Julia war ganz unbefangen. Als Caesar sie rufen ließ, stürzte sie sich in seine Arme.

»Tata, jetzt verstehe ich alles, auch, warum du mich fünf Tage lang nicht sehen wolltest. Du bist ein Genie! Du hast Cicero ein für allemal seine Grenzen gezeigt.«

»Meinst du wirklich? Die meisten Leute kennen ihre Grenzen so wenig, daß sie sie nicht einmal finden, wenn jemand sie ihnen zeigt.«

»Ach«, meinte Julia skeptisch.

»Und was sagst du zu Servilia?«

Sie nahm auf seinem Schoß Platz und küßte seine weißen Krähenfüße. »Was soll ich dazu sagen, tata? Wo wir gerade von Grenzen reden — es ist nicht meine Sache, dich zu verurteilen, und ich kenne meine Grenzen. Brutus denkt so wie ich. Wir wollen so weitermachen, als wenn nichts gewesen wäre.« Sie zuckte mit den Achseln. »Ist ja auch nichts gewesen.«

»Was habe ich für ein kluges Vögelchen in meinem Nest!« Caesar schloß die Arme fester um sie, so fest, daß ihr fast die Luft wegblieb. »Julia, kein Vater könnte sich eine bessere Tochter wünschen! Ich bin ein Glückspilz. Ich würde es nicht zulassen, wenn Minerva und Venus mir einen Ersatz für dich schicken wollten.«

In ihrem ganzen Leben war sie noch nie so glücklich gewesen wie in diesem Augenblick, aber das kleine Vögelchen war klug genug, jetzt nicht zu weinen. Männer mochten keine weinenden Frauen; Männer mochten Frauen, die sie zum Lachen brachten. Es war so schrecklich schwer, ein Mann zu sein, ständig öffentliche Auseinandersetzungen führen, sich mit Zähnen und Klauen verteidigen zu müssen, weil die Feinde überall lauerten. Eine Frau, die den Männern mehr Freude als Schmerz bereitete, mußte keinen Mangel an Liebe leiden, und Julia wußte jetzt, daß es ihr nie an Liebe fehlen würde. Nicht umsonst war sie Caesars Tochter; es gab ein paar Dinge, die Aurelia ihr nicht beibringen konnte, und diese Dinge hatte sie von ganz allein gelernt.

»Dann darf ich also hoffen«, sagte Caesar, die Wange an ihr Haar geschmiegt, »daß ich von Brutus keine Prügel kriege, wenn wir uns das nächstemal begegnen?«

»Natürlich nicht! Wenn Brutus deshalb schlecht von dir denken würde, wie müßte er dann erst über seine Mutter denken!«

»Das stimmt.«

»Hast du Servilia während der letzten fünf Tage gesehen, tata?«

»Nein.«

Nach einem kurzen Schweigen nahm Julia ihren ganzen Mut zusammen: »Junia Tertia ist deine Tochter.«

»Das nehme ich an.«

»Ich würde sie so gern kennenlernen.«

»Das geht nicht, Julia. Nicht einmal ich kenne sie.«

»Brutus sagt, sie ist wie ihre Mutter.«

»Wenn das so ist«, sagte Caesar, schob Julia von seinem Schoß herunter und erhob sich, »dann ist es besser, wenn du sie nicht kennst.«

»Wie kannst du mit jemandem zusammen sein, den du so wenig magst?«

»Servilia?«

»Ja.«

Er ließ sein wunderbares Lächeln für sie erstrahlen, die Falten in den Augenwinkeln verschluckten die weißen Krähenfüße. »Wenn ich das wüßte, mein kleines Vögelchen, dann wäre ich ein so guter Vater, wie du eine gute Tochter bist. Ich weiß es aber nicht. Und manchmal denke ich, daß sogar die Götter es nicht wissen. Vielleicht suchen wir im anderen so etwas wie die Vervollkommnung unserer Gefühle, auch wenn wir sie niemals finden. Hinzu kommt noch, daß unser Körper ständig Forderungen stellt, die der Verstand ihm verweigern will. Und was Servilia betrifft« — er zuckte die Achseln —, »so scheint sie meine Krankheit zu sein.«

Und schon war er draußen. Julia blieb einen Moment lang ganz still stehen. Das Herz lief ihr beinahe über. Soeben hatte sie die Brücke überquert, die Brücke zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Caesar hatte ihr die Hand entgegengestreckt, um ihr auf die andere Seite zu helfen. Er hatte ihr sein Innerstes geöffnet, und irgendwie wußte sie, daß er das noch nie zuvor bei jemandem getan hatte, nicht einmal bei ihrer Mutter. Als die Erstarrung sich löste, tanzte sie, und sie tanzte auch noch auf dem Flur vor Aurelias Zimmern.

»Julia! Tanzen ist ordinär!«

Typisch avia! dachte Julia. Und plötzlich tat Aurelia ihr so leid, daß sie beide Arme um die stocksteife Gestalt ihrer Großmutter warf und sie auf beide Wangen küßte. Arme avia! Was mußte sie im Leben alles verpaßt haben. Kein Wunder, daß sie und tata ständig miteinander zankten.

»Es wäre bequemer für mich, wenn du in Zukunft in mein Haus kommen würdest«, sagte Servilia zu Caesar, als sie seine Wohnung am unteren Ende des Vicus Patricii betrat.

»Es ist nicht dein Haus, Servilia, es gehört Silanus, und der arme Mann hat schon genug Ärger. Da muß er nicht auch noch zusehen, wie ich in sein Haus eindringe, um es mit seiner Frau zu treiben!« gab Caesar zurück. »Bei Cato war es mir ein Vergnügen, aber Silanus will ich das nicht antun. Du gibst viel darauf, eine Patrizierin zu sein, aber manchmal hast du die Moral einer Schlampe aus der Subura!«

»Mach, was du willst«, sagte Servilia und setzte sich.

Für Caesar war das eine bezeichnende Reaktion; auch wenn er Servilia nicht besonders mochte, er kannte sie inzwischen ziemlich gut, und die Tatsache, daß sie sich vollständig angekleidet hinsetzte, statt sich ganz automatisch ihrer Kleider zu entledigen, signalisierte ihm, daß sie ihrer Sache keineswegs so sicher war, wie sie vorgab. Also setzte er sich auch, in einen Sessel, von dem aus er sie im Auge behalten und sie ihn in seiner ganzen Größe betrachten konnte. Er nahm eine elegante, geradezu kurulische Haltung ein: der rechte Fuß ein wenig vorgestellt, der linke Arm auf der Sessellehne, die rechte Hand im Schoß, der Blick geradeaus gerichtet, das Kinn jedoch ein wenig gehoben.

