, solche Laute zu erfinden?

Und Pompeius, der Kurzangebundene, Pragmatische mit seinem lakonischen Wesen und seiner dürftigen Erziehung, war unendlich froh darüber, daß sein Leben im Osten und Theophanes seine Lust am Lesen geweckt hatten. Er formulierte Worte, von denen er nicht einmal wußte, daß sein Geist sie aufgenommen hatte, Gedanken, die auszudrücken er niemals für möglich gehalten hätte. Lieber wäre er gestorben, als dieses wundervolle junge Mädchen zu enttäuschen, das sein Gesicht beobachtete, als sei es Quelle allen Wissens und das Erhabenste, das ihre Augen je erblickt hatten.

Die Speisen standen länger auf dem Tisch, als es der stets beschäftigte und ungeduldige Caesar sonst gestattete; doch als der Tag draußen im Peristylium zur Neige ging, nickte er Eutychus unauffällig zu, und die Diener betraten den Raum. Aurelia erhob sich.

»Julia, es ist Zeit, daß wir gehen«, sagte sie.

Julia, die tief in ein Gespräch über Aeschylus versunken war, fuhr hoch, um wieder in die Wirklichkeit zurückzukehren.

»Oh, avia, ist es schon so spät?« fragte sie. »Die Zeit ist wie im Flug vergangen!«

Pompeius sah, daß Julia sich weder mit Worten noch mit Bl\1cken anmerken ließ, daß sie nur ungern ging. Sie schien auch ihrer avia nicht böse zu sein, weil diese dem ein Ende setzte, was, wie sie ihm erzählt hatte, eine Ausnahme war; denn wenn ihr Vater Gäste hatte, war es ihr normalerweise nicht erlaubt, sich im Speisezimmer aufzuhalten, da sie noch nicht achtzehn Jahre war.

Sie stand auf streckte Pompeius freundlich ihre Hand entgegen, in der Erwartung, daß er sie schütteln würde. Obgleich Pompeius nicht zu derlei Gesten neigte, nahm er ihre Hand, als könne sie zerbrechen, hob sie an die Lippen und küßte sie.

»Ich danke dir für deine Gesellschaft, Julia«, sagte er lächelnd und schaute ihr tief in die Augen. »Brutus ist ein beneidenswerter junger Mann.«

Als die Frauen hinausgegangen waren, wiederholte er noch einmal Caesar gegenüber: »Brutus ist wirklich zu beneiden.«

»Das finde ich auch«, erwiderte Caesar und lächelte über das, was er im stillen dachte.

»Ich habe nie zuvor eine Frau getroffen, die so ist wie sie!«

»Julia ist eine Perle, die nicht mit Gold aufzuwiegen ist.«

Was gab es darauf noch zu sagen? Pompeius verabschiedete sich.

»Besuche uns bald wieder, Magnus«, sagte Caesar an der Tür.

»Wenn es dir paßt, dann morgen schon. Ich muß am Tag darauf in die Campania reisen und werde mindestens für eine Marktperiode fortbleiben. Du hattest recht, es ist äußerst unbefriedigend, in der Gesellschaft von drei, vier griechischen Philosophen zu leben. Warum nehmen wir Römer sie eigentlich bei uns auf?«

»Weil sie den Vorteil bieten, intelligente, männliche Gesellschafter zu sein, die unseren Frauen nur sehr selten als Liebhaber zusagen. Und weil sie dafür sorgen, daß unser Griechisch rein bleibt; obwohl Lucullus sorgfältig darauf geachtet haben soll, die griechische Version seiner Memoiren mit ein paar grammatikalischen Schnitzern zu versehen; er wollte damit die griechischen literati zufriedenstellen, die überzeugt sind, daß kein Römer perfekt Griechisch spricht oder schreibt. Was mich betrifft, so bin ich nie versucht gewesen, die Gewohnheit anzunehmen, griechische Philosophen zu beherbergen. Es sind doch alles Parasiten.«

»Unsinn! Du nimmst sie nur nicht bei dir auf, weil du ein einsamer Jäger bist. Du ziehst es einfach vor, allein zu leben und zu jagen.«

»O nein«, sagte Caesar sanft. »Ich lebe nicht allein. Ich bin einer der glücklichsten Männer Roms, da ich mit einer Julierin lebe.«

Besagte Julia war hinauf in ihre Räume gegangen, erschöpft, doch erregt, auf ihrer Hand noch die Empfindung seines Kusses. Auf dem Regal stand die Büste von Pompeius; sie ging hinüber, nahm sie herunter und ließ sie in den Abfallbehälter fallen, der in einer Ecke stand. Die Statue war wertlos, jetzt, da sie den leiblichen Mann getroffen und mit ihm gesprochen hatte. Er war nicht ganz so groß wie tata, aber groß genug.

Breitschultrig war er, muskulös, und wenn er auf der Liege lag, so blieb sein Bauch straff, ohne das Fett, das Männer seines Alters anzusetzen pflegten. Ein wundervolles Gesicht mit den blauesten Augen darin, die sie je gesehen hatte. Und dieses Haar — das reine Gold, und so dicht! Ein gutaussehender Mann. Nicht wie tata, der wie ein echter Römer aussah, doch interessant, ungewöhnlicher eben. Da Julia kleine Nasen mochte, fand sie auch an diesem Organ nichts auszusetzen. Und gutgewachsene Beine hatte er ebenfalls.

Als nächstes stand sie vor dem Spiegel, einem Geschenk von ihrem tata, das avia nicht billigte. Er war auf einen drehbaren Ständer montiert und gab auf einer hochpolierten silbrigen Oberfläche das Spiegelbild der Betrachterin wieder. Und was Julia darin entdeckte, gefiel ihr ganz und gar nicht: zu dünn! Kaum Brüste! Keine Grübchen! Sie brach vor Verzweiflung in Tränen aus, warf sich auf ihr Bett und weinte sich in den Schlaf, die Wange an die Hand geschmiegt, die er geküßt hatte.

»Sie hat Pompeius’ Büste weggeworfen«, sagte Aurelia am nächsten Morgen zu Caesar.

