Der Prätor Lucius Roscius Otho war Volkstribun in den Diensten von Catulus und den boni gewesen. Er hatte sich den Mißmut der meisten römischen Männer zugezogen, als er im Theater die vierzehn Sitzreihen hinter den Plätzen der Senatoren an die Ritter der Achtzehn zurückgegeben hatte. Seine Zuneigung jedoch gehörte Cicero seit dem Tag, als ein Theater voller Leute ihn dafür ausgebuht hatte, daß er diese ausgezeichneten Plätze per Gesetz reservieren ließ, und Cicero den wütenden Pöbel mit ein paar passenden Worten beruhigt hatte.

In seiner Eigenschaft als zuständiger Prätor für Rechtsstreitigkeiten mit Ausländern hielt Otho sich gerade im unteren Forum auf, als ein grimmiger Titus Labienus entschlossenen Schrittes zum Tribunal hinaufstieg und eindringlich auf Metellus Celer einzureden begann. Von Neugier getrieben, schlenderte Otho hinüber zu den beiden und bekam gerade noch mit, wie Labienus den Antrag stellte, Gaius Rabirius nach einem Gesetz aus der Zeit des Königs Tullus Hostilius wegen Hochverrats vor Gericht zu stellen. Celer zog Caesars umfangreiche Abhandlung über alte Gesetze hervor, um die Rechtsgültigkeit von Labienus’ Ansinnen zu prüfen, und Otho beschloß, daß es an der Zeit sei, Cicero einen Teil der Schulden zurückzuzahlen und ihn darüber aufzuklären, was hier gespielt wurde.

An diesem Tag hatte Cicero lange geschlafen, weil er in der Nacht zuvor kein Auge zubekommen hatte und sich am darauffolgenden Tag seine Gratulanten die Türklinke in die Hand gegeben hatten, ein aufregendes Ereignis, das Cicero einem ausgiebigen Mittagsschläfchen allemal vorgezogen hatte.

Und so war er noch nicht einmal aus seinem Alkoven hervorgekrochen, als Otho an seine Haustür klopfte.

»Otho, mein lieber Freund, es tut mir leid!« rief Cicero und strahlte dem Prätor entgegen, während er sich mit einer Hand die zerzauste Frisur in Ordnung zu bringen versuchte. »Die Vorkommnisse der letzten Tage waren schuld daran, daß ich einmal wieder richtig ausschlafen mußte.« Seine übersprudelnde gute Laune bekam einen Dämpfer, als er den beunruhigten Ausdruck auf Othos Gesicht bemerkte. »Ist Catilina im Anmarsch? Hat es schon eine Schlacht gegeben? Sind unsere Armeen besiegt?«

»Nein, nein, mit Catilina hat es nichts zu tun.« Otho schüttelte den Kopf. »Es geht um Titus Labienus.«

»Was ist mit Titus Labienus?«

»Er ist auf dem Forum und hat vor Metellus Celers Tribunal verlangt, daß der alte Gaius Rabirius wegen der Morde an Saturninus und Quintus Labienus als Hochverräter angeklagt wird.«

»Was hat er verlangt?«

Otho wiederholte, was er gesagt hatte.

Cicero bekam einen trockenen Mund; er spürte förmlich, wie das Blut aus seinem Gesicht wich. Sein Herz begann heftig zu klopfen, und der Atem stockte ihm. Mit einer Hand packte er Othos Arm. »Das glaube ich nicht.«

»Das solltest du aber, denn es ist tatsächlich passiert, und Metellus Celer hat nachgesehen, ob er den Fall zulassen kann. Ich wünschte, ich hätte mitbekommen, was die beiden im einzelnen ausgeheckt haben. Labienus hat König Tullus Hostilius zitiert. Es ging um ein uraltes Gerichtsverfahren, und dann hat sich Metellus Celer in eine dicke Schriftrolle vertieft, irgend etwas, das mit Gesetzen von ganz früher zu tun hat. Ich weiß nicht, warum, aber mein linker Daumen hat auf einmal kräftig zu jucken angefangen.

Das kann nur furchtbaren Ärger bedeuten. Da bin ich sofort zu dir geeilt.«

Aber er sprach bereits mit der nackten Wand; Cicero war längst hinausgelaufen, um nach seinem Hausdiener zu rufen. Gleich darauf war er zurück, angetan mit der majestätischen, purpurrot eingefaßten Toga.

»Hast du draußen meine Liktoren gesehen?«

»Sie sitzen beim Würfelspiel.«

»Dann laß uns gehen.«

Normalerweise schlenderte Cicero gemächlich hinter seinen zwölf weißgekleideten Liktoren her, damit auch alle Menschen ausreichend Zeit und Gelegenheit hatten, ihn zu sehen und zu bewundern. Doch an diesem Morgen trieb er seine Eskorte immer wieder zur Eile an. Es war nicht weit bis zum unteren Forum, aber Cicero kam es vor wie die Strecke von Capua nach Rom. Am liebsten hätte er jegliche Würde fahren lassen und wäre losgerannt. Er war klug genug, es nicht zu tun. Er erinnerte sich nur zu gut daran, daß er es war, der in seiner Eröffnungsrede im Concordia-Tempel den Namen Gaius Rabirius erwähnt hatte, und den Grund dafür hatte er auch nicht vergessen: Er wollte mit seinem Beispiel illustrieren, daß niemand für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden konnte, solange ein Senatus Consultum Ultimum in Kraft war. Und nun kam dieser Titus Labienus — Caesars Volkstribun, nicht Pompeius’ — und verlangte, daß Gaius Rabirius wegen der Morde an Saturninus und Quintus Labienus vor Gericht gestellt wurde! Aber nicht etwa unter der Anklage des Mordes. Nein, unter der uralten Anklage des perduellio, eben jenes Hochverrats, den Caesar ins einer Rede im Concordia-Tempel beschrieben hatte.