»Eigentlich sollte ich dich erwürgen«, sagte er nach einem kurzen Schweigen.

»Silanus hat vermutet, du würdest mich in Stücke reißen und den Wölfen zum Fraß vorwerfen.«

»Ach, wirklich? Das ist ja interessant.«

»O ja, er war ganz auf deiner Seite! Ihr Männer haltet doch immer zusammen! Er hatte tatsächlich die Stirn, mich dafür verantwortlich zu machen, daß er für die Hinrichtung der Verschwörer gestimmt hat. Einen größeren Unsinn habe ich mein Lebtag noch nicht gehört!«

»Du hältst dich für eine politische Expertin, meine Liebe, aber in Wirklichkeit bist du eine Ignorantin. Wenn Senatspolitik gemacht wird, darfst du nicht einmal zuhören, und zwischen der Politik im Senat und in den Komitien liegen Welten. Ich nehme an, daß die meisten Männer mit der Gewißheit durch ihr öffentliches Leben gehen, daß ihnen irgendwann einmal jemand Hörner aufsetzt, aber es rechnet bestimmt keiner damit, daß sie ihm Verlauf einer wichtigen Senatssitzung aufgesetzt werden könnten. Natürlich hast du ihn dazu gezwungen, für die Hinrichtung zu stimmen!

Hätte er für mich gestimmt, dann hätte er vor dem Haus als mein Zuhälter dagestanden. Silanus ist ein kranker Mann, aber er hat seinen Stolz. Was meinst du wohl, warum er geschwiegen hat, nachdem er wußte, was zwischen uns ist? Ein Brief, den der halbe Senat gelesen hat, und zwar die wichtigere Hälfte der Senatoren. Du hast ihn ziemlich vor den Kopf gestoßen, findest du nicht?«

»Wie ich sehe, stehst du genauso auf seiner Seite wie er auf deiner.«

Er stieß einen lauten Seufzer aus und verdrehte die Augen zur Zimmerdecke. »Ich stehe nur auf einer Seite, Servilia — auf meiner eigenen.«

»Das glaube ich gern!«

Ein kurzes Schweigen, dann sagte er: »Unsere Kinder sind erwachsener als wir. Sie haben es sehr gelassen und vernünftig aufgenommen.«

»Ach, haben sie das?« erwiderte sie gleichgültig.

»Hast du mit Brutus nicht darüber gesprochen?«

»Nur an dem Tag, als es passiert ist, und Cato meinen Sohn darüber informiert hat, was für eine Schlampe seine Mutter ist. Er hat das Wort >Hure< benutzt.« Sie lächelte vielsagend. »Ich habe sein Gesicht blutig gerissen.«

»Also deshalb! Ich muß Cato sagen, daß ich mit ihm fühle. Schließlich habe ich deine Krallen auch schon zu spüren bekommen.«

»Aber nur da, wo sie nicht jeder sehen kann.«

»Dafür soll ich dir wohl noch dankbar sein.«

Sie beugte sich erwartungsvoll vor. »Wie hat er ausgesehen? Habe ich ihn schlimm zerkratzt?«

»Er hat entsetzlich ausgesehen, so, als wäre eine Harpyie über ihn hergefallen.« Er grinste. »Je länger ich darüber nachdenke — eigentlich wäre >Harpyie< eine passendere Bezeichnung für dich als >Schlampe< oder >Hure<. Aber freu dich nicht zu früh. Cato hat eine gute Haut. Die Kratzer werden wieder verschwinden.«

»Auch bei dir dauerte es seine Zeit.«

»Cato und ich haben die gleiche Haut. Die Erfahrungen im Krieg lehren einen Mann, zu beurteilen, was bleibt und was nicht.«

Ein weiterer tiefer Seufzer. »Was soll ich bloß mit dir machen, Servilia?«

»Mit der Frage zäumst du das Pferd von hinten auf, Caesar. Die Initiative solltest du lieber mir überlassen.«

Er mußte lachen. »Unsinn«, sagte er etwas freundlicher.

Sie wurde blaß. »Du meinst also, ich liebe dich mehr als du mich.«

»Ich liebe dich überhaupt nicht.«

»Und warum sind wir dann zusammen?«

»Du bist gut im Bett, und das findet man nicht oft bei Frauen aus deiner Klasse. Die Kombination gefällt mir. Außerdem hast du mehr Verstand zwischen den Ohren als die meisten anderen Frauen, auch wenn du eine Harpyie bist.«

»Und du meinst, da ist er lokalisiert?«

»Wer?«

»Unser Denkapparat. Zwischen den Ohren.«

»Frag einen Arzt oder Soldaten, und er wird es dir erzählen. Schläge auf den Kopf schaden unserem Denkapparat. Cerebrum, das Gehirn. Das, wovon die Philosophen reden, ist nicht das Gehirn. Die reden von der anima. Von dem belebenden Geist, der Seele. Der Teil, der Gedanken hervorbringt, die nichts mit den Sinnen zu tun haben, von der Musik bis zur Geometrie. Der Teil, der in den Himmel aufsteigen kann. Wo der in unserem Körper sitzt, wissen wir nicht. Im Kopf, in der Brust, im Bauch... « Er lächelte. »Vielleicht sogar im großen Zeh. Das wäre gar nicht mal unlogisch, wenn man bedenkt, wie die Gicht Hortensius zusetzt.«

»Ich glaube, du hast meine Frage beantwortet. Ich weiß jetzt, warum wir zusammen sind.«

»Warum?«

»Deshalb. Ich bin dein Wetzstein. An mir schärfst du deinen Verstand, Caesar.«

Sie erhob sich aus dem Sessel und begann, ihre Kleider abzulegen. Plötzlich verlangte es Caesar nach ihr, aber er wollte sie nicht zärtlich behandeln. Eine Harpyie zähmte man nicht mit Zärtlichkeit. Eine Harpyie war eine monsterähnliche Erscheinung, die mußte man auf dem Fußboden nehmen; man hielt ihr die Klauen auf dem Rücken fest, schlug ihr die Zähne in den Hals und nahm sie gleich mehrmals hintereinander.

