Als Cicero den verurteilten Mann jedoch in seinem luxuriösen, zur Festung ausgebauten Domizil aufsuchte, mußte er bald feststellen, daß Gaius Rabirius andere Vorstellungen von seiner Verteidigung hatte.
Der Tag hatte dem Alten sehr zugesetzt; er zitterte und klimperte verschnupft mit den Augendeckeln, als er Cicero in seinem riesengroßen, beeindruckenden Atrium einen Sessel anbot. Der Erste Konsul sah sich mit großen Augen um, wie ein Bäuerlein, das zum erstenmal in die Stadt kommt. Er fragte sich, ob er sich jemals eine solche Ausstattung würde leisten können, vorausgesetzt, er würde überhaupt das Geld zusammenbekommen, um sich ein neues Haus zu kaufen. Der Raum lechzte förmlich danach, in einer konsularischen Residenz nachgebaut zu werden, wenn auch in einem etwas weniger protzigen Stil. Die Decke war übersät von glitzernden, mit Edelsteinen besetzten Sternen, die Wände waren mit echtem Gold belegt, auch die Säulen waren vergoldet, sogar das lange, flache Wasserbecken war mit goldenen Rechtecken gekachelt.
»Gefällt dir mein Atrium?« fragte Gaius Rabirius. Er sah aus wie eine Eidechse.
»Sehr«, antwortete Cicero.
»Schade, daß ich keine Einladungen gebe, nicht?«
»Sehr schade. Aber ich verstehe schon, warum du hier wie in einer Festung lebst.«
»Reine Geldverschwendung, diese Einladungen. Ich klebe mir mein Vermögen lieber an die Wand. Wenn man in einer Festung lebt, ist es dort sicherer als auf der Bank.«
»Und deine Sklaven schälen sich nicht hin und wieder was ab?«
»Meinst du, die sind scharf darauf, gekreuzigt zu werden?«
»Natürlich, das schreckt sie ab.«
Der alte Mann umklammerte mit beiden Händen die Löwenköpfe an den vergoldeten Armlehnen seines vergoldeten Sessels. »Ich liebe Gold«, sagte er. »Es hat eine so schöne Farbe.«
»Ja, das stimmt.«
»Und du willst mich also verteidigen?«
»Ja, das will ich.«
»Und was wird mich das kosten?«
Eine Folie Gold, zehn auf zehn Zoll, lag es Cicero auf der Zunge; statt dessen lächelte er nur und sagte: »Dein Fall ist von so großer Bedeutung für die Zukunft der Republik, Gaius Rabirius, daß ich dich umsonst verteidigen werde.«
»Das ist nur recht und billig.«
Nicht gerade ein Ausbund an Dankbarkeit, der Alte. Immerhin stellte ihm der beste Advokat Roms seine Dienste kostenlos zur Verfügung. Cicero schluckte. »Wie alle meine Senatoren-Kollegen, Gaius Rabirius, kenne ich dich seit vielen Jahren, aber mehr als das, was man sich...« — er räusperte sich — »... was man sich so erzählt, weiß ich nicht über dich. Ich müßte dir ein paar Fragen stellen, um meine Rede vorzubereiten.«
»Du bekommst ohnehin keine Antworten, also spar dir die Mühe. Denk dir etwas aus.«
»Auf der Grundlage des allgemeinen Geredes?«
»Daß ich an Oppianicus’ Umtrieben in Larinum beteiligt war, meinst du? Du hast doch Cluentius verteidigt.«
»Ohne deinen Namen zu erwähnen, Gaius Rabirius.«
»Und das war auch gut so. Oppianicus ist lange vor dem Prozeß gegen Cluentius gestorben. Niemand kennt die wahre Geschichte. Du hast damals ein paar hübsche Hirngespinste miteinander verwoben, Cicero, deshalb habe ich ja auch nichts dagegen, daß du mich verteidigst. Nein, ich habe absolut nichts dagegen! Es ist dir gelungen, Oppianicus zu unterstellen, er habe mehr Verwandte ermordet, als man von Catilina behauptet. Aus reiner Habgier! Dabei hatte Oppianicus keine goldenen Wände in seinem Haus. Ist doch interessant, oder?«
»Kann ich nicht sagen«, entgegnete Cicero schwach. »Ich habe sein Haus nie zu Gesicht bekommen.«
»Mir gehört halb Apulia, und ich bin ein harter Brocken, aber ich verdiene es nicht, für eine Sache ins Exil geschickt zu werden, zu der Sulla mich und fünfzig andere damals angestiftet hat. Da waren noch viel größere Tiere auf dem Dach der Curia Hostilia. Männer wie Servilius Caepio und Caecilius Metellus. Die meisten von ihnen aus der ersten Bank, damals schon — oder später.«
»Ja, das ist mir klar.«
»Willst du als letzter sprechen, bevor die Geschworenen abstimmen?«
»Das tue ich immer. Ich dachte, Lucius Cotta sollte den Anfang machen, dann Hortensius und ich als letzter.«
Dem alten Grobian stieg die Zornesröte ins Gesicht. »Nur drei?« stieß er hervor. »O nein, so nicht! Ihr wollt wohl den ganzen Ruhm allein einheimsen, was? Ich will sieben Verteidiger. Sieben ist meine Glückszahl.«
»Dein Richter«, sagte Cicero langsam und deutlich, »wird Gaius Caesar sein, und nach Glaucius’ Regeln gibt es nur eine Verhandlung — es werden keine Zeugen vortreten, um auszusagen, also hat es auch keinen Sinn, zwei Verhandlungen anzusetzen, meint Gaius Caesar. Caesar gibt der Anklage zwei Stunden und der Verteidigung drei Stunden. Aber wenn sieben Verteidiger reden, muß man ja schon wieder aufhören, wenn man gerade in Fahrt gekommen ist!«
»Beschränkte Zeit schärft die Argumentation«, widersprach Gaius Rabirius. »Das ist das Problem bei euch Möchtegernadvokaten. Ihr seid verliebt in den Klang eurer Stimme. Zwei Drittel eures Geschwafels würdet ihr besser für euch behalten — das gilt auch für dich, Marcus Cicero.«
Ich will hier raus! dachte Cicero. Am liebsten würde ich ihm ins Gesicht spucken. Soll er doch gleich Apollo engagieren! Wieso habe ich diesen gräßlichen alten Widerling bloß als Beispiel angeführt? Damit habe ich Caesar den Floh ins Ohr gesetzt!