Während Ciceros Gefolge eilig die Strecke zwischen dem Castor-Tempel und dem Tribunal des Stadtprätors zurücklegte, hatte sich bereits eine kleine Menschenmenge vor dem Tribunal gebildet und hörte aufmerksam zu. Dabei wurden dort gar keine aufregenden Dinge besprochen, als Cicero eintraf: Labienus und Metellus Celer unterhielten sich gerade über Frauen.

»Was ist los? Was geht hier vor?« fragte Cicero ganz außer Atem.

Celer zog erstaunt die Stirn in Falten. »Die ganz normale Arbeit dieses Tribunals, Erster Konsul.«

»Und die wäre?«

»In zivilen Streitigkeiten Recht zu sprechen und zu prüfen, ob Straftatbestände ausreichen, um einen Prozeß anzustrengen«, erwiderte Celer mit der Betonung auf das Wort »Prozeß«.

Cicero stieg die Zornesröte ins Gesicht. »Versuch nicht, mich auf den Arm zu nehmen!« rief er verärgert. »Ich will wissen, was hier vorgeht!«

»Mein lieber Cicero, ich kann dir versichern, daß du der letzte Mensch auf dieser Welt bist, den ich auf den Arm nehmen, würde«, sagte Celer.

»WAS GEHT HIER VOR?«

»Unser guter Freund, der Volkstribun Titus Labienus, hat eine Beschuldigung gegen Gaius Rabirius vorgebracht. Wegen der Morde an Saturninus und Quintus Labienus vor siebenunddreißig Jahren bezichtigt er ihn des Hochverrats. Er will die Anklage führen, und zwar nach einem Prozedere, wie es während der Regentschaft von König Tullus Hostilius geübt wurde. Nach gründlicher Sichtung der betreffenden Dokumente habe ich gemäß meiner eigenen, zu Beginn meiner Amtszeit als Prätor veröffentlichten Edikte beschlossen, ein solches Verfahren gegen Gaius Rabirius zuzulassen«, antwortete Celer, ohne zwischendurch Luft zu holen. »Im Augenblick warten wir darauf, daß Gaius Rabirius hier vor mir erscheint. Sobald er eingetroffen ist, werde ich ihn anklagen und die Richter für seinen Prozeß benennen, mit dem ich dann sofort beginnen werde.«

»Lächerlich! Das kannst du gar nicht!«

»In meinem Edikt und in den maßgeblichen Dokumenten steht nichts, was es mir verbieten könnte, Marcus Cicero.«

»Das Ganze ist gegen mich gerichtet!«

Das Erstaunen auf Celers Gesicht war bühnenreif. »Wie soll ich das verstehen, Cicero? Hast du etwa vor siebenunddreißig Jahren auf dem Dach der Curia Hostilia gesessen und mit Dachziegeln geworfen?«

»Hör endlich auf, dich dumm zu stellen, Celer! Du sitzt hier als Caesars Marionette vor mir. Ich hätte nicht von dir gedacht, daß du dich von Leuten wie Caesar einkaufen lassen würdest!«

»Erster Konsul, wenn es auf unseren Tafeln ein Gesetz gäbe, das haltlose Beschuldigungen bei hoher Geldstrafe verbieten würde, dann müßtest du jetzt und hier eine hübsche Stange Geld auf den Tisch legen!« erwiderte Celer erbost. »Ich bin der Stadtprätor des Senats und des Volkes von Rom, und ich werde hier meiner Pflicht nachkommen! Und zwar so, wie ich es vorhatte, bevor du hier aufgekreuzt bist, um mir vorzuschreiben, wie ich meiner Pflicht nachzukommen habe!« Er wandte sich an einen der vier verbliebenen Liktoren, die dem Wortwechsel grinsend zugehört hatten, weil sie Celer schätzten und gern für ihn arbeiteten.

»Liktor, bitte schaffe Lucius Julius Caesar und Gaius Julius Caesar vor dieses Tribunal.«

In diesem Augenblick kamen seine beiden fehlenden Liktoren aus Richtung des Carinae. Zwischen ihnen kam ein Mann dahergeschlurft, der mindestens zehn Jahre älter aussah als die siebzig Jahre, die er als sein Alter angab, ein runzeliger kleiner Kerl mit häßlichem Gesicht und hagerem Körper. Für gewöhnlich trug er eine Miene säuerlicher, ein wenig verstohlener Zufriedenheit zur Schau, aber als er sich Celers Tribunal jetzt mit seiner offiziellen Eskorte näherte, spiegelte sein Gesicht nur noch ungläubige Verwunderung. Wahrlich kein schöner Mann, dieser Gaius Rabirius, aber trotzdem so etwas wie eine römische Institution.

Mit verdächtiger Promptheit erschienen kurz darauf die beiden Caesars, ein eindrucksvoller Auftritt, der ein paar der Umstehenden zu Ausrufen der Bewunderung veranlaßte. Beide waren sie hochgewachsen und blond und sahen blendend aus; beide waren in die purpur- und scharlachrot gestreifte Toga der großen religiösen Kollegien gekleidet, aber während Gaius unter der Toga die purpur- und scharlachrot gestreifte Tunika des Pontifex Maximus trug, hatte Lucius den lituus dabei, den gekrümmten, von einer Schnecke gekrönten Stab der Auguren. Die beiden erregten einiges Aufsehen. Und während Metellus Celer den verblüfften Gaius Rabirius wegen der Morde an Quintus Labienus und Saturninus unter dem perduellio des Königs Tullus Hostilius anklagte, standen die beiden Caesars daneben, als ginge sie das Ganze nichts an.

