Teil V

5. Dezember 63 v. Chr. bis März 61 v. Chr.

Mit einer maßlosen Wut im Bauch stürmte Caesar nach Hause zum Domus Publica; Titus Labienus mußte sich anstrengen, um mit ihm Schritt halten zu können. Mit einer gebieterischen Kopfbewegung hatte Caesar den Volkstribunen aufgefordert, ihn zu begleiten. Labienus kannte den Grund nicht; er war mitgegangen, weil Pompeius ihn während seiner Abwesenheit Caesars Aufsicht unterstellt hatte.

Eine weitere kurze Kopfbewegung forderte Labienus auf, sich eine Erfrischung zu nehmen. Er schenkte sich Wein in einen Becher, setzte sich und sah Caesar dabei zu, wie er in seinem Arbeitszimmer auf und ab ging.

Schließlich stieß Caesar mit gepreßter Stimme hervor: »Ich werde dafür sorgen, daß Cicero sich wünscht, niemals auf die Welt gekommen zu sein! Wie kann der Kerl sich erdreisten, römisches Recht zu interpretieren? Und wie kamen wir eigentlich dazu, einen Dichter zum Ersten Konsul zu machen?«

»Wie, du hast nicht für ihn gestimmt?«

»Weder für ihn noch für Hybrida.«

»Du hast also Catilina gewählt?« fragte Labienus verwundert.

»Und Silanus. Ehrlich gesagt gab es keinen, den ich wirklich wählen wollte, aber man darf sich nicht vor der Wahl drücken.« Rote Flecken glühten noch auf Caesars Wangen, und die Augen, dachte Titus Labienus, waren wie zu Eis erstarrt und schienen doch zu brennen.

»Nun setz dich schon! Ich weiß, du rührst keinen Wein an, aber du solltest heute eine Ausnahme machen. Es wird dir guttun.«

»Wein tut niemals gut«, sagte Caesar mit Nachdruck, aber er setzte sich wenigstens. »Wenn ich mich recht entsinne, Titus, dann ist dein Onkel Quintus Labienus vor siebenunddreißig Jahren in der Curia Hostilia im Hagel der Dachziegel umgekommen.«

»Ja, zusammen mit Saturnius, Lucius Equitius und den anderen.«

»Und wie denkst du darüber?«

»Daß es unverantwortlich und verfassungswidrig war. Wie sollte ich sonst darüber denken? Es waren Bürger Roms, und sie haben keinen Prozeß bekommen.«

»Richtig. Aber sie sind nicht offiziell hingerichtet worden. Sie wurden ermordet, um einen Prozeß zu vermeiden, von dem weder Marius noch Scaurus wußten, ob er nicht weit schlimmere Gewalt auslösen würde. Natürlich war es Sulla, der das Dilemma durch Mord aus der Welt schaffen ließ. Er war damals Marius’ rechte Hand — sehr schnell, sehr klug, absolut skrupellos. Und so mußten fünfzehn Männer sterben. Es fanden keine Hochverratsprozesse statt, die womöglich Gewalt geschürt hätten; die Schiffe trafen ein, Marius ließ das Getreide spottbillig verteilen, die Römer beruhigten sich bei gefüllten Bäuchen, und später erntete Scaeva die Anerkennung für den Mord an diesen fünfzehn Männern.«

Labienus runzelte die Stirn und schüttete ein wenig Wasser in seinen Wein. »Ich würde gern wissen, worauf du hinauswillst.«

»Hauptsache ist doch, daß ich es weiß, Labienus.« Caesar lächelte. »Was hältst du eigentlich von diesem neuen Instrument des republikanischen Pragmatismus, diesem senatus consultum de re publica defendenda — oder, wie Cicero es so raffiniert umbenannt hat, dem Senatus Consultum Ultimum? Der Senat hat es erfunden, als niemand einen Diktator einsetzen wollte. Es hat dem Senat in der Zeit nach Gaius Gracchus gute Dienste getan, von Saturninus, Lepidus und einigen anderen gar nicht zu reden.«

»Ich weiß immer noch nicht, worauf du hinauswillst«, sagte Labienus.

Caesar holte Atem. »Jetzt haben wir wieder so ein Senatus Consultum Ultimum, Labienus. Und nun sieh dir an, wozu es geführt hat! Für Cicero ist es eine korrekte, zwingende und äußerst praktische Maßnahme. Überzeuge den Senat davon, daß sie erlassen werden muß, und du kannst dich über die Verfassung und das mos maiorum hinwegsetzen! Mit seinem Senatus Consultum Ultimum hat Cicero Römern den Hals gebrochen, ohne ein einziges Gesetz ändern, ohne einen Prozeß führen zu müssen, ohne Zeremonie und ohne jede Menschlichkeit! Diese Männer sind schneller zu Tode gekommen als Soldaten in einer verlorenen Schlacht. Und nicht etwa in einem Hagel von Dachziegeln, sondern mit Billigung des .Senats von Rom, der sich auf Ciceros Drängen hin die Funktionen des Richters und der Geschworenen angemaßt hat! Was meinst du, Labienus, wie das für die Menge auf dem Forum heute abend ausgesehen hat? Ich will es dir sagen. Es hat so ausgesehen, als könnte vom heutigen Tag an kein römischer Bürger mehr sicher sein, daß man ihm das unveräußerliche Recht auf einen Prozeß gewährt, bevor man ihn verurteilt. Und dieser angeblich so brillante Mann, dieser in Wirklichkeit eingebildete, inkompetente Dummkopf Cicero glaubt tatsächlich, er hätte den Senat auf die bestmögliche Weise aus einer sehr schwierigen Lage befreit! Ich gestehe ihm zu, daß es für den Senat der leichteste Weg war. Aber für die große Mehrheit der römischen Bürger aus allen Klassen bedeutet das, was Cicero heute erreicht hat, den Untergang eines unveräußerlichen Rechts. Wer garantiert uns, daß es nicht wieder passiert, Labienus? Sag es mir?«

Labienus stockte vor Schreck der Atem; mit Mühe und Not gelang es ihm, den Becher auf dem Tisch abzustellen, ohne den Inhalt zu verschütten; dann blickte er Caesar an, als hätte er ihn nie zuvor gesehen. Warum sah dieser Caesar Dinge voraus, die sonst niemandem aufgefallen waren? Warum hatte er, Titus Labienus, nicht rechtzeitig begriffen, was Cicero tatsächlich bewirkte? Bei den Göttern, nicht einmal Cicero selbst hatte es begriffen! Keinem außer Caesar war es aufgegangen! Gegen die Hinrichtung hatten nur die Männer gestimmt, die auf ihr Herz gehört oder nach der Wahrheit getastet hatten wie Blinde, die über die Form eines Elefanten diskutieren.

»Bei meiner Rede heute vormittag habe ich einen furchtbaren Fehler gemacht«, fuhr Caesar wütend fort. »Ich habe mich für die Ironie entschieden. Ich habe nicht versucht, Feuer in den Herzen zu entzünden. Ich hielt es für klug, den Wahnsinn von Ciceros Eingabe deutlich zu machen, indem ich über die Zeit der Könige redete. Viel zu kompliziert. Man muß wie mit Kindern mit ihnen reden, langsam und deutlich, mit der Betonung auf offenkundige Wahrheiten. Statt dessen habe ich sie wie erwachsene, gebildete Männer behandelt, habe ihnen ein Mindestmaß an Intelligenz zugestanden und mich für die Ironie entschieden. Es war mir nicht klar, daß sie meiner Argumentation nicht folgen konnten, daß sie nicht begreifen würden, warum ich diesen Kurs einschlage. Ich hätte noch unverblümter mit ihnen reden müssen, als ich jetzt mit dir rede, aber ich wollte sie nicht verstimmen, weil ich fürchtete, der Zorn könnte sie blind machen. Dabei waren sie längst blind! Ich hätte nichts zu verlieren gehabt. Ich mache nicht oft Fehler, aber heute vormittag habe ich einen gemacht, Labienus. Sieh dir Cato an. Der einzige Mann, von dem ich überzeugt war, daß er mich unterstützen würde, auch wenn er mich nicht ausstehen kann. Es war ausgemachter Unsinn, was er gesagt hat. Aber sie sind ihm gefolgt wie die Eunuchen der Magna Mater.«

»Cato ist ein kläffender Köter.«

»Nein, Labienus, er gehört zur schlimmsten Sorte von Dummköpfen. Er hält sich nicht für einen Dummkopf.«

»Das gilt für die meisten von uns.«

Caesar hob eine Augenbraue. »Ich bin kein Dummkopf, Titus.«

»Zugegeben.« Natürlich schwächte Titus es ab. Wie war es nur möglich, daß Wein seinen Reiz verlor, wenn man ihn Gegenwart eines Abstinenzlers trank? Labienus schenkte sich Wasser ein. »Wir wollen nicht über verschüttete Milch klagen, Caesar. Ich glaube dir, wenn du sagst, daß Cicero sich noch wünschen wird, niemals geboren worden zu sein. Aber wie willst du das anstellen?«

»Ganz einfach, ich werde ihm mit seinem Senatus Consultum Ultimum die goldene Kehle stopfen«, antwortete Caesar verträumt lächelnd, aber seine Augen blieben kalt.

