Caesar erhielt einen Brief, den Pompeius ihm geschrieben hatte, nachdem Metellus Nepos bei ihm eingetroffen war.

Ich habe immer noch Ärger mit den Juden, Caesar! Als ich Dir das letztemal geschrieben habe, hatte ich vor, die beiden Söhne der alten Königin in Damaskus zu besuchen. Letztes Frühjahr habe ich es getan. Hyrcanus hat einen besseren Eindruck auf mich gemacht als Aristobolus, aber sie sollten nicht wissen, welchen ich bevorzugte, bis ich den alten Schurken König Aretas von Nabatea unter Kontrolle hätte. Also habe ich die beiden Brüder zurück nach Judaea geschickt, mit der strikten Anweisung, Frieden zu halten, bis ich ihnen meine Entscheidung mitteilen würde. Ich wollte vermeiden, daß der unterlegene Bruder mir beim Marsch auf Petra in den Rücken fällt.

Aber Aristobulus kam dahinter, daß ich beabsichtigte, Hyranus das Ganze zu geben, also machte er sich zum Kampfbereit. Nicht besonders klug von ihm, er hatte wohl keine Vorstellung von meiner Stärke. So habe ich den Feldzug gegen Petra aufgeschoben und bin nach Jerusalem marschiert. Um die ganze Stadt herum haben wir unsere Lager bezogen. Jerusalem ist sehr gut befestigt und für eine Verteidigung günstig gelegen — von felsigen Tälern umgeben.

Kaum hatte Aristobulus dieses phantastisch aussehende Heer auf den umliegenden Hügeln erblickt, kam er auch schon herausgelaufen, um uns die Kapitulation anzubieten. Zusammen mit ein paar Eseln, die er mit schweren Taschen voller Goldmünzen beladen hatte. Sehr nett, sie mir anzubieten, aber ich gab ihm zu verstehen, daß er meine Kriegspläne durcheinandergebracht und Rom eine viel größere Stange Geld gekostet hätte, als seine Esel tragen könnten. Ich erklärte mich bereit, ihm alles zu vergeben, wenn er mir nur die Kosten ersetzte, die bei der Verlegung so vieler Legionen nach Jerusalem entstanden wären. Dann müßte ich die Stadt auch nicht erobern, sagte ich zu ihm, um mir das Geld selber zu holen. Frohgemut erklärte er sich damit einverstanden. Ich habe Aulus Gabinius losgeschickt, der das Geld holen und die Öffnung der Tore anordnen sollte, aber Aristobulus’ Anhänger hatten sich zum Widerstand entschlossen. Sie wollten Gabinius die Tore nicht öffnen, und dann haben sie oben auf den Mauern ein paar häßliche Dinge getan, um deutlich zu machen, daß sie nicht gewillt waren, sich mir zu beugen. Ich mußte Aristobulus festnehmen und die Armee aufmarschieren lassen. Daraufhin ergab sich die Stadt, aber dort, wo der große Tempel steht, gibt es eine Art Zitadelle. Ein paar tausend der Hartnäckigsten haben sich dort verbarrikadiert und wollten nicht herauskommen.

Schwer einzunehmen, dieser Ort, und für Belagerungen hatte ich noch nie etwas übrig. Aber sie wollten es nicht anders, also habe ich es ihnen gezeigt. Drei Monate lang haben sie durchgehalten, dann verlor ich die Geduld und habe den Tempel gestürmt. Faustus Sulla ist als erster über die Mauer — ein feiner Zug für einen Sohn Sullas, findest Du nicht? Überhaupt ein feiner Bursche. Ich will ihn mit meiner Tochter verheiraten, wenn wir nach Hause kommen. Sie ist dann alt genug. Ist doch schön, einen Sohn Sullas zum Schwiegersohn zu haben! Ich hab ’s ganz schön weit gebracht im Leben.

Der Tempel ist ein interessanter Ort, ganz anders als unsere Tempel. Keine Standbilder und dergleichen. Mir wurde da drinnen direkt unheimlich zumute. Lenaeus und Theophanes (Varro vermisse ich schrecklich) wollten hinter den Vorhang gehen und einen Blick auf das Allerheiligste werfen. Gabinius und ein paar andere auch. Es ist sicher voll Gold, haben sie gesagt. Ich habe darüber nachgedacht, Caesar, aber schließlich habe ich nein gesagt. Ich hatte mir inzwischen ein Bild von denen gemacht. Seltsame Leute. Auch bei ihnen ist die Religion ein Teil des SStaates, aber sie ist ganz anders als unsere. Für mich sind das religiöse Fanatiker. Also habe ich den Befehl gegeben, daß niemand ihre religiösen Gefühle verletzen dürfe. Von den einfachen Legionären bis hinauf zu meinen höchsten Legaten. Warum ein Hornissennest anstechen, wenn ich doch vom einen Ende Syriens bis zum anderen Frieden, Ordnung und gehorsame Könige brauche? Wieso sollte ich die örtlichen Gewohnheiten auf den Kopf stellen wollen? Jedes Land hat sein mos maiorum.

Ich habe Hyrcanus als König und als höchsten Priester eingesetzt und Aristobulus gefangengenommen. Und bei dieser Gelegenheit bin ich in Damaskus Antipater begegnet, dem idumäischen Prinzen. Ein höchst interessanter Bursche. Hyrcanus ist nicht sehr beeindruckend, aber ich verlasse mich darauf, daß Antipater ihn beeinflußt — natürlich im Sinne Roms. O ja, ich habe Hyrcanus unmißverständlich klargemacht, daß er nicht durch die Gnade seines Gottes dort sitzt, sondern durch die Gnade Roms, daß er nichts anderes als Roms Marionette ist und daß er unter der Herrschaft des Statthalters von Syrien steht. Antipater hat vorgeschlagen, ich sollte ihm den sauren Apfel doch ein wenig versüßen, indem ich ihm rate, den Großteil seiner Energien in das Amt des höchsten Priesters fließen zu lassen. Kluger Antipater! Ich frage mich, ob er weiß, daß ich weiß, wieviel zivile Macht er sich angeeignet hat, ohne auch nur einmal mit dem Finger zu drohen. Ich habe Judaea nicht ganz so groß gelassen, wie es war, bevor die beiden törichten Brüder mich auf diesen lächerlichen Flecken Erde aufmerksam machten. Alle Gebiete, in denen die Juden in der Minderheit waren, habe ich Syrien als Teile der römischen Provinz einverleibt — Samaria, die Küstenstädte von Joppa bis Gaza und die griechischen Städte der Decapolis haben sämtlich ihre Autonomie bekommen und sind syrisch geworden.