»Es gibt nur vier Männer, die für diesen Prozeß als Richter in Frage kommen«, verkündete Celer mit lauter Stimme, »und ich werde sie jetzt der Reihe nach aufrufen! Lucius Sergius Catalina möge vortreten!«

»Lucius Sergius Catilina steht unter Bann«, antwortete der Erste Liktor des Stadtprätors.

»Quintus Fabius Maximus Sanga möge vortreten!«

»Quintus Fabius Maximus Sanga ist außer Landes.«

»Lucius Julius Caesar möge vortreten!«

Lucius Caesar trat nach vorn.

»Gaius Julius Caesar möge vortreten!«

Caesar trat nach vorn.

»Väter«, erklärte Celer feierlich, »hiermit seid ihr dazu bestimmt, über Gaius Rabirius wegen der Morde an Lucius Appuleius Saturninus und Quintus Labienus gemäß der lex regia de perduellione des Königs Tullus Hostilius zu richten. Des weiteren ordne ich an, daß der Prozeß in zwei Stunden auf dem Marsfeld, auf dem Gelände gleich neben der saepta, stattfinden wird.

Liktor, ich ordne hiermit an, daß du aus deinem Kollegium drei deiner Kollegen herbeiholst, damit sie als Repräsentanten der drei ursprünglichen Tribus römischer Männer fungieren, einer für Tities, einer für Ramnes und einer für Luceres. Weiter ordne ich an, daß sie dem Gericht als Diener zur Verfügung stehen.«

Cicero versuchte es noch einmal auf die sanfte Art. »Quintus Caecilius«, sagte er zu Celer, »das kannst du nicht machen. Ein Prozeß wegen Hochverrats noch am heutigen Tag? In zwei Stunden? Der Beschuldigte muß Zeit haben, sich auf die Verteidigung vorzubereiten. Er muß sich einen Advokaten suchen und Zeugen, die für ihn aussagen.«

»Derlei Vorkehrungen sind unter der lex regia de perduellionis des Königs Tullus Hostilius nicht vorgesehen«, erwiderte Celer. »Ich bin nur das Werkzeug des Gesetzes, Marcus Tullius, nicht sein Urheber. Ich darf nicht mehr tun, als dem vorgeschriebenen Prozedere zu folgen, das in diesem Fall eindeutig und zweifelsfrei in den Dokumenten aus jener Zeit festgelegt ist.«

Wortlos drehte sich Cicero um und verließ das Tribunal des Stadtprätors, auch wenn er keine Ahnung hatte, wohin er jetzt gehen sollte. Sie meinten es ernst! Sie wollten den armseligen Alten nach einem archaischen Gesetz verurteilen, das — wie typisch für Rom — nie von den Tafeln getilgt worden war! Ach, was war das doch für eine Unsitte, daß man in Rom allen alten Zöpfen auf ewig die Ehre erwies, statt sie irgendwann einmal abzuschneiden? Von häßlichen Strohhüten über Gesetze aus den Zeiten der ersten Könige bis hin zu den Säulen in der Basilica Porcia — es war immer das gleiche: Was es einmal gegeben hatte, mußte es immer geben.

Natürlich steckte Caesar dahinter. Er hatte die fehlenden Stücke entdeckt, die nicht nur den Prozeß gegen Horatius verständlich machten — den ältesten bekannten Prozeß in der Geschichte Roms —, sondern auch seine Berufung darauf. Und über beides hatte er vorgestern vor versammeltem Haus geredet. Aber was wollte er damit erreichen? Und warum stand ihm dabei ein Mann wie Celer zur Seite, der zu den boni gehörte? Titus Labienus, ja, das konnte er verstehen, und auch Lucius Caesar. Aber warum ausgerechnet Metellus Celer?

Seine Schritte hatten ihn in die Nähe des Castor-Tempels geführt, also beschloß er, nach Hause zu gehen, sich einzuschließen und nachzudenken. Normalerweise hatte das Organ, das für die Erzeugung seiner Gedanken zuständig war, keinerlei Probleme mit diesem Vorgang, jetzt aber wußte Cicero nicht einmal genau, welches Organ eigentlich zuständig war — das Gehirn, das Herz oder der Bauch? Hätte er es gewußt, vielleicht hätte er der betreffenden Stelle mit ein paar gezielten Schlägen, mit feuchten W\1ckeln oder einem geeigneten Abführmittel auf die Sprünge helfen können...

Um ein Haar wäre er mit Catulus, Bibulus, Gaius Piso und Metellus Scipio zusammengestoßen, die vom Palatin heruntergeeilt kamen. Er hatte sie nicht einmal kommen sehen! Was war nur mit ihm los?

Während sie gemeinsam die unzähligen Stufen zu Catulus’

Haus hinaufstiegen, erzählte Cicero den vier anderen seine Geschichte, und als sie dann in Catulus’ geräumigem Arbeitszimmer zusammensaßen, tat er etwas, was er nur sehr selten tat: Er trank einen ganzen Becher unverdünnten Wein. Jetzt erst wurde sein Blick wieder klar, und ihm fiel auf, daß jemand fehlte. »Wo ist Cato?«

Den vier anderen schien ziemlich unbehaglich zumute zu sein; schließlich tauschten sie resignierte Blicke, für Cicero ein Hinweis darauf, daß er gleich über etwas in Kenntnis gesetzt werden würde, das die anderen wohl lieber für sich behalten hätten.