»Aber wie? Wie?«

»Deine Amtszeit als Volkstribun währt noch vier Tage, Labienus, genügend Zeit, wenn wir uns beeilen. Morgen sammeln wir uns und studieren unsere Rollen ein. Und übermorgen läuft Phase eins ab. Die beiden folgenden Tage brauchen wir für die zweite Phase. Dann ist die Sache zwar noch nicht ausgestanden, aber wir haben sie weit genug vorangetrieben. Und du, mein lieber Titus, wirst dein Amt als Volkstribun im strahlenden Glanz des Ruhms übergeben. Und wenn du auch sonst nichts vollbracht hast, um deinen Namen der Nachwelt zu empfehlen, die Ereignisse der kommenden Tage werden es zweifellos tun!«

»Was muß ich machen?«

»Heute abend noch gar nichts, es sei denn, du könntest... nein. Das muß ich anders einfädeln. Hättest du wohl Zugang zu einer Büste des Saturninus? Oder deines Onkels Quintus Labienus?«

»Noch besser«, erwiderte Labienus, ohne nachzudenken. »Ich weiß, wo ich ein imago von Saturninus finde.«

»Ein imago? Aber er ist niemals Prätor gewesen!«

»Stimmt«, erwiderte Labienus grinsend. »Ihr Patrizier, Caesar, habt keine Ahnung davon, wonach wir streben, wir ehrgeizigen, aufstrebenden Picentiner, Samniter, neuen Männer aus Arpinum und was es da sonst noch alles gibt. Wir sind verrückt danach, unsere Abbilder in Bienenwachs geformt zu sehen, naturgetreu, in lebensechten Farben und mit richtigen Haaren! Und sobald wir das nötige Geld in der Tasche haben, gehen wir zu einem der Handwerker auf dem Velabrum und geben ein imago in Auftrag. Ich kenne sogar welche, die nie Senatoren waren und trotzdem ihre imagines im Schrank stehen haben. Was glaubst du, wie Magius auf dem Velabrum so reich geworden ist?«

»Siehst du, und jetzt bin ich sehr froh darüber, daß ihr Emporkömmlinge aus Picenum euch imagines zulegt«, erwiderte Caesar. »Besorg dir Saturninus’ Wachsmaske und such dir einen Schauspieler, der sie gut zur Geltung bringen kann.«

»Onkel Quintus hat auch ein imago von sich gehabt. Auch dafür werde ich einen Schauspieler suchen. Büsten von beiden Männern kann ich ebenfalls besorgen.«

»Bis morgen früh ist das alles, Labienus, aber danach werde ich dich erbarmungslos einspannen, bis dein Tribunal abgelaufen ist.«

»Nur wir beide?«

»Nein, wir sind zu viert«, sagte Caesar und erhob sich, um Labienus an die Haustür zu bringen. »Außer uns beiden brauche ich für meinen Plan noch Metellus Celer und meinen Vetter Lucius Caesar.«

Für Labienus brachte das auch nicht mehr Licht in die Angelegenheit. Er stand vor einem Rätsel, als er das Haus verließ, und war sich nicht sicher, ob die Neugier ihn schlafen lassen würde.

Caesar hatte von vornherein nicht an Schlaf gedacht. Er saß in seinem Arbeitszimmer, so tief in Gedanken versunken, daß sein Verwalter Eutychus sich an der Tür erst ein paarmal räuspern mußte, um sich bemerkbar zu machen.

»Ausgezeichnet!« sagte der Pontifex Maximus. »Ich bin für niemanden zu sprechen, Eutychus, nicht einmal für meine Mutter. Verstanden?«

»Edepol!« rief der Verwalter und legte die groben Hände vor das noch gröbere Gesicht. »Domine, Julia möchte unbedingt mit dir sprechen.«

»Sag ihr, daß ich bereits weiß, worüber sie mit mir sprechen will, und daß ich mir am ersten Tag des neuen Volkstribunats alle Zeit der Welt für sie nehmen werde. Aber keinen Augenblick früher.«

»Caesar, bis dahin sind es fünf Tage! Ehrlich gesagt, ich kann mir kaum vorstellen, daß das arme Mädchen fünf Tage warten kann.«

»Wenn ich sage, daß sie zwanzig Jahre warten soll, Eutychus, dann muß sie zwanzig Jahre warten«, erwiderte Caesar kühl. »Fünf Tage sind keine zwanzig Jahre. Alle Angelegenheiten der Familie und des Hauses müssen fünf Tage warten. Julia hat eine Großmutter. Sie ist nicht allein auf mich angewiesen. Ist das jetzt klar?«

»Jawohl, domine«, flüsterte der Verwalter, schloß vorsichtig die Tür und schlich den Flur entlang, an dessen Ende Julia mit blassem Gesicht, die Finger ineinander verschlungen, auf ihn wartete. »Tut mir leid, Julia, aber er hat gesagt, er will niemanden sehen, bis die neuen Volkstribunen ihr Amt übernommen haben.«

»Eutychus, das kann er nicht gesagt haben!«

»Doch, das hat er. Nicht einmal Frau Aurelia darf zu ihm.«

Und die kam gerade aus dem Atrium Vestae mit zornigem Blick und schmalen Lippen. »Komm«, sagte sie und zog Julia in ihre Suite.

»Du hast es gehört«, sagte Aurelia und schob Julia in einen Sessel.

»Ich weiß nicht so genau, was ich gehört habe«, erwiderte Julia abwesend. »Ich wollte mit tata darüber sprechen, aber er will mich nicht sehen.«

Das stimmte Aurelia nachdenklich. »Nein? Seltsam. Es ist nicht Caesars Art, Menschen oder Tatsachen auszuweichen.«

»Eutychus sagt, er will fünf Tage lang niemanden sehen, nicht einmal dich, avia. Wir müssen warten, bis die neuen Volkstribunen im Amt sind.«

Aurelia begann schweigend im Zimmer auf und ab zu gehen. Mit verschleiertem Blick, aber tapfer zurückgehaltenen Tränen sah Julia ihrer Großmutter dabei zu. Ach, dachte sie, wenn wir drei doch nicht so schrecklich verschiedene Menschen wären.

Jutta war erst sieben, als ihre Mutter starb. Während der prägenden Jahre der Kindheit war Aurelia ihr Mutter und Großmutter in einem gewesen. Aurelia war ständig beschäftigt, nicht besonders zugänglich, streng und unnachgiebig, und doch hatte sie Julia das gegeben, was Kinder am dringendsten brauchen, ein Gefühl der Sicherheit und Zugehörigkeit. Auch wenn sie selten lachte, besaß sie einen treffenden Humor, den sie in den irritierendsten Momenten aufblitzen ließ; und sie hielt nicht etwa weniger von Julia, weil das Kind so gern lachte. Alle Zeit und Fürsorge, die sie erübrigen konnte, hatte sie in die Erziehung ihrer Enkelin gesteckt, hatte ihr beigebracht, wie man sich geschmackvoll kleidet, und ihren Manieren einen gnadenlosen Schliff angedeihen lassen. Ganz zu schweigen von der unsentimentalen, ungeschminkten Art, mit der Aurelia ihrer Enkeltochter beigebracht hatte, ihr Los zu akzeptieren — es dankbar, stolz und ohne Groll zu akzeptieren.

»Es hat keinen Sinn, sich eine andere oder bessere Welt zu wünschen« lautete einer von Aurelias Wahlsprüchen. »Wir haben keine andere, deshalb müssen wir so zufrieden und glücklich in ihr leben, wie wir es vermögen. Wir können uns nicht gegen unser Schicksal wehren, Julia.«

Abgesehen von seiner Disziplin war Caesar ganz anders als seine Mutter, und es war Julia nicht entgangen, daß schon der geringste Anlaß zu den heftigsten Auseinandersetzungen zwischen den beiden führen konnte. Aber für seine Tochter war Caesar der Anfang und das Ende jener Welt, die zu akzeptieren Aurelia sie gelehrt hatte — nicht gerade ein Gott, aber ganz sicher ein Held. Julia konnte sich keinen Menschen vorstellen, der vollkommener, klüger, gebildeter, attraktiver, römischer gewesen wäre als ihr Vater. O ja, sie kannte seine Fehler (auch wenn er nicht mit ihr darüber redete), sie wußte um seine aufbrausende Art, die Unsitte, mit den Menschen zu spielen wie die Katze mit der Maus — erbarmungslos, kühl und mit vergnügtem Lächeln um die Lippen.

»Es muß einen zwingenden Grund dafür geben, daß Caesar sich von uns zurückzieht«, sagte Aurelia plötzlich. Sie war stehengeblieben. »Er hat nicht etwa Angst, uns unter die Augen zu treten. Da bin ich absolut sicher. Ich kann nur annehmen, daß seine Motive nichts mit uns zu tun haben.«

»Und wahrscheinlich auch nichts mit dem, was uns beiden keine Ruhe läßt.«

Aurelia ließ ihr hübsches Lächeln aufblitzen. »Ganz genau. Du wirst von Tag zu Tag gescheiter, Julia.«

»Dann muß ich eben mit dir reden, avia, bis er wieder Zeit für mich hat. Ist es wahr, was ich am Porticus Margaritaria gehört habe?«

»Über deinen Vater und Servilia?«

»Dann ist es also wahr. Wie schrecklich!«

»Was hattest du geglaubt, Julia?«

»Ich konnte es nicht genau verstehen, weil die Leute zu reden aufhörten, sobald ich in ihre Nähe kam. Ich habe nur mitbekommen, daß tata in einen Skandal mit einer Frau verwickelt sein soll, und daß alles heute im Senat ans Tageslicht gekommen ist.«

»Das kann man wohl sagen«, knurrte Aurelia. Und dann erzählte sie Julia ganz offen und unverblümt, was im Tempel der Concordia passiert war.