Ich bin immer noch beim Ordnen der Verhältnisse, aber langsam ist ein Ende abzusehen. Ende des Jahres kehre ich nach Hause zurück. Und damit wäre ich bei den beklagenswerten Ereignissen des letzten Jahres — in Rom, meine ich. Caesar, ich kann dir nicht genug dafür danken, daß du Nepos geholfen hast. Du hast alles versucht. Aber was will man gegen einen scheinheiligen Kerl wie diesen Cato ausrichten? Er hat alles kaputtgemacht. Und du weißt ja, daß ich jetzt keinen einzigen Volkstribun mehr habe, der auch nur einen Pfifferling wert ist. Und für nächstes Jahr weiß ich auch noch keinen!

Ich bringe sehr viel Beute mit. Die Schatzkammern werden für Roms Anteil daran viel zu klein sein. Allein an meine Truppen hab ich sechzehntausend Talente an Prämien ausgezahlt. Und deshalb denke ich nicht daran, das zu tun, was ich sonst immer getan habe: nämlich meinen Soldaten etwas von meinem eigenen Land zu geben. Diesmal kann Rom ihnen Land geben. Sie haben es sich verdient, Rom ist es ihnen schuldig. Und wenn es mich den Tod kostet, ich werde dafür sorgen, daß sie Staatsland erhalten. Ich verlasse mich darauf, daß Du mich unterstützt, und solltest Du einen Volkstribun an der Hand haben, der so denkt wie Du, dann will ich mich gern an seinen Unterhaltskosten beteiligen. Nepos sagt, daß es eine große Auseinandersetzung um Land geben wird. Das sehe ich genauso. Zu viele einflußreiche Männer pachten öffentliches Land für ihre eigenen Latifundien. Sehr kurzsichtig vom Senat.

Ich habe übrigens ein Gerücht gehört, und ich frage mich, ob es Dir auch zu Ohren gekommen ist: Mucia soll mir untreu geworden sein. Ich habe Nepos gefragt, und der hat sich ganz fürchterlich darüber aufgeregt. Nun ja, Brüder und Schwestern halten nun einmal zusammen, deshalb ist es wohl ganz natürlich, daß ihm die Frage nicht gepaßt hat. Ich lasse jedenfalls Ermittlungen anstellen. Wenn etwas dran sein sollte, heißt es »auf Wiedersehen, Mucia«. Sie war eine gute Frau und Mutter, aber ich kann nicht sagen, daß ich sie hier im Osten sehr vermißt hätte.

»Ach, Pompeius«, seufzte Caesar, als er den Brief zur Seite legte. »Einen wie dich findet man so schnell nicht wieder!«

Er runzelte die Stirn und dachte zuerst über den letzten Teil von Pompeius’ Brief nach. Titus Labienus hatte nach der Niederlegung seines Amtes Rom verlassen und war nach Picenum zurückgekehrt, und wahrscheinlich hatte er dort sein Verhältnis mit Mucia Tertia wieder aufgenommen. Schade. Ob er Labienus schreiben und ihn davor warnen sollte, was auf ihn zukam? Nein. Briefe konnten leicht von den falschen Leuten geöffnet werden, und es gab ein paar große Experten in der Kunst des Wiederversiegelns. Wenn Mucia Tertia und Labienus in Gefahr waren, dann mußten sie selbst damit fertig werden. Pompeius der Große war jetzt wichtiger; am Horizont zeigten sich Caesar die verschiedensten Möglichkeiten für die Zeit nach der Rückkehr des großen Mannes auf, der Berge von Kriegsbeute mitbringen würde. Aus seinen Wünschen nach Land würde wohl nichts werden; seine Soldaten mußten auf ihre gerechte Entlohnung verzichten. Aber in weniger als drei Jahren würde Gaius Julius Caesar Erster Konsul sein und Publius Vatinius sein Volkstribun. Welch einzigartige Gelegenheit, den Großen in die Schuld eines noch Größeren zu stellen!

Servilia und Marcus Crassus hatten recht gehabt: Nach dem aufsehenerregenden Tag auf dem Forum hatte Caesar ein ruhiges Jahr als Stadtprätor. Nach und nach wurde der Rest von Catilinas Anhängern vor Gericht gestellt und verurteilt, auch wenn Lucius Novius Niger längst nicht mehr Richter des Sondergerichts war. Nachdem die ersten fünf zu Exil und Konfiszierung des Besitzes verurteilt worden waren, übergab der Senat nach einigen Debatten die weiteren Prozesse an Bibulus’ Gerichtshof.

Und dann erfuhr Caesar von Marcus Crassus, daß Cicero endlich sein neues Haus hatte. Der größte von allen catilinarischen Fischen — Publius Sulla — war von keinem der Informanten jemals namentlich genannt worden. Aber die meisten Leute wußten: Wenn Autronius dabeigewesen war, dann auch Publius Sulla. Als Neffe des Diktators und Ehemann von Pompeius’ Schwester hatte Publius Sulla zwar ein gewaltiges Vermögen geerbt, aber weder das politische Geschick seines Onkels noch dessen Sinn für Selbsterhaltung. Im Gegensatz zu den anderen hatte er sich nicht an der Verschwörung beteiligt, um sein Vermögen zu vergrößern; er hatte es aus Verpflichtung seinen Freunden gegenüber getan und um das Gefühl ständiger Langeweile zu durchbrechen.