»Ich fürchte, man muß ihn als wandelnden Verwundeten bezeichnen«, sagte Bibulus. »Jemand hat ihm das Gesicht in Fetzen gerissen.«

»Nicht, was du denkst, Cicero.«

»Sondern?«

»Er hatte eine kleine Auseinandersetzung mit Servilia. Über Caesar. Servilia ist wie eine Löwin über ihn hergefallen.«

»Ihr Götter!«

»Erzähl es bitte nicht herum, Cicero«, sagte Bibulus mit ernster Stimme. »Es ist ohnehin schon schlimm genug für den armen Kerl, sich in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Da muß nicht auch noch ganz Rom wissen, wer es getan hat und warum.«

»Ist es denn so schlimm?«

»Noch schlimmer.«

Catulus knallte die Hand so laut auf den Tisch, daß alle zusammenzuckten. »Wir sind nicht hier, um Neuigkeiten über Cato auszutauschen! Wir sind hier, um Caesar aufzuhalten.«

»Das wird langsam zur stehenden Redensart. Haltet Caesar hier auf, haltet Caesar dort auf—und nirgends halten wir ihn wirklich auf.«

»Was hat er vor?« wollte Gaius Piso wissen. »Ich meine, warum will er einen alten Mann vor Gericht stellen, zudem nach einem uralten Gesetz und unter einer fingierten Beschuldigung, die jedes Kind widerlegen kann?«

»Caesar geht es darum, Rabirius vor die Zenturien zu bringen«, sagte Cicero. »Caesar und sein Vetter werden Rabirius verurteilen, und er wird vor den Zenturien Berufung einlegen.«

»Und was hat er davon?« fragte Metellus Scipio.

»Sie klagen Rabirius des Hochverrats an, weil er zu den Männern gehörte, die Saturninus und seine Komplizen getötet haben, und die von jeder Schuld freigesprochen wurden, weil sie damals unter dem Schutz eines Senatus Consultum Ultimum handelten«, erklärte Cicero geduldig. »Mit anderen Worten: Caesar will damit demonstrieren, daß niemand sicher ist, der unter einem Senatus Consultum Ultimum gehandelt ist, auch nicht nach siebenunddreißig Jahren. Das ist seine Art, mir mitzuteilen, daß er mich eines Tages wegen der Morde an Lentulus Sura und den anderen anklagen wird.«

Das Schweigen lastete so schwer, daß Catulus begann, im Zimmer auf und ab zu gehen.

»Er wird keinen Erfolg damit haben.«

»In den Zenturien sicher nicht, aber er wird viel Staub aufwirbeln. Bei Rabirius’ Berufung werden die Leute in Scharen herbeiströmen.« Cicero sah elend aus. »Ich wünschte, Hortensius wäre in Rom.«

»Er ist bereits auf dem Rückweg«, sagte Catulus. »In Misenum kursierte das Gerücht, in der Campania würde ein Sklavenaufstand bevorstehen, deshalb ist er vor zwei Tagen aufgebrochen. Ich werde ihm einen Boten entgegenschicken, der ihm sagt, daß er sich beeilen soll.«

»Dann kann er mir helfen, Rabirius in der Berufungsverhandlung zu verteidigen.«

»Wir müssen die Berufung eben ein bißchen hinauszögern«, schlug Gaius Piso vor.

Cicero kannte die alten Dokumente, deshalb warf er Piso einen verächtlichen Blick zu. »Wir können überhaupt nichts hinauszögern!« knurrte er. »Die Berufung muß verhandelt werden, sobald der Prozeß von den beiden Caesars beendet ist.«

»Ach, das alles kommt mir wie ein Sturm im Wasserglas vor«, meinte Metellus Scipio, dessen Stammbaum wesentlich beeindruckender war als sein Verstand.

»Es ist alles andere als das«, erwiderte Bibulus kühl. »Ich weiß ja, daß du so ziemlich gar nichts siehst, nicht einmal, wenn man es dir unter deine blasierte Nase reibt, Scipio. Aber was für eine Stimmung in der Stadt herrscht, seit wir die Verschwörer hinrichten ließen, dürfte nicht einmal dir entgangen sein. Es gefällt den Leuten nicht! Wir Senatoren kennen die Dinge von innen, wir sehen alle Aspekte und Gefahren einer Situation wie der Catilina- Krise. Aber selbst unter den Rittern der Achtzehn rumort es. Man ist der Meinung, der Senat habe sich eine Macht angemaßt, die den Gerichten und Versammlungen längst abhanden gekommen ist. Und Caesars an den Haaren herbeigezogener Prozeß gibt den Leuten die Möglichkeit, sich an einem öffentlichen Platz zu versammeln und sehr vernehmlich ihren Unmut kundzutun.«

»Indem sie Rabirius auch in der Berufungsverhandlung verurteilen?« fragte Lutatius Catulus ein wenig verdutzt. »Bibulus, das würden sie niemals tun! Die beiden Caesars können das Todesurteil gegen Rabirius verhängen und werden es zweifellos auch tun, aber die Zenturien werden sich weigern, es zu bestätigen, wie sie es immer getan haben. Mag sein, daß die Leute unzufrieden sind, aber die Sache wird sich von selbst totlaufen. In den Zenturien wird Caesar kein Glück haben.«

»Eigentlich solltest du recht behalten«, meinte Cicero traurig. »Und trotzdem habe ich so ein Gefühl, es könnte ihm doch gelingen. Er hat bestimmt noch einen Trumpf im Ärmel, und ich komme einfach nicht darauf, was das sein könnte.«

»Ob es sich nun totläuft oder nicht, Quintus Catulus, du willst damit doch nicht sagen, wir sollen einfach am Rand des Schlachtfelds sitzen bleiben und dabei zusehen, wie Caesar uns Ärger macht?« fragte Metellus Scipio.

