Teil IV

1. Januar bis 5. Dezember 63 v. Chr.

Es war Ciceros Pech, daß sein Jahr als Konsul mitten in einer ökonomischen Krise begann, und weil die Ökonomie nicht gerade sein Spezialgebiet war, sah er diesem Amtsjahr mit düsteren Gefühlen entgegen. Er hatte sich sein Konsulat anders vorgestellt! Die Leute sollten nach Ablauf seines Jahres von ihm sagen, er habe Rom denselben ungetrübten Wohlstand beschert wie sieben Jahre zuvor Pompeius und Crassus während ihres gemeinsamen Konsulats. Da Hybrida der Zweite Konsul war, würde ohnehin die ganze Anerkennung an Cicero gehen. Es gab also keinen Grund, sich im Unfrieden von Hybrida zu trennen, wie Pompeius seinerzeit von Crassus — und umgekehrt.

Roms wirtschaftliche Probleme gingen vom Osten aus, der den römischen Geschäftsleuten seit mehr als zwanzig Jahren verschlossen geblieben war. Zuerst hatte König Mithridates ihn erobert; dann hatte Sulla, nachdem er ihn Mithridates wieder entrissen hatte, dort lobenswerte finanzielle Regelungen eingeführt und die römische Ritterschaft auf diese Weise daran gehindert, den Osten wie in alten Zeiten wirtschaftlich auszupressen. Hinzu kam, daß das Unwesen der Piraten auf hoher See geschäftliche Unternehmungen östlich von Makedonien und Griechenland nicht eben gefördert hatte. Folglich ließen diejenigen, die Steuern pachteten, Geld verliehen oder mit Gebrauchsgütern wie Weizen, Wein und Wolle handelten, ihr Kapital lieber zu Hause — eine Tendenz, die sich noch verstärkte, als der Krieg gegen Quintus Sertorius in Spanien ausbrach und eine Reihe von Dürreperioden die Getreideernten sehr mager ausfallen ließ. Beide Enden des Mittelmeers waren zu riskanten Handelsplätzen geworden.

Alle diese Dinge hatten dafür gesorgt, daß Kapital und Investitionen sich zwanzig Jahre lang vorwiegend auf Rom und Italien konzentrierten. Den Geschäftsleuten der römischen Ritterschaft boten sich keine verlockenden überseeischen Investitionsmöglichkeiten mehr, also hatten sie auch wenig Bedarf an großen Geldsummen. Die Zinsen für geliehenes Geld waren niedrig, die Mieten waren niedrig, die Inflation gedieh prächtig, Kreditgeber hatten es nicht eilig, ihre Schulden einzutreiben.

An Ciceros Unglück war einzig und allein Pompeius schuld. Zuerst hatte der Große mit den Piraten aufgeräumt, dann hatte er Mithridates und Tigranes aus den Gebieten verjagt, die einmal zur römischen Handelssphäre gehört hatten. Mit Sullas Regelungen hatte er ebenfalls kurzen Prozeß gemacht, auch wenn Lucullus darauf bestanden hatte, sie beizubehalten — der einzige Grund, weshalb die Ritter alles daran gesetzt hatten, Lucullus zu verjagen und Pompeius das Kommando zu übergeben. Und so boten sich just in dem Moment, als Cicero und Hybrida ihr Amt antraten, im Osten geschäftliche Möglichkeiten in Hülle und Fülle. Wo einst nur die Provinzen Asia und Cilicia waren, gab es jetzt vier Provinzen; Pompeius hatte dem Weltreich die Provinzen Bithynien- Pontus und Syrien hinzugefügt. Er organisierte sie ebenso wie die beiden anderen: Die großen Gesellschaften der publicani in Rom erhielten das Recht, Steuern, den Zehnten und Tribute zu pachten. Private Verträge, die von den Zensoren ausgegeben wurden, ersparten dem Staat die Mühe, die Steuern einzutreiben, und verhinderten ein Aufblähen des Beamtenapparats. Sollten sich doch die publicani ihre Köpfe zerbrechen! Das Schatzamt begnügte sich mit dem festgelegten Anteil am Profit.

Im Zuge dieses neuen Vorstoßes nach Osten floß viel Kapital aus Rom und Italien ab. Die Folge war ein drastischer Anstieg der Zinsen. Plötzlich fingen Wucherer an, ihre Schulden einzutreiben, und es wurde immer schwerer, Kredite zu erhalten. In den Städten stiegen die Mieten in den Himmel, die Bauern auf dem Land konnten ihre Darlehen nicht zurückzahlen. Unweigerlich ging auch der Preis für Getreide in die Höhe — selbst der für staatliches Getreide. Riesige Geldmengen strömten aus Rom hinaus, und niemand in der Verwaltung wußte, wie man die Situation unter Kontrolle bringen sollte.

Nachdem Freunde wie der plutokratische Ritter Titus Pomponius Atticus (der nicht die Absicht hatte, Cicero allzu tiefe Einblicke in die Geheimnisse des Handels zu geben) ihn darüber informiert hatten, daß der Abfluß des Geldes aus Rom ausländischen Juden anzulasten sei, die ihre Profite nach Hause schickten, erließ Cicero flugs ein Gesetz, das es den Juden verbot, Geld nach Hause zu schicken. Natürlich erzielte er damit wenig Wirkung, aber etwas Besseres fiel dem Ersten Konsul nicht ein — und Atticus machte keine Anstalten, ihn ins rechte Bild zu setzen.

Es lag nicht in Ciceros Natur, sein Jahr als Konsul einer Mission zu widmen, von der er inzwischen begriffen hatte, daß sie ebenso vergeblich wie unpopulär war; also richtete er seine Aufmerksamkeit auf Angelegenheiten, in denen ihm keiner etwas vormachen konnte. Die wirtschaftliche Situation würde sich von allein einpendeln, wohingegen neue Gesetze eine persönliche Handschrift verlangten. Schließlich bedeutete sein Jahr als Konsul, daß Rom nach langer Zeit wieder einen Konsul hatte, der etwas von Gesetzen verstand — also würde er Gesetze erlassen.

Zuerst attackierte er das Gesetz gegen die Bestechung der Wählerschaft bei konsularischen Wahlen, das Konsul Gaius Piso vier Jahre zuvor erlassen hatte. Piso — der sich selbst massiver Bestechung schuldig gemacht hatte — war gezwungen worden, ein Gesetz dagegen zu erlassen. Vielleicht verständlich, daß das Resultat alles andere als wasserdicht war, aber nachdem Cicero die schlimmsten Löcher geflickt hatte, machte es einen ganz passablen Eindruck.

Und was kam als nächstes dran? Ach ja! Männer, die von ihrer Amtszeit als Statthalter einer prätorialen Provinz zurückkehrten, die sie nach Kräften ausgebeutet hatten, wollten sich der Strafverfolgung entziehen, indem sie sich in absentia zum Konsul wählen ließen! Niemand, der Amtsgewalt innehatte, konnte verfolgt werden. Solange ein zurückkehrender Prätorstatthalter die heilige Grenze der Stadt Rom nicht überschritt, behielt er seine Amtsgewalt, die Rom ihm als Statthalter der Provinz übertragen hatte. Er konnte also direkt vor der Stadt auf dem Marsfeld warten und beim Senat den Antrag stellen, in absentia als Konsul kandidieren zu dürfen. Den Wahlkampf führte er vom Marsfeld aus, und wenn er das Glück hatte, gewählt zu werden, marschierte er mit der soeben erworbenen, neuen Amtsgewalt in die Stadt hinein und blieb unantastbar. Mit diesem Trick konnte sich jemand für mehr als zwei Jahre jeglicher Strafverfolgung entziehen und darauf hoffen, daß die aufgebrachten Vertreter der Provinz, die gekommen waren, um ihn zur Rechenschaft ziehen zu lassen, bis dahin wohl autgegeben haben und wieder nach Hause gereist sein würden. Damit muß es ein Ende haben! polterte Cicero im Senat und vor der Volksversammlung. Und deshalb beantragten er und sein Zweiter Konsul Hybrida, es jedem zurückkehrenden Prätorstatthalter zu untersagen, in absentia für das Amt des Konsuls zu kandidieren. Sollten sie doch nach Rom zurückkehren und das Risiko einer Strafverfolgung eingehen! Und weil der Senat und das Volk es für eine gute Idee hielten, wurde ein Gesetz daraus.

Was konnte er sonst noch tun? Cicero dachte an dieses und jenes, an lauter nützliche kleine Gesetze, die seinem Ruf zustatten kämen. Aber leider reichte das nicht aus, seine Reputation zu erhöhen. Eine Reputation als großer Konsul, nicht als juristische Koryphäe. Was Cicero brauchte, war eine Krise, aber keine ökonomische.

Daß ihm die zweite Hälfte seiner Amtszeit die ersehnte Krise bringen würde, hatte Cicero noch nicht einmal begriffen, als das Los ihm den Vorsitz über die Wahlen brachte, die im Monat Quinctilis stattfinden sollten. Und zunächst begriff er auch nicht, welche Auswirkungen es haben würde, daß seine Frau kurz vor den Wahlen ungebeten in seine Intimsphäre eindrang.

Terentia war mit dem üblichen Mangel an Zurückhaltung in sein Arbeitszimmer getrampelt, ohne einen Funken Ehrfurcht davor, daß seine Denkprozesse ihm heilig waren.

»Cicero, hör sofort auf mit dem, was du da tust!« bellte sie ihn an.

Unverzüglich ließ er die Feder sinken, hob den Blick und war vorsichtig genug, sich seinen Kummer über die Störung nicht anmerken zu lassen. »Ja, meine Liebe, was gibt’s?« fragte er und lächelte milde.

Mit grimmigem Blick ließ sie sich in den Klientensessel fallen. Aber da sie immer grimmig blickte, hatte er nicht die geringste Ahnung, welches diesmal der Anlaß für ihre Verbitterung sein könnte; er hoffte inständig, daß es nichts war, was er angestellt hatte.

»Ich hatte heute morgen Besuch«, sagte sie.

Es lag ihm auf der Zunge, sie zu fragen, ob der Besuch ihr die Laune verdorben hatte, doch er zog es vor, sein normalerweise so ungebärdiges Organ zu zügeln; wenn ihn auch sonst niemand zum Schweigen zu bringen vermochte, Terentia konnte es. Also setzte er eine interessierte Miene auf und wartete ab.

»Besuch«, wiederholte sie und schnaubte. »Niemand aus meinen Kreisen, das kann ich dir versichern, Mann! Es war Fulvia.«

»Publius Clodius’ Frau?« fragte er erstaunt.

»Nein, nein! Fulvia Nobilioris.«

Diese Aufklärung vermochte sein Erstaunen nicht zu mindern, denn die Fulvia, die sie meinte, war eine außerordentlich zwielichtige Person. Aus hervorragender Familie, aber in Schande geschieden, ohne jedes Einkommen und neuerdings liiert mit jenem Quintus Curius, der während der berühmten Säuberung, die Poplicola und Lentulus Clodianus vor sieben Jahren durchgeführt hatten, aus dem Senat ausgeschlossen worden war. Ein höchst ungewöhnlicher Besuch für eine Frau wie Terentia. Terentia war für ihre Rechtschaffenheit ebenso bekannt wie für ihren Griesgram.