»Mein Vater und Brutus’ Mutter«, sagte Julia langsam. »Was für eine Unordnung!« Sie lachte. »Wie verschlossen er ist, avia! So lange schon, und weder ich noch Brutus hatten den geringsten Verdacht. Was, in aller Welt, findet er an ihr?«

»Du hast sie noch nie leiden können, oder?«

»Nein, wirklich nicht!«

»Das ist verständlich. Du stehst so sehr auf Brutus’ Seite, wie könntest du sie da mögen?«

»Und du?«

»Auf ihre Art kann ich sie gut leiden.«

»Dabei hat tata gesagt, daß er sie nicht mag, und er würde mich nie anlügen.«

»Er mag sie auch nicht. Bestimmt nicht. Ich weiß nicht, was ihn zu ihr zieht, und ehrlich gesagt will ich es auch gar nicht wissen. Ich weiß nur, daß es etwas sehr Starkes sein muß.«

»Wahrscheinlich ist sie gut im Bett.«

»Julia!«

»Ich bin kein Kind mehr«, sagte Julia und kicherte. »Und ich habe Ohren.«

»Für das, was man sich in den Läden am Porticus Margaritaria erzählt?«

»Nein, für das, was man sich in den Räumen meiner Stiefmutter erzählt.«

Aurelias Gesicht versteinerte sich. »Dem werde ich auf der Stelle ein Ende machen!«

»Nein, avia, bitte nicht!«, rief Julia und legte ihrer Großmutter die Hand auf den Arm. »Die arme Pompeia kann doch nichts dafür, und außerdem ist sie es nicht selber. Es sind ihre Freundinnen. Ich weiß, daß ich noch nicht erwachsen bin, und trotzdem fühle ich mich erwachsener und klüger als Pompeia. Manchmal kommt sie mir vor wie ein hübsches kleines Hündchen, das mit dem Schwanz wackelt. Die Gespräche gehen an ihr vorbei; sie sitzt da, strahlt über das ganze Gesicht und will einfach nur gefallen und dazugehören. Diese Clodias und Fuvias quälen sie ganz furchtbar, und sie merkt nicht einmal, wie grausam die sind.« Julia blickte nachdenklich. »Ich liebe tata wie mein Leben, und ich möchte kein Wort gegen ihn hören, aber auch er behandelt sie grausam. O ja, ich weiß, warum! Sie ist ihm viel zu dumm. Weißt du, ich glaube, sie hätten niemals heiraten dürfen.«

»Ich bin für diese Ehe verantwortlich.«

»Und du hast sicher gute Gründe gehabt«, sagte Julia sanft. Dann seufzte sie. »Ach, manchmal wünsche ich mir, du hättest eine klügere Frau als Pompeia Sulla für ihn ausgewählt!«

»Ich habe sie ausgewählt«, erwiderte Aurelia grimmig, »weil sie mir als Braut für Caesar angeboten wurde und weil ich hoffte, ihn auf diese Weise davon abhalten zu können, Servilia zu heiraten.«

Eine große Zahl von Senatoren hatte es vorgezogen, nicht auf dem unteren Forum zu verweilen und somit der Hinrichtung von Lentulus Sulla und den anderen auch nicht beizuwohnen.

Zu ihnen gehörten auch der designierte Erste Konsul Decimus Junius Silanus und der designierte Volkstribun Marcus Porcius Cato.

Silanus erreichte sein Haus einige Zeit früher als Cato, der von vielen Leuten aufgehalten wurde, die ihm für seine Rede und seine Standfestigkeit gegenüber Caesars Schmeicheleien gratulieren wollten.

Als er sich die Eingangstür selbst öffnen mußte, ahnte Silanus bereits, was er drinnen vorfinden würde: ein verlassenes Atrium. Kein einziger Sklave war zu sehen oder zu hören. Das konnte nur bedeuten, daß alle Dienstboten bereits wußten, was während der Senatsdebatte geschehen war. Wußte auch Servilia Bescheid? Und Brutus? Das Gesicht erschöpft vom Schmerz, der in seinen Eingeweiden tobte, zwang Silanus seine müden Beine, ihn aufrecht zu halten, und ging direkt in das Wohnzimmer seiner Frau.

Sie saß grübelnd über ein paar Geschäftsbüchern und schien einfach nur verärgert über die Störung zu sein.

»Ja, was willst du?« fuhr sie ihn an.

»Du weißt es also noch nicht«, sagte er.

»Was weiß ich noch nicht?«

»Daß dein Brief an Caesar in die falschen Hände gefallen ist.«

Jetzt machte sie große Augen. »Wie meinst du das?«

»Das kluge Bürschlein, dem du sogar deine geheimsten Botschaften anvertraust, ist leider nicht klug genug«, sagte Silanus mit einer Schärfe in der Stimme, die sie von ihm nicht gewöhnt war. »Er kam in den Concordia-Tempel gelaufen und hielt es nicht einmal für nötig, ein wenig abzuwarten. Er hat Caesar deinen Brief im ungünstigsten Augenblick überreicht, gerade als dein geliebter Halbbruder Cato ihn bezichtigte, der führende Kopf der Verschwörung Catilinas zu sein. Und als Cato mitten in seiner Rede merkte, daß Caesar es gar nicht erwarten konnte, den Brief zu lesen, den man ihm überbracht hatte, forderte er ihn auf, ihn doch gleich dem ganzen Hause vorzulesen. Er vermutete, es könnten Beweise für Caesars Verrat darin stehen.«

»Und Caesar hat ihn vorgelesen«, sagte Servilia mit tonloser Stimme.

»Ich bitte dich, meine Liebe, nach soviel Intimität mit diesem Mann solltest du ihn eigentlich besser kennen«, sagte Silanus und kräuselte die Lippen. »Dazu ist er viel zu beherrscht. Nein, nein, wenn überhaupt jemand wie ein Sieger aus dieser Angelegenheit hervorgegangen ist, dann war es Caesar. Wer sonst? Er hat Cato ganz einfach angelächelt und zu ihm gesagt, er könne sich vorstellen, daß Cato den Inhalt des Briefes lieber nicht an die große Glocke hängen würde. Dann ist er aufgestanden und hat deinem Halbbruder den Brief höflich und mit ausgesuchter Freundlichkeit überreicht — o ja, das war ein großer Auftritt!«

»Und wie hat man mich bloßgestellt?« flüsterte Servilia.

»Cato hat seinen eigenen Augen nicht getraut. Er hat eine Ewigkeit gebraucht, um die paar Zeilen zu entziffern, und der ganze Saal hat in atemloser Spannung gewartet. Dann hat er deinen Brief zusammengeknüllt und wie einen Feuerball auf Caesar geschleudert. Natürlich war die Entfernung zu groß. Philippus hat ihn vom Boden aufgeklaubt und gelesen. Dann ist der Brief durch die ganze Reihe der designierten Prätoren bis zum kurulischen Podium gewandert.«

»Und alle haben gebrüllt vor Lachen«, stieß Servilia zwischen den Zähnen hervor. »O ja, ich kann es mir vorstellen!«

»Schlappschwanz«, zitierte er sarkastisch.

Jede andere Frau wäre zusammengezuckt, aber Servilia sagte bloß: »Dummköpfe!«

»Es war gar nicht so leicht für Cicero, sich bei der allgemeinen Heiterkeit Gehör zu verschaffen, um die Abstimmung zu verlangen.«

Nicht einmal die erlittene Schmach minderte ihre Hellhörigkeit für politische Angelegenheiten. »Eine Abstimmung? Weshalb?«

»Um über das Schicksal der gefangenen Verschwörer zu entscheiden. Die armen Kerle. Hinrichtung oder Exil. Ich habe für die Hinrichtung gestimmt. Dein Brief hat mich dazu gezwungen. Caesar hat für lebenslanges Exil plädiert, und er hatte das Haus auf seiner Seite, bis Cato der Hinrichtung das Wort redete. Cato hat sie alle bekehrt. Die Mehrheit stimmte für eine Hinrichtung. Das hast du erreicht, Servilia. Wenn dein Brief Cato nicht das Maul gestopft hätte, wäre er bis zum Abend nicht mit seiner Dauerrede fertig geworden, und die Abstimmung hätte erst morgen stattfinden können. Ich glaube, bis morgen wäre das Haus zur Vernunft gekommen und hätte sich Caesars Argumentation angeschlossen. Wenn ich Caesar wäre, meine Liebe, dann würde ich dich in Stücke reißen und an die Wölfe verfüttern.«

Sie war beunruhigt, aber ihre Geringschätzung für Silanus ließ sie die Fassung schnell zurückgewinnen. »Wann sollen die Hinrichtungen stattfinden?«

»Sie finden in diesem Moment statt. Ich wollte lieber nach Hause gehen und dir Bericht erstatten, bevor Cato es tut.«

Sie sprang auf. »Brutus!«

Aber Silanus hatte nicht ohne eine gewisse Befriedigung die Ohren gespitzt und lächelte jetzt säuerlich. »Zu spät, meine Liebe. Cato ist bereits eingetroffen.«

Trotzdem machte Servilia einen Satz in Richtung Tür und blieb wie erstarrt stehen, als Cato hereingeplatzt kam. Brutus zerrte er am Ohrläppchen hinter sich her.