»Gaius Rabirius, bitte, denk noch einmal darüber nach!«
»Nein. Das ist mein letztes Wort! Ich will Lucius Lucceius und den jungen Curio, Aemilius Paullus, Publius Clodius, Lucius Cotta, Quintus Hortensius und dich. Ob’s dir nun gefällt oder nicht, Cicero, so wird es gemacht. Sieben ist meine Glückszahl. Alle sagen, daß ich erledigt bin, aber solange ich sieben Leute in meiner Mannschaft habe, gehe ich nicht unter.« Er schnaubte vor Lachen. »Am besten wäre es, jeder von euch würde sich mit dem Siebtel einer Stunde begnügen! Ha, ha!«
Cicero stand auf und verließ ohne ein weiteres Wort das Haus.
Die Sieben schien tatsächlich Rabirius’ Glückszahl zu sein. Es gefiel Caesar, sich als perfekter Richter zu präsentieren und der Verteidigung peinlich genau alle Rechte einzuräumen, die ihr zustanden. Sie bekamen ihre drei Stunden Redezeit, Lucceius und der junge Curio verzichteten großzügig auf einen Teil ihrer Zeit, damit wenigstens Hortensius und Cicero eine volle halbe Stunde hatten. Am ersten Tag begann der Prozeß jedoch spät und endete früh, deshalb mußten Hortensius und Cicero die Verteidigung des Gaius Rabirius am neunten Tag dieses entsetzlichen Dezember, dem letzten Tag von Titus Labienus’ Amtszeit als Volkstribun, zu Ende bringen.
Versammlungen in den Zenturien waren von der Gnade des Wetters abhängig, weil es kein Dach über den Köpfen der Quirites gab, das sie vor Sonne, Regen oder Wind geschützt hätte. Die Sonne war bei weitem das schlimmste Übel, aber ein schöner Tag im Dezember mochte durchaus erträglich sein. Eine Vertagung lag im Ermessen des Vorsitzenden Magistrats; einige bestanden darauf, auch bei Platzregen die Abstimmungen (Strafprozesse waren in den Zenturien äußerst selten) abhalten zu lassen. Gut möglich, daß Sulla deshalb die Wahlen vom oft verregneten November in die pralle Sommerhitze des Juli verlegen ließ, weil dann Trockenheit garantiert war.
An beiden Tagen des Prozesses gegen Gaius Rabirius war der Himmel strahlend blau, und es wehte ein kühler Wind. Das hätte die Geschworenen — viertausend an der Zahl — eigentlich milde stimmen sollen. Vor allem angesichts dieses Angeklagten, einer jämmerlichen Gestalt in einer viel zu großen Toga; wie er die knochigen Hände krallengleich um die Barriere klammerte, die ein Liktor für ihn errichtet hatte, ähnelte er einem an Schüttellähmung Leidenden. Aber die Stimmung unter den Geschworenen war von Anfang an unheilvoll, und Titus Labienus trug seine Argumente während der für ihn allein anberaumten zwei Stunden mit brillanter Überzeugungskraft vor, unterstützt von Schauspielern in den Masken des Saturninus und des Quintus Labienus, dessen zwei Vettern in der ersten Reihe saßen und die ganze Zeit über herzzerreißend schluchzten. Durch den Lärm drangen außerdem immer wieder flüsternde Stimmen, um die erste und die zweite Klasse daran zu erinnern, daß ihr Recht auf einen Prozeß gefährdet war, daß Rabirius’ Verurteilung Männer wie Cicero und Cato lehren würde, in Zukunft vorsichtiger zu sein, und daß sie Körperschaften wie den Senat lehren würde, sich auf Finanzen, Rechtsstreitigkeiten und Außenpolitik zu beschränken.