»Du liebe Güte! Was hat sie denn von dir gewollt?«

»Ich fand sie eigentlich ganz sympathisch«, sagte Terentia nachdenklich. »Sie ist ein unglückseliges Opfer der Männer geworden, wenn du mich fragst.«

Was sollte er nun darauf erwidern? Cicero entschied sich für ein Räuspern.

»Sie ist zuerst zu mir gekommen, weil es sich so gehört, wenn eine Frau mit einem so prominenten Mann wie dir reden will.«

Und mit einem Mann, der mit dir verheiratet ist, fügte Cicero in Gedanken hinzu.

»Natürlich wirst du selber mit ihr reden wollen, aber laß mich dir erzählen, was ich von ihr erfahren habe«, sagte die Frau, die Cicero mit ihrem Blick in Stein verwandeln konnte. »Anscheinend hat sich ihr... ihr Beschützer, dieser Curius, in letzter Zeit ziemlich sonderbar benommen. Seit seinem Ausschluß aus dem Senat stand es um seine Finanzen so schlecht, daß er nicht einmal als Volkstribun kandidieren konnte, um ins öffentliche Leben zurückzukehren. Und plötzlich führt er große Reden und behauptet, er würde bald zu einer Menge Geld und einem hohen Posten kommen. Und das«, fügte Terentia mit düsterer Stimme hinzu, »scheint er nur zu tun, weil er davon überzeugt ist, daß Catilina und Lucius Cassius nächstes Jahr Konsuln sein werden.«

»Daher weht also bei Catilina der Wind. Ein gemeinsames Konsulat mit einem fetten und arbeitsscheuen Dummkopf wie Lucius Cassius«, empörte sich Cicero.

»Wenn du morgen das Wahltribunal eröffnest, werden die beiden ihre Kandidatur bekanntgeben.«

»Alles schön und gut, mein Schatz, aber ich sehe nicht, wie ein gemeinsames Konsulat von Catilina und Lucius Cassius einen Mann wie Curius zu Reichtum und Ehren verhelfen könnte.«

»Curius redet von einem allgemeinen Schuldenerlaß.«

Ciceros Kinn klappte nach unten. »Die werden doch nicht so töricht sein!«

»Warum nicht?« fragte Terentia; sie betrachtete die Sache mit kühlem Kopf. »Denk doch einmal nach, Cicero! Catilina weiß ganz genau, daß dieses Jahr seine letzte Chance ist. Und es könnte eine ziemlich heiße Schlacht werden, wenn tatsächlich alle Kandidaten antreten. Silanus geht es erheblich besser; die liebe Servilia sagt, daß er auf jeden Fall kandidiert. Murena hat viele einflußreiche Leute im Hintergrund, außerdem nutzt er seine Verbindung zur Vestalin Licinia bis zum äußersten. Das weiß ich von Fabia. Dann ist da noch dein Freund Servius Sulpicius Rufus, der von den Achtzehn und den tribuni aerarii bevorzugt wird; das heißt, daß er in der ersten Klasse eine Menge Stimmen sammeln wird.

Was sollte Catilina mit einem Partner wie Lucius Cassius gegen solch eine verläßliche Riege wie Silanus, Murena und Sulpicius schon ausrichten können? Nur einer der Konsuln darf Patrizier sein, die Stimmen werden also zwischen Catilina und Sulpicius aufgeteilt. Wenn ich eine Stimme hätte, ich würde Sulpicius wählen.«

Cicero vergaß die Angst vor seiner Frau und redete mit ihr wie mit einem seiner Kollegen auf dem Forum: »Catilina baut also auf einen allgemeinen Schuldenerlaß? Das willst du damit sagen?«

»Nein, das sagt Fulvia.«

»Ich muß sofort mit ihr sprechen!« rief er und sprang auf.

»Überlaß das mir, ich werde sie holen lassen«, sagte Terentia.

Das bedeutete nichts anderes, als daß sie ihm nicht erlauben würde, unter vier Augen mit Fulvia zu reden; Terentia hatte die Absicht, dabeizusein und jedes Wort mitzuhören.

Leider erzählte Fulvia Nobilioris ihm nicht viel mehr, als er bereits von Terentia wußte; nur daß sie ihre Geschichte sehr emotional und zerfahren vortrug. Curius steckte bis zu beiden Ohren in Schulden, verspielte viel Geld und trank; er war ständig mit Catilina, Lucius Cassius und ihren Kumpanen zusammen, und eines Tages war er von einem dieser Treffen zurückgekehrt und hatte seiner Geliebten die großartigsten Versprechungen von zukünftigem Wohlstand gemacht.

»Warum erzählst du mir das alles, Fulvia?« fragte Cicero, nicht weniger ratlos, als sie es zu sein schien, denn er verstand nicht, wovor sie soviel Angst hatte. Ein allgemeiner Schuldenerlaß war eine schlechte Nachricht, aber. ..

»Du bist Erster Konsul!« sagte sie in weinerlichem Ton und schlug sich gegen die Brust. »Irgend jemandem mußte ich es doch erzählen.«

»Leider hast du mir nicht den geringsten Beweis dafür geliefert, daß Catilina tatsächlich einen allgemeinen Schuldenerlaß plant. Ich bräuchte eine Streitschrift, einen verläßlichen Zeugen! Du hast mir nur eine Geschichte erzählt, und ich kann schlecht zum Senat gehen, wenn ich nicht mehr in der Hand habe als die Geschichte einer Frau.« »Aber es ist doch ein Unrecht, oder nicht?« fragte sie und wischte sich die Augen trocken.

»Ja, ein großes Unrecht, und es war richtig, daß du zu mir gekommen bist. Aber ich brauche Beweise.«

»Ich könnte dir ein paar Namen nennen.«

»Dann nenne sie mir.«

»Zwei Männer, die unter Sulla Zenturios waren — Gaius Manlius und Publius Furius. Sie besitzen Ländereien in Etruria. Und sie erzählen dort allen Leuten, die zu den Wahlen nach Rom kommen wollen, daß es keine Schulden mehr gibt, wenn Catilina und Cassius Konsuln werden.«

»Und wie, bitte schön, soll ich zwei ehemalige Zenturios aus Sullas Legionen mit Catilina und Cassius in Verbindung bringen?«

»Woher soll ich das wissen?«

Cicero seufzte und erhob sich. »Nun, Fulvia, ich danke dir herzlich, daß du zu mir gekommen bist«, sagte er. »Versuche du nur weiter herauszufinden, was da vor sich geht, und wenn du einen wirklichen Beweis dafür findest, daß der Gestank der Fischmärkte bis hinüber zum Marsfeld dringt, dann sag mir Bescheid.« Er lächelte ihr zu. »Arbeite weiter mit meiner Frau zusammen, sie wird mich auf dem laufenden halten.«

Während Terentia die Besucherin aus dem Zimmer schob, setzte sich Cicero hin, um in Ruhe nachzudenken. Doch dieses Glück war ihm nicht lange vergönnt. Nur wenige Augenblicke später kam Terentia hereingestürzt.

»Also, was hältst du davon?« fragte sie ihn.

»Wenn ich das nur wüßte, meine Liebe.«

»Nun«, sagte sie und beugte sich beflissen vor, denn es gab nichts Schöneres für sie, als ihrem Gatten politische Ratschläge zu erteilen, »dann werde ich dir jetzt sagen, was ich davon halte! Catilina will eine Revolution anzetteln!«

Cicero sperrte Mund und Nase auf. »Eine Revolution?« krächzte er.

»Jawohl, eine Revolution.«

»Terentia, es ist ein weiter Weg von einem allgemeinen Schuldenerlaß als Wahlversprechen bis zu einer Revolution!« widersprach er.

»Nein, Cicero, das ist kein weiter Weg. Wie könnten legitim gewählte Konsuln auf eine revolutionäre Maßnahme wie einen allgemeinen Schuldenerlaß kommen? So sehen die Strategien von Leuten aus, die den Staat umstürzen wollen. Erinnere dich: Saturnius, Sertorius. Es riecht nach Diktatur, nach Zucht und Ordnung. Wie könnte ein legal gewählter Konsul daran glauben, mit solch einem Gesetz durchzukommen? Selbst wenn sie es in ihren Tribus vor das Volk bringen würden, es würde sich bestimmt ein Tribun finden, der sein Veto in contione dagegen einlegt. Und meinst du nicht, daß diejenigen, die für einen allgemeinen Schuldenerlaß sind, das nicht ganz genau wissen? Und ob sie es wissen! Jeder, der für einen Konsul mit solchen politischen Vorstellungen stimmt, trägt die Farbe der Revolution.«

»Und die«, sagte Cicero deprimiert, »ist rot. Die Farbe des Blutes. Ach, Terentia, nicht während meines Konsulats!«

»Du mußt Catilinas Kandidatur verhindern.«

»Das kann ich nicht, ohne einen Beweis in den Händen.«

»Dann müssen wir eben einen Beweis finden.« Sie stand auf und ging zur Tür. »Wer weiß? Vielleicht bringen Fulvia und ich Quintus Curius gemeinsam dazu, als Zeuge auszusagen.«

»Welch große Hilfe«, bemerkte Cicero trocken.

Der Zweifel war gesät — Catilina plante eine Revolution, natürlich plante er eine Revolution. Und obwohl die Ereignisse der nächsten Monate das alles zu bestätigen schienen, sollte Cicero niemals mit Sicherheit erfahren, ob Lucius Sergius Catilina den Plan, eine Revolution anzuzetteln, bereits vor oder erst nach diesen schicksalhaften Wahlen ausgeheckt hatte.

Nachdem der Zweifel gesät war, machte sich der Erste Konsul daran, alle nur möglichen Informationen zutage zu fördern. Er schickte Gewährsleute nach Etruria und an den anderen traditionellen Eiterherd umstürzlerischer Bestrebungen: das samnitische Apulia. Und natürlich berichteten sie ihm alle, es gehe in der Tat das Gerücht um, Catilina und Lucius Cassius würden alle Schulden löschen lassen, falls man sie zu Konsuln wählte. Handfestere Beweise für einen Umsturz, Waffenlager oder die heimliche Anwerbung von Truppen, ließen sich nicht herbeischaffen. Doch Cicero reichte es für einen Versuch.

Die kurulischen Wahlen der Konsuln und Prätoren sollten am zehnten Tag des Quinctilis abgehalten werden; am neunten Tag vertagte Cicero sie kurzfristig auf den elften und rief den Senat für den zehnten zu einer Sondersitzung zusammen.

Die Beteiligung der Senatoren ließ natürlich nichts zu wünschen übrig; die Neugier lockte alle, die nicht krank oder gerade fern von Rom waren, so früh herbei, daß sie mit eigenen Augen sehen konnten, wie der vielbewunderte Cato tatsächlich vor der Sitzung auf seinem Platz saß, ein Bündel Schriftrollen zu seinen Füßen und eine ausgerollt zwischen den Händen, in der er langsam und aufmerksam las.