»Er hat Cicero gebeten, ihn zu verteidigen«, kicherte Crassus, »und das bringt Cicero in eine verteufelte Zwangslage.«

»Wenn er das Mandat annimmt, ganz bestimmt«, meinte Caesar.

»Er hat es bereits angenomen, Gaius.«

»Woher weißt du das alles?«

»Unser allseits geschätzter Ex-Konsul war gerade bei mir. Plötzlich hat er das Geld, mein Haus zu kaufen — oder er kann zumindest darauf hoffen.«

»Aha! Wieviel verlangst du?«

»Fünf Millionen.«

Caesar lehnte sich in den Sessel zurück und schüttelte traurig den Kopf. »Weißt du, Marcus, du kommst mir vor wie ein Bauspekulant. Jedesmal, wenn du ein Haus für deine Frau oder deine Kinder baust, dann schwörst du bei allen Göttern, daß sie es auch wirklich behalten dürfen. Und dann kommt jemand mit mehr Geld als Verstand des Weges, bietet dir einen fetten Überschuß und... peng! Weib und Kinder bleiben heimatlos, bis du ihnen das nächste Haus hingestellt hast.«

»Ich habe eine Menge Geld dafür bezahlt«, verteidigte sich Crassus.

»Aber längst keine fünf Millionen!«

»Nun ja«, sagte Crassus, doch dann hellte seine Miene sich auf. »Eigentlich mochte Tertullia das Haus nicht besonders, deshalb bricht es ihr auch nicht das Herz, dort ausziehen zu müssen. Ich kaufe mich auf dem Cermalus ein, auf der Seite des Circus Maximus, gleich neben dem Palast, in dem Hortensius seine Fischteiche untergebracht hat.«

»Und warum mag Tertullia es nicht, nach all den Jahren?« Caesar war skeptisch.

»Nun, es hat einmal Marcus Livius Drusus gehört.«

»Das weiß ich. Ich weiß auch, daß er dort in seinem Atrium ermordet worden ist.«

»Es spukt darin!« flüsterte Crassus.

»Und damit sollen sich lieber Cicero und Terentia herumschlagen, was?« Caesar lachte. »Ich habe damals schon gesagt, es ist ein Fehler, innen schwarzen Marmor zu verwenden. Dabei entstehen viele finstere Ecken. Und da ich weiß, wie wenig du deinen Dienern bezahlst, Marcus, möchte ich wetten, daß sich so mancher von ihnen einen Spaß daraus macht, in den Ecken zu stöhnen und zu grunzen und zu seufzen, wenn es dunkel ist. Und wenn du umziehst, werden deine bösen Geister mit dir ziehen, es sei denn, du ringst dich zu einer soliden Lohnerhöhung durch.«

Crassus brachte die Sprache wieder auf Cicero und Publius Sulla. »Mir scheint«, sagte er, »daß Publius Sulla bereit ist, Cicero die ganze Summe zu >leihen<«, wenn er ihn verteidigt.«

»Und ihn freibekommt«, fügte Caesar leise hinzu.

»Oh, das wird er schon schaffen!« Diesmal lachte Crassus, und das kam sehr selten vor. »Du hättest ihn hören sollen! Er ist fleißig dabei, die Geschichte seines Konsulats neu zu schreiben. Erinnerst du dich an die Sitzungen im September, Oktober und November, als Publius Sulla neben Catilina saß und ihn lauthals unterstützte? Nun, auf einmal sagt Cicero, daß sei gar nicht Publius Sulla gewesen, der dort gesessen hatte! Es sei Spinther gewesen, mit Publius Sullas imago vor dem Gesicht!«

»Ich hoffe, du machst Witze, Marcus.«

»Ja und nein. Cicero besteht inzwischen darauf, daß Publius Sulla den größten Teil dieser vielen nundinae in eigenen Geschäften in Pompei verbracht hat! Er war nur selten in Rom, hast du das gewußt?«

»Du hast recht, es muß Spinther mit dem imago gewesen sein.«

»Zumindest wird er die Geschworenen davon überzeugen.«

In diesem Augenblick steckte Aurelia den Kopf zur Tür herein. »Wenn du Zeit hast, Caesar, hätte ich etwas mit dir zu besprechen«, sagte sie.

Crassus erhob sich. »Ich gehe, ich muß noch ein paar Besuche machen. Apropos Häuser«, sagte er zu Caesar, als sie zur Eingangstür gingen, »ich muß sagen, das Domus Publica ist die beste Adresse in Rom. Egal, woher man kommt und wohin man unterwegs ist, wenn man hier hereinschaut, findet man immer ein freundliches Gesicht und einen guten Tropfen Wein.«

»Den guten Tropfen könntest du dir auch selber leisten, alter Geizhals!«

»Weißt du, ich werde langsam alt«, sagte Crassus, die Beleidigung ignorierend. »Wie alt bist du? Siebenunddreißig?«

»Ich werde dieses Jahr achtunddreißig.«

»Mmh. Und ich vierundfünfzig.« Er seufzte wehmütig. Weißt du, eigentlich könnte ich noch einen schönen Feldzug gebrauchen, bevor ich mich vom öffentlichen Leben zurückziehe. Etwas, um Pompeius Konkurrenz zu machen.«

»Er ist der Meinung, daß es nichts mehr zu erobern gibt.«

»Und was ist mit den Parthern?«

»Und den Daziern, den Boiohemern, den Ländern am Danubius?«

»Willst du dorthin ziehen, Caesar?«

»Ja, und ich habe darüber nachgedacht.«

»Die Parther«, sagte Crassus verträumt, als er über die Schwelle trat. »Dort liegt mehr Gold als im Norden.«

»Alle Völker lieben das Gold«, meinte Caesar, »deshalb findet man bei jedem Volk welches.«

»Und du brauchst welches, um deine Schulden zu bezahlen.«

»Richtig. Aber Gold ist nicht die große Verlockung. In der Hinsicht gebe ich Pompeius recht. Das Gold nimmt man nebenbei mit. Viel wichtiger ist es, daß Roms Arm möglichst weit reicht.«

Statt einer Antwort winkte Crassus ihm zu und schritt in Richtung des Palatin davon.