Die rohe Behandlung machte sie zahm; sie wurde sanft wie ein Kätzchen und ließ sich zum Bett tragen.

»Hast du jemals eine Frau geliebt?« wollte sie von ihm wissen.

»Cinnilla«, antwortete er, ohne zu zögern, und schloß die Augen, um nicht weinen zu müssen.

»Warum?« fragte die Harpyie. »Was war schon Besonderes an ihr? Obschon Patrizierin, war sie weder geistreich noch intelligent.«

Statt einer Antwort drehte er sich auf die andere Seite und tat so, als wäre er eingeschlafen. Mit Servilia über Cinnilla reden? Niemals!

Warum hat er sie so sehr geliebt, falls es Liebe war, was er für sie empfand? Cinnilla hatte ihm von dem Tag an gehört, an dem er sie an der Hand nahm und aus dem Haus des Gaius Marius führte, zu einer Zeit, als der Alte nur noch ein schwachsinniger Schatten seiner selbst war. Wie alt war er damals? Dreizehn? Und sie war sieben, ein bezauberndes kleines Ding. Dunkel, unbeholfen und so lieb... Beim Lächeln hatte sich ihre Oberlippe gekräuselt, und sie hatte oft gelächelt. Die Freundlichkeit in Person. Hatte er sie so sehr geliebt, weil sie von Kindesbeinen an zusammen gewesen waren? Oder lag es daran, daß der alte Gaius Marius ihm — indem er ihn an ein Priesteramt band und ihm ein Kind zur Frau gab, das er nicht einmal kannte —, ein so kostbares Geschenk gemacht hatte, wie er nie wieder eines bekommen würde?

Er richtete sich ruckartig auf und gab Servilia einen so kräftigen Schlag aufs Hinterteil, daß sie die Stelle noch am Abend spüren würde. »Zeit zu gehen«, sagte er. »Los, Servilia, geh! Du mußt jetzt gehen!«

Sie ging, ohne noch ein Wort zu sagen, und sie hatte es auf einmal sehr eilig; irgend etwas in seinem Gesicht hatte sie mit derselben Angst erfüllt, die ihr eigener Anblick manchmal in Brutus hervorrief. Sobald sie die Wohnung verlassen hatte, vergrub Caesar das Gesicht in den Kissen und weinte, wie er seit dem Tode seiner geliebten Cinnilla nicht mehr geweint hatte.

In diesem Jahr trat der Senat nicht mehr zusammen. Das war keineswegs ungewöhnlich, denn ein formaler Zeitplan existierte nicht; der Senat wurde von einem Magistrat zusammengerufen, in der Regel von dem Konsul, der in dem Monat die Amtsgeschäfte führte. Es war Dezember, und eigentlich hätte Antonius Hybrida auf dem Stuhl sitzen sollen, aber er wurde von Cicero vertreten, und Cicero hatte für diesen Monat genug. Aus Etruria kamen auch keine Nachrichten, die geeignet gewesen wären, die Herren Senatoren aus ihrem Bau zu locken. Diese erbärmlichen Feiglinge! Außerdem konnte der Erste Konsul keineswegs wissen, was Caesar noch alles anstellen würde, wenn man ihm Gelegenheit dazu gab. An jedem Versammlungstag in den Komitien versuchte Metellus Nepos, Hybrida zu entlassen, und jedesmal legte Cato sein Veto dagegen ein. Atticus’ und Ciceros ritterliche Gefolgschaft innerhalb der Achtzehn gaben ihr Bestes, um die Leute vom Standpunkt des Senats zu überzeugen, doch von allen Seiten blickten ihnen nur finstere Gesichter entgegen.

Ein Faktor, den Cicero außer acht gelassen hatte, waren die jungen Männer; ihres heißgeliebten Stiefvaters beraubt, hatten die Antonii sich dem Clodius-Club angeschlossen. Normalerweise hätte ein Mann von Ciceros Alter und Stellung sich nicht weiter um sie gekümmert, aber die Verschwörung des Catilina und ihre Folgen hatten sie aus der Bedeutungslosigkeit ihrer Jugend herausgehoben. Sie hatten einen gewaltigen Einfluß. Nicht in der ersten Klasse, aber auf allen Ebenen darunter.

Der junge Curio war so ein typischer Fall. Er hatte sich derartig wild gebärdet, daß der ältere Curio ihn sogar in sein Zimmer eingeschlossen hatte, weil er mit der Trinkerei, der Spielerei und den sexuellen Exzessen des Jungen nicht mehr fertig geworden war. Auch das hatte nichts genutzt. Marcus Antonius hatte ihn befreit, und die beiden waren in einer verrufenen Taverne gesehen worden, wo sie getrunken, dem Würfelspiel gefrönt und sich leidenschaftlich geküßt hatten. Doch jetzt hatte Curio ein Anliegen, und plötzlich entdeckte man Seiten an ihm, die so gar nicht zu einem jugendlichen Trunkenbold passen wollten. Der junge Curio war bei weitem intelligenter als sein Vater und außerdem ein großartiger Redner. Jeden Tag erschien er auf dem Forum und machte Ärger.

Ein anderer war Decimus Junius Brutus Albinus, Sohn und Erbe einer Familie, die schon aus Tradition gegen jede Art von Popularismus eintrat; Decimus Brutus Callaicus war einer der hartnäckigsten Gegner der Gracchus-Brüder gewesen (und verbunden mit dem nicht-gracchischen Zweig der Sempronius-Sippe, die den Beinamen Tuditanus trug). Amicitia setzte sich von einer Generation zur nächsten fort, deshalb hätte der junge Decimus Brutus eigentlich Männer wie Catulus und nicht destruktive Agitatoren wie Gaius Caesar unterstützen sollen. Statt dessen stand er auf dem Forum und stachelte Metellus Nepos an, jubelte Caesar zu, wo immer der sich blicken ließ, und biederte sich bei allen möglichen Leuten an, von Freigelassenen bis hin zu den Männern der vierten Klasse. Ebenfalls ein ungewöhnlich intelligenter und talentierter junger Mann, der für Prinzipien, wie sie von den boni hochgehalten wurden, verloren war und sich in schlechter Gesellschaft bewegte.