»Versammelte Väter«, ergriff der Erste Konsul das Wort, nachdem die Rituale abgehalten und alle anderen Formalitäten erledigt waren, »ich habe euch hier in der saepta zusammengerufen, damit ihr mir dabei helft, ein Geheimnis zu enträtseln. Ich bitte diejenigen unter euch um Verzeihung, denen ich damit Ungelegenheiten bereite, und kann nur hoffen, daß das Resultat der heutigen Sitzung die morgigen Wahlen ermöglicht.«

Sie waren begierig auf eine Erklärung, das war deutlich zu spüren, aber diesmal war Cicero nicht in der Stimmung, sein Publikum zu unterhalten. Er hoffte, Licht in die Angelegenheit bringen und Catilina und Lucius Cassius klarmachen zu können, daß man ihre Absichten durchschaut hatte und ihr Plan damit zum Scheitern verurteilt war. Nicht einen Moment lang kam es ihm in den Sinn, daß hinter Terentias Vision von einer Revolution mehr stecken könnte als eitles Geschwätz bei ein paar Bechern Wein, trunkenes Gerede über ökonomische Maßnahmen, die eben eher mit Revolutionen als mit gesetzestreuen Konsuln in Verbindung gebracht wurden. Nach Marius, Cinna, Carbo, Sulla, Sertorius und Lepidus mußte doch sogar ein Catilina begriffen haben, daß die Republik sich nicht so einfach umstürzen ließ. Er war ein ehrloser Mann, das wußte jeder, aber vor seiner Kandidatur zum Konsul hatte er kein Staatsamt innegehabt; man hatte ihm weder Befehlsgewalt noch eine Armee übertragen, und er besaß nicht annähernd so viele Klienten in Etruria wie Marius oder Lepidus. Man mußte Catilina nur ein bißchen angst machen, dann würde er schon wieder kuschen.

Keiner, dachte der Erste Konsul, während er den Blick über die Reihen auf beiden Seiten des Hauses schweifen ließ, keiner hatte auch nur eine Ahnung davon, was in der Luft lag. Crassus saß gelangweilt da, Catulus sah recht alt aus und sein Schwager Hortensius ein wenig müde, Catos Nackenhaare standen hoch wie bei einem wütenden Köter, Caesar vergewisserte sich eben mit einem Betasten seines Kopfes, daß sein zweifellos schütterer werdendes Haar sein Haupt noch ausreichend bedeckte, Murena blickte angesichts der Verschiebung der Wahl zornig drein, und Silanus wirkte nicht annähernd so gesund, wie seine Wahlhelfer behauptet hatten. Und endlich hatte auch der große Triumphator Lucius Licinius Lucullus seinen Platz unter den Konsularen wieder eingenommen. Cicero, Catulus und Hortensius hatten ihre gesamte Redekunst eingesetzt und den Senat dazu gebracht, ihm seinen Triumphzug zu gewähren. Endlich durfte der wahre Eroberer des Ostens das pomerium überqueren und seinen rechtmäßigen Platz in Senat und Komitien wieder einnehmen.

»Lucius Sergius Catilina«, rief Cicero vom kurulischen Podium herunter, »ich wäre dir dankbar, wenn du dich erheben wollest.«

Zuerst hatte Cicero vorgehabt, auch Lucius Cassius zu beschuldigen, aber nach sorgfältiger Überlegung hatte er beschlossen, sich ganz auf Catilina zu konzentrieren. Und der stand nun da wie die arglose Verwunderung in Person. Was für ein gutaussehender Mann! Hochgewachsen und gut gebaut, jeder Zentimeter ein patrizischer Aristokrat. Wie Cicero sie verachtete, diese Catilinas und Caesars! Was war mit seiner durchaus respektablen Herkunft? Warum behandelten sie ihn wie einen üblen Auswuchs am römischen Volkskörper?

»Ich stehe vor dir, Marcus Tullius Cicero«, sagte Catilina mit ruhiger Stimme.

»Lucius Sergius Catilina, kennst du zwei Männer namens Gaius Manlius und Publius Furius?«

»Ich habe zwei Klienten mit diesen Namen.«

»Weißt du, wo sie sich zur Zeit aufhalten?«

»In Rom, will ich hoffen! Eigentlich sollten sie jetzt auf dem Marsfeld sein, um für mich zu stimmen. Statt dessen werden sie wohl in irgendeiner Taverne hocken.«

»Und wo haben sie sich in letzter Zeit aufgehalten?«

Catilina hob die schwarzen Augenbrauen. »Marcus Tullius, meine Klienten sind mir keineswegs über jeden ihrer Schritte Rechenschaft schuldig. Ich weiß, daß du kein bedeutender Mann bist, aber hast du so wenige Klienten, daß du nicht einmal weißt, nach welchen Regularien eine Patron-Klienten-Beziehung abzulaufen hat?«

Cicero wurde rot im Gesicht. »Überrascht es dich zu erfahren, daß Manlius und Furius kürzlich in Faesulae, Volaterrae, Clusium, Saturnia, Larinum und Venusia gesehen worden sind?«

Catilina zuckte kurz zusammen. »Wie sollte mich das überraschen, Marcus Tullius? Sie haben beide Ländereien in Etruria, und Furius besitzt auch noch welche in Apulia.«

»Dann überraschtes dich auch nicht, daß Manlius und Furius jedem, der eine Stimme bei den Zenturiatswahlen hat, erzählt haben sollen, daß du und dein Kollege Lucius Cassius euch mit der Absicht tragt, einen allgemeinen Schuldenerlaß zum Gesetz zu machen, sowie ihr euer Amt als Konsuln angetreten habt?«

Damit rief er ein verwundertes Lachen hervor. Als Catilina sich beruhigt hatte, starrte er Cicero an, als sei dieser plötzlich verrückt geworden. »Das überrascht mich in der Tat!« sagte er.

Erste Unruhe war bereits entstanden, als Cicero diesen furchtbaren Ausdruck »allgemeiner Schuldenerlaß« gebraucht hatte, und jetzt breitete sich im Haus vernehmliches Gemurmel aus. Natürlich gab es einige unter den Anwesenden, denen eine solch radikale Maßnahme durchaus genehm gewesen wäre, gerade jetzt, wo die Geldverleiher auf Rückzahlung der Darlehen drängten — auch Caesar, der neue Pontifex Maximus zählte dazu. Aber die meisten waren sich darüber im klaren, was für horrende wirtschaftliche Auswirkungen ein allgemeiner Schuldenerlaß nach sich ziehen würde. Trotz ihrer Schwierigkeiten, einen konstanten Kapitalfluß zu erzeugen, waren die Mitglieder des Senats im Herzen konservative Männer, mit denen radikale Neuerungen nicht einzuführen waren, auch nicht, was die Struktur des Geldes betraf. Und jedem schuldengeplagten Senator standen mindestens drei andere gegenüber, die bei einem allgemeinen Schuldenerlaß wesentlich mehr verloren als gewonnen hätten: Männer wie Crassus, Lucullus und der abwesende Pompeius Magnus. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, daß sowohl Caesar als auch Crassus sich jetzt in die Brust warfen wie Hunde an der Kette.

»Ich habe in Etruria und Apulia gründliche Ermittlungen anstellen lassen, Lucius Sergius Catilina«, sagte Cicero, »und ich muß leider sagen, daß die Gerüchte sich bestätigt haben. Ich glaube, daß ihr tatsächlich die Schulden löschen wollt.«

Catilinas Antwort war ein nicht enden wollendes Lachen. Tränen liefen ihm übers Gesicht, er hielt sich die Seiten und schien tapfer bemüht, seine Heiterkeit unter Kontrolle zu bekommen; aber es wollte ihm nicht gelingen. Lucius Cassius, der nicht weit von ihm entfernt saß, zog indigniertes Erröten als Reaktion vor.

»Unsinn!« rief Catilina, als er dazu in der Lage war, und wischte sich mit einem Zipfel seiner Toga übers Gesicht, weil er in der Aufregung das Taschentuch nicht finden konnte. »Das ist Unsinn, barer Unsinn!«

»Würdest du das auf deinen Eid nehmen?« fragte Cicero.

»Nein, ich denke nicht daran!« schnauzte Catilina und richtete sich kerzengerade auf. »Ich, ein patrizischer Sergius, sollte mich mit einem Eid gegen das haltlose und boshafte Geschwätz eines Einwanderers aus Arpinum wehren müssen? Für wen hältst du dich, Cicero?«

»Ich bin Erster Konsul des Senats und Volkes von Rom«, erwiderte Cicero mit gequälter Würde. »Falls du es vergessen haben solltest, ich bin der Mann, der dich bei den letzten kurulischen Wahlen besiegt hat! Und als Erster Konsul bin ich der Kopf dieses Staates.«

Nach einem weiteren Lachanfall: »Man sagt, Rom habe zwei Körper, Cicero! Der eine der beiden sei schwach und krank im Kopf, der andere sei stark und habe gar keinen Kopf. Auf welchem dieser beiden Körper bist du der Kopf, o Cicero?«

»Nicht auf dem kranken, Licinius, da kannst du beruhigt sein! Ich bin in diesem Jahr der Vater und Behüter Roms, und ich beabsichtige, meine Pflicht zu tun, auch in einer solch grotesken Situation. Du hast also nicht vor, alle Schulden zu löschen?«

»Absolut nicht!«

»Aber du willst das nicht auf deinen Eid nehmen.«

»Ganz bestimmt nicht.« Catilina holte tief Luft. »Nein, das werde ich nicht tun! Trotzdem, o Kopf dieses Staates, angesichts deines verabscheuungswürdigen Verhaltens und deiner haltlosen Beschuldigungen könnte so mancher Mann zu der Überzeugung gelangen, daß Rom, falls es denn einen Kopf für seinen starken Körper sucht, nicht schlecht dabei fahren würde, wenn es meinen nähme! Meiner ist wenigstens ein römischer! Meiner hat wenigstens Vorfahren! Du willst mich vernichten, Cicero; du willst mir alle Chancen bei einer Wahl nehmen, die bis gestern noch eine gerechte und saubere Angelegenheit war. Jetzt stehe ich diffamiert da — als vollkommen unschuldiges Opfer eines anmaßenden Emporkömmlings aus den Bergen, eines Mannes, der weder ein Römer noch von Adel ist!«

Es kostete Cicero ungeheure Anstrengung, diese Verhöhnung unbeantwortet zu lassen, aber er blieb ruhig. Er mußte gelassen bleiben, sonst würde er diese Machtprobe verlieren. In diesem Moment hatte er verstanden, daß Fulvia Nobilioris die Wahrheit gesagt und daß Terentia recht gehabt hatte. Er konnte darüber lachen oder darüber weinen, aber Lucius Sergius Catilina plante tatsächlich einen Umsturz. Einem Advokaten, der schon so manchem Halunken ins Auge gesehen (und ihn verteidigt) hatte, konnte man nichts vormachen; jemand, der sich in Trotz und Aggressivität flüchtete, der verletzten Stolz als geeignete Verteidigung erachtete, verriet sich durch sein Gesicht und seine Körpersprache. Catilina war schuldig, das wußte Cicero.

Aber wußte es auch der Rest des Hauses?