Die Verteidiger kämpften verbissen, aber es war nicht zu übersehen, daß die Geschworenen ihnen ihr Ohr nicht schenken wollten und auch beim Anblick des armen alten Gaius Rabirius, der sich an seine Barriere klammerte, nicht in Tränen ausbrachen. Als das Verfahren am zweiten Tag pünktlich wieder aufgenommen wurde, wußten Hortensius und Cicero, daß sie ihr Bestes würden geben müssen, wenn sie noch einen Freispruch für Rabirius erreichen wollten. Leider gelang das keinem von beiden. Die Gicht, von der so viele Männer geplagt wurden, die gern Fisch aßen und überhaupt den Annehmlichkeiten des Speisesofas und des Weinkrugs verfallen waren, ließ den armen Hortensius nicht in Ruhe; obendrein war er gezwungen gewesen, seine Heimreise von Misenum in einem Tempo fortzusetzen, das dem Zustand seines besonders stark schmerzenden großen Zehs nicht zuträglich gewesen war. Er stand während seiner Rede wie festgeleimt an seinem Platz, schwer auf einen Gehstock gestützt, eine Haltung, die seinem Vortrag nicht förderlich war. Gleich darauf lieferte Cicero eine der farblosesten Reden seiner Karriere, beeinträchtigt durch die Zeitbeschränkung und die Prämisse, daß zumindest ein Teil des Gesagten der Verteidigung seines eigenen Ansehens und nicht dem des Rabirius dienen sollte — auch wenn er dabei natürlich sehr vorsichtig zu Werke ging.
Der größte Teil des Tages stand noch zur Verfügung, als Caesar das Los warf, um zu sehen, welche Zenturie der ersten Klasse das Vorrecht hatte, als erste zur Abstimmung zu schreiten; nur die einunddreißig ländlichen Tribus durften an dieser Verlosung teilnehmen, und der Tribus, auf den das Los fiel, wurde zur Abstimmung gerufen, noch bevor die normale Prozedur begann. Alle Aktivitäten wurden so lange eingestellt, bis die Stimmen dieser ersten Zenturie ausgezählt waren und man der wartenden Versammlung das Ergebnis verkündet hatte. Wie auch immer die Junioren dieses ausgewählten ländlichen Tribus sich entschieden, die Vergangenheit hatte gezeigt, daß sie sehr oft das Endergebnis der gesamten Wahl — oder des Strafprozesses — vorwegnahmen. Deshalb hing viel davon ab, welcher Tribus vom Los dazu bestimmt wurde, ein solches Präjudiz zu schaffen. Wenn es Ciceros Cornelier oder Catos Papirier waren, stand Ärger bevor.
»Clustumina inniorum!« Die Junioren des tribus Clustumina.
Der Tribus von Pompeius dem Großen, ein gutes Omen, dachte Caesar, als er sein Tribunal verließ und in die saepta ging, um am Ende der rechten Brücke Aufstellung zu nehmen, über die die Wähler zu den Körben gelangten, in denen die kleinen, mit Wachs beschichteten hölzernen Tafeln aufbewahrt wurden.
Die saepta war ein nicht überdachtes Labyrinth aus tragbaren hölzernen Palisaden und Korridoren, die den Erfordernissen einer bestimmten Versammlung angepaßt werden konnten. Im Volksmund wurde sie Schafspferch genannt, weil sie der Konstruktion ähnelte, mit deren Hilfe die Bauern ihre Schafe sortierten. Die Wahlen der Zenturien fanden immer in der saepta statt, und manchmal hielten auch die Tribus dort ihre Wahlen ab, wenn der Vorsitzende Magistrat das Komitium angesichts einer großen Zahl an Wählern für zu klein befand und nicht auf den Castor-Tempel ausweichen wollte.
Jetzt werde ich gleich vor mein Schicksal treten, dachte Caesar nüchtern, als er sich dem Eingang des seltsamen Verschlags näherte — das Urteil wird so ausfallen, wie die Junioren der Clustuminer abstimmen, das habe ich im Gefühl. LIBERO für Freispruch, DAMNO für schuldig. DAMNO muß es lauten! Unter allen Umständen DAMNO!
In diesem bedeutungsvollen Augenblick erblickte er Crassus, der nachdenklicher als sonst neben dem Eingang stand. Um so besser! Wenn nicht einmal diese Angelegenheit es vermocht hätte, den leidenschaftslosen Crassus zu berühren, dann hätte sie ihren Zweck wohl kaum erfüllen können. Aber er wirkte nachdenklich, ganz zweifellos.
»Eines Tages«, sagte Crassus, als Caesar vor ihm stand, »wird so ein Tölpel von Schafshirt mir mit seinem Färberstab einen zinnoberroten Fleck auf die Toga drücken und zu mir sagen, daß ich ja nicht versuchen soll, mich ein zweites Mal hineinzuschummeln, um meine Stimme abzugeben. Wenn Schafe gekennzeichnet werden, warum nicht auch Römer?«
»Darüber hast du gerade nachgedacht?«
Ein winziges Zucken in Crassus’ Gesicht war der einzige Hinweis auf sein Erstaunen. »Ja. Aber dann hab’ ich gedacht, daß es nicht römische Art wäre, uns zu kennzeichnen.«
»Da hast du recht«, sagte Caesar, der seine ganze Willenskraft benötigte, um nicht laut loszulachen, »aber auf diese Weise könnte man die Tribus daran hindern, mehrere Male hindurchzutrotten, besonders die durchs Ohr gebrannten Vorstädter vom Esquilinus und aus der Subura.«
»Was würde das schon ausmachen?« fragte Crassus gelangweilt, »Schafe, Caesar, Schafe. Wähler sind Schafe. Määhh!«
Caesar verschwand hinter der Tür. Noch immer war ihm zum Lachen zumute; das würde ihn lehren zu glauben, Männer wie Crassus wüßten die Feierlichkeit eines solchen Anlasses zu würdigen!