Und was Publius Clodius betraf — nun, seit dem Vestalinnenprozeß vor zehn Jahren war Clodius in Rom als erklärter Feind Catilinas bekannt. Und trotzdem lief er mit einer riesigen Horde von Klienten herum (wie konnte es angehen, daß er mehr Klienten als sein älterer Bruder Appius Claudius hatte?) und machte Catilinas Feinden Ärger. Und für gewöhnlich ließ er sich dabei von seinem elenden Eheweib begleiten — allein das war schon ein ungeheurer Affront! Frauen hielten sich nicht auf dem Forum auf; Frauen standen nicht an auffälligen Plätzen und hörten den Versammlungen in den Komitien zu; Frauen erhoben nicht die Stimme, um lauthals ihren Beifall oder ihr Mißfallen kundzutun. Das alles tat Fulvia — und den Leuten schien es zu gefallen, und wenn auch nur deshalb, weil sie eine Enkeltochter von Gaius Gracchus war, die noch keine männlichen Abkömmlinge in die Welt gesetzt hatte.

Bis zur Hinrichtung ihres Stiefvaters hatte niemand die Antonii ernst genommen. Oder lag es daran, daß Männer nicht weiter blickten als bis zu den letzten Skandalen? Keiner der drei besaß das Talent oder die Intelligenz eines Curio oder Decimus Brutus oder Clodius, aber sie hatten etwas, das auf seine Weise noch größere Anziehung auf die Leute ausübte. Es war die Faszination, die auch von Gladiatoren oder Wagenlenkern ausging: eine Dominanz, die auf nichts anderem als roher Körperkraft beruhte. Marcus Antonius erschien für gewöhnlich nur in eine Tunika gekleidet, ein Aufzug, der es den Leuten gestattete, seine gewaltigen Waden und Armmuskeln zu bewundern sowie die Breite der Schultern, den flachen Bauch, die mächtige Wölbung des Brustkorbs, die Unterarme, die kräftig wie Stämme junger Eichen waren. Überdies zog er sich die Tunika so stramm über die Vorderseite, daß niemand die Umrisse des Penis, der sich darunter abzeichnete, für Staffage halten konnte. Frauen seufzten und gerieten ins Schwärmen; Männer schluckten betreten und wünschten sich weit fort. Er hatte ein sehr häßliches Gesicht mit einer großen Hakennase, die eine deutliche Tendenz erkennen ließ, sich über die wulstigen Lippen hinweg mit dem gewaltigen, aggressiven Kinn zu vereinen; die Augen lagen sehr dicht beieinander und versteckten sich hinter fleischigen Wangen. Sein kastanienfarbenes Haar jedoch war dicht, fest und lockig, und die Frauen machten Scherze darüber, daß es ein großer Spaß sein müsse, den Mund für einen Kuß zu suchen, ohne dabei von Kinn oder Nase gekitzelt zu werden. Kurz gesagt: Marcus Antonius (gleiches galt in geringerem Maße für seine Brüder) mußte kein großer Redner und kein gewandter Anwalt sein; es reichte völlig aus, wenn er als das eindrucksvolle Ungetüm aufkreuzte, das er zweifellos war.

Cicero hatte also einige gute Gründe, den Senat bis zum Jahresende nicht mehr zusammenzurufen — auch wenn Caesar allein schon Grund genug gewesen wäre.

Als die Sonne am letzten Tag des Dezember gerade untergehen wollte, begab sich Cicero in die Volksversammlung, um die Insignien seines Amtes niederzulegen. Er hatte seinen Abschied lange und gründlich vorbereitet, er wollte sein Jahr auf der konsularischen Bühne mit einer Rede beschließen, wie sie Rom noch nie gehört hatte. Das verlangte sein Stolz. Selbst wenn Antonius Hybrida in Rom gewesen wäre — er wäre keine Konkurrenz gewesen, doch jetzt hatte Cicero die Bühne ganz für sich allein. Um so besser.

»Quirites«, begann er und bemühte seine melodiöseste Stimme, »dies war ein folgenschweres Jahr für Rom... «

»Veto! Veto!« rief Metellus Nepos aus dem Komitium herauf. »Ich lege mein Veto gegen deine Rede ein, Cicero! Einem Mann, der römische Bürger ohne Prozeß hinrichten läßt, dürfen wir es nicht gestatten, seine Taten öffentlich zu rechtfertigen! Halt den Mund, Cicero! Lege deinen Eid ab und verschwinde von der Rostra!«

Einen langen Augenblick herrschte absolute Stille. Natürlich hatte der Erste Konsul gehofft, der Andrang würde groß genug sein, um eine Verlegung der Veranstaltung vom Komitium zur Rostra des Castor-Tempels erforderlich zu machen, aber das war nicht der Fall. Atticus hatte gute Arbeit geleistet; Ciceros Gefolgsleute aus der Ritterschaft waren in dem Bemühen, der Opposition zahlenmäßig überlegen zu sein, vollständig erschienen. Aber daß Metellus Nepos sein Veto gegen etwas so Traditionelles wie die Rede des scheidenden Konsuls einlegen könnte, war Cicero nicht im Traum eingefallen. Und dagegen war nichts zu machen, zahlenmäßige Überlegenheit hin oder her. Zum zweitenmal innerhalb weniger Tage wünschte Cicero von Herzen, Sullas Verbot des tribuzinischen Vetos wäre noch in Kraft. Das war es aber nicht. Und wie sollte er jetzt etwas sagen?

Schließlich begann er, die uralte Eidesformel zu sprechen, und als er damit fertig war, fügte er noch hinzu: »Und darüber hinaus schwöre ich, daß ich ganz allein mein Vaterland gerettet habe, daß ich, Marcus Tullius Cicero, Konsul des Senats und des Volkes von Rom, die Aufrechterhaltung einer legalen Regierung gewährleistet und Rom vor seinen Feinden bewahrt habe!«

Atticus brach in lauten Jubel aus, in den seine Gefolgsleute stimmgewaltig einfielen. Außerdem hatten die jungen Leute darauf verzichtet, zu erscheinen und durch Buhrufe und Mißfallenskundgebungen zu stören; die letzte Nacht des Jahres stand bevor, und sie hatten offensichtlich Besseres zu tun, als Cicero dabei zuzusehen, wie er sein Amt niederlegte. Auch eine Art Sieg, dachte Marcus Tullius Cicero, als er die Stufen der Rostra hinunterstieg und mit ausgestreckten Armen auf Atticus zuging. Im nächsten Augenblick hatten sie ihn auf ihre Schultern gehoben und sein Haupt mit einem Lorbeerkranz gekrönt. Die Menge trug ihn hinüber zur Treppe der Ringmacher. Schade nur, daß Caesar ihn nicht sah. Aber Caesar konnte — wie all die anderen neuen Magistrate — nicht teilnehmen. Morgen war sein großer Tag, morgen würden die neuen Magistrate im Tempel des Jupiter Maximus Optimus vereidigt und eine Amtszeit antreten, die — so fürchtete Cicero — zumindest in Caesars Fall zu einem verhängnisvollen Jahr für die boni werden könnte.