»Darf ich um ein paar Kommentare bitten, versammelte Väter?«

»Nein, darfst du nicht!« rief Catilina, sprang von seinem Platz auf, stand mitten auf dem schwarzweißen Schachbrettmuster des Fußbodens und schüttelte wütend die Faust gegen Cicero. Dann schritt er zu den großen Türen des Hauses, wandte sich dort um und stellte sich vor den Reihen der erregten Senatoren in Positur.

»Lucius Sergius Catilina, du verletzt die Geschäftsordnung dieser Körperschaft!« schrie Cicero. Er spürte, daß ihm die Kontrolle über die Versammlung zu entgleiten drohte. »Geh zurück an deinen Platz!«

»Ich denke nicht daran! Und ich werde nicht einen Moment länger hierbleiben, um mir die Unverschämtheiten dieses Emporkömmlings ohne Vorfahren anzuhören, der mich des Hochverrats bezichtigt, wenn ich das richtig deute! Und ferner, Senatoren, setze ich euch davon in Kenntnis, daß ich morgen früh nach Sonnenaufgang vor die Schranken treten werde, um mich als euer Konsul zur Wahl zu stellen! Ich hoffe inständig, daß ihr diesen kranken Kopf des Staates zur Vernunft bringt, damit er morgen seiner Pflicht nachkommt und die Wahlen abhalten läßt! Und ich warne dich, Marcus Tullius Cicero, sollte die saepta morgen leer sein, dann kommst du besser gleich mit deinen Liktoren, um mich zu verhaften und des perduellio anzuklagen! Maiestas wird nicht ganz ausreichen für einen Mann, dessen Vorväter einst zu den hundert Beratern von König Tullus Hostilius gezählt haben!«

Catilina wandte sich zu den Türen um, riß sie auf und verschwand.

»Nun, Marcus Tullius Cicero, was beabsichtigst du zu tun?« fragte Caesar, lehnte sich zurück und gähnte. »Er hat recht. Du kannst es drehen und wenden, wie du willst, du hast ihn beschuldigt.«

Cicero verschwamm alles vor den Augen. Er suchte nach einem Gesicht, dessen Besitzer auf seiner Seite war, und der ihm glaubte. Catulus? Nein. Hortensius? Nein. Cato? Nein. Lucullus oder Poplicola. Nein.

Er richtete sich auf, stand kerzengerade da. »Ich verlange eine Abstimmung«, sagte er mit fester Stimme. »Alle, die dafür sind, daß die kurulischen Wahlen morgen stattfinden und daß es Lucius Sergius Catilina erlaubt werden soll, sich den Wählern zu stellen, mögen sich bitte zu meiner Linken aufstellen. Alle, die dafür sind, die kurulischen Wahlen noch einmal zu vertagen und eine genaue Untersuchung von Lucius Sergius Catilinas Kandidatur durchzuführen, mögen sich zu meiner Rechten aufstellen.«

Es war ein aussichtsloses Unterfangen, trotz Ciceros List, alle, die mit ihm einer Meinung waren, zu seiner Rechten zu versammeln. Keiner der Senatoren ging leichten Herzens nach links hinüber. Aber dieses eine Mal siegte die Besonnenheit über das Mißtrauen. Das gesamte Haus versammelte sich links und genehmigte damit die Wahlen am nächsten Tag. Lucius Sergius Catilina durfte für das Amt des Konsuls kandidieren.

Cicero löste die Sitzung auf. Er wollte schnell nach Hause, denn er fürchtete, er könne in aller Öffentlichkeit in Tränen ausbrechen.

Der Stolz verbot es Cicero, sich seiner Pflicht zu entziehen. Mit einem Brustharnisch unter der Toga führte er den Vorsitz über die Wahlen, nachdem er mehrere hundert junge Männer dazu abkommandiert hatte, sich möglichst auffällig in der Nähe der saepta aufzuhalten, um jeden Aufstand im Keim zu ersticken. Zu ihnen gehörte auch Publius Clodius, dessen Haß auf Catilina bei weitem stärker war als der leichte Unmut, der Cicero in ihm hervorrief. Und wo Clodius war, da waren auch Poplicola, Curio, Decimus Brutus und Marcus Antonius — alles Mitglieder des inzwischen florierenden Clodius-Clubs.

Und was die Senatoren nicht glauben wollten, das — so stellte Cicero erleichtert fest — schien der gesamte Ordo Equester durchaus zu glauben. Für einen Ritter, der Geschäfte tätigte, gab es nichts Abschreckenderes als das Gespenst eines allgemeinen Schuldenerlasses. Die Zenturien stimmten eine nach der anderen dafür, daß Decimus Junius Silanus und Lucius Licinius Murena im folgenden Jahr Konsuln würden. Catilina blieb noch hinter Servius Sulpicius zurück, wenn er auch mehr Stimmen bekam als Lucius Cassius.

»Du verfluchter Verleumder!« fauchte einer der diesjährigen Prätoren, der Patrizier Lentulus Sura, als die Zenturien sich nach einem langen Wahltag auflösten, an dem zwei Konsuln und acht Prätoren gewählt worden waren.

»Wie bitte?« fragte Cicero verdutzt. Ihn drückte das Gewicht des schweren Harnischs, den er angelegt hatte. Für sein Leben gern hätte er seine Taille entlastet, die für solche Rüstungen einfach zu füllig geworden war.

»Du hast mich schon verstanden! Es ist deine Schuld, daß Catilina und Cassius es nicht geschafft haben, du verfluchter Verleumder! Ganz bewußt hast du ihm mit deinen wilden Gerüchten die Wähler gestohlen! Sehr klug war das! Warum sich die Mühe machen, sie anzuklagen und ihnen damit die Chance zur Verteidigung zu geben? Du hast in deinem politischen Arsenal die perfekte Waffe gefunden, was? Die unwiderlegbare Beschuldigung! Schmierig, schmutzig und widerwärtig ist das! Catilina hatte ganz recht — du bist ein dreister Emporkömmling! Höchste Zeit, daß man Bauernlümmel wie dich dahin zurückschickt, wo sie hergekommen sind!«

Cicero stand fassungslos da, während Lentulus Sura davonschritt. Ihm traten die Tränen in die Augen. Er hatte doch recht, was Catilina betraf. Er hatte absolut recht! Catilina wollte Rom und die Republik zerstören!

»Wenn’s dir ein Trost ist, Cicero«, sagte eine ruhige Stimme hinter ihm, »ich werde während der kommenden Monate meine Augen offenhalten. Je mehr ich drüber nachdenke, desto mehr stimme ich dir zu. Du könntest recht behalten mit Catilina und Cassius. Sie sind höchst unzufrieden mit diesem Tag!«

Als er sich umdrehte, stand Crassus vor ihm. Jetzt riß ihm endgültig der Geduldsfaden. »Du?« brüllte er voller Abscheu. »Du bist doch dafür verantwortlich! Du hast Catilina bei seinem letzten Prozeß herausgepaukt! Hast die Geschworenen bestochen und ihm zu verstehen gegeben, daß es Männer in Rom gibt, die ihn liebend gern als Diktator sehen würden!«

»Ich habe die Geschworenen nicht bestochen«, sagte Crassus und schien nicht einmal beleidigt zu sein.

»Pah!« fauchte Cicero und stürmte davon.

»Was wollte er damit sagen?« erkundigte sich Crassus bei Caesar.

»Ach, er glaubt, es mit einer Staatskrise zu tun zu haben, und kann nicht verstehen, warum niemand im Senat seiner Auffassung ist.«

»Aber ich habe ihm doch gerade gesagt, daß ich seine Auffassung teile!«

»Laß nur, Marcus. Komm lieber mit und hilf mir, meinen Wahlsieg im Domus Publica zu feiern. Eine Adresse nach meinem Geschmack! Was Cicero betrifft — der arme Kerl wollte unbedingt im Zentrum einer Sensation stehen, und jetzt, wo er meint, eine gefunden zu haben, interessiert sich kein Mensch dafür. Dabei würde er so gern die Republik retten«, sagte Caesar und lächelte.

»Aber ich werde nicht aufgeben!« schrie Cicero seiner Frau ins Gesicht. »Ich bin noch nicht besiegt! Terentia, du mußt in enger Verbindung mit Fulvia bleiben. Du darfst nicht lockerlassen. Und wenn sie an Türen lauschen muß, sie soll alles herausfinden — mit wem Curius sich trifft, wohin er geht, was er treibt. Und sollte da tatsächlich eine Revolution ausgebrütet werden, dann muß sie Curius davon überzeugen, daß es für ihn das beste ist, wenn er mit mir zusammenarbeitet.«

»Verlaß dich auf mich«, sagte sie mit entschlossener Miene. »Der Senat wird den Tag noch verfluchen, an dem er sich auf Catilinas Seite geschlagen hat. Ich habe Fulvia gesehen, und ich kenne dich, Marcus. In mancher Hinsicht bist du ein Dummkopf, aber für Halunken hast du eine feine Nase.«

»Was soll das heißen, ich bin ein Dummkopf?« fragte er beleidigt.

»Zum einen schreibst du unsinnige Gedichte. Dann versuchst du dich als Kunstexperte aufzuspielen. Und schließlich gibst du ein Vermögen für Landhäuser aus, die du gar nicht alle bewohnen könntest, auch wenn du ständig unterwegs wärst. Und es ist schrecklich, wie du Tullia verwöhnst. Und wie du vor Leuten wie Pompeius Magnus kriechst.«

»Es reicht!«

Sie hielt inne und blickte ihn aus Augen an, in denen er niemals auch nur ein Fünkchen Liebe entdecken konnte. Das war schade, denn eigentlich liebte sie ihn sehr. Aber sie kannte eben alle seine Schwächen — und hatte selbst keine. Selbst wenn sie nicht den Ehrgeiz hatte, so zu werden wie Cornelia, die Mutter der Gracchen — sie besaß alle Tugenden dieser römischen Urmutter, und deshalb war es für einen Mann wie Cicero auch so schwer, mit ihr zusammenzuleben. Sie war sparsam, fleißig, besonnen, dickköpfig, kompromißlos, offenherzig, hatte vor niemandem Angst und war davon überzeugt, es geistig mit jedem Mann aufnehmen zu können. So war Terentia, und mit Narren hatte sie nicht viel Geduld, nicht einmal, wenn es sich dabei um ihren Mann handelte. Sie konnte seine Unsicherheit und seinen Minderwertigkeitskomplex nicht verstehen, denn sie war von makelloser, durch und durch römischer Abstammung. Terentia war der Meinung, daß es das beste für ihn wäre, sich — gelassen und im Schlepptau ihrer wallenden Röcke — das Herz der römischen Gesellschaft zu erobern; statt dessen ließ er sie in der Anonymität ihres Haushalts verkümmern und versuchte aufgeregt und auf tausenderlei Arten, sich einen Adel zu erwerben, auf den er keinen Anspruch hatte.