»Natürlich nicht!« antwortete Cicero gereizt; manchmal war Metellus Scipio aber auch besonders dämlich! »Ich stimme Bibulus darin zu, daß die Leute zur Zeit unzufrieden sind. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, daß Rabirius’ Berufung sofort verhandelt wird. Es gibt nur eine Möglichkeit, das zu erreichen: Wir müssen die lex regia de perduellione des Königs Tullus Hostilius für null und nichtig erklären. Ich werde heute vormittag den Senat zusammenrufen und ihn um einen Beschluß bitten, der die Volks-

Versammlung anweist, das Gesetz für ungültig zu erklären. Es wird nicht lange dauern, diesen Beschluß zu beschaffen, dafür werde ich sorgen. Und dann rufe ich auf der Stelle die Volksversammlung zusammen.« Er schloß die Augen, ein leiser Schauer überkam ihn. »Ich fürchte allerdings, daß ich das Senatus Consultum Ultimum benötigen werde, um das Didianische Gesetz zu umgehen. Wir können nicht siebzehn Tage auf die Ratifizierung warten. Und wir dürfen auch keine beratenden Versammlungen zulassen.«

Bibulus runzelte die Stirn. »Ich behaupte ja nicht, soviel von Gesetzen zu verstehen wie du, Cicero, aber das Senatus Consultum Ultimum erstreckt sich sicher nicht auf die Volksversammlung, solange dort eine Sache verhandelt wird, die nicht im Zusammenhang mit Catilina steht. Wir wissen zwar, welchen Zusammenhang es zwischen dem Rabirius-Prozeß und Catilina gibt, aber die einzigen Wähler in der Volksversammlung, die unser Wissen teilen, sind Senatoren, und davon gibt es in den Komitien nicht genug, um eine Abstimmung zu gewinnen.«

»Das Senatus Consultum Ultimum funktioniert genauso wie die Einsetzung eines Diktators«, widersprach Cicero mit fester Stimme. »Es ersetzt sämtliche Aktivitäten der Komitien.«

»Die Volkstribunen werden ihr Veto gegen dich einlegen«, sagte Bibulus.

Cicero sah ihn selbstgefällig an. »Unter einem Senatus Consultum Ultimum gibt es kein Veto.«

»Was soll das heißen, ich kann kein Veto einlegen, Marcus Tullius?« fragte Publius Servilius Rullus drei Stunden später in der Volksversammlung.

»Mein lieber Publius Servilius, Rom steht unter einem Senatus Consultum Ultimum, also ist das tribunizische Veto aufgehoben«, antwortete Cicero.

Der Andrang hielt sich in Grenzen, denn viele der Forumsbesucher hatten es vorgezogen, auf das Marsfeld hinauszuziehen, weil sie miterleben wollten, was die beiden Caesars mit dem armen Gaius Rabirius anstellten. Aber diejenigen, die innerhalb des pomerium geblieben waren, um zu sehen, wie Cicero mit Caesars Angriff fertig wurde, waren keineswegs nur Senatoren und Klienten des Catulus. Vielleicht die Hälfte der Versammlung, die etwa siebenhundert Mann stark war, gehörte zur gegnerischen Seite. Unter ihnen erkannte Cicero Männer wie Marcus Antonius und seine grobschlächtigen Brüder, den jungen Poplicola, Decimus Brutus und keinen Geringeren als Publius Clodius. Sie redeten mit jedem, der ihnen zuhören wollte, und lösten finstere Blicke und vernehmliches Murren aus — eine Unruhe, die sich immer weiter ausbreitete.

»Moment mal, Cicero«, sagte Rullus, ohne sich um Formalitäten zu kümmern, »was kommst du uns hier mit deinem Senatus Consultum Ultimum? Natürlich existiert eines, aber das bezieht sich nur auf die Revolte in Etruria und die Aktivitäten des Catilina. Die normalen Aufgaben der Volksversammlung kannst du damit nicht behindern! Wir sind hier zusammengekommen, um darüber zu beraten, ob die lex regia de perduellione des Königs Tullus Hostilius für ungültig erklärt werden soll — eine Angelegenheit, die mit Catilina und dem Aufstand in Etruria nicht das geringste zu tun hat. Zuerst teilst du uns mit, daß du mit dem Senatus Consultum Ultimum die übliche Verfahrensweise der Komitien über den Haufen werfen willst! Dann verzichtest du auf die beratenden Sitzungen und willst das Didianische Gesetz umgehen. Und jetzt soll uns gewählten Volkstribunen auch noch das Recht aberkannt werden, unser Veto einzulegen!«

»So ist es«, erwiderte Cicero erhobenen Kopfes.