Das Verdikt der Junioren von Clustumina lautete DAMNO, und die Tradition deutete darauf hin, daß es dabei bleiben würde, als die Zenturien, immer schön paarweise, sich in den Korridoren zwischen den Palisaden aufreihten und über die beiden Brücken gingen, um ihre Tafeln mit dem Buchstaben D zu hinterlegen. Caesar wurde bei der Aufsicht über die Abstimmung von seinem custos Metellus Celer unterstützt; nachdem beide Männer sich davon überzeugt hatten, daß der Urteilsspruch tatsächlich Damno lauten würde, übergab Celer seine Brücke an Cosconius und verließ die saepta.
Es folgte eine bedrohlich lange Wartezeit — hatte Celer seinen Spiegel vergessen, war die Sonne von Wolken verdeckt, oder war sein Komplize auf dem Janiculum womöglich eingeschlafen? Los, Celer, es wird Zeit!
»ZU DEN WAFFEN! INVASOREN NÄHERN SICH DER STADT! ZU DEN WAFFEN! INVASOREN NÄHERN SICH DER STADT! ZU DEN WAFFEN!«
Gerade noch rechtzeitig war der Ruf ertönt.
Und somit endete die Berufung des alten Gaius Rabirius in der wilden Flucht der Wähler hinter den sicheren Schutz der Servianischen Mauer, um sich zu bewaffnen und sich auf die militärischen Zenturien zu verteilen.
Aber Catilina und seine Armee kamen nicht.
Wenn Cicero eher nach Hause trottete als lief, dann gab es dafür gute Gründe. Hortensius hatte sich stöhnend zu seiner Sänfte geschleppt, nachdem er mit seiner Rede fertig war, doch dem nicht so selbstbewußten und längst nicht so hochwohlgeborenen Cicero verbot es der Stolz, sich einen solchen Luxus zu leisten. Mit unbewegtem Gesicht hatte er auf die Abstimmung seiner Zenturie gewartet; auf seiner Tafel stand das L für LIBERO, ein L, das an diesem scheußlichen Tag Seltenheitswert hatte. Nicht einmal die Mitglieder seiner eigenen Zenturie hatte er dazu überreden können, für einen Freispruch zu stimmen. Und so mußte er mit eigenen Augen mitansehen, welcher Meinung die Männer der ersten Klasse waren: Auch siebenunddreißig lange Jahre sollten nicht vor Verurteilung schützen.
Der plötzliche Ruf zu den Waffen war ihm wie ein Wunder erschienen, auch wenn er wie alle anderen beinahe damit gerechnet hatte, daß Catilina die Armeen, die gegen ihn im Felde standen, umgehen und direkt nach Rom stoßen würde. Und trotzdem trottete er jetzt gemächlich weiter. Der Tod erschien ihm plötzlich wünschenswerter als das Schicksal, das Caesar für ihn vorgesehen hatte. Eines Tages, wenn Caesar oder irgendeiner seiner Lakaien unter den Volkstribunen den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielt, würde Cicero dort stehen, wo Gaius Rabirius heute gestanden hatte — des Verrats angeklagt; er konnte nur hoffen, daß die Anklage maiestas und nicht perduellio lauten würde. Exil und Konfiszierung seines gesamten Besitzes sowie die Entfernung seines Namens aus dem Verzeichnis römischer Bürger standen ihm bevor, Sohn und Tochter wären für immer gebrandmarkt, als stammten sie aus einer besudelten Familie. Er hatte mehr als nur eine Schlacht verloren, er hatte den Krieg verloren. Er war Carbo, nicht Sulla.
Aber ich darf es niemals zugeben, sagte er sich, während er die schier endlose Treppe zum Palatin hinaufstieg. Ich darf es nicht zulassen, daß Caesar oder sonst irgend jemand mich für einen gebrochenen Mann hält. Niemals. Ich habe mein Vaterland gerettet, und daran werde ich bis zum letzten Atemzug festhalten! Das Leben geht weiter. Nach außen hin muß ich so tun, als könnte nichts und niemand mir etwas anhaben, und ich muß selbst daran glauben.
Und so begrüßte er Catulus am nächsten Morgen auf dem Forum mit betont fröhlicher Stimme; sie hatten sich dort eingefunden, um dem ersten Auftritt der neuen Volkstribunen beizuwohnen. »Ich danke den Göttern für diesen Metellus Celer!« sagte er lächelnd.
»Ich frage mich«, antwortete Catulus, »ob Celer die rote Fahne aus eigener Initiative oder auf Befehl Caesars heruntergelassen hat.«
»Auf Befehl Caesars?« fragte Cicero ahnungslos.
»Wach auf, Cicero! Es kann nicht in Caesars Absicht gelegen haben, Rabirius tatsächlich verurteilen zu lassen. Das hätte ihm seinen schönen Sieg wieder zunichte gemacht.« Catulus sah alt und krank aus. »Ich habe schreckliche Angst! Er ist wie Odysseus, sein Lebensstrang ist so stark, alle reiben sich daran auf. Ich verliere meine auctoritas, und schließlich wird mir nur noch der Tod bleiben.«
»Unsinn!« rief Cicero.