»Komm rein, und sieh sie dir an, diese Hure von deiner Mutter!« rief Cato, ließ Brutus’ Ohr los und stieß ihn so heftig, daß er stolperte und wohl gestürzt wäre, wenn Silanus ihn nicht aufgefangen hätte. Der Junge wirkt so fassungslos, dachte Silanus, wahrscheinlich hat er nicht die geringste Ahnung, was hier eigentlich gespielt wird.

Und warum fühle ich mich so sonderbar? mußte er sich selbst fragen. In einem entlegenen Winkel seiner Seele war Silanus freudig erregt, fühlte sich auf seltsame Weise bestätigt. Heute hatte alle Welt erfahren, daß er ein Hahnrei war, doch angesichts dieser wunderbaren Vergeltung, der wohlverdienten Quittung, die seine Frau erhalten hatte, machte es ihm gar nicht viel aus. Er machte Caesar keinen Vorwurf. Sie war die treibende Kraft gewesen. Caesar gab sich nicht mit Frauen ab, deren Männer ihm politisch nicht in die Quere kamen, und bis heute hatte Silanus ihn in Ruhe gelassen. Nein, er wußte genau, daß sie damit angefangen hatte. Sie hatte Caesar gewollt und sich an ihn herangemacht. Deshalb hatte sie Brutus mit seiner Tochter verlobt! Um Caesar in der Familie zu behalten. Caesar würde sie niemals heiraten, also hatte sie ihren Stolz heruntergeschluckt. Was mußte sie das für Anstrengungen gekostet haben! Und ausgerechnet Cato, der Mann, den sie am meisten verachtete, war zum Mitwisser ihrer beiden großen Leidenschaften geworden — Brutus und Caesar. Die friedlichen Tage ihrer Selbstgefälligkeit waren vorbei. Von heute an würde ein gnadenloser Krieg zwischen den beiden toben, wie zu Zeiten ihrer Kindheit. Und sie würde ihn gewinnen. Aber wie viele von ihnen würden lange genug leben, um sie triumphieren zu sehen? Er nicht, und darüber war er froh. Er wünschte sich, als erster von allen gehen zu dürfen.

»Sieh sie dir an, diese Hure von deiner Mutter!« wiederholte Cato und gab Brutus eine schallende Ohrfeige.

»Mama, Mama, was ist los?« winselte Brutus. Seine Ohren glühten, die Augen waren voller Tränen.

»>Mama, Mama, was ist los?<« äffte Cato ihn nach. »>Mama, Mama!< Was bist du nur für ein Dummkopf, Brutus. Ein Schoßhündchen bist du, ein erbärmliches Exemplar von einem Mann! Brutus, das Mamasöhnchen, Brutus, der Dummkopf! >Mama, Mama!<« Und wieder schlug er auf den Jungen ein.

Blitzschnell wie eine giftige Schlange schoß Servilia auf Cato zu; sie war schon über ihm, bevor er es richtig gemerkt hatte. Ihre Finger hatten sich in gefährliche Krallen verwandelt, mit denen sie auf sein Gesicht losging; wie Enterhaken gruben sich die Nägel in sein Fleisch. Wenn er nicht instinktiv die Augen geschlossen hätte, wäre es um sein Augenlicht geschehen gewesen. Statt dessen rissen ihm die Krallen von den Brauen bis hinunter zum Kinn, auf der rechten wie auf der linken Gesichtshälfte, tiefe Striemen in die Haut, und sie machten dort nicht etwa halt, sondern zogen die blutigen Furchen weiter hinunter, am Hals entlang bis zu den Schultern.

Da mußte selbst ein eiserner Krieger wie Cato den Rückzug antreten; ein leises Wimmern erstarb ihm sogleich wieder auf den Lippen, als er die Augen aufschlug und Servilia vor sich sah — es war ein noch grauenhafterer Anblick als das Gesicht des toten Caepio; ihre Zähne waren entblößt, und nackte Mordlust funkelte in den Augen. Ihr Sohn, ihr Ehemann und ihr Halbbruder sahen mit weit aufgerissenen Augen zu, wie sie die bluttriefenden Finger in den Mund steckte und die Hautfetzen aus Catos Gesicht genüßlich in sich hineinsog. Silanus überkam ein Würgen, und er lief hinaus. Brutus verlor das Bewußtsein. Jetzt sah ihr nur noch Cato zu, das Gesicht blutüberströmt.

»Verschwinde und laß dich hier nie wieder blicken«, sagte sie leise.

»Eines Tages wird dein Sohn mir gehören, das schwöre ich dir!«

»Versuch es, Cato, und das, was ich heute mit dir gemacht habe, wird dir vorkommen wie der Kuß eines Schmetterlings.«

»Du bist ein Ungeheuer!«

»Mach, daß du hinauskommst, Cato.«

Cato verließ den Raum, die Falten seiner Toga auf Gesicht und Hals gepreßt.

»Warum habe ich ihm verschwiegen, daß ich seinen geliebten Caepio in den Tod geschickt habe?« fragte sie sich, als sie neben der reglosen Gestalt ihres Sohnes niederkniete. »Macht nichts«, fuhr sie fort, während sie sich Catos Blut von den Fingern wischte, damit sie sich um Brutus kümmern konnte. »Diese hübsche Kleinigkeit spare ich mir eben für eine andere Gelegenheit auf.«

Nur langsam erlangte Brutus das Bewußtsein wieder, vielleicht deshalb, weil in seiner Seele jetzt eine furchtbare Angst vor seiner Mutter wohnte, einer Frau, die sich am Fleisch des eigenen Bruders labte. Schließlich blieb ihm jedoch nichts anderes übrig; er mußte die Augen aufschlagen und sie ansehen.

»Steh auf und setz dich auf das Sofa.«

Brutus stand auf und setzte sich auf das Sofa.

»Hast du begriffen, worum es bei der Geschichte ging?«

»Nein, Mama«, flüsterte er.

»Nicht einmal, als Cato mich eine Hure genannt hat?«

»Nein, Mama«, flüsterte er.

»Ich bin keine Hure, Brutus.«

»Nein, Mama.«

»Und trotzdem«, sagte Servilia und entschied sich für einen Sessel, von dem aus sie schnell bei Brutus sein konnte, wenn es nötig wäre, »bist du zweifellos alt genug, um zu begreifen, wie die Welt funktioniert, und deshalb wird es Zeit, daß ich dich über gewisse Angelegenheiten aufkläre. Bei der Geschichte geht es ganz einfach darum«, fuhr sie beinahe im Plauderton fort, »daß Julias Vater seit ein paar Jahren mein Liebhaber ist.«

Er beugte sich vor und legte das Gesicht in die Hände, unfähig, auch nur zwei Gedanken zusammenzubringen — ein unglückseliges Häuflein Verwirrung und Seelenschmerz. Zuerst die Vorgänge im Concordia-Tempel, denen er vom Eingang aus zugehört hatte, dann der Bericht an seine Mutter; die Beschäftigung mit den Schriften des Fabius Pictor war leider nur ein Zwischenspiel gewesen, denn bald darauf war Onkel Cato erschienen und hatte ihn am Ohr mit sich fortgezogen; Onkel Cato hatte seine Mutter angebrüllt, Mama hatte Onkel Cato angegriffen und... und — wieder wurde Brutus vom Entsetzen über das gepackt, was seine Mutter getan hatte. In seiner Verzweiflung legte er das Gesicht in die Hände und weinte.

Und jetzt auch noch das: Mama und Caesar waren ein Liebespaar, seit Jahren schon. Was empfand er dabei? Was sollte er dabei empfinden? Brutus ließ sich gern anleiten; er haßte dieses Gefühl der Unsicherheit, das ihn überkam, wenn man ihm Entscheidungen abverlangte — vor allem Entscheidungen, die sein Seelenleben betrafen —, ohne ihm vorher Gelegenheit zu geben, sich bei Plato oder Aristoteles Rat zu holen, nachzulesen, wie diese großen Denker sich über solche unzugänglichen, schwer zu ergründenden Dinge geäußert hatten. Irgendwie schien er nicht fähig, bei dieser Sache überhaupt etwas zu empfinden. Der ganze Streit zwischen Mama und Onkel Cato wegen dieser Sache? Warum? Mama machte sich ihr eigenes Gesetz; ganz sicher wußte das Onkel Cato. Wenn Mama einen Liebhaber hatte, dann gab es dafür einen guten Grund. Und wenn Caesar Mamas Liebhaber war, dann gab es auch dafür einen guten Grund. Mama tat nichts ohne Beweggrund. Nichts!

Weiter war er noch nicht gekommen, als Servilia, die von seinem tonlosen Weinen genug hatte, zu ihm sagte: »Cato ist nicht ganz richtig im Kopf, Brutus. Er war es noch nie, auch als kleiner Junge nicht. Der Wahnsinn hat ihn gepackt, und es ist im Laufe der Jahre nicht besser geworden. Er ist dumm, engstirnig, bigott und unglaublich selbstgefällig. Es geht ihn nichts an, was ich mit meinem Leben mache, und auch du gehst ihn nichts an.«

»Ich habe nicht gewußt, wie sehr du ihn haßt«, sagte Brutus, nahm die Hände vom Gesicht und blickte sie an. »Mama, du hast ihn für sein Leben gezeichnet! Für sein Leben!«

»Um so besser!« erwiderte sie und wirkte sichtlich zufrieden. Doch dann wurde sie sich endlich des Anblicks bewußt, den ihr Sohn ihr bot, und sie zuckte zusammen. Wegen der vielen Pickel konnte er sich nicht richtig rasieren, er mußte sich darauf beschränken, die dichten, schwarzen Bartstoppeln möglichst kurz zu halten, und mit den vielen Pickeln, zwischen denen jetzt überall der Speichel klebte, sah er mehr als nur häßlich aus. Er bot ein grauenvolles Bild. Mit der Hand tastete sie hinter sich zwischen Flaschen und Gläsern nach einem kleinen Lappen, den sie ihm zuwarf. »Wisch dir das Gesicht ab und putz dir die Nase, Brutus!