Es hatte keinen Sinn, Aurelia aus dem Weg zu gehen, wenn sie mit einem reden wollte; also begab Caesar sich von der Haustür direkt in ihre Zimmerflucht, der sie längst ihren Stempel aufgedrückt hatte: Von dem schönen Dekor war nichts mehr zu sehen, er war hinter Fächern, Schriftrollen, Papieren, Buchbehältern und einem Webstuhl in der Ecke verborgen. Die Geschäftsbücher aus der Subura interessierten sie nicht mehr; jetzt half sie den Vestalinnen beim Archivieren.

»Was gibt es, Mater?« fragte er, in der offenen Tür stehend.

»Es geht um unsere neue Jungfrau«, sagte sie und wies ihm einen Sessel an.

Er setzte sich. Das interessierte ihn wirklich. »Cornelia Merula?«

»Genau die.«

»Sie ist erst sieben, Mater. Was kann sie in dem Alter schon für Probleme machen?«

»Wir haben uns einen kleinen Cato ins Nest gesetzt«, antwortete seine Mutter.

»Oh!«

»Fabia wird nicht mit ihr fertig, und die anderen auch nicht. Junia und Quinctilia hassen sie richtiggehend und fangen schon an, zu beißen und zu kratzen.«

»Bitte bring Fabia und Cornelia Merula zu mir.«

Wenig später führte Aurelia die Vorsteherin der Vestalinnen und die neue Vestalin in Caesars Arbeitszimmer, einen makellosen, imposanten Raum, der in Zinober- und Purpurrot gehalten war.

Cornelia Merula hatte Catos Blick. Er erinnerte Caesar daran, wie er Cato zum erstenmal begegnet war: in Marcus Livius Drusus’ Haus, als Cato auf die Loggia von Ahenobarbus’ Haus heruntergeblickt hatte, in dem Sulla sich aufhielt. Ein magerer, einsamer kleiner Junge, dem er damals mitfühlend zugewinkt hatte. Sie war auch so groß und mager, und sie hatte auch Catos Farben — kastanienbraunes Haar und graue Augen. Und sie stand so da, wie er immer dastand, die Beine leicht gespreizt, das Kinn herausgestreckt, die Hände zu Fäusten geballt.

»Mater, Fabia, ihr dürft euch setzen«, sagte der Pontifex Maximus förmlich. Er streckte eine Hand nach dem Kind aus. »Und du stellst dich hierher«, befahl er und deutete auf den Platz vor seinem Schreibtisch. »Also, was gibt es für Probleme, Vorsteherin?« fragte er.

»Viele Probleme, wie es scheint!« erwiderte Fabia in scharfem Ton. »Unser Leben ist zu luxuriös, wir interessieren uns mehr für Testamente als für Vesta, wir haben nicht das Recht, Wasser zu trinken, das nicht aus dem Brunnen der Juturna geholt wurde, wir bereiten die mola salsa nicht mehr so zu, wie sie zu Zeiten der Könige bereitet wurde, wir zerkleinern die Teile des Oktoberpferdes nicht ordentlich und vieles mehr!«

»Und woher willst du wissen, was mit den Teilen des Oktoberpferdes passiert, kleine Amsel?« fragte Caesar freundlich (Merula bedeutete Amsel). »Du bist noch nicht lange genug im Atrium Vestae, um die Teile des Oktoberpferdes schon einmal gesehen zu haben.« Er mußte sich bemühen, nicht zu lachen. Die Teile des Oktoberpferdes, die erst in aller Eile zur Regia gebracht wurden, um etwas Blut auf den Altar tropfen zu lassen, bevor das Ritual auf dem geheiligten Herd der Vesta wiederholt wurde, waren nichts anderes als die Genitalien und der Schwanz samt Schließmuskel. Nach den Zeremonien wurde alles zerschnitten, kleingehackt, mit dem restlichen Blut vermischt und verbrannt; die Asche verwandte man bei einem vestalischen Fest im April, den Parilien.

»Meine Urgroßmutter hat es mir erzählt«, sagte Cornelia Merula mit einer Stimme, die bereits jetzt versprach, eines Tages so laut und schrill wie Catos zu sein.

»Woher will sie das wissen? Sie ist keine Vestalin.«

»Du lebst unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in diesem Haus. Deshalb muß ich dir nicht antworten«, erwiderte die kleine Amsel.

»Möchtest du gern zu deiner Urgroßmutter zurückgeschickt werden?«

»Das kannst du nicht tun. Ich bin jetzt eine Vestalin.«

»Und ob ich das kann, und ich werde es auch tun, wenn du mir nicht antwortest.«

Sie war nicht im mindesten eingeschüchtert, statt dessen dachte sie sorgfältig über das nach, was er gesagt hatte. »Ich kann aus dem Orden nur dann verstoßen werden, wenn man mich vor einem Gericht anklagt und verurteilt.«

»Eine kleine Advokatin! Aber du irrst dich, Cornelia. Das Gesetz ist klug, deshalb trifft es Vorsorge für den Fall, daß sich eine kleine Amsel in einen Käfig mit schneeweißen Pfauhennen verirrt. Ich kann dich nach Hause schicken.« Caesar beugte sich vor, sein Blick war eisig. »Fordere meine Langmut nicht heraus, Cornelia! Glaube mir einfach. Deine Urgroßmutter wäre nicht erfreut, wenn du für ungeeignet erklärt und in Ungnade nach Hause entlassen würdest.«

»Ich glaube dir nicht«, erklärte Cornelia starrköpfig.