»Kein Unsinn, aber eine schwerverdauliche Tatsache. Weißt du, ich würde dem Mann ja einiges nachsehen, wenn er nicht so verflucht von sich eingenommen, so arrogant und unerträglich selbstzufrieden wäre! Sein Vater war ein ganzer Caesar, und Anklänge an ihn findet man auch in diesem hier, aber eben nur Anklänge.« Er erschauerte. »Dieser hier hat wesentlich mehr Verstand, und er hat keine Hemmungen. Überhaupt keine Hemmungen. Ich fürchte mich vor ihm.«
»Schade, daß Cato heute nicht hier ist«, sagte Cicero, um das Thema zu wechseln. »Metellus Nepos wird auf der Rostra ohne Konkurrenz sein. Schon sonderbar, wie sich die beiden Brüder plötzlich für populäre Ideen stark machen.«
»Pompeius Magnus’ Schuld«, sagte Catulus verächtlich.
Cicero hatte seit ihrer gemeinsamen Dienstzeit unter Pompeius Magnus im Italischen Krieg eine Schwäche für Pompeius, also hätte man erwarten sollen, daß er vehement für den abwesenden Feldherrn eintreten würde. Doch ihm hatte etwas anderes die Sprache verschlagen. »Sieh mal!«
Catulus wandte sich um und sah Marcus Porcius Cato über den leeren Platz zwischen Curtiusbrunnen und Komitium schreiten. Diesmal trug er eine Tunika unter der Toga. Jeder, der ihn erblickte, blieb staunend stehen, aber nicht etwa wegen der Tunika. Von den Augenbrauen bis zu der Stelle, wo der Hals in die Schultern überging, liefen auf beiden Seiten fünf blutrote, entzündete, eitrige Streifen über sein Gesicht.
»Jupiter!« flüsterte Cicero.
»Ach, ich könnte ihn küssen!« rief Catulus, lief zu Cato hinüber und ergriff seine Hand. »Cato, Cato, warum bist du gekommen?«
»Weil ich Volkstribun bin und heute der erste Tag meiner Amtszeit ist«, antwortete Cato mit seiner gewohnt lauten Stimme.
»Aber dein Gesicht!« erwiderte Cicero.
»Gesichter heilen, Fehler nicht. Wenn ich Nepos auf der Rostra nicht entgegentrete, spielt er vollends verrückt.« Unter donnerndem Applaus stieg er hinauf auf die Rostra, um seinen Platz unter den zehn Männern einzunehmen, die an diesem Tag ihr Amt antraten. Er bemerkte den Beifall überhaupt nicht, so sehr war er damit beschäftigt, Metellus Nepos anzustarren. Pompeius’ Mann. Abschaum!
Die Volkstribunen wurden nicht vom ganzen Volk (Patriziern und Plebejern) gewählt und vertraten nur die Interessen der Plebs, deshalb hatten die Sitzungen der Plebejischen Versammlung nicht den offiziellen Charakter der Volks- oder Zenturiatsversammlungen. Sie begannen oder endeten mit den kargen Zeremonien; es wurden keine Auspizien angestellt, keine rituellen Gebete gesprochen. Diese Schlichtheit trug erheblich zur Beliebtheit der Plebejischen Versammlung bei. Es ging gleich richtig los, man mußte sich weder über langweilige Litaneien noch über gackernde Auguren ärgern.
Die heutige Sitzung der Plebejischen Versammlung war sehr gut besucht, zwischen der eiternden Wunde der Hinrichtungen ohne Prozeß und dem Balsam des Wissens würden die Funken sprühen. Die alten Volkstribunen verabschiedeten sich würdevoll; Labienus und Rullus bekamen den meisten Jubel. Und danach begann die eigentliche Sitzung.
Metellus Nepos redete als erster, und niemand wunderte sich darüber; Cato war jemand, der lieber reagierte, als daß er die Initiative ergriff. Nepos hatte ein dankbares Thema — die Hinrichtung von Bürgern ohne einen Prozeß — und breitete sich mit brillanter Ironie und treffenden Metaphern darüber aus.
»Und deshalb plädiere ich für ein Plebiszit, das so milde, so gnädig und vorsichtig formuliert ist, daß keinem der Anwesenden etwas anderes übrigbleiben wird, als seiner Umwandlung in ein Gesetz zuzustimmen!« sagte Nepos am Ende einer langen Rede, die sein Publikum mal zum Weinen, mal zum Lachen und nicht selten zum Nachdenken gebracht hatte. »Keine Todesurteile, kein Exil, keine Geldstrafen. Mitglieder der Plebs, ich schlage nichts weiter vor, als daß ein Mann, der die Hinrichtung römischer Bürger ohne Prozeß zu verantworten hat, bis an sein Lebensende keine öffentliche Rede mehr halten darf! Wenn das keine sanfte Justiz ist! Eine Stimme wird für immer zum Schweigen gebracht, einer Macht, die Massen in Bewegung setzen konnte, wird die Potenz genommen! Wollt ihr mir folgen? Wollen wir diese größenwahnsinnigen Ungeheuer ein für allemal mundtot machen?«
Marcus Antonius löste die Lawine des Jubels aus, die über Cicero und Catulus hinwegrollte. Gegen diesen Sturm konnte nur noch Catos Stimme ankommen — und Cato erhob seine Stimme.
»Ich lege mein Veto ein!« blökte er.