»Bei Pollux! Und ich war mir so sicher, daß sie ihm zugetan war.«

»Nicht doch, Caesar, es ist — ganz im Gegenteil — ein hervorragendes Zeichen! Sie gibt sich jetzt nicht länger mit der Abbildung zufrieden, sie will den wirklichen Mann.«

»Nun, das beruhigt mich.« Caesar nahm seinen Becher mit heißem Wasser und Zitronensaft und nippte mit Genuß daran. »Er wird heute wieder zum Abendessen kommen, seine morgige Reise nach Campania war ein Vorwand, um uns so bald einen erneuten Besuch abstatten zu können.«

»Dann wird die Eroberung wohl vollendet werden«, meinte Aurelia.

Caesar grinste. »Ich glaube, er war bereits in dem Moment erobert, als Julia das Speisezimmer betrat. Ich kenne Pompeius nun schon lange und weiß, er hat sich so willig ködern lassen, daß er nicht einmal den Haken spürte. Erinnerst du dich nicht mehr an den Tag, als er zu Tante Julia kam und um die Hand von Mucia anhielt?«

»Doch, ich erinnere mich lebhaft. Er stank nach Rosenöl und benahm sich albern wie ein junges Fohlen auf der Weide. So war er gestern ganz und gar nicht.«

»Er ist erwachsener geworden. Mucia war älter als Pompeius; zu Julia fühlt er sich auf ganz andere Weise hingezogen. Julia ist siebzehn, er ist sechsundvierzig!« Caesar schauderte. »Mater, das sind fast dreißig Jahre Unterschied! Bin ich vielleicht zu kaltblütig? Ich will nicht, daß sie unglücklich wird.«

»Das wird sie auch nicht werden. Pompeius scheint zu wissen, wie man eine Frau zufriedenstellt — solange er in sie verliebt ist! Und Julia wird er immer lieben, er sieht in ihr die eigene verflossene Jugend.«

Aurelia räusperte sich und errötete leicht. »Ich bin mir sicher, daß du ein glänzender Liebhaber bist, Caesar, aber mit einer Frau zu leben, die nicht aus deinem eigenen Milieu stammt, würde dich langweilen. Pompeius liebt das Eheleben — vorausgesetzt, seine Frau entspricht auch seinen ehrgeizigen Vorstellungen. Und mehr als eine Julierin kann er nicht erwarten.«

Pompeius schien mitnichten mehr als eine Julierin zu erwarten. Wenn irgend etwas sein Ansehen nach Catos Angriff rettete, dann war es der Zustand der Benommenheit, in den ihn Julia versetzt hatte, und in dem er sich an diesem Morgen befand, den er auf dem Forum zubrachte. Er hatte seinen Vorsatz, niemals mehr in der Öffentlichkeit aufzutreten, ganz vergessen. Im Gegenteil, er sprach mit jedem, den er traf, und schien so offenkundig unberührt von Catos Schmährede zu sein, daß viele zu der Ansicht kamen, seine Reaktion am Tag zuvor sei reiner Schock gewesen. Heute zeigte er keine Spur von Groll oder Verlegenheit.

Sein Innerstes war ganz erfüllt von Julias Bild, sah ihm aus jedem einzelnen Gesicht entgegen, das ihm begegnete. Kind und doch Frau. Aber auch Göttin. So weiblich, mit so wundervollen Umgangsformen und so ungekünstelt! Ob er ihr auch gefallen hatte? Er hatte es sich eingebildet, wenngleich sie es sich nicht hatte anmerken lassen. Leider war sie verlobt. Mit Brutus, der noch grün hinter den Ohren und obendrein häßlich war. Wie konnte ein so reines und makelloses Geschöpf nur solche ekelhaften Pickel hinnehmen? Natürlich existierte schon seit Jahren ein Vertrag zwischen ihnen, die Heirat war nicht ihrem Wunsch entsprungen. In gesellschaftlicher und politischer Hinsicht war es ohne Zweifel eine ausgezeichnete Verbindung. Und da waren außerdem die Früchte des Goldes von Tolosa...

Später dann, nach dem Abendessen im Domus Publica, lag es Pompeius — ungeachtet der bestehenden Verlobung — auf der Zunge, um ihre Hand zu bitten. Was hielt ihn nur zurück? Die alte Furcht, sich in den Augen eines Patriziers wie Gaius Julius Caesar zu erniedrigen. Caesar, der seine Tochter einem jeden geben konnte, der sie bereits einem Aristokraten von Einfluß, Reichtum und nobelster Herkunft versprochen hatte. Männer wie Caesar gaben sich nicht lange damit ab, über die Gefühle oder gar Wünsche ihrer Töchter nachzudenken. Er selbst gehörte schließlich auch zu diesen Männern. Er hatte Faustus Sulla seine eigene Tochter nur aus einem Grund versprochen: Faustus Sulla war der Sproß einer Verbindung zwischen dem patrizischen Cornelius Sulla — dem größten, den es je in der Familie gegeben hatte — und der Enkelin von Metellus Calvus dem Kahlen, Tochter des Metellus Dalmaticus, die in erster Ehe mit Scaurus Princeps Senatus verheiratet gewesen war.

Nein, Caesar würde kein Interesse haben, den Vertrag mit Junius Brutus (der von den Servilii Caepiones adoptiert worden war) aufzulösen, nur um sein einziges Kind einem Pompeius aus Picenum zur Frau zu geben! Mochte Pompeius sich noch so danach sehnen, er würde Caesar niemals fragen. So brach er denn, unsterblich verliebt und außerstande, seine Göttin aus dem Kopf zu bannen, in die Campania auf, wo er für das Landkomitee tätig sein sollte. Doch er brachte nichts zustande, er war berauscht von ihr, begehrte sie so sehr wie nichts zuvor in seinem Leben. Und schon am Tag nach seiner Rückkehr fand er sich zu einem neuerlichen Abendessen im Domus Publica ein.