Catos Kritik an dir kann ich nicht gutheißen, aber manchmal bin ich schon sehr enttäuscht von dir.«

»Ich weiß«, flüsterte er. »Ich weiß.«

»Ach, so schlimm ist es auch wieder nicht«, munterte sie ihn sogleich wieder auf, stellte sich hinter ihn und legte ihm eine Hand auf die gebeugten Schultern. »Du hast deine Herkunft, deinen Reichtum, deine Bildung, deinen Einfluß. Und du bist noch nicht einmal zwanzig. Die Zeit wird dich bessern, mein Sohn, dagegen wird Cato auch die Zeit nichts nützen. Den bessert gar nichts mehr.«

Ihr Arm fühlte sich bleischwer an, aber er traute sich nicht, ihn abzuschütteln. Er richtete sich nur ein wenig auf. »Darf ich gehen, Mama?«

»Ja, wenn du meinen Standpunkt verstanden hast.«

»Ich habe ihn verstanden, Mama.«

»Was ich tue, ist meine Sache, Brutus, und ich denke nicht daran, mich wegen der Affäre mit Caesar vor dir zu rechtfertigen. Silanus weiß Bescheid. Er weiß es schon lange. Und daß Caesar, Silanus und ich unser kleines Geheimnis lieber für uns behalten haben, ist ja wohl verständlich.«

Brutus’ Gesicht hellte sich auf. »Tertia!« stieß er hervor. »Tertia ist Caesars Tochter, nicht Silanus’! Deshalb sieht sie Julia so ähnlich.«

Servilia betrachtete ihren Sohn mit einer gewissen Bewunderung. »Wie gescheit du bist, mein Sohn. Ja, Tertia ist von Caesar.«

»Und Silanus hat es gewußt.«

»Von Anfang an.«

»Der arme Silanus!«

»Spar dir dein Mitleid für Leute, die es verdienen.«

Ein kleiner Funken Kühnheit erglomm in Brutus’ Herzen. »Und Caesar?« fragte er. »Liebst du ihn?«

»Mehr als jeden anderen auf der Welt, abgesehen von dir.«

»Ach, der arme Caesar!« sagte Brutus und verschwand, bevor sie noch etwas sagen konnte. Sein eigener Mut verursachte ihm heftiges Herzklopfen.

Silanus hatte dafür gesorgt, daß dieser einzige männliche Nachkomme eine große, komfortable Zimmerflucht ganz für sich allein hatte, von der aus man einen schönen Ausblick auf den Innenhof hatte. Dorthin zog Brutus sich zurück, aber nicht für lange. Nachdem er sich das Gesicht gewaschen und den Bart auf minimale Länge zurechtgestutzt hatte, kämmte er sich das Haar, rief den Hausdiener, damit er ihm in die Toga half, und verließ das düstere Haus des Silanus. Er ging jedoch nicht allein durch die Straßen Roms. Da es bereits dunkel geworden war, ließ er sich von zwei Sklaven mit Fackeln begleiten.

»Darf ich Julia besuchen, Eutychus?« fragte er an Caesars Tür.

»Es ist sehr spät, domine, aber ich werde nachsehen, ob sie noch auf ist«, erwiderte der Verwalter respektvoll und ließ ihn ein.

Natürlich wollte sie ihn empfangen; Brutus stieg leise die Treppe hinauf und klopfte an ihre Tür.

Nachdem sie geöffnet hatte, nahm sie ihn in die Arme, hielt ihn einfach fest und schmiegte ihre Wange an sein Haar. Die wunderbarsten Gefühle von Frieden und endloser Wärme sickerten von der Haut bis ins Mark seiner Knochen; Brutus verstand auf einmal, was die Leute meinten, wenn sie davon sprachen, daß es nichts Schöneres gab, als nach Hause zu kommen. Sein Zuhause war Julia. Die Flamme seiner Liebe zu ihr loderte auf, die Tränen, die unter den geschlossenen Lidern hervorquollen, taten unendlich gut; er klammerte sich an ihr fest und sog ihren Duft in sich hinein, der so betörend war wie alles an ihr. Julia, Julia, Julia...

Ohne von einem bewußten Willen gesteuert zu sein, glitten seine Hände auf ihren Rücken, er hob den Kopf von ihrer Schulter und suchte ihren Mund, dabei stellte er sich so ungeschickt an, daß sie seine Absicht zuerst nicht verstand — und auf einmal war es zu spät, um sich zurückzuziehen, ohne seine Gefühle zu verletzen. So erfüllte der erste Kuß ihres Lebens Julia wenigstens mit Mitleid für seinen Spender, und sie fand ihn längst nicht so unangenehm, wie sie erwartet hatte. Seine Lippen fühlten sich gut an; weich und trocken, und mit geschlossenen Augen konnte sie sein Gesicht nicht sehen. Weitere Intimitäten forderte er nicht von ihr. Nach zwei weiteren Küssen gab er sie wieder frei.

»Oh, Julia, ich liebe dich so sehr!«

Was hätte sie darauf erwidern sollen als: »Brutus, ich liebe dich auch«?

Dann zog sie ihn in ihr Zimmer hinein und setzte ihn auf eine Liege.

Sie selbst nahm in einigem Abstand auf einem Stuhl Platz. Die Tür war nur angelehnt.

Ihr Zimmer war geräumig und — zumindest in Brutus’ Augen — außergewöhnlich schön. Ihre Hand war überall zu spüren, und es war keine gewöhnliche Hand. Die Wandmalereien zeigten Vögel und zarte Blumen in hellen, klaren Farben; das Zimmer war sparsam eingerichtet, kein tyrischer Purpur, keine Vergoldungen.

»Deine Mutter und mein Vater«, sagte sie.

»Was bedeutet das?«

»Für sie oder für uns?«

»Für uns. Woher sollen wir wissen, was es für sie bedeutet?«

»Ich glaube«, sagte sie langsam, »es wird uns nicht weiter schaden. Es gibt kein Gesetz, daß ihnen die Liebe verbietet, nur weil wir verlobt sind. Aber die Leute werden die Nase rümpfen.«

»Die Tugend meiner Mutter ist über jeden Vorwurf erhaben, und diese Sache wird daran nichts ändern!« gab Brutus zurück, aber es klang ein wenig nach Trotz.

»Natürlich nicht. Mein Vater ist ein einmaliges Ereignis im Leben deiner Mutter. Servilia ist keine Palla oder Sempronia Tuditani.«

»Ach, Julia, es ist wunderbar, daß du alles verstehst!«

»Es fällt ja nicht schwer, sie zu verstehen, Brutus. Meinen Vater kann man nicht mit anderen Männern in einen Topf werfen, und ebenso ist deine Mutter eine außergewöhnliche Frau.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Wenn man bedenkt, was für Menschen die beiden sind, war es womöglich unvermeidlich, daß sie miteinander ein Verhältnis anfingen.«

»Wir haben eine gemeinsame Halbschwester«, sagte Brutus unvermittelt. »Tertia ist von deinem Vater, nicht von Silanus.«

Julia stockte kurz der Atem, dann lachte sie vergnügt. »O wie schön! Ich habe eine Schwester.«

»Nein, Julia, bitte nicht! Wir müssen es verschweigen, sogar unseren Familien.«

Ihr Lächeln erzitterte und verschwand. »Natürlich, Brutus, du hast recht.« Tränen traten ihr in die Augen. »Ich darf es sie nie merken lassen. Trotzdem«, fügte sie ein wenig heiterer hinzu, »ich weiß es.«

»Auch wenn sie dich sehr gern mag, Julia, sie ist ganz anders als du. Im Charakter kommt Tertia mehr nach meiner Mutter.«

»Unsinn! Sie ist doch erst vier. Woher willst du das wissen?«

»Ich weiß es«, erwiderte Brutus verbittert. »Sie ist Gaius Cassius versprochen. Seine und meine Mutter haben unsere Horoskope verglichen. Unsere Leben sind eng miteinander verbunden, offenbar durch Tertia.«

»Und Cassius darf es nie erfahren.«

Brutus schnaubte verächtlich. »Ach, hör auf, Julia! Glaubst du im Ernst, daß es ihm niemand erzählt? Dabei kann es ihm ganz recht sein. Caesars Blut ist besser als das von Silanus.«

Jetzt spricht seine Mutter aus ihm, dachte Julia. Sie kehrte zum ursprünglichen Thema zurück. »Und unsere Eltern?« fragte sie.