»Du solltest Quintus herüberbitten«, sagte sie. Aber Cicero und sein jüngerer Bruder hatten mindestens ebenso unvereinbare Charaktere wie Cicero und Terentia, also schüttelte der Erste Konsul abschätzig den Kopf. »Quintus ist nicht besser als die anderen; er meint, daß ich aus einer Mücke einen Elefanten mache. Aber morgen treffe ich Atticus. Er glaubt mir. Leider ist er auch nur ein Ritter, wenngleich mit einem Funken Menschenverstand.« Er dachte einen Moment lang nach. »Lentulus Sura war heute in der saepta sehr grob zu mir, und ich verstehe nicht, warum. Ich weiß, daß viele Senatoren mir vorwerfen, ich hätte Catilina seiner Chancen beraubt, aber Lentulus Suras Reaktion war äußerst sonderbar. Es schien ihm — gar zu viel auszumachen.«

»Er und seine Julia Antonia und diese gräßlichen Lumpen von Schwiegersöhnen!« schimpfte Terentia. »Eine charakterlosere Bande muß man lange suchen. Ich könnte nicht einmal sagen, auf wen ich die größte Wut habe — auf Lentulus, Julia Antonia oder ihre grauenhaften Söhne.«

»Lentulus Sura hat sich gut gemacht, wenn man bedenkt, daß die Zensoren ihn vor sieben Jahren hinausgeworfen haben«, wandte Cicero ein. »Über das Amt des Quästors ist er in den Senat zurückgekehrt und hat ganz von vorn angefangen. Vor seinem Ausschluß war er immerhin schon einmal Konsul, Terentia. Es muß ein schrecklicher Abstieg sein, in diesem Alter noch einmal als Prätor anfangen zu müssen.«

»Er ist ein Schwächling, genau wie seine Frau«, meinte Terentia mitleidlos.

»Wie auch immer — heute benahm er sich sehr sonderbar. Morgen werde ich erfahren, was Atticus weiß, und das wird nicht uninteressant sein«, sagte Cicero und gähnte, bis ihm die Augen tränten. »Ich bin müde, meine Liebe. Schickst du mir bitte unseren Tiro herein? Ich will ihm etwas diktieren.«

»Du mußt ja schrecklich müde sein. Es sieht dir gar nicht ähnlich, daß du jemand anderen schreiben läßt. Ich schicke dir Tiro herein, aber nur für ein paar Minuten. Du brauchst Schlaf.«

Als sie sich von ihrem Stuhl erhob, streckte Cicero ihr spontan seine Hand hin und lächelte. »Ich danke dir, Terentia, für alles! Was wäre ich ohne dich an meiner Seite?«

Sie ergriff die ausgestreckte Hand, drückte sie fest und erwiderte sein Lächeln beinahe schüchtern: »Das tue ich doch gern, Mann«, sagte sie und lief schnell aus dem Zimmer, bevor ihre Gefühle sie überwältigen konnten.

Wäre Cicero gefragt worden, ob er seine Frau oder seinen Bruder liebe, er hätte ohne zu zögern mit »ja« geantwortet, und die Antwort wäre auch nicht ganz falsch gewesen. Aber es gab einige Menschen, die seinem Herzen noch näher lagen, und nur mit einem von ihnen war er blutsverwandt: Und das war seine Tochter Tullia, ein gemütvolles, sprühendes Gegenstück zu ihrer Mutter.

Sein Sohn war noch zu jung, um sein Herz erwärmen zu können, und vielleicht würde der kleine Marcus es nie schaffen, denn vom Charakter her glich er eher seinem Onkel Quintus; er war impulsiv, aufbrausend, prahlerisch und dabei alles andere als ein Wunderkind.

Und wer waren die anderen?

Tiro wäre Cicero als erster in den Sinn gekommen. Tiro war sein Sklave, doch in Wirklichkeit gehörte er längst zur Familie; das kam des öfteren vor in einer Gesellschaft, in der die Sklaven gar nicht sosehr als minderwertige Wesen angesehen wurden, sondern vielmehr als unglückliche Opfer des römischen Eigentumsrechts. Die römischen Haussklaven lebten in großer, beinahe intimer Nähe zu den freien Mitgliedern der Haushalte; in mancher Hinsicht waren sie Familienmitglieder zweiter Klasse, mit allen Vor- und Nachteilen eines solchen Status. Die unterschiedlichsten Persönlichkeiten waren auf engstem Raum miteinander verbunden, immer wieder kam es zu kleinen Zusammenstößen; Druckmittel gab es auf beiden Seiten, und es mußte schon ein besonders harter Herr sein, der den Druckmitteln von seiten der Sklaven widerstand. Im Haushalt der Tullius’ war Terentia diejenige, vor der ein Sklave sich in acht nehmen mußte, aber Tiro konnte nicht einmal Terentia widerstehen: Im Handumdrehen brachte er den kleinen Marcus zur Ruhe oder überzeugte Tullia davon, daß ihre Mutter im Recht war.

Er war als ganz junger Mann in das Haus der Tullius’ gekommen. Er hatte es vorgezogen, sich als Sklave verkaufen zu lassen, statt in einem armen, finsteren Städtchen zu verkümmern. Ganz unvermeidlich gewann er Ciceros Gunst, denn er war ebenso sensibel und freundlich, wie er als Sekretär tüchtig war — ein Mensch, den man einfach gern haben mußte. Und da Tiro sich außerordentlich rücksichtsvoll und entgegenkommend benahm, konnte nicht einmal der böswilligste unter seinen Mitsklaven ihm unterstellen, er würde sich bei den Herrschaften lieb Kind machen; seine Liebenswürdigkeit übertrug sich auf alle Sklaven des Hauses und sorgte dafür, daß auch sie ihn mochten.

Doch Ciceros Zuneigung zu ihm übertraf die aller anderen. Tiro war nicht nur gut in Griechisch und Latein, er verfügte über einen unglaublichen literarischen Instinkt. Wenn Tiro über einen Satz oder ein bestimmtes Adjektiv die Nase rümpfte, dann dachte sein Herr noch einmal gründlich darüber nach. Tiro beherrschte die Kurzschrift fehlerlos, übertrug sie in saubere, leserliche Handschrift und maßte sich niemals an, eigenmächtig ein Wort zu ersetzen.

Im Jahr von Ciceros Konsulat gehörte dieser vollkommenste aller Hausdiener bereits seit fünf Jahren zur Familie. In Ciceros Testament war er natürlich längst ein freier Mann, aber nach dem normalem Lauf der Dinge würde er noch zehn Jahre Sklave sein, um dann als Freigelassener zu Ciceros Klienten zu gehören. Er bekam jetzt schon einen hohen Lohn, und er war immer der erste, dem eine Erhöhung der stips bewilligt wurde. Und so lief eigentlich alles auf eine einzige Frage hinaus: Was hätte der Haushalt der Tullius’ ohne Tiro machen sollen? Was hätte Cicero ohne ihn machen sollen?

Der zweite auf der Liste war Titus Pomponius Atticus. Diese Freundschaft reichte schon viele Jahre zurück. Sie hatten sich auf dem Forum kennengelernt, als Cicero noch ein junger Wunderknabe war und Atticus für die Übernahme der diversen Geschäfte seines Vaters ausgebildet wurde. Nach dem Tod von Sullas ältestem Sohn (der Ciceros bester Freund gewesen war) nahm Atticus den Platz des jungen Sulla ein, obwohl er vier Jahre älter als Cicero war. Der Familienname Pomponius hatte einen sehr guten Klang, denn die Pomponii waren eigentlich ein Zweig der Caecilii Metelli, und das bedeutete, daß sie aus der besten römischen Gesellschaft stammten. Es bedeutete außerdem, daß eine Karriere im Senat, ja sogar ein Konsulat durchaus möglich gewesen wären, hätte Atticus nur darauf Wert gelegt. Aber Atticus’ Vater war von einem starken Verlangen nach einer Senatskarriere getrieben worden und hatte darunter leiden müssen, daß die Faktionen, von denen Rom in jenen furchtbaren Jahren regiert worden war, ständig gewechselt hatten. Angesichts seiner festen Zugehörigkeit zu den Achtzehn — den achtzehn wichtigsten Zenturien der ersten Klasse — hatte Atticus auf einen Platz im Senat und auf öffentliche Ämter verzichtet. Sein Bestreben war es dagegen, soviel Geld wie möglich zu verdienen und als einer der größten Plutokraten Roms in die Geschichte einzugehen.

In dieser frühen Zeit hatte er sich Titus Pomponius genannt, wie sein Vater, ohne einen dritten Namen zu führen. Während der bewegten Jahre von Cinnas Regentschaft hatten Atticus und Crassus einen Plan entworfen und ein Unternehmen gegründet, mit der Absicht, Steuern und Güter in der Provinz Asia abschöpfen zu können, nachdem Sulla sie Mithridates wieder abgerungen hatte. Das nötige Kapital hatten sie sich bei einer Gruppe von Investoren besorgt. Aber dann mußten sie feststellen, daß Sulla die Verwaltung der Provinz Asia so organisiert hatte, daß es den römischen publicani nicht mehr möglich war, Profite herauszuschlagen. Crassus und Atticus hatten vor ihren Gläubigern fliehen müssen, doch Atticus war es gelungen, sein privates Kapital mitzunehmen, und damit hatte er auch im Exil ein komfortables Leben führen können. Er ließ sich in Athen nieder, und es gefiel ihm dort so gut, daß die Stadt immer den ersten Platz in seinem Herzen behielt.

Es war nicht weiter schwierig, sich mit Sulla zu arrangieren, nachdem dieser bemerkenswerte Mann als Diktator nach Rom zurückgekehrt war; Atticus (wie er sich jetzt nach dem Mutterland seiner Lieblingsstadt Athen nannte) durfte wieder als freier Mann in Rom leben. Eine Zeitlang tat er das auch, aber sein Haus in Athen gab er nicht auf und kehrte regelmäßig dorthin zurück. Außerdem erwarb er riesige Ländereien in Epirus, einer griechischen Landschaft am Adriatischen Meer, nördlich des Golfes von Korinth.

Atticus’ Vorliebe für junge männliche Liebhaber war allgemein bekannt, doch wurde bemerkenswert wenig darüber geklatscht, bedachte man, wie verpönt Homosexualität in Rom war. Das lag wohl daran, daß er sich ihr nur hingab, wenn er nach Griechenland reiste, wo derlei Vorlieben nicht nur allgemein üblich, sondern dem Ansehen eines Mannes sogar förderlich waren. Wenn er in Rom war, verriet er weder durch Äußerungen noch Aussehen, daß er die griechische Liebe praktizierte, und diese rigide Selbstkontrolle ermöglichte es Familie, Freunden und politischen Kollegen, so zu tun, als gäbe es diese andere Seite an Titus Pomponius Atticus überhaupt nicht. Das war um so wichtiger, als Atticus unglaublich reich geworden war und einen großen Einfluß in Finanzkreisen besaß. Unter allen publicani (Geschäftsleuten, die sich um Verträge mit der öffentlichen Hand bemühten) war er der Mächtigste und Einflußreichste. Bankier, Großreeder, König der Kaufleute — Atticus spielte eine gewichtige Rolle. Vielleicht konnte er einen Mann nicht zum Konsul machen, aber es war schon viel gewonnen, wenn er diesen Mann sichtbar unterstützte, wie er Cicero während seines Wahlkampfes unterstützt hatte.