Der nächste Tag sollte diese düstere Vorahnung bestätigen. Kaum war die Vereidigungszeremonie vorüber und der Kalender festgelegt, da verließ der neue Stadtprätor Gaius Julius Caesar die erste Versammlung des Senats und eilte hinüber zum Komitium, um die Volksversammlung zusammenzurufen. Ganz offensichtlich war bereits alles vorbereitet gewesen; es warteten ausschließlich Männer aus dem Lager der Popularen auf ihn, von den jungen Männern bis hin zu seinen Senatsanhängern und dem unvermeidlichen Troß von Männern, die nur ein wenig über der untersten Klasse standen: Juden mit Bürgerrecht, die es Caesars Geschick zu verdanken hatten, daß sie einem ländlichen Tribus angehörten, Freigelassene, eine große Zahl von Handwerkern und Händlern, die ebenfalls in ländliche Tribus gesteckt worden waren, und im Hintergrund die dazugehörigen Frauen.

Caesar bediente sich nicht seiner natürlichen, tiefen Stimme, sondern des klaren, hellen Tenors, mit dem er auch die hintersten Reihen der Menge erreichte. »Volk von Rom, ich habe euch heute hier zusammengerufen, um euch zu Zeugen meiner Empörung zu machen, meines Protestes gegen eine Beleidigung Roms von so ungeheuren Ausmaßen, daß selbst die Götter darüber weinen! Vor über zwanzig Jahren ist der Tempel des Jupiter Optimus Maximus abgebrannt. In meiner Jugend war ich Hamen Dialis, der Priester des Jupiter Optimus Maximus, und heute, in meinem besten Mannesalter, ist mein Leben als Pontifex Maximus erneut dem Großen Gott gewidmet. Heute mußte ich meinen Amtseid in seiner neuen Unterkunft ablegen, einem Gebäude, mit dessen Errichtung Lucius Cornelius Sulla Felix vor achtzehn Jahren Quintus Lutatius Catulus beauftragte. Und ich habe mich geschämt, Volk von Rom! Geschämt! Demütig habe ich den Kopf vor dem Großen Gott gesenkt, um unter dem Schutz der toga praetexta zu weinen. Ich habe es nicht gewagt, zu dem wunderbaren neuen Standbild des Großen Gottes aufzusehen, das mein Onkel Lucius Aurelius Cotta und sein Kollege im Konsulat, Lucius Manlius Torquatus, in Auftrag gegeben und bis aufdie letzte Sesterze bezahlt haben! Ja, vor nicht allzulanger Zeit gab es dort noch nicht einmal ein Bildnis des Großen Gottes!«

Caesar, der auch mitten in der größten Menschenmenge aufzufallen wußte, schien in seiner neuen Rolle als Stadtprätor noch an Statur und Stattlichkeit gewonnen zu haben; er strahlte pure Lebenskraft aus, schlug seine Zuhörer in ihren Bann, beherrschte und begeisterte sie.

»Wie ist so etwas möglich?« fragte er die Menge. »Warum wird der führende Geist Roms so vernachlässigt, beleidigt, gedemütigt? Warum fehlen an den Wänden die größten Kunstwerke, die unsere Zeit zu bieten hat? Warum stehen dort nicht die märchenhaften Gaben fremder Könige und Prinzen? Warum existieren Minerva und Juno darin nur als Luft, als Leere, als Nichts? Kein Standbild von ihnen, nicht einmal eines aus billigstem Ton! Wo sind die verzierten Säulen? Wo sind die goldenen Wagen? Wo sind die herrlichen Formen, die prächtigen Fußböden?«

Er schwieg, holte tief Luft und sah jetzt aus wie der Donner in Person. »Ich will es euch sagen, Quiritesl Das Geld dafür steckt in Catulus’ Geldbeutel! Die Millionen von Sesterzen, die das römische Schatzamt Quintus Lutatius Catulus zur Verfügung gestellt hat, haben sein persönliches Bankkonto niemals verlassen! Ich bin im Schatzamt gewesen und wollte mir die Unterlagen zeigen lassen, aber es gab keine. Jedenfalls keine, die den Verbleib der riesigen Summen belegen würden, die Catulus im Lauf der Jahre ausgezahlt wurden. Frevel! Darauf läuft es hinaus! Der Mann, den man damit betraute, das Haus des Jupiter Optimus Maximus in größerer Schönheit und Pracht als je zuvor wiedererstehen zu lassen, hat sich mit den öffentlichen Geldern aus dem Staub gemacht!«

Die Schmährede ging weiter, und die Entrüstung unter den Zuhörern wuchs. Was Caesar sagte, war die Wahrheit; jeder konnte es mit eigenen Augen sehen.

Quintus Lutatius Catulus kam im Laufschritt von Kapitol herunter, gefolgt von Cato, Bibulus und den übrigen boni.

»Da ist er!« rief Caesar und streckte den Zeigefinger aus. »Seht ihn euch an! Welche Schamlosigkeit, welche Dreistigkeit dieser Mann besitzt! Immerhin, Quirites, den Mut kann man ihm nicht absprechen. Seht nur, wie dieser dreiste Betrüger läuft! Daß jemand überhaupt so schnell laufen kann, wenn er die Taschen voller Geld hat. Quintus Lutatius Peculatus. Der Veruntreuer!«

»Was soll das hier bedeuten, praetor urbanus?« fragte Catulus, noch ganz außer Atem. »Heute ist ein Feiertag, da darfst du keine Versammlung einberufen!«

»Als Pontifex Maximus steht es mir jederzeit frei, das Volk zusammenzurufen, um mit ihm Fragen von religiöser Bedeutung zu erörtern! Und das hier ist zweifellos eine Frage von religiöser Bedeutung. Ich erkläre dem Volk gerade, warum Jupiter Optimus Maximus immer noch kein angemessenes Domizil hat, Catulus.«

Catulus hatte das verächtliche Wort »Veruntreuer« mitbekommen, deshalb brauchte er keine weiteren Informationen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen. »Caesar, für das hier will ich deinen Kopf!« rief er und schüttelte die Faust.