»Du meinst, daß es uns nicht betrifft, was zwischen ihnen ist?«

»Natürlich betrifft es uns. Aber wir sollten uns nicht darum kümmern.«

»Gut«, sagte er und erhob sich, »dann kümmern wir uns nicht darum. Ich muß gehen. Es ist schon spät.« An der Tür küßte er ihr die Hand. »Noch vier Jahre, dann sind wir verheiratet. Eine lange Zeit, aber Plato sagt, das Warten stärkt das Band zwischen uns.«

»Sagt er das?« fragte Julia verblüfft. »Das muß ich übersehen haben.«

»Nein, nicht direkt, aber ich lese zwischen den Zeilen.«

»Natürlich. Eine besondere Fähigkeit der Männer. Das ist mir schon oft aufgefallen.«

Die Nacht wollte bereits dem herannahenden Tag weichen, als Titus Labienus, Quintus Caecilius Metellus Celer und Lucius Julius Caesar im Domus Publica eintrafen. Caesar war hellwach. Die schlaflose Nacht schien ihm nichts ausgemacht zu haben.

Wasser, ein milder süßer Wein, frischgebackenes Brot, Olivenöl und ein ausgezeichneter Honig aus Hymettos waren auf einem Konsolentisch an der Wand bereitgestellt worden, und Caesar wartete geduldig, bis seine Gäste sich bedient hatten. Er selbst schlürfte ein dampfendes Getränk aus einem steinernen Becher, aß aber nichts.

»Was trinkst du da?« erkundigte sich Metellus Celer neugierig.

»Heißes Wasser mit ein wenig Essig.«

»Bäh, wie ekelhaft!«

»Man gewöhnt sich dran«, erwiderte Caesar gelassen.

»Warum sollte man?«

»Aus zwei Gründen. Zum einen glaube ich, daß es gut für meine Gesundheit ist, und ich beabsichtige nun einmal, bis ins hohe Alter hinein kerngesund zu bleiben; zum zweiten härtet es meinen Gaumen gegen alle möglichen Beleidigungen ab, von ranzigem Öl bis hin zu saurem Brot.«

»Der erste Grund sei dir zugestanden, aber wo liegen die Vorteile des zweiten, wenn man kein Stoiker ist? Warum solltest du dich jemals mit schlechtem Essen abfinden müssen?«

»Auf einem Feldzug muß man es gelegentlich — jedenfalls auf Feldzügen, wie ich sie durchführe. Wurdet ihr von Pompeius Magnus etwa verwöhnt, Celer?«

»Das will ich meinen! Und von jedem anderen Feldherrn, unter dem ich gedient habe. Erinnere mich daran, daß ich nicht mit dir in den Krieg ziehen möchte.«

»Ach, im Winter und im Frühling ist das Getränk gar nicht so ungenießbar. Dann nehme ich Zitronensaft statt Essig.«

Celer verdrehte die Augen; Labienus und Lucius Caesar lachten.

»Gut, und jetzt wollen wir uns an die Arbeit machen«, sagte Caesar und setzte sich hinter seinen Schreibfisch. »Bitte, vergeht mir mein Chefgehabe, aber es erscheint mir sinnvoller, mich dorthin zu setzen, wo ich euch alle im Auge habe, und ihr mich.«

»Es sei dir gestattet, Caesar«, erklärte Lucius Caesar feierlich.

»Titus Labienus war gestern abend hier bei mir, deshalb weiß ich bereits, warum er im Senat für mich gestimmt hat«, sagte Caesar. »Und ich weiß auch, warum du für mich gestimmt hast, Lucius. Aber über deine Motive bin ich mir nicht ganz im klaren, Celer. Sag sie mir.«

Der schwergeprüfte Gatte seiner eigenen Cousine Clodia, Metellus Celer, war außerdem der Schwager von Pompeius dem Großen, denn die Mutter von Celer und seinem jüngeren Bruder Metellus Nepos war gleichzeitig die Mutter von Mucia Tertia. Celer und Nepos, die sich heiß und innig liebten, wurden von vielen gemocht und respektiert, denn beide waren freundliche und gesellige Männer.

Celer war Caesar immer als konservativer Mann erschienen, was seine politischen Ansichten betraf. Für den Erfolg seines Plans würde Celers Antwort sehr wichtig sein; Caesar konnte ihn nicht ausführen, wenn Celer nicht bereit war, ihn ohne Wenn und Aber zu unterstützen.

Mit einem entschlossenen Ausdruck auf seinem markanten Gesicht und mit zu Fäusten geballten Händen beugte Celer sich vor. »Zunächst einmal mag ich es nicht, wenn Emporkömmlinge wie Cicero uns echten Römern ihre Politik aufzwingen wollen. Außerdem kann ich es nicht billigen, daß Bürger Roms hingerichtet wurden, ohne daß man ihnen den Prozeß gemacht hat. Und es ist mir nicht entgangen, daß Ciceros Verbündeter, Cato von den Salonianern, auch so ein Halbrömer ist. Wo kommen wir hin, wenn wir es Abkömmlingen von Sklaven und Bauern erlauben, unsere Gesetze nach ihrem Gutdünken zu interpretieren?«

Eine Antwort, mit der Celer — ohne es zu merken? — auch seinen Schwager Pompeius den Großen herabwürdigte. Aber darüber konnte man getrost hinwegsehen, vorausgesetzt niemand war so taktlos, es zu erwähnen.

»Was kannst du tun, Gaius?« fragte Lucius Caesar.

»Eine ganze Menge. Labienus, du mußt mir verzeihen, wenn ich noch einmal wiederhole, was ich dir gestern abend schon erzählt habe, aber es geht schließlich darum, was Cicero wirklich angerichtet hat. Da ist die Hinrichtung römischer Bürger ohne Prozeß noch das kleinere Übel. Das wirkliche Verbrechen liegt in der Auslegung des senatus consultum de re publica defendenda.

Ich glaube nicht, daß dieser äußerste Beschluß jemals als eine Blankovollmacht gedacht war, die dem Senat oder irgendeiner anderen Körperschaft römischer Männer das Recht gibt, nach eigenem Ermessen zu handeln. Das ist Ciceros ureigenste Interpretation.

Dieser äußerste Beschluß ist eingeführt worden, um mit sozialen Krisen von kurzer Dauer fertig zu werden, wie seinerzeit bei Gaius Gracchus. Und für seinen Einsatz während der Revolution des Saturninus gilt das gleiche, auch wenn die Unzulänglichkeiten dabei deutlicher zutage traten als beim erstenmal. Carbo hatte diese äußerste Maßnahme gegen Sulla ergriffen, nachdem der in Italien gelandet war, und später auch gegen Lepidus. Im Falle von Lepidus wurde sie durch Sullas Verfassung gestützt, die dem Senat zwar nicht bei zivilen Unruhen, wohl aber im Kriegsfall volle Handlungsfreiheit garantierte. Der Senat hatte damals beschlossen, die Sache mit Lepidus als Krieg zu bezeichnen.

Aber davon kann heute keine Rede sein«, fuhr Caesar mit fester Stimme fort. »Inzwischen wird die Macht des Senats wieder durch die drei Komitien eingeschränkt. Und von den fünf Männern, die gestern abend hingerichtet worden sind, hat kein einziger bewaffnete Truppen gegen Rom geführt. Nicht einer von ihnen hat gegen einen Römer die Waffe erhoben, sieht man einmal von Caeparius’ Widerstand ab — aber wer wollte es ihm verdenken, wenn er die Festnahme auf der Mulvianbrücke für einen räuberischen Hinterhalt hielt? Man hat sie nicht einmal zu Feinden des Volkes erklärt. Und mag es noch so viele Beweise für ihre verräterischen Absichten geben, es waren Absichten, nicht mehr und nicht weniger. Pläne, keine vollendeten Taten! Die Briefe waren reine Absichtserklärungen, vor der Tat geschrieben.

Woher wollen wir wissen, was im Falle von Catilinas Ankunft vor den Toren Roms aus diesen Vorsätzen geworden wäre? Was ist denn aus der Intention geworden, die Konsuln und Prätoren zu ermorden, nachdem Catilina die Stadt verlassen hatte? Zwei Männer, die beide nicht zu den Hingerichteten gehören, sollen angeblich versucht haben, in Ciceros Haus einzudringen, um ihn zu ermorden. Aber unsere Konsuln und Prätoren erfreuen sich bester Gesundheit! Ihnen ist kein Haar gekrümmt worden! Soll man uns Römer jetzt schon wegen unserer bösen Absichten hinrichten können?«

»Ach Caesar, ich wünschte, du hättest gestern so geredet!« seufzte Celer.

»Ich auch. Aber ich bezweifle, daß sie irgendwelchen Argumenten noch zugänglich gewesen wären, nachdem Cato erst einmal in Fahrt gekommen war. Vorher hat Cicero noch gefordert, daß wir uns kurz fassen, aber er hat nicht einmal den Versuch gemacht, Cato das Wort zu entziehen. Ich wünschte, der Kerl hätte bis zum Sonnenuntergang weitergeredet.«

»Servilias Schuld, daß er es nicht getan hat.« Einen Augenblick lang herrschte Stille. Lucius Caesar hatte das Unaussprechliche in Worte gefaßt.

»Keine Sorge, das habe ich nicht vergessen«, erwiderte Caesar mit schmalen Lippen.

»Wenn du sie dafür umbringen willst«, warf Celer ein und grinste, »solltest du es ihr nicht in einem Brief mitteilen. Die Absicht reicht heutzutage völlig aus.«

»Genau das meine ich ja. Cicero hat das Senatus Consultum Ultimum in ein Ungeheuer verwandelt, das sich gegen jeden von uns wenden kann.«

»Ich weiß nicht recht, was wir jetzt noch dagegen machen sollen«, sagte Labienus.