Caesar erhob sich. »Du wirst mir schon glauben, wenn ich dich jetzt auf der Stelle nach Hause schicke!« Er wandte sich an Fabia, die fasziniert zugehört hatte. »Fabia, pack ihre Sachen zusammen und laß sie abtransportieren.«

Hier zeigte sich der Unterschied zwischen sieben und siebenundzwanzig Jahren: Cornelia Merula gab nach. »Ich beantworte deine Fragen, Pontifex Maximus«, sagte sie heroisch. Tränen glitzerten in ihren Augen, ohne herunterzukullern.

Caesar hätte sie am liebsten in die Arme genommen und mit Küssen überschüttet, aber das hätte er auf keinen Fall tun dürfen, nicht einmal, wenn es nicht so wichtig gewesen wäre, dieses Mädchen, wenn schon nicht zu zähmen, so doch wenigstens fügsamer zu machen. Sieben oder siebenundzwanzig, sie war eine vestalische Jungfrau und durfte nicht mit Küssen überschüttet werden.

»Du hast behauptet, ich sei unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hier, Cornelia. Was hast du damit gemeint?«

»Das hat Urgroßmutter gesagt.«

»Und alles, was Urgroßmutter sagt, ist wahr?«

Erschrocken riß sie die grauen Augen auf. »Aber natürlich!«

»Hat deine Urgroßmutter dir auch erklärt, warum ich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hier bin, oder war es einfach nur so dahingesagt?« fragte er mit fester Stimme.

»Sie hat es einfach so gesagt.«

»Ich bin nicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hier, ich bin der rechtmäßig gewählte Pontifex Maximus.«

»Du bist der Hamen Dialis«, murmelte Cornelia.

»Ich war der flamen Dialis, aber das ist schon sehr lange her. Man hatte mich bestimmt, den Platz deines Großvaters einzunehmen. Aber dann waren Unregelmäßigkeiten bei den Inaugurationszeremonien entdeckt worden, und die Priester und Auguren beschlossen, daß ich nicht als flamen Dialis weitermachen durfte.«

»Du bist noch immer der Hamen Dialis!«

»Domine«, sagte er freundlich. »Ich bin dein Herr, kleine Amsel, also mußt du höflich sein und mich domine nennen.«

»Domine, meinetwegen.«

»Ich bin nicht mehr der Hamen Dialis.«

»Bist du doch, Domine!«

»Warum?«

»Weil«, rief Cornelia Merula triumphierend aus, »weil es keinen Hamen Dialis mehr gibt!«

»Das ist auch eine Entscheidung der priesterlichen und augurischen Kollegen gewesen, kleine Amsel. Ich bin nicht mehr Hamen Dialis, aber bis zu meinem Tode soll auch kein anderer dazu bestimmt werden. Damit bei unserem Vertrag mit dem Großen Gott auch alles mit rechten Dingen zugeht.«

»Oh.«

»Komm her, Cornelia.«

Widerwillig ging sie um den Schreibtisch herum und blieb einen halben Meter vor seinem Sessel stehen.

»Streck die Hände aus.«

Sie zuckte zusammen, wurde blaß; Caesar verstand die Urgroßmutter um einiges besser, als Cornelia Merula die Hände wie ein Kind ausstreckte, das Strafe erwartet.

Er ergriff ihre Hände und drückte sie sanft. »Du mußt lernen, daß deine Urgroßmutter jetzt nicht mehr die mächtigste Frau in deinem Leben ist, kleine Amsel. Du bist in den Orden der vestalischen Jungfrauen eingetreten. Du bist aus den Händen deiner Urgroßmutter in meine Hände gegeben worden. Fühle sie, Cornelia. Fühle meine Hände.«

Schüchtern und sehr ängstlich kam sie der Aufforderung nach. Wie traurig, dachte er, daß sie bis zu ihrem achten Lebensjahr von keinem pater familias zärtlich in die Arme genomen und geküßt worden ist; und ihrem neuen pater familias ist es durch ein heiliges Gesetz verboten, sie in die Arme zu nehmen und zu küssen, obwohl sie noch ein Kind ist. Rom konnte eine grausame Geliebte sein.

»Sie sind stark, findest du nicht?«

»Ja«, flüsterte sie.

»Und viel größer als deine.«

»Ja.«

»Spürst du, daß sie zittern oder schwitzen?«

»Nein, domine.«

»Das muß dir genügen. Dein Schicksal liegt jetzt in meinen Händen. Ich bin von nun an dein Vater. Und ich werde als dein Vater für dich sorgen, wie der Große Gott und Vesta es von mir verlangen. Aber vor allem werde ich um deiner selbst willen für dich sorgen, weil du ein kleines Mädchen bist. Hier wirst du nicht verprügelt, noch bekommst du Ohrfeigen, du wirst nicht in dunkle Schränke gesperrt oder ohne Abendessen zu Bert geschickt. Das soll nicht heißen, daß es im Atrium Vestae keine Strafen gibt, aber hier wird über die Strafen nachgedacht und darauf geachtet, daß sie den Vergehen entsprechen: Wenn du etwas kaputtmachst, mußt du es wieder reparieren. Wenn du etwas schmutzig machst, mußt du es säubern. Aber für ein Vergehen gibt es keine andere Strafe als die unehrenhafte Entlassung: wenn du dir ein Urteil über deine Vorgesetzten erlaubst. Es steht dir nicht an, darüber zu bestimmen, was hier im Orden getrunken wird, wo die Getränke besorgt werden und von welcher Seite man aus dem Becher schlürft. Es steht dir nicht an, darüber zu bestimmen, was vestalischer Brauch, vestalische Tradition ist. Das mos maiorum ist keine statische Sache, es hat sich seit den Zeiten der Könige verändert. Wie alles auf der Welt muß es sich wandeln, um sich an die Zeiten anzupassen. Also, keine Kritik mehr, keine Urteile über andere. Hast du verstanden?«

»Ja, domine.«

Er ließ ihre Hände los. Er war dabei nicht näher als auf einen halben Meter an sie herangekommen. »Du darfst jetzt gehen, Cornelia, aber warte draußen. Ich möchte mit Fabia sprechen.«

»Danke, Pontifex Maximus«, seufzte Fabia erleichert.