Er war außerdem Ciceros Verleger, nachdem er festgestellt hatte, daß Geld eine ziemlich langweilige und Literatur eine höchst erquickliche Sache war. Er war ausgesprochen gebildet, hatte eine natürliche Affinität zu Literaten und bewunderte Ciceros Umgang mit Worten wie kaum ein anderer. Es befriedigte und amüsierte ihn, als Mäzen von Schriftstellern aufzutreten — und außerdem verdiente er auch noch Geld damit. Das Verlagshaus, daß er auf dem Argiletum als Konkurrenz zu den Sosii gegründet hatte, florierte. Seine Verbindungen verhalfen ihm zu einem stetig anwachsenden Reservoir an literarischen Talenten, und seine Kopisten stellten hochgeschätzte Handschriften her.

So groß und dünn und asketisch, wie er aussah, hätte er als der Vater des Metellus Scipio höchstpersönlich durchgehen können; dabei war er nicht einmal nah mit ihm verwandt, denn Metellus Scipio war nur durch Adoption ein Caecilius Metellus geworden. Immerhin sorgte die Ähnlichkeit dafür, daß die berühmten Familien keinen Zweifel an Alter und Adel seiner Herkunft hegten.

Er liebte Cicero von ganzem Herzen, aber er war unnachgiebig gegenüber dessen Schwächen; darin folgte er Terentias Beispiel, die ebenfalls reich war und sich weigerte, ihrem Mann unter die Arme zu greifen, wenn seine Finanzen wieder einmal der Auffrischung bedurften. Einmal hatte Cicero seinen ganzen Mut zusammengenommen und Atticus um ein Darlehen gebeten, aber die Abfuhr war so drastisch ausgefallen, daß er diesen Versuch nicht wiederholt hatte. Manchmal hegte er die schwache Hoffnung, Atticus könnte ihm von sich aus etwas anbieten, aber Atticus dachte nicht daran. Bereitwillig brachte er dem Freund von seinen ausgedehnten Reisen nach Griechenland Statuen und andere Kunstgegenstände mit, aber Atticus bestand darauf, daß Cicero sie ihm bezahlte — einschließlich der Versandkosten nach Italien. Immerhin schien er die Zeit, die der Erwerb dieser Gegenstände ihn kostete, nicht zu berechnen. War Atticus also ein hoffnungsloser Geizkragen? Cicero hielt ihn nicht dafür, denn im Gegensatz zu Crassus war er ein äußerst großzügiger Gastgeber, und seinen Sklaven wie seinen freien Angestellten zahlte er guten Lohn. Es war eher so, daß Geld für Atticus eine ungeheuer wichtige Sache war, die größten Respekt verdiente, und er dachte nicht daran, es jenen generös zur Verfügung zu stellen, die dieser Sache nicht den gleichen Respekt entgegenbrachten wie er. Cicero war ein Künstlertyp, ein Zeitvergeuder, ein Windbeutel. Und deshalb schätzte er das Geld nicht so, wie das Geld es verdiente.

Der dritte auf Ciceros Liste war Publius Nigidius Figulus, der aus einer ähnlich alten und ehrwürdigen Familie stammte wie Atticus. Wie Atticus, so hatte auch Figulus (das bedeutete Töpfer, aber wie der erste Nigidius, der ihn getragen hatte, zu dem Namen gekommen war, wußte die Familie nicht) auf öffentliche Ämter verzichtet. In Atticus’ Fall hätte eine öffentliche Laufbahn es ihm abverlangt, auf sämtliche Einkünfte zu verzichten, die nicht aus Landbesitz erwuchsen, und Atticus liebte den Handel nun einmal mehr als die Politik. Im Falle von Nigidius Figulus hätte eine politische Laufbahn seiner größten Vorliebe entgegengestanden, die den esoterischen Aspekten der Religion galt. Er war anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der Weissagung, wie die alten Etrusker sie betrieben hatten, und wußte mehr über die Leber eines Schafes als jeder Metzger oder Tierarzt. Er kannte sich auch mit dem Flug der Vögel aus, den Zickzackmustern der Blitze, den Geräuschen des Donners oder der Erdbewegungen, mit Ziffern, Feuerbällen, Sternschnuppen, Eklipsen, Obelisken, aufrecht stehenden Steinen, Pylonen, Pyramiden, Kugeln, Grabhügeln, Himmelseiern, der Form und Farbe von Flammen, heiligen Hühnern und sämtlichen Windungen, die tierische Eingeweide annehmen konnten.

Natürlich war er einer der Hüter der prophetischen Bücher Roms und eine Quelle der Informationen für das Kollegium der Auguren, von dessen Mitgliedern kein einziges ein Experte auf dem Gebiet der Vorzeichen war; schließlich waren die Auguren nicht mehr und nicht weniger als gewählte Religionsbeamte, die durch das Gesetz verpflichtet waren, eine Anleitung zu konsultieren, bevor sie Omen als gute oder unheilvolle Voraussagen deuteten. Ciceros heißester Wunsch war es, zum Auguren gewählt zu werden (er verstieg sich nicht zu der Hoffnung, man könnte ihn zum Pontifex wählen); sollte es eines Tages soweit kommen, hatte er sich geschworen, mehr Wissen über die Kunst des Voraussagens aufzubieten als alle seine Kollegen, denen — ob nun gewählt oder kooptiert — dieses religiöse Amt zugefallen war, weil ihre — Herkunft sie dazu bestimmt hatte.

Zuerst hatte Cicero den Umgang mit Nigidius Figulus gepflegt, weil dieser soviel wußte, doch schon bald war er dem Charme seines liebenswürdigen, ruhigen und sensiblen Wesens erlegen. Seine soziale Stellung hatte ihn nicht überheblich gemacht, er liebte schlagfertige, lebhafte Gesellschaft und fand es herrlich, einen Abend mit Cicero zu verbringen, der gemeinhin für Schlagfertigkeit und geistreiche Konversation berühmt war. Nigidius Figulus war Junggeselle wie Atticus, aber im Gegensatz zu Atticus hatte er diesen Status aus religiösen Gründen gewählt; er glaubte fest daran, daß eine Frau im Haus seine mystischen Verbindungen zu unsichtbaren Kräften und Mächten zerstören würde. Frauen waren Erdenmenschen. Nigidius Figulus war ein Himmelsmensch. Himmel und Erde vermischten sich nicht; sie ergänzten sich ebensowenig, wie sie sich gegenseitig etwas nahmen. Außerdem hatte Nigidius Figulus schreckliche Angst von Blut an heiligen Orten, und Frauen bluteten nun einmal. Deshalb hatte er nur männliche Sklaven, und seine Mutter lebte bei seiner Schwester und ihrem Mann.

Am Tag nach den kurulischen Wahlen war Atticus der einzige gewesen, den Cicero sehen wollte, aber Familienangelegenheiten kamen ihm dazwischen. Bruder Quintus war zum Prätor gewählt worden. Natürlich mußte das gefeiert werden, schon allein deshalb, weil Quintus dem Beispiel seines älteren Bruders gefolgt war und sich in suo anno wählen ließ, genau im richtigen Alter (er war neununddreißig). Dieser zweite Sohn eines bescheidenen Gutsherrn aus Arpinum lebte in einem Haus auf dem Carinae, das der alte Herr damals gekauft hatte, als er mit seiner Familie nach Rom gezogen war, um dem Wunderknaben Marcus alle Möglichkeiten zu bieten, nach denen sein Intellekt verlangte. Und so begab sich Cicero zusammen mit seiner Familie kurz vor der Mittagsstunde recht mißgelaunt auf den Carinae, auch wenn diese brüderliche Verpflichtung einem Gespräch mit Atticus nicht im Wege stand — er würde ebenfalls dort sein, weil Quintus mit Atticus’ Schwester Pomponia verheiratet war.

Die zwei Brüder sahen sich sehr ähnlich, aber Cicero war zweifelsfrei der Attraktivere der beiden. Zum einen war er ein ganzes Stück größer und besser gebaut; Quintus war eher klein und schmal geblieben. Zum anderen hatte Cicero sein Haar behalten, während Quintus oben auf dem Kopf schon ganz kahl war. Quintus’ Ohren schienen viel mehr abzustehen als Ciceros, doch das war wohl eher eine optische Täuschung, hervorgerufen durch Ciceros massigen Schädel, der seine Ohren klein wirken ließ. Beide hatten sie braune Augen, braunes Haar und eine gesunde, braune Haut.

Und in noch einer Hinsicht hatten sie viel gemeinsam: Sowohl Cicero als auch Quintus hatten reiche Hausdrachen geheiratet, Frauen, deren Eltern die Hoffnung, noch einen geeigneten Mann für die Tochter zu finden, bereits aufgegeben hatten. Terentia war berühmt dafür gewesen, so wählerisch und gleichzeitig ein so schwieriger Mensch zu sein, daß keiner — und war er auch noch so bedürftig — den Mut aufgebracht hatte, sie um ihre Hand zu bitten. Sie hatte sich Cicero ausgesucht, nicht umgekehrt. Und was Pomponia betraf — nun, zweimal hatte Bruder Atticus aus Verzweiflung über sie die Hände in die Luft geworfen! Sie war häßlich, feindselig, grob, griesgrämig, eigensinnig, rachsüchtig, und sie konnte grausam sein. Nachdem ihr erster Ehemann dank Atticus’ Hilfe auf der Leiter des geschäftlichen Erfolgs Fuß fassen konnte, war er in dem Moment fortgelaufen, wo er ohne Atticus auskam, und hatte sie ihrem Bruder wieder auf die Türschwelle gesetzt. Der offizielle Scheidungsgrund lautete Unfruchtbarkeit, aber ganz Rom vermutete (zu Recht), daß der eigentliche Grund seine Unlust war, weiter mit ihr zusammenzuleben. Cicero hatte den Vorschlag gemacht, daß man Bruder Quintus dazu überreden solle, sie zur Frau zu nehmen, und er hatte sich mit Atticus die Überzeugungsarbeit geteilt. Die Ehe war vor dreizehn Jahren geschlossen worden; der Bräutigam war beträchtlich jünger als die Braut gewesen. Zehn Jahre nach der Hochzeit hatte Pomponia die Gerüchte von ihrer Unfruchtbarkeit Lügen gestraft und einen Sohn zur Welt gebracht, der ebenfalls Quintus genannt wurde.

Sie stritten sich ständig, und den armen Jungen benutzten sie bereits als Munition in ihrem endlosen Krieg um die Vorherrschaft; das unglückselige Kind wurde von einer Seite zur anderen gezerrt. Das bekümmerte Atticus (schließlich war dieser einzige Sohn seiner Schwester sein Erbe), und es bekümmerte auch Cicero, aber keinem von beiden gelang es, die Kontrahenten davon zu überzeugen, daß der kleine Quintus der eigentliche Leidtragende war. Wäre Bruder Quintus wenigstens so klug wie Cicero gewesen und hätte sich als Fußabtreter benutzen lassen, hätte er alles versucht, um seine Frau zu beschwichtigen und so selten wie möglich ihren Unwillen zu erregen — vielleicht hätte die Ehe dann besser funktioniert als die von Cicero und Terentia, denn Pomponia ging es ja nur um die Überlegenheit, während Terentia auch politisch das letzte Wort haben wollte. Aber leider schlug Quintus viel mehr seinem Vater nach als Cicero; er wollte um jeden Preis Herr im eigenen Haus sein.