»Wir können das Ungeheuer gegen Cicero wenden. Der ist im Augenblick sicher damit beschäftigt, auszuhecken, wie er den Senat dazu bringt, ihm den Titel pater patriae zu verleihen«, sagte Caesar und kräuselte die Lippen. »Er spielt sich als Retter des Vaterlandes auf, aber ich behaupte, das Vaterland ist in keiner ernsthaften Gefahr, trotz eines Catilina und seiner Armee. Wenn je eine Revolution zum Scheitern verurteilt war, dann diese. Lepidus’ Versuch war schon kläglich genug, aber was Catilina da vorhat, ist der größte Witz — einmal abgesehen von den braven römischen Soldaten, die bei seiner Niederwerfung ihr Leben lassen werden.«

»Was hast du vor?« wollte Labienus wissen.

»Ich will das gesamte Konzept des Senatus Consultum Ultimum in Verruf bringen. Ich will versuchen, einen Mann, der unter seinem Schutz gehandelt hat, wegen Hochverrats vor Gericht zu stellen«, erklärte Caesar.

»Cicero!« stieß Lucius Caesar hervor.

»Ganz bestimmt nicht Cicero, und auch nicht Cato. Es wäre viel zu früh, jetzt schon Rechenschaft von den Männern zu fordern, die diesen jüngsten Fall von Rechtsbeugung zu verantworten haben. Der richtige Zeitpunkt kommt noch, Vetter. Nein, wir gehen gegen einen prominenten Mann vor, der unter einem früheren Senatus Consultum Ultimum verbrecherisch gehandelt hat. Cicero selber war so freundlich, den Namen im Hause zu erwähnen: Gaius Rabirius.«

Die drei Männer machten große Augen, aber zunächst sagte keiner etwas.

Celer fand als erster Worte: »Zweifellos redest du von Mord. Gaius Rabirius gehörte zu den Männern auf dem Dach der Curia Hostilia, aber das war damals kein Hochverrat. Das war Mord.«

»Das Gesetz sieht das anders, Celer. Denk doch einmal nach. Ein Mord wird dann zum Hochverrat, wenn man sich mit seiner Hilfe die Privilegien des Staates aneignen will. Deshalb ist der Mord an römischen Bürgern, denen Hochverrat vorgeworfen wird, seinerseits ein verräterischer Akt.«

»Ich verstehe langsam, worauf du hinauswillst«, sagte Labienus mit glänzenden Augen. »Aber vor Gericht kommst du damit nicht durch.«

»Perduellio ist keine Straftat, die vor Gericht verhandelt wird. Sie wird in der Zenturiatsversammlung verhandelt«, sagte Caesar.

»Auch dorthin würdest du nicht damit kommen, nicht einmal mit Celer als Stadtprätor.«

»Da bin ich anderer Meinung. Es gibt einen Weg, die Sache vor die Zenturien zu bekommen. Wir setzen ein Verfahren in Gang, das wesentlich älter ist als die Republik, aber deshalb keineswegs weniger römisch als jedes Gesetz der Republik. Es ist alles in alten Dokumenten belegt, mein Freund. Selbst Cicero wird es nicht gelingen, die Legalität unseres Vorgehens in Zweifel zu ziehen. Er kann es höchstens an die Zenturien verweisen, das ist alles.«

»Das mußt du mir erklären, Caesar. Ich bin kein Rechtsgelehrter«, sagte Celer und lächelte.

»Du giltst als Stadtprätor, der sich genau an seine Erlasse hält«, sagte Caesar, der seine Zuhörer noch ein bißchen zappeln lassen wollte. »Einer deiner Erlasse besagt, daß du bereit bist, jeden Mann anzuklagen, solange sein Ankläger im Einklang mit den Gesetzen handelt. Morgen bei Sonnenaufgang wird Titus Labienus vor deinem Tribunal erscheinen und verlangen, daß man Gaius Rabirius wegen des Mordes an Saturninus und Quintus Labienus hochverräterischer Aktivitäten anklagt, und zwar nach einem Prozedere, das bereits während der Regentschaft des Königs Hostilius entworfen wurde. Du wirst diesen Fall prüfen, lieber Celer, und ganz zufällig liegt auf deinem Schreibtisch eine Abschrift meiner Abhandlung über frühe juristische Verfahrensweisen in Fällen von perduellio. Diese Abhandlung wird beweisen, daß Labienus’ Antrag, Rabirius wegen dieser beiden Morde als Hochverräter anzuklagen, mit den Buchstaben des Gesetzes in Einklang steht.«

Seine Zuhörer waren begeistert. Caesar trank den Becher mit dem inzwischen lauwarmen Essigwasser leer, bevor er fortfuhr.

»Nur ein einziger Prozeß, der Mordprozeß gegen Horatius wegen des Mordes an seiner Schwester, ist uns aus der Zeit des Tullus Hostilius überliefert, und damals erforderte das Verfahren lediglich die Anhörung zweier Richter. Im heutigen Rom gibt es nur vier Männer, die als Richter qualifiziert sind, weil ihre Familien zur Zeit dieses Prozesses bereits zu den Vätern gehörten. Ich bin einer von ihnen, und du, Lucius, bist auch einer. Der dritte ist Catilina — inzwischen offiziell zum Feind des Volkes erklärt. Der vierte ist Fabius Sanga, zur Zeit in Begleitung seiner Klienten auf dem Weg ins Land der Allobroger. Also, mein lieber Celer, wirst du mich und Lucius zu Richtern berufen und anordnen, daß unverzüglich auf dem Marsfeld ein Prozeß stattzufinden hat.«

»Bist du ganz sicher, was die Tatsachen betrifft?« fragte Celer stirnrunzelnd. »Die Valerii hat es zu jener Zeit schon gegeben, und nach der Zerstörung Alba Longas dürften die Quinctilier und die Servilier den Juliern mit Sicherheit nach Rom gefolgt sein.«

Lucius Caesar antwortete ihm: »Der Prozeß gegen Horatius hat lange vor der Plünderung von Alba Longa stattgefunden, Celer, also scheiden die Servilier und die Quinctilier aus. Die Julier sind bereits ausgewandert, als Numa Pompilius noch auf dem Thron saß. Cluilius hat sie aus Alba verbannt, nachdem er ihnen das Königreich entrissen hatte. Und was die Valerier betrifft«, Lucius Caesar zuckte die Achseln, »die waren Roms Militärpriester und scheiden deshalb ebenfalls aus.«

»Ich nehme alles zurück«, kicherte Celer, der sich königlich amüsierte. »Ihr müßt mir zugute halten, daß ich nur ein Caecilius bin!«

»Manchmal zahlt es sich eben aus, wenn man die richtigen Vorfahren hat, Quintus«, sagte Caesar, dem der Seitenhieb nicht entgangen war. »Caesars Glück, daß niemand — und schon gar nicht ein Cicero oder ein Cato — deine Wahl der Richter anfechten kann.«

»Es wird einigen Staub aufwirbeln«, sagte Labienus zufrieden.

»Zweifellos, Titus.«

»Rabirius wird Horatius’ Beispiel folgen und in die Berufung gehen.«

»Natürlich. Aber zuerst werden wir ein wunderbares Schauspiel aufführen, mit all dem schönen Firlefanz von früher — dem Kreuz, das aus einem verkrüppelten Baum geformt ist, dem gegabelten Pfahl für das Auspeitschen, den drei Liktoren mit den Rutenbündeln und den Äxten, die die ursprünglichen drei Tribus Roms repräsentieren, dem Schleier für Rabirius’ Kopf und den rituellen Fesseln für seine Handgelenke. Ein phantastisches Theater! Spintrier wird vor Neid erblassen.«

»Ich fürchte«, sagte Labienus, und seine gute Laune war verflogen, »sie werden sich etwas einfallen lassen, um Rabirius’ Berufung vor den Zenturien hinauszuzögern, bis der öffentliche Zorn sich gelegt hat. Rabirius’ Fall wird nicht verhandelt werden, solange das Schicksal von Lentulus Sura und den anderen nicht vergessen ist.«

»Das dürfen sie gar nicht«, erwiderte Caesar. »Das alte Recht hat Gültigkeit, also muß eine Berufung sofort verhandelt werden, so wie auch Horatius’ Berufung sofort verhandelt wurde.«

»Ich habe begriffen, daß wir Rabirius verurteilen lassen wollen«, sagte Lucius Caesar, »aber etwas verstehe ich nicht, Vetter: Was hat das Ganze für einen Sinn?«

»Zum ersten unterscheidet sich unser Prozeß wesentlich von einem modernen Prozeß, wie er von Glaucia eingeführt wurde. Für den modernen Betrachter ist er eine Farce. Die Richter entscheiden, welche Beweise sie hören wollen, und sie entscheiden auch, wann sie genug gehört haben. Und so werden wir es machen, nachdem Labienus uns seine Meinung kundgetan hat. Wir werden einfach nicht zulassen, daß der Beschuldigte Beweise für seine Unschuld vorträgt. Es geht darum, daß keine Gerechtigkeit geübt wird! Denn was für eine Gerechtigkeit ist den fünf Männern gestern abend widerfahren?«

»Und zum zweiten?« fragte Lucius Caesar.