»Du sollst mir nicht danken, Vorsteherin, du sollst dich bemühen, besonnen mit diesen Höhen und Tiefen umzugehen«, sagte Caesar. »Ich denke, ich sollte mich in Zukunft aktiver um die Ausbildung der drei jungen Mädchen kümmern. Einmal in der Woche Unterricht, von der Stunde nach Sonnenaufgang bis zum Mittag. Sagen wir... am dritten Tag nach dem nundinus.«

Jetzt war das Verhör endgültig beendet; Fabia stand auf, verneigte sich und ging hinaus.

»Armes kleines Ding!«

»Zu viele Prügel.«

»Was muß diese Urgroßmutter für ein Schreckgespenst sein!«

»Manche Menschen werden einfach zu alt, Caesar. Ich gehöre hoffentlich nicht dazu.«

»Wichtiger ist, Cato aus ihrem Kopf zu verbannen.«

»Nun, ich glaube, das wird dir gelingen. Erst recht, wenn du sie unterrichtest. Eine ausgezeichnete Idee. Weder Fabia noch Arruntia oder Popilla besitzen einen Funken gesunden Menschenverstand. Und ich darf mich nicht zu sehr einmischen. Ich bin eine Frau und nicht der pater familias.«

»Seltsam, Mater, ich war noch für kein einziges männliches Wesen der pater familias.«

Aurelia erhob sich lächelnd. »Darüber bin ich sehr froh, mein Sohn. Denk nur an den jungen Marius. Die Frauen in deinem Leben sind dankbar für deine Stärke und Autorität. Wenn du einen Sohn hättest, müßte er in deinem Schatten verkümmern. Wahre Größe überspringt in den meisten Familien nicht nur eine, sondern mehrere Generationen, Caesar. Du würdest ihn mit dir vergleichen, und er würde daran verzweifeln.«

Der Clodius-Club hatte sich in dem schönen, großen Haus versammelt, das Clodius mit Fulvias Geld gekauft hatte, und das gleich neben seiner einträglichsten Investition stand, einem teuren Mietshaus mit Luxuswohnungen. Alle wirklich wichtigen Mitglieder waren anwesend: die beiden Clodias, Fulvia, Pompeia Sulla, Sempronia Tuditani, Palla, Decimus Brutus (Sempronia Tuditanis Sohn), Curio, der junge Poplicola (Pallas Sohn), Clodius und ein übellauniger Marcus Antonius. »Ich wünschte, ich wäre Cicero«, sagte er düster, »dann hätte ich es nicht nötig, zu heiraten.«

»Das erscheint mir unlogisch, Antonius«, erwiderte Curio lächelnd. »Cicero ist verheiratet, und obendrein mit einer ziemlichen Beißzange.«

»Ja, aber die Leute sind so fest davon überzeugt, daß er sie vor Gericht freibekommt, daß sie sogar bereit sind, ihm fünf Millionen zu leihen«, insistierte Antonius. »Wenn ich die Leute vor Gericht freibekommen würde, müßte ich nicht heiraten, um an meine fünf Millionen zu kommen.«

»Oho!« sagte Clodius und hob den Kopf. »Wer ist denn die glückliche Braut, Antonius?«

»Onkel Lucius weigert sich, meine Schulden zu bezahlen. Und er ist jetzt unser pater familias, weil Onkel Hybrida nichts mit uns zu tun haben will. Das Vermögen meines Stiefvaters ist eingezogen worden, und vom Besitz meines Vaters ist nichts mehr übrig. Also muß ich so ein schreckliches Mädchen heiraten, das aus dem Mund riecht.«

»Wen?« wollte Clodius wissen.

»Sie heißt Fadia.«

»Fadia? Ich habe ich noch nie von einer Fadia gehört«, sagte Clodilla, zur Zeit glücklich geschieden. »Erzähl uns mehr von ihr, Antonius.«

Die gewaltigen Schultern hoben und senkten sich. »Mehr weiß ich auch nicht, ehrlich gesagt. Niemand kennt sie.«

»Es ist leichter, Blut aus einem Stein herauszuquetschen, als Informationen aus dir«, sagte Celers Frau Clodia. »Wer ist Fadia?«

»Ihr Vater ist ein stinkreicher Kaufmann aus Placentia.«

»Sie ist Gallierin?« stieß Clodius hervor.

Ein anderer Mann hätte sich verteidigt, doch Antonius grinste bloß. »Onkel Lucius schwört, daß sie es nicht ist. Makellose Römerin, sagt er. Dann wird sie es wohl auch sein. Mit Stammbäumen kennen die Caesars sich aus.«

»Erzähl weiter!« forderte Curio ihn auf.

»Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Der alte Titus Fadius hat einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn soll einmal Senator werden, und der Alte meint, das geht am besten, wenn er für die Tochter einen aristokratischen Ehemann findet. Der Sohn muß so grauenhaft sein, daß ihn so leicht keine nimmt. Da sind sie auf mich gekommen.« Antonius lächelte Curio an, und dabei kamen erstaunlich kleine, aber regelmäßige Zähne zum Vorschein. »Beinahe wärst du dran gewesen, aber dein Vater sagt, lieber würde er seine Tochter auf den Strich schicken, als in so etwas einzuwilligen.«

Curio brach kichernd züämmen. »Der hat Nerven! Scribonia ist so häßlich, nur Appius Claudius der Blinde hätte an der Interesse.«

»Ach, halt doch die Klappe, Curio!« sagte Pompeia. »Wir alle kennen Scribonia, aber Fadia kennen wir nicht. Ist sie ansehnlich, Marcus?«

»Ihre Mitgift ist ansehnlich.«

»Wieviel?« fragte Decimus Brutus.