Der Ehekrieg war eben in vollem Gange, als Cicero, Terentia, Tullia und der zweijährige Marcus das Haus betraten. Der Verwalter mußte Tullia und Marcus in das Kinderzimmer führen, denn Pomponia war zu sehr damit beschäftigt, Quintus anzubrüllen, und Quintus war voll und ganz davon in Anspruch genommen, ihr Gebrüll zu erwidern.

»Nur gut«, rief Cicero mit seiner lautesten Forumsstimme, »daß der Tempel des Tellus gleich nebenan ist! Sonst würden sich noch mehr Nachbarn beschweren.«

Aber das machte keinerlei Eindruck auf sie. Sie brüllten weiter, als wären die Neuankömmlinge Luft, bis auch Atticus eintraf. Seine Methode, einen Waffenstillstand zu erzwingen, war ebenso einfach wie wirksam: Er ging einfach auf seine Schwester zu, packte sie bei den Schultern und schüttelte sie, bis ihre Zähne klapperten.

»Verschwinde, Pomponia!« fauchte er. »Los, nimm Terentia mit, dann kannst du ihr die Ohren vollheulen!«

»Ich versuch’s auch immer mit Schütteln«, sagte Bruder Quintus kleinlaut, »aber es funktioniert nicht. Sie rammt mir höchstens das Knie in die... na, ihr wißt schon.«

»Wenn sie das mit mir machen würde«, sagte Atticus entrüstet, »würde ich sie umbringen!«

»Und wenn ich sie umbringen würde, würdest du mich wegen Mordes vor Gericht stellen lassen.«

»Stimmt«, sagte Atticus grinsend. »Armer Quintus! Ich werde mit ihr reden. Wir wollen einmal sehen, was sich machen läßt.«

Cicero beteiligte sich nicht an diesem Wortwechsel, denn er hatte sich bereits vor Atticus’ Ankunft zurückgezogen, und jetzt kam er aus dem Arbeitszimmer zurück und hielt eine geöffnete Schriftrolle in den Händen.

»Schreibst du wieder etwas, Bruder?« fragte er und blickte auf.

»Eine Tragödie im Stil von Sophokles«, antwortete Quintus.

»Du machst dich gar nicht so schlecht.«

»Das will ich hoffen! Für Reden und Poesie heimst du ja alle Lorbeeren ein, da bleiben mir nur noch Geschichte, Komödie und Tragödie. Für historische Studien fehlt mir die Zeit, und die Tragödie fällt mir leichter als die Komödie. Muß an der Atmosphäre liegen, in der ich hier lebe.«

»Aber die schreit doch geradezu nach Komödie«, bemerkte Cicero ungerührt.

»Ach, halt den Mund!«

»Bleiben immer noch Philosophie und Naturwissenschaften.«

»Meine Philosophie ist einfach, und Naturwissenschaften sind mir ein Rätsel, wären wir also wieder bei Geschichte, Komödie oder Tragödie.«

Atticus war auf die andere Seite des Atriums geschlendert. »Was ist das hier, Quintus?« fragte er mit Belustigung in der Stimme.

»Ach, jetzt hast du’s doch entdeckt, bevor ich es dir zeigen konnte!« rief Quintus und lief zu ihm hinüber, Cicero in seinem Kielwasser. »Ich bin jetzt Prätor und darf so etwas haben.«

»Natürlich darfst du«, sagte Atticus ernst, nur sein Blick verriet Heiterkeit.

Cicero trat zwischen die beiden und betrachtete das Ding mit andächtigem Schweigen und aus angemessenem Abstand, um es in seiner ganzen Pracht auf sich wirken zu lassen. Und was war das für ein Gegenstand, auf dem sein Blick ruhte? Eine monumentale Büste von Quintus, so viel größer als der Mann in natura, daß sie an keinem öffentlichen Ort aufgestellt werden konnte, denn nur die Darstellungen von Göttern durften menschliche Maßstäbe übersteigen. Der Künstler hatte in Ton gearbeitet und ihn gebrannt, bevor er die Farben aufgetragen hatte — was einerseits gut, andererseits aber auch problematisch war. Gut, weil die Ähnlichkeit unübersehbar und die Farben geschickt gewählt waren, schlecht, weil Ton ein billiger Werkstoff war, der jederzeit in einen Haufen Scherben zerbrechen konnte. Niemand wußte besser als Cicero und Atticus, daß Quintus nicht in der Lage war, sich eine Büste in Marmor oder Bronze zu leisten.

»Die ist natürlich nicht für die Ewigkeit«, sagte Quintus strahlend, »aber sie wird’s schon tun, bis ich mir leisten kann, sie als Gußform für eine prächtige Bronze zu nehmen. Sie ist von dem Mann, der auch mein imago gemacht hat — es ist jammerschade, da hat man von sich ein Abbild aus Wachs und verschließt es in einem Schrank, wo es niemand sehen kann.« Er warf einen Seitenblick auf Cicero, der immer noch wie gebannt auf die Büste starrte. »Nun Marcus, was denkst du?« fragteer.

»Ich denke«, sagte Cicero ohne zu zögern, »daß ich zum erstenmal miterleben darf, wie es eine Hälfte schafft, größer als das Ganze zu sein.«

Das war zuviel für Atticus. Er lachte, bis er sich auf den Fußboden setzen mußte. Cicero setzte sich gleich neben ihn. Dem armen Quintus blieben nur zwei Möglichkeiten: Er konnte zu Tode gekränkt sein oder sich der allgemeinen Heiterkeit anschließen. Nicht umsonst war er Ciceros Bruder — er entschied sich für die Heiterkeit.

Danach war es Zeit zum Essen. Eine besänftigte Pomponia servierte es, unterstützt von Terentia und der Friedensstifterin Tullia, die mit ihrer Tante besser auskam als alle anderen.

»Und wann wird geheiratet?« fragte Atticus, der Tullia so lange nicht mehr gesehen hatte, daß er ganz überrascht von ihrer erwachsenen Erscheinung war. Was für ein hübsches Mädchen! Samtweiches braunes Haar, sanfte braune Augen; sie hatte große Ähnlichkeit mit ihrem Vater, und auch seinen Humor hatte sie geerbt. Seit ein paar Jahren war sie dem jungen Gaius Calpurnius Piso Frugi versprochen; eine gute Partie, nicht nur was Geld und Einfluß betrafen. Piso Frugi war das bei weitem angenehmste Mitglied einer Sippe, die eher für Bosheit und Rücksichtslosigkeit als für Freundlichkeit und Güte bekannt war.

»In zwei Jahren«, antwortete Tullia und seufzte.

»Eine lange Zeit«, sagte Atticus mitfühlend.

»Viel zu lang«, sagte Tullia und seufzte noch einmal.

»Nun ja, wir wollen sehen, Tullia«, meinte Cicero gütig. »Vielleicht können wir’s ein bißchen abkürzen.«

Die Antwort veranlaßte die drei Frauen, sich in Pomponias Wohnzimmer zurückzuziehen, um in fiebriger Vorfreude die Hochzeitsvorbereitungen zu besprechen.

»Nichts macht Frauen so glücklich wie Hochzeiten«, sagte Cicero.

»Sie ist verliebt, Marcus, und wann gibt es das schon bei arrangierten Verlobungen? Und da ich annehme, daß Piso Frugi nicht anders empfindet, könnten sie ihren Hausstand doch bereits gründen, bevor Tullia achtzehn wird.« Atticus lächelte. »Wie alt ist sie? Sechzehn?«

»Beinahe.«

»Dann laß sie doch Ende des Jahres heiraten.«

»Ganz meine Meinung«, fügte Bruder Quintus bärbeißig hinzu. »Es ist so nett, sie zusammen zu sehen. Wie gute Freunde kommen sie miteinander aus.«

Keiner der Anwesenden kommentierte diese Bemerkung, aber Cicero nahm sie zum Anlaß, das Thema zu wechseln. Catilina schien ihm ein einfacheres Thema zu sein als das Heiraten und die Frauen.

»Glaubst du, daß er die Schulden löschen wollte?« fragte er Atticus besorgt.

»Ich weiß nicht, ob ich es glauben soll, Marcus, aber ich kann es mir nicht leisten, es einfach zu ignorieren«, gab Atticus offen zu. »Die Beschuldigung allein reicht aus, um die meisten Geschäftsleute in Angst und Schrecken zu versetzen, vor allem jetzt, wo Kredite so teuer und so schwer zu beschaffen sind. Sicher, es gibt viele, die eine solche Maßnahme begrüßen würden, aber es ist nicht die Mehrheit, und nur wenige von ihnen gehören zu den Großen der Geschäftswelt. Ein allgemeiner Schuldenerlaß ist vor allem für die kleinen Leute verlockend und für Männer, die liquide genug sind, um das Kapital fließen zu lassen.«

»Du willst damit sagen, daß die erste Klasse sich aus Vorsicht von Catilina und Lucius Cassius abgewandt hat?« fragte Cicero.

»Ganz sicher.«

»Dann hatte Caesar doch recht«, warf Quintus ein. »Du hast Catilina unter einem fadenscheinigen Vorwand vor dem ganzen Haus beschuldigt. Mit anderen Worten: Du hast ein Gerücht im Umlauf gesetzt.«

»Nein, das habe ich nicht!« rief Cicero und schlug auf das Kissen unter seinem rechten Arm. »Das habe ich nicht! Ich bin nicht so verantwortungslos! Warum bist du so schwer von Begriff, Quintus? Die beiden wollten die Regierung stürzen, ob nun als Konsuln oder als Revolutionäre! Terentia sieht das ganz richtig; jemand der einen allgemeinen Schuldenerlaß plant, buhlt um die Gunst der unteren Klassen. Das ist die typische Taktik von Leuten, die eine Diktatur errichten wollen.«

»Sulla war ein Diktator, aber er hat keine Schulden gelöscht«, erwiderte Quintus starrköpfig.

»Nein, aber dafür hat er zweitausend Ritter umbringen lassen«, rief Atticus. »Die Konfiszierung ihrer Vermögen hat den Staatssäckel gefüllt, und ein Haufen von Neulingen hat sich an den Zinsen gemästet. Da waren keine anderen ökonomischen Maßnahmen mehr nötig.«

»Dich hat er nicht für vogelfrei erklärt«, erwiderte Quintus bösartig.

»Das wäre auch dumm gewesen. Sulla war ein wildes Tier, aber kein Narr.«

»So einer wie ich, meinst du?«

»Ja, Quintus, du bist ein Narr«, sagte Cicero und ersparte es Atticus, eine taktvollere Antwort zu finden. »Warum bist du immer so angriffslustig? Kein Wunder, daß du mit Pomponia nicht auskommst — ihr beiden gleicht euch wie ein Ei dem anderen!«

Quintus knurrte, sagte jedoch nichts darauf.