Doch, sie freute sich wirklich, ihn zu sehen! Bei diesem dritten Treffen hatte sich eine Vertrautheit zwischen ihnen eingestellt, dank derer sie ihm ganz unwillkürlich die Hand reichte und erwartete, daß er sie küßte. Sie tauchten auf der Stelle in eine Unterhaltung ein, die Caesar und seine Mutter — die sich manchmal nur mit Mühe das Lachen verkneifen konnten — gänzlich ausschloß. Das Essen näherte sich schließlich seinem Ende.

»Wann heiratest du Brutus?« fragte Pompeius mit gedämpfter Stimme.

»Im Januar oder Februar nächsten Jahres. Brutus wollte schon dieses Jahr heiraten, aber tata war dagegen. Ich muß zuvor achtzehn Jahre alt sein.«

»Und wann wirst du achtzehn?«

»An den Nonen des Januar.«

»Anfang Mai also, das sind noch acht Monate.«

Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich plötzlich, in ihren Augen sah er Kummer. Doch ihre Antwort kam mit völliger Gelassenheit. »Ziemlich bald also.«

»Liebst du Brutus denn?«

Pompeius’ Frage erweckte in ihr leise Panik, die er von ihren Augen, die sie nicht von ihm wenden wollte — oder konnte? — ablas.

»Wir sind Freunde, seit ich ein kleines Mädchen war. Ich werde lernen, ihn zu lieben.«

»Was wäre, wenn du dich in einen anderen verliebst?«

Sie bemühte sich krampfhaft, die aufsteigenden Tränen hinunterzuschlucken. »Das darf nicht geschehen, Gnaeus Pompeius.«

»Glaubst du denn nicht, daß so etwas gegen jede Vernunft geschehen kann?«

»Doch, ich glaube schon.«

»Was würdest du dann tun?«

»Versuchen zu vergessen.«

Er lächelte. »Das wäre aber schade.«

»Es wäre unredlich, Gnaeus Pompeius, und deshalb müßte ich vergessen. Wenn Liebe wachsen kann, kann sie auch sterben.«

Er sah plötzlich traurig aus. »Ich bin dem Tod in meinem Leben oft begegnet, Julia. Auf den Schlachtfeldern, bei meiner Mutter, meinem armen Vater, meiner ersten Frau. Ich werde ihn nie teilnahmslos hinnehmen können. Zumindestens,« fügte er aufrichtig hinzu, »von meinem jetzigen Standpunkt aus betrachtet. Ich könnte nicht mit ansehen, daß etwas, das in dir gewachsen ist, sterben müßte.«

Julia fühlte, daß sie gleich in Tränen ausbrechen würde, sie mußte schleunigst gehen.

»Entschuldige mich bitte, tata!« bat sie ihren Vater.

»Geht es dir nicht gut, Julia?« fragte Caesar.

»Ein bißchen Kopfweh, das ist alles.«

»Ich fürchte, du wirst auch mich entschuldigen müssen, Caesar«, sagte Aurelia und erhob sich. »Wenn Julia Kopfweh hat, braucht sie ein wenig Mohnsirup.«

Caesar und Pompeius blieben allein zurück. Mit einem leichten Kopfnicken veranlaßte Eutychus, daß die Speisen abgetragen wurden. Caesar schenkte Pompeius ungewässerten Wein ein.

»Julia und du, ihr versteht euch gut«, sagte er.

»Nur ein Narr würde sich nicht mit ihr verstehen«, sagte Pompeius barsch. »Sie ist unvergleichlich.«

»Ich mag sie auch.« Caesar lächelte. »In ihrem ganzen kurzen Leben hat sie mir niemals Unannehmlichkeiten bereitet, mir nie Widerworte gegeben, nie einen Fehler begangen.«

»Sie liebt ihn nicht, diesen linkischen Burschen mit seinem Watschelgang.«

»Das ist mir bewußt«, antwortete Caesar ruhig.

»Wie kannst du sie dann Brutus heiraten lassen?« fragte Pompeius aufgebracht.

»Wie kannst du Pompeia Faustus Sulla heiraten lassen?«

»Das ist etwas anderes.«

»Weshalb?«

»Pompeia und Faustus Sulla sind verliebt ineinander!«

»Und wenn dem nicht so wäre, würdest du dann die Verlobung auflösen?«

»Natürlich nicht!«

»Siehst du.«

Caesar füllte den Becher nach.

»Dennoch«, sagte Pompeius nach einer Pause und starrte in die rosigen Tiefen seines Weines, »um Julia ist es besonders schade. Meine Pompeia ist ein robustes, dralles Mädchen, das ständig in Bewegung ist. Sie könnte sehr gut für sich selbst sorgen. Julia dagegen ist so zerbrechlich.«

»Das ist ein Irrtum«, sagte Caesar. »Julia ist eigenlich sehr stark.«

»Ja, das ist sie auch. Doch jede Verletzung zeigt sich bei ihr sofort.«

Verblüfft wandte Caesar den Kopf, um Pompeius in die Augen zu sehen. »Scharf beobachtet, Magnus. Eigentlich untypisch für dich.«

»Vielleicht sehe ich Julia deutlicher als andere Menschen.«

»Warum solltest du?«

»Nun, ich weiß nicht... «

»Bist du in sie verliebt, Magnus?«

Pompeius wich seinem Blick aus. »Welcher Mann wäre das nicht?« murmelte er.

»Würdest du sie gern heiraten?«

Der Stiel des silbernen Bechers brach entzwei; Wein floß über Tisch und Boden, doch Pompeius bemerkte es nicht einmal. Er zitterte und warf den Kelch des Bechers auch noch um. »Ich würde alles geben, was ich habe, um sie zu heiraten!«

»Gut«, sagte Caesar seelenruhig, »dann sollte ich die Sache in die Wege leiten.«

Zwei riesige Augen starrten Caesar an; Pompeius holte tief Luft. »Heißt das, du gibst sie mir?«

»Es wäre mir eine Ehre.«

»Oh!« stöhnte Pompeius, warf sich rücklings auf die Liege und wäre fast heruntergefallen. »Caesar! — ich werde alles für dich tun — ich werde für sie sorgen, du wirst es nie bereuen, sie wird es beser haben als die Königin von Ägypten!«

»Das will ich hoffen!« sagte Caesar lachend. »Man erzählt sich ja, daß die Königin von Ägypten von der Halbschwester ihres Ehemannes, der Tochter einer idumäischen Konkubine, ausgestochen wurde.«

Doch Caesars Worte drangen nicht zu Pompeius vor, der dalag und verzückt an die Decke starrte. Dann rollte er sich auf die Seite. »Darf ich sie sehen?« fragte er.