»Der augenblickliche Preis für den Enkel von Antonius Orator beträgt dreihundert Talente!«

Curio pfiff durch die Zähne. »Sollte Fadius meinen tata ein zweites Mal fragen — dann trage ich eben im Bett eine Augenbinde! Das ist ja anderthalbmal soviel wie Ciceros fünf Millionen! Da bleibt sogar noch etwas übrig, wenn du deine Schulden bezahlt hast.«

»So schlimm wie mit Vetter Gaius steht es bei mir noch nicht, Curio!« erwiderte Antonius kichernd. »Ich habe bloß eine halbe Million Schulden.« Er wurde wieder ernst. »Außerdem hat niemand von denen die Absicht, mir Bargeld in die Hand zu drücken. Onkel Lucius und Titus Fadius setzen den Ehevertrag so auf, daß Fadia die Kontrolle über ihr Vermögen behält.«

»Ach, Marcus, wie schrecklich!« rief Clodia.

»Ja, das habe ich auch gesagt, nachdem ich mich geweigert hatte, sie unter diesen Bedingungen zu heiraten«, sagte Antonius selbstzufrieden.

»Du hast dich geweigert?« fragte Palla, und ihre roten Backen arbeiteten wie bei einem Eichhörnchen, das Nüsse kaut.

»Ja.«

»Und dann?«

»Sie sind mir entgegengekommen.«

»Ganz?«

»Nicht ganz, aber weit genug. Titus Fadius hat eingewilligt, meine Schulden zu bezahlen und mir außerdem eine Million in bar zu geben. Also heirate ich in zehn Tagen, und keiner von euch ist zur Hochzeit eingeladen. Onkel Lucius will, daß ich einen anständigen Eindruck mache.«

»Bei Geilheit keine Gallierin!« heulte Curio.

Sie hielten sich die Bäuche vor Lachen.

Das Beisammensein ging noch eine Weile fröhlich weiter, auch wenn nichts von Belang mehr gesagt wurde. Nur zwei Anstandsdamen kauerten hinter der Liege, auf der Pompeia zusammen mit Palla lag, und beide waren mit Pompeia gekommen. Die Jüngere war ihr eigenes Mädchen Doris, die ältere der beiden war Aurelias bewährter Wachhund Polyxena. Sämtliche Mitglieder des Clodius-Clubs waren sich darüber im klaren, daß jedes Wort, das hier gesprochen wurde, brühwarm an Aurelia weitergegeben würde, sobald Pompeia ins Domus Publica zurückgekehrt war. Ärgerlich. Deshalb fand so manches Treffen ohne Pompeia statt, entweder weil der Unfug, der dort ausgeheckt wurde, nicht für die Ohren der Mutter des Ponlifex Maximus geeignet war, oder weil wieder einmal jemand den Antrag stellen wollte, Pompeia endgültig auszuschließen. Es gab jedoch einen guten Grund, Pompeia immer wieder den Zutritt zu gewähren: Manchmal konnte es ganz nützlich sein, an einen alten strengen Stützpfeiler der Gesellschaft mit sehr großem Einfluß, gezielt Informationen weiterzugeben.

Doch heute war Publius Clodius am Ende seiner Geduld. »Pompeia«, sagte er mit harter Stimme, »die alte Spionin in deinem Rücken ist mir ein Graus! Hier geht nichts vor sich, was nicht ganz Rom wissen dürfte, aber ich habe etwas gegen Spitzel, und deshalb habe ich etwas gegen dich! Geh nach Hause und nimm deinen elenden Spitzel mit!«

Pompeias leuchtende und verblüffend grüne Augen füllten sich mit Tränen. Ihre Lippen begannen zu zittern. »O bitte, Publius Clodius! Bitte!«

Clodius wandte ihr den Rücken zu. »Geh nach Hause!« sagte er.

Es entstand ein betretenes Schweigen, während Pompeia sich von der Liege erhob, in ihre Schuhe schlüpfte und den Raum verließ. Polyxena folgte mit dem gewohnten hölzernen Ausdruck auf dem Gesicht, Doris schluchzte.

»Das war nicht nett, Publius«, sagte Clodia, nachdem sie gegangen waren.

»Nettigkeit gehört nicht zu den Tugenden, die ich schätze!« fauchte Clodius.

»Sie ist Sullas Enkeltochter!«

»Und wenn sie Jupiters Enkeltochter wäre! Ich ertrage diese Polyxena nicht mehr!«

»Vetter Gaius ist kein Narr«, sagte Antonius. »Niemand nähert sich seiner Frau, ohne es mit einem Drachen wie Polyxena zu tun zu kriegen, Clodius.«

»Das weiß ich, Antonius.«

»Und dabei ist er selber so reich an Erfahrungen«, erklärte Antonius und grinste. »Ich bezweifle, daß es noch irgendeine Methode gibt, die er nicht kennt, wenn es darum geht, Ehemännern Hörner aufzusetzen.« Er seufzte vergnügt. »Er ist kalt wie der Nordwind, aber die einzige Zierde unserer langweiligen Familie, und er hat mehr Eroberungen als Apollo aufzuweisen.«

»Ich will Caesar keine Hörner aufsetzen, ich will mir nur diese Polyxena vom Hals schaffen!« knurrte Clodius.

Plötzlich begann Clodia zu kichern. »Nun, jetzt, da die Augen und Ohren von Rom sich verabschiedet haben, kann ich euch ja erzählen, was neulich abends auf Atticus’ Essenseinladung passiert ist.«

»Huch, muß das aufregend gewesen sein, Clodia-Schatz«, feixte der junge Poplicola. »So richtig schön züchtig und sittsam!«

»Und ob. Vor allem, weil Terentia dabei war.«

»Und warum willst du uns das erzählen?« fragte Clodius grantig, immer noch erzürnt über Polyxena.