Vom Boden des Komitiums aus war die Rostra ein imposantes Bauwerk, daß sich etwa dreieinhalb Meter hoch über die Fläche des Forums erhob. Auf ihrer Bühne konnten vierzig Männer aufrecht stehen, und an diesem Morgen war der Platz besetzt von Cicero und seinen zwölf Liktoren, dem urbanen Prätor Metellus Celer und seinen sechs Liktoren, den Prätoren Otho und Cosconius und ihren zwölf Liktoren sowie den drei Volkstribunen Rullus, Ampius und Caecilius Rufus, einem Mann aus dem Anhang des Catulus.

Es wehte einer dieser kalten Winde, wie sie nur über das Forum wehten. Vielleicht war das der Grund dafür, daß Cicero zwischen den mächtigen Falten seiner purpurrot eingefaßten Toga ein wenig verfroren und verloren aussah. Er galt zwar als der größte Redner, den Rom jemals hervorgebracht hatte, aber die Rostra paßte nicht annähernd so gut zu seinem Stil wie die wesentlich intimeren Auditorien des Senats und der Gerichte, und dessen war er sich nur allzu bewußt. Dem schwülstigen, exhibitionistischen Stil eines Hortensius kam die Rostra weit mehr entgegen, aber Cicero fühlte sich nicht wohl bei der Vorstellung, seinen Redestil dem hortensischen Maßstab anzupassen. Es war ja gar nicht genügend Zeit, um eine richtige Rede zu entwickeln. Er würde einfach darauflos wettern müssen.

»Praetor urbanus«, rief Rullus dem Metellus Celer zu, »legst du das Senatus Consultum Ultimum, das zur Zeit wegen der Revolte in Etruria und der Verschwörung in Rom in Kraft ist, auf die gleiche Weise wie unser Erster Konsul aus?«

»Nein, Tribun, das tue ich nicht«, erwiderte Celer mit Nachdruck.

»Warum nicht?«

»Weil ich keinem Beschluß zustimme, der einen römischen Volkstribun daran hindert, die Rechte auszuüben, die ihm von der römischen Plebs verliehen wurden!«

Bei diesen Worten taten Caesars Anhänger lauthals ihre Zustimmung kund.

»Dann bist du also der Meinung, praetor urbanus«, fuhr Rullus fort, »daß dieses Senatus Consultum Ultimum, das zur Zeit in Kraft ist, es keinem Tribunen verbieten kann, in dieser Versammlung heute vormittag sein Veto einzulegen?«

»Ja, dieser Meinung bin ich!« rief Celer.

Während die Unruhe in der Menge zunahm, rückte Otho näher an Rullus und Metellus Celer heran. »Marcus Cicero hat recht!« rief er. »Marcus Cicero ist der größte Rechtsgelehrte unserer Zeit!«

»Marcus Cicero ist ein Stück Dreck!« brüllte jemand.

»Diktator!« grölte ein anderer. »Dreckiger Diktator!«

»Cicero ist ein Dreckskerl! Cicero ist ein Dreckskerl!«

»Ruhe! Ich fordere Ruhe!« keifte Cicero, der sich vor der Menge zu fürchten begann.

»Cicero ist ein Lump! Cicero ist ein Lump! Diktator! Diktator!«

»Ruhe! Ruhe!«

»Ruhe«, rief Rullus, »gibt es erst dann wieder, wenn es den Volkstribunen gestatten wird, ihre Rechte auszuüben, ohne daß der Erste Konsul sie daran hindert!« Er trat bis an den Rand der Rostra vor und blickte hinunter in die Komitien. »Quirites, ich schlage vor, wir ordnen per Gesetz an, daß dieses Senatus Consultum Ultimum, das unser Erster Konsul in den vergangenen Tagen so wirksam eingesetzt hat, einer genauen Prüfung unterzogen wird! Immerhin haben Männer deswegen ihr Leben lassen müssen! Und jetzt will man uns weismachen, daß gewählte Volkstribunen ihr Veto nicht mehr einlegen dürfen! Jetzt will man die Volkstribunen wieder zu den Marionetten degradieren, die sie unter Sullas Verfassung waren! Soll das heutige Debakel nur ein Vorspiel zu einem neuen Sulla sein, einem Sulla in der Gestalt dieses Marktschreiers, der sein Senatus Consultum Ultimum verteidigt? Er schwingt es wie einen Zauberstab! Simsalabim! Und schon haben alle Hindernisse sich in Luft aufgelöst. Man erlasse ein Senatus Consultum Ultimum, mache die Leute mundtot, die man ohnehin schon umgebracht hat, beraube die Römer ihres Rechts, sich in ihren Tribus zu versammeln, um Gesetze zu erlassen oder ihr Veto dagegen einzulegen, und schaffe obendrein noch den Strafprozeß ab! Fünf Männer haben ohne Prozeß sterben müssen, ein anderer Mann steht zur Stunde auf dem Marsfeld vor Gericht, und unser neuer Diktator, der Erste Konsul, benutzt sein Senatus Consultum Ultimum, um geltendes Recht zu unterwandern und uns alle zu Sklaven zu machen! Wir beherrschen die Welt, aber dieser Diktator will uns beherrschen! Von einer ehrenwerten Versammlung römischer Männer wurde mir das Recht verliehen, mein Veto einzulegen, aber unser neuer Diktator sagt, daß ich es nicht ausüben darf!« Voller Haß wandte er sich an Cicero. »Was hast du als nächstes vor, Diktator? Willst du mich ins Tullianum schicken und mir ohne Prozeß den Hals brechen lassen? Ohne Prozeß? Ohne Prozeß? OHNE PROZESS?«

Jemand in den Komitien nahm den Ruf auf, und vor Ciceros entsetzten Augen fielen sogar Catulus’ Anhänger mit ein: »Ohne Prozeß! Ohne Prozeß! Ohne Prozeß!« skandierten sie.