»Oh!« rief Caesar und wich in gespieltem Erschrecken zurück. »Habt ihr das gehört, Quirites? Ich stelle ihn hier als nimmersatten Veruntreuer öffentlicher Gelder bloß, und er will mir dafür das Fell abziehen lassen. Hör auf, Catulus, warum gibst du nicht zu, was ohnehin jeder weiß? Die Beweise liegen vor aller Welt offen — weitaus mehr Beweise, als du zu bieten hattest, als du mich im Senat als Verräter hinstellen wolltest. Man muß nur einen Blick auf die Wände, die Fußböden, die leeren Sockel und die fehlenden Gaben werfen, um zu sehen, welche Demütigung du Jupiter Optimus Maximus zugefügt hast!«

Catulus fehlten die Worte, denn er hatte natürlich keine Ahnung, wie er einer aufgebrachten Menge seine Lage erklären sollte — eine Lage, in die Sulla ihn gebracht hatte! Die Leute machten sich ja keine Vorstellung von den ungeheuren Kosten, die so ein riesiges, für die Ewigkeit errichtetes Bauwerk wie der Tempel des Jupiter Optimus Maximus verschlang. Was auch immer er zu seiner Verteidigung vorbringen konnte, es würde sich wie ein Geflecht aus erbärmlichen Lügen anhören.

»Volk von Rom«, sagte Caesar zu der düster gestimmten Menge, »ich schlage vor, daß wir über zwei Gesetze beraten: das eine, um Quintus Lutatius Catulus wegen der Veruntreuung von Staatsgeldern anzuklagen, das andere, um ihn wegen Religionsfrevels vor Gericht stellen zu können!«

»Ich lege mein Veto gegen jede Diskussion in dieser Sache ein!« brüllte Cato.

Woraufhin Caesar die Achseln zuckte, mit den Händen eine resignierende Geste machte — denn was konnte man schon tun, wenn Cato erst einmal mit seinen Vetos anfing — und mit lauter Stimme verkündete: »Die Versammlung ist aufgelöst! Geht nach Hause, Quirites, bringt dem Großen Gott Opfer dar und bittet ihn, daß er weiterhin seine schützende Hand über Rom hält, obwohl es hier Männer gibt, die ihm seine Gelder stehlen und die heiligen Verträge brechen!«

Leichten Fußes kam er von der Rostra herunter, schenkte den boni ein gutgelauntes Lächeln und ging die Via Sacra hinauf, begleitet von Hunderten von empörten Menschen, die offensichtlich nicht bereit waren, die Sache auf sich beruhen und Catulus davonkommen zu lassen.

Bibulus bemerkte, daß Catulus stoßweise zu atmen begonnen hatte, und eilte ihm zu Hilfe. »Schnell!« sagte er zu Cato und Ahenobarbus und streifte seine Toga ab. Zu dritt machten sie eine Hängematte daraus, zwangen den protestierenden Catulus, sich darauf niederzulegen, und trugen ihn, nachdem Metellus Scipio den vierten Zipfel ergriffen hatte, nach Hause. Catulus’ Gesicht war eher grau als blau, vielleicht ein gutes Zeichen, aber sie waren trotzdem erleichtert, als sie den Führer der boni zu Hause in seinem Bett untergebracht hatten, wo seine Frau Hortensia sogleich aufgeregt um ihn herumflatterte. Er würde wieder zu Kräften kommen — dieses eine Mal noch.

»Aber wie oft kann der arme Quintus Catulus das noch ertragen?« Bibulus stellte die Frage, als sie auf den Clivus Victoriae hinaustraten.

»Irgendwie müssen wir diesem irrumator Caesar endlich das Maul stopfen!« sagte Ahenobarbus zwischen den Zähnen. »Und wenn es nicht anders geht, dann eben mit einem Mord!«

»Fellator meinst du wohl«, verbesserte ihn Gaius Piso, den Ahenobarbus’ finsterer Blick so sehr einschüchterte, daß ihm alles recht war, was dazu beitragen konnte, die Atmosphäre ein wenig zu entspannen. Er, der eigentlich kein besonders ängstlicher Mann war, spürte jetzt die nahende Katastrophe und begann, um sein eigenes Schicksal zu fürchten.

»Caesar als Gebender?« fragte Bibulus zornig. »Der doch nicht! Ungekrönte Könige geben nicht, sie nehmen!«

»Das hatten wir doch schon einmal!« seufzte Metellus Scipio. »Caesar hier aufhalten, Caesar dort aufhalten. Aber wir tun’s nicht.«

»Wir können und wir werden es tun«, sagte der kleinwüchsige Bibulus. »Ein Vögelchen hat mir zugezwitschert, daß Metellus Nepos sehr bald den Antrag stellen wird, Pornpeius aus dem Osten zurückzuholen, damit der sich um Catilina kümmert. Man will ihm ein imperium maius geben. Stellt euch das vor! Ein Feldherr innerhalb der Grenzen Italiens, mit einer Befehlsgewalt, wie sie bislang höchstens einem Diktator übertragen wurde!«

»Und wie soll uns das bei Caesar weiterhelfen?« fragte Metellus Scipio.

»Einen solchen Gesetzentwurf kann Nepos nicht in die plebejische Versammlung einbringen, damit muß er vor das gesamte Volk. Und du glaubst doch wohl nicht im Ernst, daß Silanus oder Murena einer Versammlung zustimmen würde, die zusammentritt, um Pompeius ein imperium maius zu verleihen. Nein, Caesar höchstpersönlich wird es machen müssen.«

»Und?«

»Und wir werden dafür sorgen, daß es eine gewalttätige Versammlung wird. Und da Caesar für die Gewalt verantwortlich zu machen ist, werden wir ihn unter der lex Plautia de vi anklagen. Falls du es vergessen haben solltest, Scipio, ich bin der Prätor, dem der für Gewaltverbrechen zuständige Gerichtshof untersteht! Und um Caesar niederzuzwingen, würde ich nicht nur das Recht beugen, ich würde sogar zu Zerberus laufen, und ihm der Reihe nach seine Köpfe tätscheln.«

»Bibulus, das ist brillant!« jubelte Gaius Piso.