»Besser nicht, Magnus. Geh jetzt nach Hause wie ein braver Junge und lasse mich Ordnung in die Fäden bringen, die der heutige Tag gewoben hat. Das Haus Servilius Caepio - Junius Silanus wird in Aufruhr geraten.«

»Ihre Mitgift an Brutus übernehme ich«, sagte Pompeius unverzüglich.

»Das kommt nicht in Frage«, entgegnete ihm Caesar und hielt ihm seine Hand entgegen. »Steh auf, mein Freund, steh jetzt auf!« Er grinste. »Ich muß gestehen, ich hätte nie gedacht, daß ich einmal einen Schwiegersohn bekommen würde, der sechs Jahre älter ist als ich!«

»Bin ich zu alt für sie? Ich meine, in zehn Jahren... «

»Frauen sind eigenartig, Magnus«, sagte Caesar, während er Pompeius zu Tür begleitete. »Ich habe oft bemerkt, daß sie nicht dazu neigen, sich anderweitig umzusehen, wenn sie zu Hause glücklich sind.«

»Du spielst auf Mucia an.«

»Mucia hast du zu lange allein gelassen, das war dein Fehler. Tu meiner Tochter nicht das gleiche an; sie würde nie Verrat an dir begehen, auch wenn ihr zwanzig Jahre getrennt wärt; aber sie würde dahinwelken.«

»Meine Soldatenzeiten sind vorüber«, sagte Pompeius. Er unterbrach sich und befeuchtete nervös die Lippen. »Wann können wir heiraten? Sie hat gesagt, daß sie Brutus nicht heiraten dürfe, bis sie achtzehn ist.«

»Was für einen Brutus angemessen ist, muß nicht für einen Pompeius Magnus gelten. Der Monat Mai ist leider ungünstig für Hochzeiten, doch wenn sie in den nächsten drei Tagen stattfindet, dann sind die Omen nicht zu schlecht. In zwei Tagen also.«

»Dann werde ich morgen wiederkommen.«

»Du wirst hier bis zum Hochzeitstag gar nicht mehr erscheinen — und daß du mir die Neuigkeit nicht weitererzählst, nicht einmal den Philosophen an deinem Tisch«, sagte Caesar und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.

»Mater! Mater!« rief der zukünftige Schwiegervater vom Fuß der Treppe hinauf ins obere Stockwerk.

Seine Mutter kam so schnell herabgeeilt, wie es für eine achtbare römische Matrone ihres Alters eigentlich nicht schicklich war. »Ja?« fragte sie mit leuchtenden Augen und umklammerte seinen rechten Unterarm.

»Ja! Wir haben es geschafft, Mater, wir haben es geschafft! Er schwebt in höheren Gefilden und sieht wie ein Schuljunge aus.«

»Ach, Caesar! Jetzt gehört er dir, was immer auch geschehen mag!«

»Und das ist keine Übertreibung! Wie steht es denn mit Julia?«

»Sie wird im siebten Himmel sein, wenn sie es hört. Ich war gerade Zeugin eines Gefühlsausbruchs. Sie hat sich tränenreich dafür entschuldigt, daß sie Pompeius Magnus liebe und gleichzeitig heftig protestiert, daß sie einen so trübseligen Langweiler wie Brutus heiraten solle. Alles kam nur heraus, weil Pompeius während des Essens so heftig um sie geworben hat.«

Aurelia lächelte beglückt und seufzte. »Wie wunderbar, mein Sohn! Wir haben das erreicht, was wir uns vorgenommen hatten, zugleich jedoch zwei anderen Menschen zu ihrem Glück verholfen. Was für ein guter Tag!«

»Besser jedenfalls, als es der morgige werden wird.«

Aurelias Miene verdüsterte sich. »Servilia.«

»Ich dachte eigentlich an Brutus.«

»Ach ja, der arme junge Mann! Aber nicht Brutus wird dir den Dolchstoß versetzen, ich würde mich vor Servilia hüten.«

Eutychus hüstelte, diskret seine Belustigung verbergend. Man konnte sich darauf verlassen, daß die älteren Diener eines Haushaltes stets wußten, woher der Wind wehte!

»Was gibt es?« frage Caesar.

»Gnaeus Pompeius Magnus steht vor der Haustür, Caesar, aber er weigert sich, hereinzukommen. Er sagt, er müsse dich kurz sprechen.«

»Ich hatte gerade eine glänzende Idee!« rief Pompeius und drückte Caesar aufgeregt die Hand.

»Keine weiteren Besuche heute, Magnus, bitte! Was denn für eine Idee?«

»Richte doch Brutus aus, ich würde mich sehr freuen, ihm als Ersatz für Julia Pompeia anzubieten. Er soll nur sagen, in welcher Höhe er sich ihre Mitgift vorstellt — fünfhundert, tausend —, mir ist es einerlei. Es ist jetzt wichtiger, Brutus zu beglücken, als Faustus gefällig zu sein, nicht wahr?«

Caesar gelang es nur unter äußerster Anstrengung, sein Gesicht nicht zu verziehen. »Danke, Pompeius. Ich werde dein Angebot gern weiterleiten, doch würde ich nichts überstürzen. Ich könnte mir gut vorstellen, daß Brutus eine Weile lang mit Heiraten nichts im Sinne hat.«

Pompeius ging zum zweiten Mal und winkte fröhlich.

»Und worum ging es diesmal?« fragte Aurelia.