»Zum zweiten wird die Berufung sofort verhandelt, solange es in den Zenturien noch brodelt. Cicero wird in Panik geraten. Wenn die Zenturien Rabirius verurteilen, ist sein eigener Kopf in Gefahr. Cicero ist ja nicht dumm, nur weil sein Urteil manchmal von Eitelkeit und Überheblichkeit getrübt wird. Wenn ihm erst einmal zu Ohren kommt, was wir vorhaben, dann wird er auch begreifen, warum wir es tun.«

»Das heißt«, gab Celer zu bedenken, »wenn er klug ist, dann wendet er sich sofort an die Volksversammlung und versucht, die alten Verfahrensweisen für ungültig erklären zu lassen.«

»Ja, ich denke, das wird er versuchen.« Caesar sah Labienus an. »Mir ist aufgefallen, daß Ampius und Rullus gestern im Concordia-Tempel für uns gestimmt haben. Meinst du, sie würden mit uns zusammenarbeiten? Ich brauche ein Veto in der Volksversammlung, aber du bist auf dem Marsfeld mit Rabirius beschäftigt. Wäre Ampius oder Rullus wohl bereit, in deinem Namen das Veto einzulegen?«

»Ampius ganz bestimmt, denn er ist mir verbunden, und wir sind beide Pompeius Magnus verbunden. Wahrscheinlich wäre auch Rullus kooperativ. Er würde alles tun, um Cicero oder Cato Schwierigkeiten zu machen. Er gibt ihnen die Schuld daran, daß sein Gesetz zur Bodenreform nicht durchgekommen ist.«

»Also Rullus, mit Ampius als Unterstützung. Cicero wird die Volksversammlung um eine lex rogata plus quam perfecta bitten, damit er uns dafür bestrafen kann, daß wir ein altes Rechtsverfahren wieder eingeführt haben. Und wenn er schnell ein Gesetz daraus machen will, dann muß er sein hochgeschätztes Senatus Consultum Ultimum bemühen und die öffentliche Aufmerksamkeit schon wieder auf diesen äußersten Beschluß lenken, und das zu einem Zeitpunnkt, wo er ihn am liebsten unter den Teppich kehren würde. Daraufhin werden Rullus und Ampius ihre Vetos einlegen. Und dann soll Rullus Cicero beiseite nehmen und ihm einen Kompromiß vorschlagen. Unser Erster Konsul ist eine ängstliche Seele; ich bin sicher, daß er dankbar für jeden Vorschlag ist, mit dem er Gewalt auf dem Forum verhindern kann — vorausgesetzt, er erreicht wenigstens ein Teil dessen, was er sich vorgenommen hat.«

»Du solltest einmal hören, was Magnus über Ciceros Verhalten im Italischen Krieg zu berichten hat«, sagte Labienus verächtlich. »Unser heldenhafter Erster Konsul ist in Ohnmacht gefallen, als er ein Schwert gesehen hat.«

»Was soll Rullus mit ihm aushandeln?« fragte Lucius Caesar mit bösem Seitenblick auf Labienus, den er als notwendiges Übel betrachtete.

»Erstens darf das Gesetz, das Cicero in Kraft setzt, später nicht gegen uns verwendet werden können. Zweitens muß Rabirius’ Berufung gleich am nächsten Tag verhandelt werden, damit Labienus weiterhin als Ankläger fungieren kann, während er noch im Amt eines Volkstribuns ist. Drittens muß die Berufung nach den Regeln des Glaucius verhandelt werden. Viertens muß die Todesstrafe an die Stelle von Exil und Geldstrafe treten.« Caesar seufzte genüßlich. »Und fünftens will ich zum Berufungsrichter in den Zenturien ernannt werden, mit Celer als meinem persönlichen custos.«

Celer brach in lautes Lachen aus. »Beim Jupiter, Caesar, das hast du klug ausgedacht!«

»Wozu die Mühe, das Urteil zu ändern?« fragte Labienus, noch immer düsterer Stimmung. »Seit Romulus ein kleiner Junge war, haben die Zenturien keinen Mann mehr verurteilt, der des perduellio angeklagt war.«

»Du siehst zu schwarz, Titus.« Caesar faltete die Hände auf der Schreibtischplatte. »Wir müssen nichts weiter tun, als das Feuer der Empörung ein wenig anzufachen, das ohnehin schon in jenen Männern glimmt, die mitansehen mußten, wie der Senat römischen Bürgern das unveräußerliche Recht auf einen Prozeß vorenthalten hat. Bei dem Thema werden erste und zweite Klasse dem Senat nicht folgen, nicht einmal in den Reihen der Achtzehn. So ein Senatus Consultum Ultimum gibt dem Senat einfach zuviel Macht, und es dürfte kaum einen Ritter oder reichen Mann geben, der das noch nicht begriffen hat. Seit den Gracchus-Brüdern herrscht Krieg zwischen den Ständen. Rabirius ist alles andere als beliebt. Er ist ein alter Halunke. Schon deshalb wird den Wählern sein Schicksal nicht halb so wichtig sein wie ihr eigenes, bedrohtes Recht auf einen Prozeß. Ich denke, wir haben gute Aussichten, daß die Zenturien sich dafür entscheiden, Gaius Rabirius zu verurteilen.«

»Und ihn ins Exil zu schicken«, warf Celer ein bißchen unglücklich ein. »Ich weiß, daß er ein Halunke ist, Caesar, aber er ist ein alter Mann. Das Exil wäre sein Tod.«

»Aber nur, wenn das Urteil auch verkündet wird«, sagte Caesar.

»Und wieso sollte es nicht verkündet werden?«

»Das liegt ganz an dir, Celer.« Caesar grinste verschlagen. »Als Stadtprätor bist du bei Versammlungen auf dem Marsfeld für das Protokoll zuständig. Und dazu gehört auch, daß du die rote Fahne im Auge behältst, die auf dem Janiculum gehißt ist, wenn die Zenturien sich außerhalb der Stadtmauern versammeln — für den Fall, daß Invasoren gesichtet werden.«

Celer mußte wieder lachen. »Nein, Caesar!«

»Mein lieber Freund, wir stehen unter dem Senatus Consultum Ultimum, weil Catilina mit einer Armee in Etruria steht! Es würde diesen verfluchten Beschluß gar nicht geben, wenn Catilina keine Armee hätte, und die fünf Männer wären heute noch am Leben.

Unter normalen Umständen kümmert sich kein Mensch um das Janiculum, am allerwenigsten der Stadtprätor — er hat genug mit dem zu tun, was auf ebener Erde passiert. Aber wenn jeden Tag damit zu rechnen ist, daß Catilina mit seiner Armee über Rom herfällt, dann wird zweifellos Panik ausbrechen, wenn die rote Fahne auf einmal heruntergelassen wird. Die Zenturien pfeifen auf die Abstimmung und machen, daß sie nach Hause kommen, um sich wie zu Zeiten der Etrusker und Volsci gegen die Invasoren zu bewaffnen. Ich schlage vor«, fuhr Caesar gelassen fort, »daß du jemanden auf dem Janiculum postierst, der die rote Fahne herunterläßt. Ihr müßt ein Signal verabreden, vielleicht ein Feuer, wenn die Sonne noch nicht weit genug im Westen steht, ansonsten einen reflektierenden Spiegel.«

»Alles schön und gut«, stellte Lucius Caesar fest, »aber was wollen wir mit dieser umständlichen Abfolge von Ereignissen eigentlich erreichen, wenn Rabirius nicht verurteilt und das Senatus Consultum Ultimum nicht aufgehoben wird, bis Catilinas Armee besiegt ist? Welche Lektion willst du Cicero erteilen? Bei Cato ist ohnehin Hopfen und Malz verloren. Der ist so schwerfällig, der kapiert das nicht.«

»Was Cato betrifft, so gebe ich dir recht, Lucius. Aber Cicero ist ein anderer Fall. Wie gesagt, er ist eine ängstliche Seele. Zur Zeit schwimmt er auf der Woge des Erfolgs. Er wollte eine Krise während seiner Amtszeit als Konsul, und er hat sie bekommen. Bis jetzt ist ihm noch nicht in den Sinn gekommen, welche Gefahren für ihn selbst in der Situation lauern könnten. Wir müssen ihm nur deutlich genug unter die Nase reiben, daß die Zenturien Rabirius verurteilt hätten. Er wird die Botschaft schon verstehen, glaube es mir.«

»Aber wie lautet die Botschaft eigentlich, Gaius?«

»Kein Mann, der unter dem Schutz des Senatus Consultum Ultimum handelt, darf sich darauf verlassen, daß er später nicht zur Rechenschaft gezogen wird. Auch ein Erster Konsul kann es sich nicht leisten, ein so bedeutendes Gremium wie den Senat von Rom dazu zu verleiten, römische Männer ohne Prozeß hinrichten zu lassen. Vom Recht auf Berufung ganz zu schweigen. Cicero wird die Botschaft erkennen, Lucius. Jeder einzelne Mann in den Zenturien, der für eine Verurteilung von Rabirius stimmt, wird Cicero klarmachen, daß er und die Senatoren sich nicht zu Herren über das Schicksal römischer Männer aufschwingen dürfen. Und darüber hinaus werden sie ihm zu verstehen geben, daß er mit der Hinrichtung von Lentulus Sura und den anderen ihr Vertrauen und ihre Bewunderung verspielt hat. Und das ist für Cicero noch schlimmer als jeder andere Aspekt dieser unseligen Angelegenheit«, sagte Caesar.

»Dafür wird er dich hassen!« rief Celer.

Caesar hob die blonden Augenbrauen und blickte sein Gegenüber voller Hochmut an. »Was sollte mir das schon ausmachen?« fragte er.