»Und dieses eine Mal«, sagte Cato, »werde ich nicht einwenden, es sei keine Gerechtigkeit geschehen. Wenn Caesar verurteilt wird, ist Gerechtigkeit geschehen.«

»Catulus stirbt«, sagte Cicero unvermittelt. Er hatte ein wenig abseits der Gruppe gestanden, sich der Tatsache nur allzu bewußt, daß keines ihrer Mitglieder ihn für bedeutend genug erachtete, um ihn in die Planungen mit einzubeziehen. Ihn, den Retter des Vaterlandes, hatte man bereits am Tage nach seiner Amtsniederlegung wieder vergessen.

Die anderen drehten sich verwundert zu ihm um.

»Unsinn!« bellte Cato. »Der erholt sich wieder.«

»Diesmal vielleicht. Aber er stirbt«, beharrte Cicero starrköpfig. »Vor kurzem erst hat er geklagt, Caesar würde ihm den Lebensfaden durchscheuern wie ein Hanfseil einen Spinnenfaden.«

»Wir müssen Caesar endlich loswerden!« rief Ahenobarbus. »Je höher er aufsteigt, desto unerträglicher wird er.«

»Je höher er aufsteigt, desto tiefer wird er stürzen«, sagte Cato. »Solange er am Leben ist und ich am Leben bin, werde ich alles daransetzen, diesen Sturz herbeizuführen, das schwöre ich bei allen unseren Göttern.«

Ohne eine Ahnung davon zu haben, wieviel Böses die boni ihm wünschten, kehrte Caesar nach Hause zurück, wo ein Abendessen stattfinden sollte. Licinia hatte ihr Gelübde niedergelegt. Fabia war jetzt die Vorsteherin der Vestalinnen. Die Übergabe war mit Zeremonien und einem offiziellen Bankett für alle priesterlichen Kollegen begangen worden, aber an diesem Neujahrstag gab der Pontifex Maximus ein wesentlich kleineres Abendessen: Nur die fünf Vestalinnen, Aurelia, Julia, Fabias Halbschwester und Ciceros Frau Terentia waren geladen. Cicero hatte die Einladung ausgeschlagen. Auch Pompeia Sulla hatte abgesagt; wie Cicero hatte sie eine andere Verpflichtung vorgegeben. Der Clodius-Club hatte etwas zu feiern. Caesar hatte jedoch dafür Sorge getragen, daß ihr guter Name nicht in Verruf geraten würde. Polyxena und Cardixa klebten an ihr wie die Kletten am Fell des Ochsen.

Mein kleiner Harem, dachte Caesar belustigt, doch als sein Blick auf die griesgrämige, furchteinflößende Terentia fiel, kühlte sein Übermut rasch ab: Nicht einmal im Scherz mochte er in einem solchen Zusammenhang an diese Frau denken.

Es war genügend Zeit vergangen, um den Vestalinnen ihre Scheu zu nehmen. Das galt vor allem für die beiden Kinder, Quinctilia und Junia, die Caesar ganz unverhohlen verehrten. Er neckte sie, lachte und scherzte mit ihnen, vergaß in ihrer Gegenwart die Würde seines Amtes und schien eine Menge davon zu verstehen, was in den Köpfen kleiner Mädchen vor sich ging. Selbst die beiden Pessimistinnen unter ihnen, Popillia und Arruntia, waren jetzt zuversichtlich, daß es mit einem Gaius Julius Caesar in der anderen Hälfte des Domus Publica keine Gerichtsverfahren wegen Unkeuschheit mehr geben würde.

Erstaunlich, dachte Terentia, während das Mahl seinen fröhlichen Verlauf nahm, daß ein Mann mit einem solch verheerenden Ruf als Lüstling diese Brut von labilen Frauen mit so fester Hand führen kann. Er war zugänglich, sogar liebevoll, aber er machte ihnen absolut keine Hoffnungen. Kein Zweifel, sie alle würden bis an das Ende ihrer Tage in ihn verliebt sein, aber nicht auf schmerzliche Weise. Nicht ein Fünkchen Hoffnung machte er ihnen. Es war interessant, daß bis jetzt nicht einmal Bibulus ein Gerücht über Caesar und seinen Stall vestalischer Jungfrauen in die Welt gesetzt hatte. Seit über hundert Jahren war kein Pontifex Maximus mehr im Amt gewesen, der seine Aufgabe so korrekt und hingebungsvoll versehen hatte; er war noch nicht einmal ein Jahr in seiner neuen Stellung, doch in dieser kurzen Zeit hatte er sich einen makellosen Ruf erworben, selbst was Roms kostbarsten Besitz — die geheiligten Jungfrauen — betraf.

Terentias ganze Loyalität gehörte natürlich Cicero, und niemand hatte während der Catilina-Affäre mehr mit ihm gelitten als sie. Seit dem fünften Dezember hatte sie jede Nacht wach gelegen und seinen Alpträumen zugehört; immer wieder hatte er Caesars Namen gemurmelt, und nicht ein einziges Mal ohne Zorn oder Schmerz. Caesar hatte Ciceros Triumph zerstört, Caesar hatte den schwelenden Zorn in der Volksversammlung angefacht. Metellus Nepos war ein Wurm, dem Caesar zu Giftzähnen verholfen hatte. Doch nun vermittelte Fabia ihr ein anderes Bild dieses Gaius Julius Caesar, und Terentia war eine viel zu vernünftige Frau, um nicht zu erkennen, daß auch dieses Bild der Wirklichkeit entsprach. Gewiß, Cicero war ein ehrlicherer, wertvollerer Mensch. Er war leidenschaftlich und aufrichtig; alles, was er tat, packte er mit grenzenloser Begeisterung und unerschöpflicher Tatkraft an, und niemand konnte ihm seine Redlichkeit absprechen. Trotzdem mußte Terentia sich mit einem leisen Stoßseufzer eingestehen, daß nicht einmal ein großer Geist wie Cicero diesem Caesar ewas vormachen konnte. Erstaunlich, daß diese alten Familien noch immer dazu in der Lage waren, einen Sulla oder einen Caesar hervorzubringen! Die Kraft dazu hätten sie schon vor Jahrhunderten verloren haben müssen.

Terentia erwachte aus ihren Gedankenspielereien, als Caesar die beiden Mädchen ins Bett schickte.