Aber es kam nicht zu Gewaltakten. Von impulsiven Männern wie Gaius Piso und Ahenobarbus hätte man erwarten können, daß sie sich auf den nächstbesten Gegner stürzen würden; statt dessen blieben sie wie angewurzelt stehen. Mit Entsetzen sah Quintus Lutatius Catulus, daß auch Bibulus sich nicht rührte. Erst jetzt begriff er in vollem Ausmaß, wie groß die Opposition gegen die Hinrichtung der Verschwörer war. Ohne sich dessen bewußt zu werden, legte er Cicero die Hand auf den Arm — eine stumme Aufforderung, aufzugeben und auf der Stelle den Rückzug anzutreten.

Cicero trat vor, die Handflächen flehend nach vorn gestreckt und so hastig, daß er beinahe gestolpert wäre. Als der Lärm so weit abgeklungen war, daß er sich Gehör verschaffen konnte, leckte er sich über die Lippen und räusperte sich. »Praetor urbanus!« rief er, »ich beuge mich deiner überlegenen Position als Interpret der Gesetze! Möge deine Meinung Geltung haben! Das Senatus Consultum Ultimum erstreckt sich nicht auf das tribunizische Recht des Vetos in Fällen, die weder mit der Revolte in Etruria noch mit der Verschwörung in Rom etwas zu tun zu haben! «

So lange er lebte, würde er nicht aufhören zu kämpfen, aber in diesem Augenblick wußte Cicero, daß er verloren hatte.

Blaß, mit erstarrtem Gesicht, akzeptierte er den Entwurf, den Rullus auf Caesars Geheiß eingebracht hatte, und eigentlich wußte er nicht einmal, warum er so schnell nachgegeben hatte. Rullus ließ sich sogar darauf ein, auf vorbereitende Diskussionen und die siebzehntägige, durch die lex Caedlia Didia festgelegte Wartezeit zu verzichten! Aber wenn das Senatus Consultum Ultimum das tribunizische Veto nicht untersagen konnte, dann durfte es auch den Verzicht auf die contiones oder die Wartezeit nach dem Didianischen Gesetz nicht fordern. Wollten diese Dummköpfe da unten das nicht begreifen? Sicher, Caesar hatte seine Hände im Spiel.

Weshalb hätte er sich sonst zum Richter bei Rabirius’ Berufung machen lassen. Aber worauf wollte Caesar hinaus?

»Sie sind nicht alle gegen dich, Marcus«, sagte Atticus, als sie den Alta Semita hinaufgingen, auf dem Weg zu Atticus’ wunderbarem Haus, das ganz oben auf dem Quirinal stand.

»Aber es sind zu viele«, erwiderte Cicero unglücklich. »Ach, Titus, wir mußten diese elenden Verschwörer doch loswerden!«

»Ich weiß.« Atticus blieb an einem Platz stehen, von dem aus man einen herrlichen Blick über das Marsfeld, den gewundenen Flußlauf des Tiber, die vatikanische Ebene und die Berge im Hintergrund hatte. »Wenn der Prozeß gegen Rabirius noch im Gange ist, müßten wir es von hier aus sehen können.«

Aber der grasige Grund neben der saepta wirkte ziemlich verlassen; wie auch immer das Los des alten Rabirius aussehen mochte, es schien bereits besiegelt zu sein.

»Wen hast du geschickt, um den beiden Caesars zuzuhören?« wollte Atticus wissen.

»Tiro in einer Toga.«

»Nicht ungefährlich für Tiro.«

»Das weiß ich, aber ihm traue ich zu, daß er mir genauestens Bericht erstattet, und außer von dir könnte ich das von niemandem sagen. Und dich habe ich in der Volksversammlung gebraucht.« Cicero stieß einen ächzenden Laut aus, der sowohl Belustigung als auch Schmerz signalisieren konnte. »Die Volksversammlung! Was für eine Farce!«

»Caesar ist raffiniert, das mußt du zugeben.«

»Ich streite es ja gar nicht ab, Titus. Aber warum sagst du das gerade jetzt?«

»Ein geschickter Schachzug, das Strafmaß in den Zenturien von der Todesstrafe in Exil und Geldstrafe umzuwandeln. Jetzt, wo sie wissen, daß man Rabirius nicht auspeitscht und erdrosselt, wird die Abstimmung in den Zenturien ihn für schuldig befinden.«

Cicero blieb stehen. »Ganz bestimmt nicht!«

»Aber ja. Ein Prozeß ist für die alles, Marcus! Leuten, die nicht im Senat sitzen, fehlt die politische Weitsicht. Für die beschränkt sich Politik auf das, was mit ihrem eigenen Wohlergehen zu tun hat. Sie haben keine Ahnung, wie gefährlich es gewesen wäre, diese Männer am Leben zu lassen und im grellen Licht des Forums vor Gericht zu stellen. Sie bekommen Angst um ihre eigene Haut, wenn jemand ohne Prozeß und Berufung hingerichtet wird — selbst wenn es ein geständiger Hochverräter ist.«

»Mein Handeln hat Rom gerettet! Ich habe mein Land gerettet!«

»Und es gibt viele, die derselben Meinung sind, Marcus, glaube mir. Warte, bis die Emotionen sich ein wenig gelegt haben. Im Augenblick sind ein paar echte Experten dabei, diese Emotionen zu schüren, von Caesar bis hin zu Publius Clodius.«

»Publius Clodius?«

»O ja, und wie. Er hat eine ansehnliche Gefolgschaft um sich gesammelt, hast du das nicht gewußt? Natürlich ist es seine Spezialität, sich das niedere Volk zu Anhängern zu machen, aber auch unter den kleinen Geschäftsleuten hat er sehr an Einfluß gewonnen. Er bewirtet sie großzügig und verschafft ihnen Vergünstigungen — Geschenke für die Armen, zum Beispiel«, sagte Atticus.