»Um deinen eigenen Hals zu retten!« erwiderte Nepos zornig, nachdem der Aufruhr sich so weit gelegt hatte, daß jeder dem Wortwechsel folgen konnte. Er sah Cato mit übertriebenem Erstaunen an. »Dabei ist gar nicht mehr viel von deinem Hals übrig, Cato! Was ist passiert? Hast du vergessen, die Hure zu bezahlen, als du mit ihr fertig warst? Oder mußte sie erst so etwas mit dir anstellen, damit sich unterhalb deines Bauchnabels überhaupt etwas rührte?«
»Wie kann einer wie du sich beim noblen Namen Caecilius Metellus nennen?« fragte Cato. »Geh nach Hause, Nepos, geh nach Hause und wasch dir die Exkremente vom Maul! Wie kommen wir dazu, uns in dieser heiligen Versammlung römischer Männer diese dreckigen Anspielungen anzuhören?«
»Und wie kommen wir dazu, uns einem fadenscheinigen Senatsbeschluß zu unterwerfen, der den Mächtigen das Recht gibt, Männer hinrichten zu lassen, die römischer sind als sie selber? Ich wüßte nicht, daß Lentulus Sura eine Sklavin zur Urgroßmutter hat, oder daß Gaius Cethegus’ Vater noch Schweinedreck hinter den Ohren kleben hatte!«
»Ich werde mich hier nicht auf eine Schlammschlacht einlassen, Nepos! Von mir aus kannst du mich bis zum nächsten Dezember mit Dreck bewerfen, es würde nicht das geringste ändern!« bellte Cato. Die Streifen standen wie dunkelrote Kordeln aus seinem Gesicht hervor. »Ich lege mein Veto ein, und nichts, was du sagst, könnte mich daran hindern!«
»Natürlich legst du dein Veto ein! Wenn du’s nicht tun würdest, Cato, dürftest du dich nie wieder in der Öffentlichkeit äußern! Niemand anderer als du hat den Senat von Rom dazu überredet, statt Nachsicht Barbarei zu üben! Aber ist das ein Wunder? Man erzählt sich, deine Urgroßmutter sei ein hübscher barbarischer Leckerbissen gewesen. Sehr schmackhaft für einen dummen alten Mann aus Tusculum, der besser in Tusculum geblieben wäre und sich mit seinen Schweinen amüsiert hätte, statt nach Rom zu kommen und sich mit einem barbarischen Ferkel zu amüsieren!«
Wenn das nicht zum Kampf führt, dann kann nichts mehr helfen, dachte Nepos. An seiner Stelle würde ich auf einen Zweikampf mit Dolchen bestehen. Die Plebejer schlabbern die Beleidigungen auf wie die Köter ihr Ausgekotztes, das heißt, ich habe so gut wie gewonnen. Schlag auf mich ein, Cato, hau mir eins aufs Auge!
Cato tat nichts dergleichen. Mit stoischer Ruhe, von der nur er selbst wußte, welche heroische Anstrengung sie ihn kostete, wandte er sich ab und zog sich in den Hintergrund zurück. Einen Moment lang war die Menge versucht, ihr Mißfallen über diesen feigen Akt kundzutun, doch Ahenobarbus kam Marcus Antonius zuvor und begann in lauten Jubel über diese großartige Demonstration von Selbstbeherrschung und Verächtlichkeit auszubrechen.
Lucius Calpurnius Bestia rettete den Tag und Nepos den Sieg, indem er eine ungestüme und doch geistreiche Attacke gegen Cicero und sein Senatus Consultum Ultimum ritt. Die Plebs seufzte verzückt auf, und iie Versammlung nahm mit neuem Schwung ihren weiteren Verlauf.
Als Nepos das Gefühl hatte, daß die Zuschauer nichts mehr über die Hinrichtungen hören wollten, änderte er seine Taktik.
»Wo wir gerade über einen gewissen Lucius Sergius Catilina reden«, sagte er im Plauderton, »es ist mir durchaus nicht entgangen, daß an der vordersten Front des Krieges so gut wie gar nichts geschieht. Da stehen sie nun über Etruria, Apulia und Picenum verteilt, durch viele sichere Meilen schön voneinander getrennt — Catilina und seine sogenannten Gegner. Wer war das noch alles?« fragte er und hielt die rechte Hand in die Höhe, alle fünf Finger ausgestreckt. »Richtig, da war doch dieser Hybrida mit seinem entzündeten großen Zeh.« Er knickte einen Finger ein. »Und noch so ein Mann aus Kreide, Metellus von der Faktion der Zicklein.« Der nächste Finger verschwand. »Und sogar einen König haben wir da oben, Rex, den kühnen Feind von... von wem? Na, von wem denn noch? Ach, was für ein Jammer, ich hab’s vergessen!« Nur noch Daumen und Zeigefinger waren übriggeblieben. An dieser Stelle unterbrach er die Zählung und schlug sich mit der rechten Hand auf die Stirn. »Oh! Oh! Wie konnte ich meinen eigenen großen Bruder vergessen? Eigentlich sollte er auch dort oben sein, aber er mußte nach Rom zurückkehren, um an einem gerechten Akt teilzunehmen. Ich denke, ich werde es dem ungezogenen Lümmel nachsehen müssen.«
Diese Tirade rief Quintus Minucius Thermus auf den Plan. »Worauf willst du hinaus, Nepos?« fragte er. »Was soll dieser Unfug?«
»Unfug? Ich und Unfug?« Nepos wich tatsächlich einen Schritt zurück. »Thermus, Thermus, gib acht, daß das Feuer unter deinem fetten Hintern dich nicht zum Sieden bringt. Lauwarm steht dir besser, Schätzchen!« flötete er und klimperte Thermus anzüglich mit den Augendeckeln zu, während die Plebs in grölendes Gelächter ausbrach. »Nein, Schätzchen, ich wollte unsere plebejischen Freunde nur daran erinnern, daß wir da draußen ein paar Armeen im Felde stehen haben, die gegen Catilina kämpfen sollen — falls sie ihn überhaupt finden. Der Norden unserer Halbinsel ist nämlich ein ziemlich großes Gebiet, in dem man sich leicht verlaufen kann. Besonders, wenn über Vater Tiber der Morgennebel aufsteigt, findet so mancher keinen Platz mehr, wo er seinen Nachttopf aus Porphyrit ausleeren kann!«
»Hättest du Vorschläge zu machen?« fragte Thermus drohend. Er war heldenhaft bemüht, Catos Beispiel zu folgen, aber Nepos warf ihm Kußhändchen zu, und die Menge raste vor Begeisterung.