»Gut, Marcus, es ist nun einmal passiert«, sagte Atticus friedfertig, »und es ist möglich, daß es richtig war, noch vor den Wahlen zu handeln. Deine Informationsquelle halte ich für fragwürdig. Ich kenne die Frau nur wenig — andererseits möchte ich wetten, daß ihre Kenntnisse in Ökonomie auf einer Nadelspitze Platz hätten. Und da soll sie sich einen Begriff wie allgemeiner Schuldenerlaß< aus den Fingern gesogen haben? Unmöglich! Nein, so wie es aussieht, hattest du ausreichenden Grund zu handeln.«

»Was auch immer ihr tut«, rief Cicero, dem mit einemmal klarwurde, daß die beiden zuviel über Fulvia Nobilioris wußten, »ihr dürft niemandem gegenüber ihren Namen erwähnen! Niemand darf wissen, daß ich einen Spion in Catilinas Lager habe. Ich will mich dieser Quelle noch länger bedienen.«

Selbst Quintus verstand den Sinn dieses Appells und versprach, den Namen Fulvia Nobilioris für sich zu behalten. Und Atticus? Er war ein logisch denkender Mann, und deshalb war es ihm sehr recht, daß man den Kreis um Catilina im Auge behielt.

»Es könnte sein, daß Catilina selbst gar nicht beteiligt ist«, bemerkte Atticus abschließend, »aber seine Clique verdient allemal unsere Aufmerksamkeit. In Etruria und Samnium gärt es seit dem Italischen Krieg, und der Sturz von Gaius Marius hat die Situation nur noch verschärft. Von Sullas Maßnahmen ganz zu schweigen.«

Und so kam es, daß Quintus Cicero die Damen beider Haushalte und ihren Nachwuchs im Sextilis ans Meer begleitete, während Marcus Cicero in Rom blieb, um die Ereignisse nicht aus den Augen zu verlieren; das Ehepaar Curius konnte es sich nicht leisten, in den Ferien nach Cumae oder Misenum zu reisen, also mußte Fulvia Nobilioris die römische Sommerhitze ertragen. Auch für Cicero war sie eine Last, aber er hatte das Gefühl, es sei der Mühe wert.

Bis zu den Kalenden des September geschah nichts außer einer routinemäßigen Senatssitzung, die traditionell an diesem Tag stattfand. Gleich danach reisten die meisten Senatoren wieder ans Meer, denn der Kalender war den Jahreszeiten so weit voraus, daß die heißesten Tage wohl erst noch kommen würden. Caesar blieb aus dem gleichen Grund in der Stadt, der auch Nigidius Figulus und Varro zum Bleiben bewog: Der neue Pontifex Maximus hatte die Entdeckung eines Fundes bekanntgegeben, der sogenannten Steinernen Annalen und Kommentare der Könige. Nachdem Caesar am letzten Tag des Sextilis zunächst das Kollegium der Priester zusammengerufen hatte, um sie als erste zu informieren und ihnen Gelegenheit zu geben, die Tafeln und die Handschriften in Augenschein zu nehmen, benutzte er die Senatssitzung an den Kalenden des September, um seine Entdeckung allen mitzuteilen. Die meisten Männer gähnten nur (wie auch ein paar Priester gegähnt hatten), aber Cicero, Varro und Nigidius Figulus gehörten zu denen, die das Ganze höchst aufregend fanden und beinahe die gesamte erste Hälfte des September damit verbrachten, diese antiken Dokumente genauestens zu studieren.

Caesar, noch immer ein wenig betört von der Geräumigkeit und der Pracht seines neuen Domizils, gab an den Iden desselben Monats ein Essen für Nigidius Figulus, Varro, Cicero und zwei Männer, mit denen er als junger Militärtribun vor den Mauern von Mitylene zu tun gehabt hatte: Philippus Junior und Gaius Octavius. Philippus war zwei Jahre älter als Caesar und würde nächstes Jahr Prätor werden, aber Octavius lag altersmäßig genau in der Mitte zwischen ihnen, er würde also bis zum übernächsten Jahr warten müssen, bis er zum erstenmal als Prätor kandidieren durfte; das lag daran, daß ein Patrizier wie Caesar zwei Jahre früher in ein kurulisches Amt gewählt werden konnte als ein Plebejer.

Der alte Philippus, ein böser, amoralischer Mensch, der vor allem für die Häufigkeit seiner Wechsel zwischen den verschiedenen Faktionen bekanntgeworden war, lebte noch und nahm auch gelegentlich noch an Senatssitzungen teil, aber die Tage seines großen Einflusses auf das Haus waren längst vorbei. Sein Sohn würde ihn nicht ersetzen können, dachte Caesar, weder was die Niedertracht noch was den Einfluß betraf. Der »junge« Philippus war ein überzeugter Epikuräer; zu sehr lagen ihm köstliche Speisen und die schönen Künste am Herzen. Er tat im Senat nicht mehr als seine Pflicht, kletterte die Leiter des cursus honorum hinauf, weil es sein gutes Recht war, aber er hatte keinesfalls den Ehrgeiz, Unfrieden zwischen irgendwelchen politischen Faktionen zu stiften. Er kam mit Cato ebenso zurecht wie mit Caesar, auch wenn er Caesars Gesellschaft eindeutig vorzog. Er hatte eine Gellia geheiratet, und nach ihrem Tode wollte er nicht wieder heiraten, um seiner Tochter und seinem Sohn keine Stiefmutter zumuten zu müssen.

Zwischen Caesar und Gaius Octavius gab es einen besonderen Anreiz zur Freundschaft: Nach dem Tod von Octavius’ erster Frau (eine Ancharia aus der reichen prätorianischen Familie) hatte Octavius um die Hand von Caesars Nichte Atia angehalten, der Tochter von Caesars jüngerer Schwester. Ihr Vater, Marcus Atius Balbus, hatte Caesar um seine Meinung zu dieser Verbindung gebeten, denn Gaius Octavius stammte aus keiner vornehmen, dafür aber unglaublich reichen Familie aus Velitrae im Stammland Latium. Da er sich an Octavius’ Treue während der Zeit vor Mitylene erinnerte und gleichzeitig wußte, daß dieser die schöne und entzückende Atia sehr liebte, befürwortete Caesar die Heirat. Es gab aus der ersten Ehe eine Stieftochter — zum Glück ein umgängliches Mädchen ohne böse Absichten —, jedoch keinen Sohn, der einem zukünftigen Sohn von Atia und Octavius das Erbe hätte streitig machen können. Also wurde der Vertrag geschlossen, und Atia hielt in eines der schönsten Häuser Roms Einzug, auch wenn es seltsamerweise auf der falschen Seite des Palatin stand, am Ende der Straße mit dem Namen »die Ochsenköpfe«. Im Oktober des vorvergangenen Jahres hatte Atia dann ihrem ersten Kind das Leben geschenkt — leider einem Mädchen.

Natürlich drehte sich das Gespräch um die Steinernen Annalen und Kommentare der Könige, auch wenn Caesar aus Respekt vor Octavius und Philippus einige Anstrengungen unternahm, seine drei gebildeteren Gäste davon abzubringen.

»Natürlich bist du eine anerkannte Autorität auf dem Gebiet des alten Rechts«, sagte Cicero, durchaus bereit, von seiner Überlegenheit auf einem Gebiet, dem er wenig Bedeutung für das moderne Rom beimaß, etwas abzutreten.

»Ich danke dir«, erwiderte Caesar feierlich.

»Schade nur, daß es nicht mehr Informationen über das alltägliche Leben am Hof der Könige gibt«, sagte Varro, der gerade erst von einem langen Aufenthalt im Osten zurückgekehrt war. Pompeius hatte ihn als hauptberuflichen Naturwissenschaftler und nebenberuflichen Biographen engagiert.

»Richtig, aber die beiden Dokumente haben jetzt eine absolut verläßliche Darstellung der Vorgehensweisen bei Prozessen wegen perduellio, und das allein ist schon faszinierend, wenn man es mit maiestas vergleicht«, sagte Nigidius Figulus.

»Maiestas war Saturninus’ Erfindung«, sagte Caesar.

»Er hat maiestas nur deshalb erfunden, weil man niemanden mehr wegen Hochverrats in der alten Form verurteilen konnte«, warf Cicero schnell ein.

»Schade, daß Saturninus damals noch nicht von deinem Fund gewußt hat, Caesar«, meinte Varro verträumt. »Zwei Richter und kein einziger Geschworener, wenn das keinen Einfluß auf das Urteil eines Prozesses hat!«

»Unsinn!« rief Cicero und richtete sich kerzengerade auf. »Weder der Senat noch die Komitien würden einen Prozeß ohne Geschworene zulassen!«

»Besonders interessant finde ich«, sagte Nigidius Figulus, »daß heute nur noch vier Männer am Leben sind, die als Richter qualifiziert wären. Du, Caesar, dein Vetter Lucius Caesar, Fabius Sanga und — was besonders seltsam ist — Catilina! Alle anderen Familien existierten noch gar nicht, als Hortensius wegen des Mordes an seiner Schwester vor Gericht stand.«

Philippus und Octavius wirkten ein bißchen verloren in dieser Runde und langweilten sich, also machte Caesar einen weiteren Versuch, das Thema zu wechseln.

»Wann ist der große Tag?« fragte er Octavius.

»Ungefähr eine Marktperiode noch.«

»Und? Wird’s ein Junge oder ein Mädchen?«

»Ein Junge diesmal, glauben wir. Ein drittes Mädchen von zwei Frauen, das wäre eine grausame Enttäuschung«, seufzte Gaius Octavius.

»Ich kann mich erinnern, daß ich vor Tullias Geburt absolut sicher war, daß es ein Junge werden würde«, sagte Cicero und grinste. »Terentia war auch sicher. Und dann mußten wir noch vierzehn Jahre auf meinen Sohn warten.«

»Ziemlich lange Wartezeit zwischen den beiden Versuchen, was Cicero?« fragte Philippus.

Cicero antwortete darauf lediglich mit einem kurzen Erröten; wie viele ehrgeizige Aufsteiger reagierte er oft ein wenig prüde, es sei denn, ihm lag eine brillante Erwiderung auf der Zunge, die er sich nicht verkneifen konnte. Die alteingesessenen Aristokraten konnten eine freche Lippe riskieren; Cicero dagegen mußte sich zurückhalten.

»Die Frau des Hausmeisters vom alten Versammlungshaus glaubt, daß es ein Junge wird«, sagte Octavius. »Sie hat Atias Ehering an einen Faden gebunden und über Atias Bauch gehalten. Er hat sich sehr schnell rechts herum gedreht — ein sicheres Zeichen, sagt sie.«

»Hoffen wir, daß sie recht behält«, meinte Caesar. »Meine ältere Schwester hat lauter Jungen bekommen, aber die Frauen haben das Sagen in der Familie.«

»Ich würde gern wissen, wie viele Männer zur Zeit von Tullus Hostilius tatsächlich wegen perduellio vor Gericht gestanden haben«, meinte Varro.

Caesar seufzte leise; es war ein aussichtsloses Unterfangen, drei Gelehrte und nur zwei Epikuräer zu einem Essen einzuladen. Zum Glück war der Wein vorzüglich, und die Köche des Domus Publica standen ihm in nichts nach.