»Er will Brutus seine eigene Tochter als Ersatz für Julia geben. Es sieht so aus, als könne Faustus Sulla nicht mit dem Gold von Tolosa konkurrieren. Dennoch tut es gut, zu sehen, daß Magnus wieder ganz der Alte ist. Ich fing schon an, mich über sein neues Feingefühl zu wundern.«

»Du wirst doch wohl Servilia und Brutus sein Angebot nicht unterbreiten?«

»Das wird mir nicht erspart bleiben. Zumindest aber bleibt genügend Zeit, um eine taktvolle Antwort für meinen zukünftigen Schwiegersohn zu erfinden. Glücklicherweise wohnt er auf dem Carinae. Lebte er näher am Palatin, so würde er Servilias Reaktion mit eigenen Ohren hören.«

»Wann soll die Hochzeit stattfinden? Mai und Juni bringen Unglück!«

»Heute in zwei Tagen. Bring Opfergaben, Mater, ich werde das gleiche tun. Es wäre mir viel lieber, die ganze Sache wäre vorüber, bevor ganz Rom davon weiß.« Er bückte sich und küßte seine Mutter auf die Wange. »Wenn du mich nun entschuldigen möchtest, ich muß noch zu Marcus Crassus.«

Da sie, auch ohne zu fragen, wußte, warum er Crassus aufsuchen wollte, machte sich Caesars Mutter daran, Eutychus Stillschweigen einzuschärfen und das Hochzeitsfest zu planen. Wie schade, daß die Geheimhaltung der Hochzeit bedingte, daß sie keine Gäste einladen durfte. Immerhin konnten Cardixa und Burgundus als Trauzeugen fungieren und die vestalischen Jungfrauen dem Pontifex Maximus helfen, die Trauung zu vollziehen.

»Du arbeitest mal wieder bis spät in die Nacht hinein?« fragte Caesar.

Crassus fuhr hoch und spritzte dabei Tinte über seine ordentlichen Reihen mit Ms, Cs, Ls und Xs. »Würdest du es bitte unterlassen, ständig mein Türschloß aufzubrechen?«

»Du läßt mir keine andere Wahl, doch wenn du willst, montiere ich dir eine Glocke mit einer Kordel dran. In solchen Dingen bin ich gar nicht schlecht«, sagte Caesar und schlenderte im Zimmer auf und ab.

»Das wäre sehr freundlich, es kostet nämlich Geld, die Schlösser instand zu setzen.«

»Betrachte es als erledigt. Ich komme morgen wieder und bringe Hammer, Glocke und Kordel mit. Du wirst dich rühmen können, die einzige Glocke Roms zu besitzen, die ein Pontifex Maximus installiert hat.« Caesar zog einen Stuhl heran und ließ sich mit einem Seufzer äußerster Zufriedenheit darauf niederfallen.

»Du wirkst auf mich wie eine Katze, die sich die angerichtete Wachtel auf dem Tisch geschnappt hat.«

»Oh, ich hab mir mehr als eine Wachtel geschnappt. Ich hatte das Glück, einen ganzen Pfau zu erwischen.«

»Ich platze fast vor Neugierde.«

»Kannst du mir zweihundert Talente leihen, die ich zurückerstatten werde, sobald meine Provinz zahlungsfähig ist?«

»Jetzt klingst du schon vernünftiger! Ja, sicher.«

»Willst du den Grund nicht wissen?«

»Ich sagte ja, daß ich vor Neugierde vergehe.«

Plötzlich runzelte Caesar die Stirn. »Es könnte aber sein, daß du nicht damit einverstanden bist.«

»Wenn nicht, dann werde ich es sagen.«

»Ich brauche hundert Talente, um Brutus dafür zu entschädigen, daß seine Verlobung mit Julia gelöst worden ist, und weitere hundert Talente für Julias Mitgift an Pompeius.«

Crassus legte seine Feder langsam und bedächtig nieder, ohne seinen Gesichtsausdruck zu verändern. Die klugen grauen Augen richteten sich auf Caesar. »Ich war stets der Überzeugung«, sagte der Plutokrat, »daß die eigenen Kinder eine Investition darstellen, die sich nur dann gelohnt hat, wenn sie dem Vater das einbringen, was er ohne sie nicht erreicht hätte. Es tut mir leid für dich, Gaius, denn ich weiß, daß du es vorziehen würdest, wenn Julia einen Mann von besserer Herkunft heiratete. Doch ich bewundere dich für deinen Mut und deinen Weitblick. Wie unsympathisch mir der Mann auch sein mag, Pompeius ist für uns beide wichtig. Hätte ich eine Tochter, würde ich vielleicht ebenso gehandelt haben. Brutus ist noch zu jung, um deinen Zwecken dienlich sein zu können, außerdem hindert seine Mutter ihn daran, seine Fähigkeiten zu entwickeln. Wenn Pompeius mit deiner Julia verheiratet ist, dann ist er wirklich unser Mann, auch wenn ihn die boni noch so sehr quälen und verfolgen.« Crassus machte einen grunzenden Laut.

»Außerdem ist sie ein wahrer Schatz. Sie wird ihn unendlich glücklich machen. Offen gestanden, wenn ich jünger wäre, ich würde ihn beneiden.«

»Tertullia würde dich umbringen«, kicherte Caesar. Er sah Crassus forschend an. »Was ist mit deinen Söhnen? Hast du dich schon entschieden, wen sie bekommen sollen?«

»Publius soll Metellus Scipios Tochter, Cornelia Metella, heiraten; er muß daher noch ein paar Jahre warten. Die Kleine ist nicht übel, wenn man bedenkt, wie dumm ihr tata ist. Scipios Mutter war Crassus Orators älteste Tochter, die Verbindung ist also mehr als angemessen. Bei Marcus habe ich an Metellus Creticus’ Tochter gedacht.«

»Einen Fuß im Lager der boni zu haben, kann nur von Vorteil sein«, sagte Caesar salbungsvoll.

»Ich denke auch. Ich werde allmählich zu alt, um immer nur zu kämpfen.«

»Behalte die Hochzeit noch für dich, Marcus«, sagte Caesar und stand auf.

»Unter einer Bedingung.«

»Und die wäre?«

»Daß ich dabei bin, wenn Cato es erfährt.«

»Ein Jammer, daß wir Bibulus’ Gesicht nicht sehen können.«

»Ja, doch wir könnten ihm für alle Fälle einen Schierlingsbecher schicken. Er wird Selbstmordgedanken hegen, wenn er von dieser Heirat hört.«

Nachdem er, wie es sich geziemte, einen Boten gesandt hatte, um sich anzukündigen, ging Caesar früh am nächsten Morgen den Palatin hinauf, zum Haus des verstorbenen Decimus Junius Silanus.