»Ja, ihr Ferkelchen, ich hätte da ein paar Vorschläge!« verkündete Nepos strahlend. »Gerade habe ich dagestanden und mir dieses herrliche Muster auf Catos Gesicht betrachtet, da schwebte mir auf einmal ein anderes Gesicht vor Augen — nein, mein Lieber, nicht deins! Seht ihr den da drüben? Diesen soldatischen Menschen auf dem viertletzten Sockel in der Reihe der konsularischen Büsten? Was für ein hübsches Gesicht, denke ich immer! So blond, und diese wunderschönen blauen Augen! Nicht so hinreißend wie deine, aber immerhin.« Nepos legte die Hände um den Mund und brüllte: »Heda, Quiris — ja, du da hinten, neben den Büsten der Konsuln! Lies mir doch einmal den Namen vor. Ja, genau, die mit dem goldenen Haar und den großen blauen Augen! Wie heißt er? Pompeius? Pompeius wie? Manus, hast du gesagt? Oder Magnus? Ach, Magnus! Verbindlichen Dank! Pompeius Magnus heißt er!«
Thermus ballte die Fäuste. »Das traust du dich nicht!« knurrte er.
»Was denn?« fragte Nepos unschuldig. »Aber ich muß zugeben, daß Pompeius Magnus sich alles traut. Ist ihm jemand gewachsen auf dem Schlachtfeld? Ich glaube, kaum. Und jetzt ist er in Syrien und bereitet sich auf die Heimreise vor. Alle Schlachten sind geschlagen. Der Osten ist erobert, und es war Gnaeus Pompeius Magnus, der ihn erobert hat. Das ist mehr, als man von dem zickigen Metellus und dem königlichen Rex behaupten kann! Ich wollte, ich wäre mit einem von den beiden in den Krieg gezogen, und nicht mit Pompeius Magnus. Was für mickrigen Feinden müssen sie begegnet sein, um solche Triumphe feiern zu können!
Aus mir wäre noch ein richtiger Held geworden, wenn ich mit denen in den Krieg gezogen wäre. Und dann hätte ich es wie Gaius Caesar machen und mein spärliches Haar unter einem Kranz aus Eichenblättern verstecken können!«
Nepos verbeugte sich leicht und grüßte Caesar, der auf den Stufen der Curia Hostilia stand — mit einem Kranz aus Eichenblättern auf dem Kopf.
»Ich schlage euch vor, Quirites, wir fassen jetzt einen hübschen kleinen Beschluß, holen Pompeius Magnus nach Hause und geben ihm den Auftrag, den Grund, weshalb wir noch immer dieses nicht enden wollende Senatus Consultum Ultimum ertragen müssen, kurzerhand zu zermalmen! Ich sage euch, holt Pompeius Magnus nach Hause, damit er erledigt, was der Gichtkrüppel noch nicht einmal in Angriff genommen hat — Catilina!«
Wieder brandete Beifall auf, bis Cato, Thermus, Fabricius und Lucius Marius ihr Veto einlegten.
Der Vorsitzende des Kollegiums und Leiter der Versammlung, Metellus Nepos, fand, daß es nun genug sei. Er schloß die Versammlung, höchst zufrieden mit dem, was er erreicht hatte, und ging Arm in Arm mit seinem Bruder Celer hinaus; gutgelaunt nahmen die beiden den Jubel der überglücklichen Plebejer entgegen.
»Wie würde es dir gefallen, einen kahlen Kopf zu bekommen, wenn dein Nachname einen schönen dichten Haarschopf verspricht?« fragte Caesar, der sich zu ihnen gesellt hatte.
»Dein Vater hätte eben keine Aurelia Cottae heiraten dürfen«, erwiderte Nepos gnadenlos. »Mir ist noch kein Aurelius Cotta begegnet, dessen Schädel mit vierzig nicht wie ein Ei ausgesehen hätte.«
»Weißt du, Nepos, ich habe bis heute nicht gewußt, was für ein talentierter Demagoge du bist. Da oben auf der Rostra hattest du Stil. Sie haben dir aus der Hand gefressen. Und mir hat dein Auftritt so gut gefallen, daß ich dir den Seitenhieb auf meine Haare verziehen habe.«
»Ich muß zugeben, daß es mir großen Spaß gemacht hat. Aber solange Cato sein Veto hineinbrüllt, werde ich nicht viel erreichen.«
»Stimmt. Dir steht ein außerordentlich enttäuschendes Jahr bevor. Aber wenn du dich später einmal für ein höheres Amt bewirbst, werden die Wähler sich mit großer Sympathie an dich erinnern. Vielleicht bekommst du sogar meine Stimme.«
Die Metellus-Brüder waren eigentlich zum Palatin unterwegs, aber sie machten den kleinen Umweg über die Via Sacra, um Caesar nach Hause zu begleiten.