»Morgen ist kein Feiertag, da müßt ihr mit den Hühnern aufstehen.« Er nickte Eutychus zu. »Bring die Damen sicher nach drüben, und weck die Diener auf, damit sie die beiden an der Tür des Atrium Vestae in Empfang nehmen können.«

Und so gingen sie davon, die geschmeidige Junia ein paar Schritte vor der plumpen Quinctilia. Aurelia sah ihnen mit stiller Sorge nach: Das Kind sollte auf Diät gesetzt werden! Aber als sie vor ein paar Monaten entsprechende Anordnungen geben wollte, war Caesar zornig geworden und hatte es ihr verboten.

»Laß sie in Ruhe, Mater. Du bist nicht Quinctilia und Quinctilia ist nicht du. Wenn das arme kleine Ding essen will, dann laß sie essen. Sie ist glücklich! Es warten keine Ehemänner auf sie, und ich möchte, daß sie auch weiterhin mit ganzem Herzen Vestalin ist.«

»Sie wird an Überfettung sterben!«

»Dann laß sie. Es wird nur besser, wenn Quinctilia selber beschließt, weniger zu essen.«

Was konnte man gegen solch einen Mann ausrichten? Aurelia hatte den Mund gehalten und nachgegeben.

»Ich nehme an, du wirst dich für Minucia als Nachfolgerin Licinias entscheiden«, stellte sie jetzt mit leichter Schärfe in der Stimme fest. Er hob die blonden Augenbrauen. »Was bringt dich zu dieser Auffassung?«

»Du scheinst eine Schwäche für dicke Kinder zu haben.«

Sie verfehlte die beabsichtigte Wirkung. Caesar lachte. »Ich habe eine Schwäche für alle Kinder, Mater. Für kleine, große, dicke, dünne — das ist mir ganz egal. Aber wo du das Thema nun einmal angesprochen hast — es freut mich, euch mitteilen zu können, daß die Krise der Vestalinnen vorüber zu sein scheint. Mir sind bereits fünf sehr geeignete Kinder angeboten worden, alle von guter Herkunft, alle mit ausgezeichneten Mitgiften ausgestattet.«

»Fünf?« wunderte sich Aurelia. »Ich dachte, es wären drei.«

»Dürfen wir die Namen erfahren?« fragte Fabia.

»Warum nicht. Ich wähle sie aus, aber ich bin in der Welt der Frauen nicht zu Hause, und ich kann nicht behaupten, alles über die häusliche Situation in den Familien zu wissen. Bei zweien von ihnen spielt es ohnehin keine Rolle, weil ich sie nicht ernstlich in Betracht ziehen. Eine davon ist übrigens Minucia«, sagte Caesar, der seine Mutter gern auf die Folter spannte.

»Und wen ziehst du in Betracht?« fragte Aurelia.

»Eine Octavia aus dem Zweig, der Gnaeus als Vornamen führt.«

»Das muß die Enkeltochter des Konsuls sein, der in der Festung auf dem Janicolo gestorben ist, als Marius und Cinna Rom belagerten.«

»Ja. Weiß jemand etwas über sie?«

Niemand wußte etwas. Also nannte Caesar den nächsten Namen, eine Postumia.

Aurelia runzelte die Stirn, ebenfalls Fabia und Terentia.

»Nun! Was ist verkehrt an einer Postumia?«

»Das ist eine Patrizierfamilie«, sagte Terentia, »aber stammt dieses Mädchen nicht aus dem Zweig der Albinus, der seit vierzig Jahren keinen Konsul mehr gestellt hat?«

»Ja.«

»Und sie ist gerade acht geworden?«

»Ja.«

»Dann nimm sie lieber nicht. Sie kommt aus einem Haus, das an der Weinflasche hängt, und sämtliche Kinder — natürlich viel zu viele — haben gleich nach der Muttermilch unverdünnten Wein zu trinken bekommen. Das Mädchen soll sich schon mehrmals bis zur Besinnungslosigkeit betrunken haben.«

»Du lieber Himmel!«

»Also, tata, wer bleibt noch übrig?« fragte Julia lächelnd.

»Cornelia Merula, die Großenkelin des Hamen Dialis Lucius Cornelius Merula«, verkündete Caesar feierlich.

Sämtliche Augenpaare waren vorwurfsvoll auf ihn gerichtet, aber Julia antwortete für ihn.

»Du hast uns bloß auf den Arm genommen!« kicherte sie. »Habe ich mir doch gleich gedacht.«

»Ach, ja?« Caesars Unterlippe zuckte.

»Warum hättest du dich da noch woanders umsehen sollen, tata?«

»Ausgezeichnet!« Aurelia strahlte. »Die Urgroßmutter hat noch immer das Sagen in der Familie, und die Kinder sind Generationen hindurch streng religiös erzogen worden. Cornelia Merula wird gern kommen, und sie wird dem Kollegium Ehre machen.«

»Das denke ich auch, Mater«, sagte Caesar.

Julia erhob sich. »Ich danke dir für die Gastfreundschaft, Pontifex Maximus«, sagte sie mit ernster Stimme, »aber ich bitte dich, mich jetzt gehen zu lassen.«

»Kommt Brutus noch vorbei?«

Sie errötete. »Doch nicht um diese Zeit, tata!«

Nachdem sie gegangen war, sagte Aurelia: »Julia wird in fünf Tagen vierzehn.«

»Perlen«, erwiderte Caesar, ohne zu zögern. »Mit vierzehn darf sie doch schon Perlen tragen, Mater, nicht wahr?«

»Wenn sie nicht zu groß sind.«

Caesar seufzte wehmütig. »Woher sollte ich große Perlen nehmen?« Er erhob sich. »Meine Damen, ich danke euch für die angenehme Gesellschaft. Ihr dürft gern noch bleiben, aber ich muß noch arbeiten.«

»Nun denn! Eine Cornelia Merula für das Kollegium!« sagte Terentia, nachdem Caesar die Tür hinter sich geschlossen hatte.

Draußen auf dem Flur lehnte er sich gegen die Wand und lachte leise vor sich hin. In was für einer kleinen Welt sie doch lebten! War das gut oder schlecht? Immerhin noch eine ganz angenehme Runde, auch wenn Mater zunehmend schwieriger wurde und Terentia es schon immer war. Den Göttern sei Dank, daß er so etwas nicht öfter veranstalten mußte! Es war bei weitem unterhaltsamer, Metellus Nepos dabei zu helfen, sich in die Verbannung schicken zu lassen, als Konversation mit Frauen zu machen.