»Welch unerwartetes Vergnügen, Caesar«, säuselte Servilia; sie hielt ihm ihre Wange zum Kuß hin.

Ihr Sohn war Zeuge dieser Szene, doch er sagte nichts und lächelte auch nicht. Seit jenem Tag, an dem sich Bibulus in sein Haus zurückgezogen hatte, um den Himmel zu beobachten, hatte Brutus das Gefühl beschlichen, es stimmte etwas nicht. Zum einen hatte er Julia seitdem nur zweimal sehen dürfen, und beide Male war sie nicht wirklich für ihn da gewesen. Zum anderen war er es gewöhnt, mehrmals pro Marktperiode im Domus Publica zu speisen; doch immer, wenn er es in letzter Zeit vorgeschlagen hatte, wies man ihn unter dem Vorwand ab, daß wichtige und streng vertrauliche Gäste zum Abendessen erwartet würden. Und Julia hatte strahlend ausgesehen, schön, aber unzugänglich; nicht gerade teilnahmslos, eher so, als läge ihr Interesse anderswo, in einer geistigen Region, die ihn ausschloß. O ja, sie hatte so getan, als höre sie ihm zu! Dabei hatte sie kein einziges seiner Worte aufgenommen, nur in den Raum gestarrt mit einem süßen, kleinen Lächeln. Und küssen durfte er sie auch nicht mehr! Bei seinem ersten Besuch waren Kopfschmerzen der Grund gewesen. Beim zweiten mochte sie einfach nicht. Sie hatte zwar schuldbewußt gewirkt, aber den Kuß hatte sie ihm trotzdem verweigert. Hätte er es nicht besser gewußt, er hätte argwöhnen müssen, daß ein anderer sie küßte.

Und hier stand nun ihr Vater, in offizieller Angelegenheit, durch einen Boten angekündigt und gekleidet in das Gewand des Pontifex Maximus. Hatte er alles verdorben, weil er darum gebeten hatte, Julia ein Jahr früher als vereinbart heiraten zu dürfen? Warum nur wurde er das Gefühl nicht los, all dies habe mit Julia zu tun? Und warum sah er nicht wie Caesar aus? Makelloses Gesicht, makelloser Körper. Mama würde schon lange das Interesse an Caesar verloren haben, wenn es anders wäre.

Der Pontifex Maximus setzte sich nicht, machte jedoch einen ruhigen und gefaßten Eindruck.

»Brutus«, wandte er sich an ihn, »ich weiß nicht, wie man eine schlechte Nachricht schonungsvoll überbringen kann; deshalb werde ich offen zu dir sprechen. Ich breche deinen Verlobungsvertrag mit Julia.« Er legte eine schmale Schriftrolle auf den Tisch. »Dies ist eine Zahlungsanweisung für meine Bankiers über die Summe von einhundert Talenten, wie vereinbart. Es tut mir aufrichtig leid.«

Brutus war so schockiert, daß er in einen Sessel niedersank.

Dort saß der Arme nun mit offenem Mund, unfähig, ein Wort des Protestes auszustoßen. Der Ausdruck seiner großen, ruhelosen Augen erinnerte an einen alten Hund, der weiß, daß sein geliebter Herr ihn töten lassen wird, weil er ihm nicht mehr von Nutzen ist. Sein Mund schloß sich, wollte Worte formulieren, doch er brachte keine Silbe hervor. Und dann erlosch der Glanz in seinen Augen so rasch wie der einer erstickten Kerze.

»Es tut mir wirklich leid«, sagte Caesar noch einmal und mit mehr Wärme als vorher.

Der Schreck hatte Servilia aus ihrem Sessel hochspringen lassen, doch auch sie fand lange keine Worte. Ihre Augen wanderten zu Brutus, sahen den Glanz in seinen Augen vergehen; doch sie verstand nicht, was in Brutus wirklich vorging, waren sie doch beide charakterlich so verschieden wie Antiochus und Olisippo.

Es war Caesar, der den Schmerz von Brutus fühlte, nicht Servilia. Er selbst war nie von einer Frau so eingenommen gewesen wie Brutus von Julia; und doch verstand er nur zu gut, was sie für ihn bedeutet hatte. Er fragte sich, ob er den Mut besessen hätte, Brutus so zu vernichten, wenn er vorher darum gewußt hätte. Doch, Caesar, auch dann hättest du es getan, mußt er sich eingestehen. Du hast schon vor ihm andere vernichtet und wirst es weiterhin tun. Doch selten so wie jetzt. Der arme, arme Junge! Er wird nie wieder ganz der Alte sein. Seit seinem vierzehnten Lebensjahr wollte er meine Tochter haben, nie war er wankelmütig oder zögernd. Und ich habe ihn vernichtet — zumindest jenen lebendigen Teil in ihm, den er vor seiner Mutter retten konnte. Wie grauenhaft, der Spielball zweier skrupelloser Menschen wie Servilia und mir zu sein. Silanus war auch ein Opfer, doch nicht in demselben Maße wie Brutus. Ja, wir haben ihn vernichtet. Von jetzt an wird er als ein Gespenst durchs Leben gehen.

»Warum?« fragte Servilia rauh; sie rang noch immer nach Luft.

»Es tut mir leid, doch ich brauche Julia, um eine andere Verbindung einzugehen.«

»Eine bessere Partie als ein Caepio Brutus? Das gibt es nicht!«

»Ganz sicher nicht, was seine Vorzüge angeht, seine Freundlichkeit und Zärtlichkeit, sein Ehrgefühl und seine Integrität. Es war ein Privileg für mich, deinen Sohn so viele Jahre lang als Gast in meiner Familie empfangen zu dürfen. Doch es bleibt eine Tatsache, daß ich Julia brauche, um ein anderes Bündnis einzugehen.«

»Meinst du damit, du opferst meinen Sohn um deiner politischen Ziele willen, Caesar?« fragte sie scharf.