»Aber er gehört noch nicht einmal dem Senat an!«

»In zwölf Monaten ist es soweit.«

»Fulvias Geld dürfte ihm eine Hilfe sein.«

»Und ob.«

»Wieso bist du so gut über Publius Clodius informiert? Wegen deiner Freundschaft zu Clodia? Weshalb bist du eigentlich mit Clodia befreundet?«

»Clodia ist eine von diesen Frauen«, gab Atticus bereitwillig Auskunft, »die ich als berufsmäßige Jungfrauen bezeichnen möchte. Sie werden ganz nervös und kriegen Herzklopfen, wenn sie einem fremden Mann begegnen, aber wehe, er hat es auf ihre Tugend abgesehen, dann laufen sie schreiend davon — meistens zu einem ziemlich trüben Ehemann. Vielleicht tun sie sich deshalb gern mit Männern zusammen, die keine Gefahr für ihre Tugend sind — mit Homosexuellen wie mir, zum Beispiel.«

Cicero schluckte, bemühte sich vergebens, nicht rot zu werden, und wußte nicht recht, wohin er schauen sollte. Er hatte Atticus dieses Wort noch nie aussprechen hören, und schon gar nicht, wenn er von sich selbst sprach.

»Das ist kein Grund, verlegen zu werden, Marcus«, sagte Atticus und lachte. »Heute ist eben ein ungewöhnlicher Tag, das ist alles. Vergiß, was du gerade gehört hast.«

Terentia nannte die Dinge stets beim Namen, aber sie bediente sich dabei einer Sprache, die Frauen ihres Standes angemessen war.

»Du hast dein Vaterland gerettet«, stellte sie kurz und bündig fest, nachdem sie mit ihrer Tirade fertig war.

»Erst wenn Catilina im Felde besiegt ist.«

»Meinst du etwa, daß es nicht so kommt?«

»Nun, meine Armeen scheinen im Moment nicht sehr aktiv zu sein! Hybrida hat nach wie vor nichts anderes im Kopf als seine Gicht, Rex hat in Umbria ein komfortables Quartier gefunden, und nur die Götter wissen, was Metellus Creticus da unten in Apulia treibt. Und Metellus Celer ist fest entschlossen, Öl in Caesars Feuer hier in Rom zu gießen.«

»Du wirst sehen, im neuen Jahr ist es damit vorbei.«

Am liebsten hätte Cicero seinen Kopf an den sehr hübschen Busen seiner Frau gelegt und sich ausgeweint, aber er wußte sehr wohl, daß es ihm nicht gestattet war. Also riß er sich zusammen und holte tief Luft. Er vermied Terentias Blick, aus Angst, sie könnte das Glitzern der Tränen in seinen Augen kommentieren.

»Hat Tiro dir Bericht erstattet?« wollte sie wissen.

»Ja. Die beiden Caesars haben nach der schamlosesten Zurschaustellung parteiischer Bigotterie, die Rom je erlebt hat, das Todesurteil über Rabirius verhängt. Labienus wurde jede Schweinerei gestattet — er hatte sogar Schauspieler engagiert, die in den Masken von Saturninus und Onkel Quintus herumliefen, auch wenn sie eher vestalischen Jungfrauen als Hochverrätern glichen. Und Quintus’ Söhne — sie sind beide über vierzig! — haben geweint wie kleine Kinder, weil Rabirius ihnen den tata weggenommen hat! Das Publikum hat vor Mitleid geheult und Blumen geworfen. Zweifellos eine ideenreiche Inszenierung. Die beiden Caesars hatten dann auch ihren Spruch parat: >Geh, Liktor, feßle ihm die Hände! Geh, Liktor, binde ihn an den Pfahl und gib ihm die Geißel! Geh, Liktor, nagle ihn an einen kahlen Baum!< Tja!«

»Aber Rabirius hat Berufung eingelegt?«

»Sicher.«

»Und die wird morgen in den Zenturien verhandelt. Nach den Regeln des Glaucius, habe ich gehört; doch wegen des Mangels an Zeugen und Beweisen soll es nur eine Anhörung geben.« Terentia schnaubte. »Wenn das nicht ausreicht, um den Geschworenen klarzumachen, was für eine Farce die Anklage ist, dann beginne ich am Verstand der Römer zu zweifeln!«

»Daran zweifle ich schon lange«, sagte Cicero. Er fühlte sich auf einmal ziemlich alt. »Bitte entschuldige mich, meine Liebe, aber ich esse heute nichts. Ich bin nicht hungrig. Die Sonne geht unter, es wird Zeit, Rabirius aufzusuchen. Ich werde ihn verteidigen.«

»Zusammen mit Hortensius?«

»Und Lucius Cotta, hoffe ich. Er gibt einen brauchbaren Eröffnungsredner ab, und er arbeitet besonders gut mit Hortensius zusammen.«

»Und du redest natürlich als letzter.«

»Natürlich. Anderthalb Stunden sollten reichen, wenn Lucius Cotta und Hortensius sich mit weniger als je einer Stunde zufriedengeben.«