»Ich nehme an, du kehrst nach Etruria zurück?« wollte Caesar von Celer wissen.
»Morgen früh bei Sonnenaufgang. Ich würde gern gegen Catilina kämpfen, aber unser Heerführer Hybrida will, daß ich weiterhin an der Grenze zu Picenum in Wartestellung bleibe. Viel zu weit für Catilina, um nicht bereits vorher über jemand anderen zu stolpern.« Celer drückte seinem Bruder liebevoll das Handgelenk. »Das mit dem Morgennebel über Vater Tiber war wunderbar, Nepos.«
»Ist es dir ernst damit, Pompeius nach Hause zu holen?« fragte Caesar.
»Eigentlich hat es nicht viel Sinn«, antwortete Nepos nüchtern, »und ich muß gestehen, daß ich vor allem wissen wollte, wie die Plebs reagiert. Aber wenn er seine Armee verlassen und allein zurückkehren würde, könnte er es in ein, zwei Monaten geschafft haben, je nachdem, wie schnell ihn unser Ruf erreicht.«
»In zwei Monaten wird Hybrida Catilina zum Kampf gestellt haben«, sagte Caesar.
»Da hast du natürlich recht. Doch nachdem ich Cato heute zugehört habe, bin ich nicht mehr sicher, ob ich mich ein ganzes Jahr lang mit seinen Vetos herumschlagen möchte. Du hast das ganz richtig gesehen — mir würde eine enttäuschende Zeit bevorstehen.« Nepos seufzte. »Man kann mit Cato nicht reden! Er läßt sich von keinem Standpunkt überzeugen, und wenn er noch so vernünftig ist. Und einschüchtern kann man ihn auch nicht.«
»Er soll es sogar noch als eine gute Übung ansehen«, sagte Celer, »wenn seine Kollegen Volkstribunen so erbost über ihn sind, daß sie ihn über die Kante des Tarpeianischen Felsens halten.
Als Zweijährigen hat der sabellische Führer Silo ihn über einen Abgrund mit spitzen Felsen gehalten und gedroht, ihn fallen zu lassen, aber das kleine Ungeheuer hat stillgehalten und ihm getrotzt.«
»Ja, so ist Cato«, sagte Caesar lächelnd. »Servilia schwört, daß es eine wahre Geschichte ist. Aber jetzt wieder zu deinem Volkstribunat, Nepos. Habe ich dich richtig verstanden? Denkst du an Rücktritt?«
»Eigentlich mehr daran, einen riesigen Wirbel zu machen und den Senat zu zwingen, das Senatus Consultum Ultimum gegen mich zu bemühen.«
»Du willst darauf bestehen, daß Pompeius nach Rom geholt wird?«
»Oh, ich fürchte, damit allein könnte man Catulus’ Bande nicht erledigen, Caesar.«
»Sicher nicht.«
»Trotzdem«, erwiderte Nepos kühl, »wenn ich dem versammelten Volk vorschlage, Hybrida wegen Unfähigkeit in die Wüste zu schicken und Pompeius mit denselben Vollmachten, die er im Osten hatte, nach Rom zurückzuholen, dann würde ich ein Gewittergrollen auslösen. Und dann müßte ich nur noch ein klein wenig weitergehen: Ich könnte zum Beispiel verlangen, daß Pompeius in Etruria seine Armeen und sein Kommando behält und nächstes Jahr in absentia für das Konsulat kandidieren darf — meinst du nicht, daß der Vulkan dann ausbrechen würde?«
Caesar lachte. »Über ganz Italien würden Feuerwolken aufziehen!«
»Du bist als gewissenhafter Advokat bekannt, Pontifex Maximus. Würdest du mir dabei helfen, die Einzelheiten auszuarbeiten?«
»Vielleicht.«
»Dann wollen wir das im Auge behalten für den Fall, daß der Januar vorbeigeht, ohne daß Hybrida auf Catilina gestoßen ist. Es wäre mir ein Vergnügen, von der tribunizischen Bühne verbannt zu werden!«
»Du würdest übler riechen als ein Legionär unter seinem Helm, Nepos, aber nur für Leute wie Catulus und Metellus Scipio.«
»Du darfst nicht vergessen, Caesar, daß es das ganze Volk sein muß, und das kann ich nicht einberufen. Dafür brauche ich zumindest einen Prätor.«
»Ich frage mich«, sagte Caesar zu Celer, »welchen Prätor dein Bruder wohl im Auge haben mag.«
»Keine Ahnung«, erklärte Celer feierlich.
»Und nachdem man dich aus dem Amt verbannt hat, Nepos, gehst du nach Osten und schließt dich Pompeius an.«
»Dann gehe ich nach Osten und schließe mich Pompeius an«, bestätigte Nepos. »Und wenn ich mit ebenjenem Pompeius Magnus nach Rom zurückkehre, haben sie nicht mehr den Mut, auf der Verbannung zu bestehen.«
Die Metellus-Brüder verabschiedeten sich herzlich von Caesar und gingen ihres Weges. Caesar blickte ihnen nach. Ausgezeichnete Verbündete! Aber leider, dachte er mit einem Seufzer, als man ihm seine Haustür öffnete, konnte sich das alles sehr schnell ändern. Manchmal waren die Verbündeten des einen Monats die Feinde des nächsten. Das konnte man nie wissen.