»Ja. Genauso, wie du meine Tochter opfern würdest, wenn es deinen Zwecken diente, Servilia. Wir setzen Kinder in die Welt, um unseren Ruhm an sie weiterzuvererben. Der Preis, den unsere Kinder dafür zahlen müssen, ist es, unseren Bedürfnissen und denen unserer Familie zu dienen. Sie kennen keine Armut, sie kennen keine Not. Es mangelt ihnen weder an Bildung noch an kaufmännischen Fähigkeiten. Doch es wären törichte Eltern, die ihr Kind so erzögen, daß es nicht den Preis verstehen lernte, den man für noble Herkunft, Reichtum und Bildung zahlen muß. Die unterste Bürgerklasse kann ihre Kinder nach ihrem Gutdünken hätscheln und verziehen. Doch unsere Kinder sind Diener ihrer Familien, und wenn sie einmal an der Reihe sind, erwarten auch sie von ihren Kindern, was wir heute von ihnen erwarten. Familienbande sind unkündbar. Wir Römer erschaffen uns unsere eigenen Götter, Servilia, und alle wahrhaft römischen Götter sind Familiengötter. Götter des Herdes und des Vorrats, der Hausgemeinschaft und der Ahnen, der Eltern und der Kinder. Meine Tochter sieht sich als Teil des Juliergeschlechts.«

»Ich weigere mich zu glauben, daß es in Rom jemanden gibt, der dir politisch mehr bieten könnte als Brutus.«

»Das mag in zehn Jahren vielleicht zutreffen. Und sogar mit Sicherheit in zwanzig Jahren. Doch jetzt bin ich auf verstärkten politischen Einfluß angewiesen. Wenn Brutus’ Vater heute noch am Leben wäre, lägen die Dinge anders. Aber dein Familienoberhaupt ist vierundzwanzig Jahre alt, das gilt für Servilius Caepio ebenso wie für Junius Brutus. Ich brauche die Hilfe eines Mannes, der mein Alter hat.«

Brutus hatte keine Regung gezeigt, hatte auch nicht angefangen zu weinen. Er hörte zwar all die Worte, die Caesar und seine Mutter wechselten, doch erreichten sie ihn nicht wirklich. Sie standen da im Raum und bedeuteten etwas, was er wohl verstand. Er würde sich an sie erinnern. Doch warum war nur seine Mutter nicht viel wütender?

Tatsächlich zitterte Servilia vor Wut, doch hatte die Erfahrung sie gelehrt, daß Caesar ihr in jeder Auseinandersetzung überlegen war. Sie mußte sich beherrschen, den Schwachpunkt des Gegners suchen, sich in ihn hineinversetzen und dann zum Schlag ausholen.

»Wer ist der Mann?« fragte sie mit durchdringenden Augen.

Caesar, was ist los mit dir? Gib zu, daß du das alles hier im Grunde genießt, wenn du ganz ehrlich bist. Dein Genuß wäre natürlich größer, gäbe es diesen armen, gebrochenen jungen Mann dort drüben nicht. In den Sekunden, in denen du jetzt gleich seinen Namen aussprechen wirst, wirst du mehr Befriedigung empfinden als an dem Tag, an dem du ihr gesagt hast, daß du sie nicht heiraten würdest. Enttäuschte Liebe kann Servilia nicht umbringen, doch die Beleidigung, die ich ihr jetzt zumuten werde, könnte es...

»Gnaeus Pompeius Magnus«, sagte er.

»Wer?«

»Du hast es gehört.«

»Das ist nicht wahr!« Ihr ganzer Körper bebte. »Das ist nicht wahr!« Ihre Augen traten hervor. »Das ist nicht wahr!« Ihre Beine gaben nach, sie wankte auf den Stuhl zu, der am weitesten von Brutus entfernt stand. »Das kann einfach nicht wahr sein!«

»Warum nicht!« fragte er kühl. »Nenn mir nur einen besseren Verbündeten als Magnus, und ich bin bereit, die Verlobung zwischen ihm und Julia genauso aufzulösen, wie ich soeben diese löste.«

»Er ist ein — ein — ein Emporkömmling! Ein Niemand! Ein Ignorant!«

»Mit deiner ersten Bezeichnung stimme ich gern überein. Nicht aber mit der zweiten und der dritten. Magnus ist weit davon entfernt, ein Niemand zu sein. Er ist der Erste Mann in Rom. Auch ist er beileibe kein Ignorant. Ob es uns gefällt oder nicht, Servilia, der Sohn des Schlächters aus Picenum hat einen breiteren Pfad durch Roms Wald gehauen als Sulla es vermochte. Sein Reichtum ist schier unermeßlich, und seine Macht ist noch größer. Wir können nur von Glück sagen, daß er niemals so weit wie Sulla gehen würde, weil er nicht den Mut dazu hat. Das einzige, wonach er strebt, ist, einer von uns zu sein.«

»Er wird nie zu uns gehören!« rief sie mit geballten Fäusten.

»Indem er eine Julierin heiratet, hat er bereits den ersten Schritt getan.«

»Man sollte dich auspeitschen lassen, Caesar! Dreißig Jahre Altersunterschied liegen zwischen den beiden — er ist ein alter Mann und sie kaum eine Frau!«

»Ach, sei doch still!« sagte er. »Die meisten deiner Launen ertrage ich gut, domina, jedoch nicht diese — ach so ehrliche — Entrüstung.«

Er warf ihr einen kleinen Gegenstand in den Schoß, dann ging er zu Brutus hinüber. »Es tut mir wirklich leid, mein Junge«, sagte er und berührte sanft die noch immer verkrampfte Schulter. Brutus schüttelte ihn nicht ab, seine glanzlosen Augen bückten zu Caesar auf.

Ob er ihm, wie geplant, sagen sollte, daß Julia in Pompeius verliebt war? Nein. Das wäre allzu grausam. Dann wollte er ihm sagen, er würde sicher eine andere finden. Doch er ließ es sein.

Das scharlachrote Gewand wirbelte durch die Luft, die Tür schloß sich hinter dem Pontifex Maximus.

Der Gegenstand in Servilias Schoß war ein großer, rötlicher Stein. Sie war gerade im Begriff gewesen, ihn durch das offene Fenster in den Garten zu schleudern, als sie bemerkte, wie verlockend sich das Licht in ihm brach, und sie hielt inne. Nein, das war kein Stein. Die Farbe seiner rundlichen Herzform erinnerte an eine Erdbeere, doch der Stein leuchtete und glänzte und glitzerte so matt wie eine Perle. Eine Perle? Ja, eine Perle! Das Ding, das Caesar ihr in den Schoß geworfen hatte, war eine Perle, groß wie die größte Erdbeere, die sich auf einer capuanischen Waldlichtung finden ließe — ein wahres Wunder.

Servilia schätzte Juwelen sehr, doch Meeresperlen liebte sie mehr als alles andere. Langsam verebbte ihre Wut, als ob die kostbare, blaßrote Perle sie aufgesogen hätte. Wie sinnlich sie sich anfühlte, wie glatt und kühl, wie wollüstig!

Ein Geräusch störte sie in ihren Gedanken. Servilia sah hoch. Brutus war ohnmächtig zu Boden gefallen.

Nachdem der halb besinnungslose und verwirrte Brutus in sein Bett gebracht worden war und man ihm rasch einen einschläfernden Kräutertrank verarbreicht hatte, warf Servilia sich einen Umhang über und suchte Fabricius, den Perlenhändler, im Porticus Margaritaria auf. Er konnte sich noch gut an die Perle erinnern und wußte genau, woher sie stammte; er wunderte sich nur insgeheim, wie ein Mann ein solch erlesenes Exemplar an eine Frau verschenken konnte, die sich weder durch herausragende Schönheit noch durch Jugend auszeichnete. Er schätzte die Perle auf sechs Millionen Sesterzen und kam mit Servilia überein, sie in eine kleine Umhüllung aus feinstem Golddraht hineinzusetzen, die an einer schweren Goldkette befestigt werden sollte. Weder Fabricius noch Servilia waren dafür, die Vertiefung an dem oberen Ende der Perle zu durchbohren; ein solches Wunder mußte unversehrt bleiben.

Vom Porticus Margaritaria waren es nur ein paar Schritte bis zum Domus Publica, wo Servilia darum bat, Aurelia sprechen zu dürfen.

»Du bist selbstverständlich auf seiner Seite!« sagte sie böse zu Caesars Mutter.

Aurelia hob die feinen schwarzen Augenbrauen, was ihr sehr große Ähnlichkeit mit ihrem Sohn verlieh. »Natürlich«, antwortete sie gelassen.

»Aber Pompeius Magnus? Caesar verrät ja seine eigene Klasse!«

»Ich bitte dich, Servilia, du solltest Caesar wirklich besser kennen! Caesar zieht es stets vor, seine Verluste abzuschreiben, bevor er sich ins eigene Fleisch schneidet. Er tut, was er will, weil das, was er will, auch das ist, was er tun sollte. Müssen Brauchtum und Sitte darunter leiden, so ist das bedauerlich. Er braucht Pompeius, und du verfügst über genügend politischen Scharfsinn, um es verstehen zu können. Du weißt auch, wie riskant es ist, sich von Pompeius abhängig zu machen, ohne ihn — sturmsicher — an einem Anker fest vertäut zu haben.« Aurelia verzog das Gesicht.

»Die Auflösung der Verlobung kommt Caesar teuer zu stehen, nach allem, was ich von ihm hörte, als er von Brutus und dir zurückkehrte. Der beklagenswerte Zustand deines Sohnes hat ihn tief bewegt.«

Es war Servilia nicht einmal in den Sinn gekommen, über Brutus’ nachzudenken, da sie ihn als ihr tödlich beleidigtes Eigentum, nicht als eigene Persönlichkeit betrachtete. Sie liebte Brutus ebenso wie Caesar, doch so, als stecke er in ihrer eigenen Haut, als fühle er genau wie sie. Gleichwohl wurde sie nie gänzlich schlau daraus, warum sein Verhalten schon seit Jahren nicht mehr dem ihren ähnelte. Seine Ohnmacht hatte sie ausgesprochen übertrieben gefunden.

»Arme Julia!« sagte sie, in Gedanken ganz bei ihrer Perle.

Julias Großmutter mußte lachen. »Arme Julia? Nichts weniger als das! Sie ist im siebten Himmel.«

Das Blut wich aus Servilias Wangen.

»Du willst doch nicht behaupten...?«

»Hat Caesar euch denn nichts gesagt? Sein Mitleid mit Brutus muß zu groß gewesen sein! Es ist eine Liebesheirat, Servilia.«

»Das kann nicht sein!«

»Doch, glaube mir, Julia und Pompeius sind verliebt.«

»Aber sie liebt doch Brutus!«

»Nein, sie hat Brutus nie geliebt, das ist das Tragische daran. Sie war entschlossen, ihn zu heiraten, weil ihr Vater es von ihr verlangte. Weil wir es alle taten, und weil sie ein braves, fügsames Mädchen ist.«

»Sie sucht in Pompeius ihren Vater«, sagte Servilia kategorisch.

»Vielleicht.«

»Aber Pompeius ähnelt Caesar ganz und gar nicht. Sie wird es noch bereuen.«

»Ich glaube, daß sie glücklich wird. Sie weiß, daß Pompeius und Caesar unterschiedlich sind, doch sie besitzen auch Gemeinsamkeiten. Beide sind Soldaten, beide tapfer, beide heroisch. Julia ist sich ihrer noblen Herkunft niemals sonderlich bewußt gewesen, hat nie das Patriziat vergöttert. Was du an Pompeius verabscheuungswürdig findest, kann Julia nicht im geringsten aus der Fassung bringen. Ich denke, daß er durch sie ein wenig kultivierter werden wird, doch im Grunde ist sie so mit ihm zufrieden, wie er ist.«

»Ich bin enttäuscht von Julia«, murmelte Servilia.

»Dann freue dich für deinen Brutus, daß er jetzt frei ist.«