Clodias Stimme wurde leiser und bedeutungsschwer. »Ich saß Cicero gegenüber!« verkündete sie.

»Wie hast du diese Ekstase bloß ausgehalten?« fragte Sempronia Tuditani.

»Du meinst wohl, wie hat er sie ausgehalten?«

Jetzt wandten sich ihr alle Köpfe zu.

»Clodia, er hat doch nicht.. .!« schrie Fulvia.

»Und ob er hat«, erwiderte Clodia selbstzufrieden. »Er hat sich wahnsinnig in mich verliebt.«

»Vor Terentias Augen?«

»Nun ja, sie saß um die Ecke, dem lectus imus gegenüber, deshalb hat sie uns den Rücken zugekehrt. Ja, dank meinem Freund Atticus hat Cicero die Maske fallenlassen.«

»Und was ist passiert?« fragte Curio.

»Ich habe ihm vom Anfang bis zum Ende des Mahls schöne Augen gemacht, das ist passiert. Und er fand es wunderbar! Er hat gesagt, er kennt in Rom keine belesenere Frau als mich! Weil ich diesen neuen Dichter zitiert habe, diesen Catullus.« Sie wandte sich an Curio. »Hast du ihn gelesen? Göttlich!«

Curio wischte sich die Augen. »Nie von ihm gehört.«

»Ganz neu. Erscheint natürlich bei Atticus. Kommt aus dem italischen Gallien, von jenseits des Padus. Atticus sagt, daß er bald nach Rom kommt. Ich kann es kaum erwarten, ihn kennenzulernen.«

»Zurück zu Cicero«, drängte Clodius, der Möglichkeiten auf dem Forum witterte. »Wie ist er so als verliebter Gockel? Hätte ich ihm nicht zugetraut, ehrlich.«

»Ach, ziemlich albern und kindisch«, sagte Clodia ein wenig gelangweilt. Sie rollte sich auf den Rücken und streckte die Beine. »Alles an ihm verändert sich. Der pater patriae wird zur plautischen Witzfigur. Deshalb war es ja auch so lustig. Ich habe ihn dazu gebracht, sich immer mehr zum Narren zu machen.«

»Du bist ein niederträchtiges Weib!« sagte Decimus Brutus.

»Das fand Terentia auch.«

»Aha! Sie ist also doch dahintergekommen?«

»Irgendwann ist der ganze Saal dahintergekommen.« Clodia zog ihr Näschen kraus und sah dabei bezaubernd aus. »Je mehr er sich in mich verknallte, desto lauter und alberner wurde er. Atticus war wie gelähmt vor Lachen.« Sie schüttelte sich theatralisch.

»Und Terentia war wie gelähmt vor Zorn. Armer alter Cicero! Wieso eigentlich alt? Na ja, arm dran war er jedenfalls. Keinen halben Meter hinter Atticus’ Haustür ist Terentia ihm an die Gurgel gegangen.«

»An was anderes geht sie bei dem bestimmt nicht mehr ran,« gurrte Sempronia Tuditani.

Der brüllende Heiterkeitsausbruch brachte sogar die guten Geister in Fulvias Küche auf der anderen Seite des Gartens zum Lächeln — was war das für ein fröhliches Haus!

Plötzlich wechselte Clodias Belustigung die Tonlage. Sie richtete sich kerzengerade auf und blickte ihren Bruder spitzbübisch an. »Publius Clodius, hättest du Lust auf ein besonders pikantes Schelmenstück?«

»Du kannst mich auch fragen, ob Caesar ein Römer ist!«

Am nächsten Morgen stand Clodia in Begleitung von mehreren anderen Frauen aus dem Clodius-Club vor der Haustür des Pontifex Maximus.

»Ist Pompeia zu Hause?« fragte sie Eutychus.

»Sie ist zu sprechen, domina«, sagte der Verwalter und verbeugte sich, als er sie einließ.

Die kleine Gruppe stieg die Treppe hinauf, und Eutychus eilte wieder zu seiner Arbeit. Er fand es nicht nötig, Polyxena zu rufen; der junge Quintus Pompeius Rufus war nicht in Rom, und andere Männer waren nicht in der Nähe.

Anscheinend hatte Pompeia die Nacht durchgeweint; ihre Augen waren rot und verquollen, und sie war in einem kläglichen Zustand. Als Clodia und die anderen hereingestürzt kamen, sprang sie auf.

»Ach, Clodia, ich war sicher, daß ich dich nie wiedersehen würde!« rief sie.

»Meine Liebe, das würde ich dir niemals antun. Aber du kannst es meinem Bruder nicht verdenken, oder? Polyxena hinterbringt alles Aurelia.«

»Das weiß ich ja! Es tut mir auch leid, aber was kann ich tun?«

»Nichts, meine Liebe, gar nichts.« Clodia setzte sich wie ein prächtiger Vogel in Positur, dann lächelte sie der Gruppe zu, die sie mitgebracht hatte: Fulvia, Clodilla, Sempronia Tuditani, Palla und noch einer Person, die Pompeia nicht kannte.

»Das ist meine Base Claudia«, stellte Clodia sie artig vor. »Sie kommt vom Land und macht bei uns Ferien.«

»Ave, Claudia«, sagte Pompeia Sulla mit dem üblichen nichtssagenden Lächeln. Wenn Claudia vom Land kommt, dachte sie, dann läßt sie sich wohl von Palla und Sempronia Tuditani beeinflussen, so angemalt und blondgefärbt wie sie ist; oder sie kommt aus einer besonders modebewußten Gegend. Pompeia bemühte sich, höflich zu sein. »Die Ähnlichkeit ist unverkennbar«, sagte sie.

»Das will ich doch hoffen«, erwiderte Base Claudia und setzte die phantastische Perücke aus goldenen Haaren ab.

Es hatte kurz den Anschein, als würde Pompeia in Ohnmacht fallen, ihre Kinnlade klappte nach unten, und sie hielt die Luft an.

»Pssst!« zischte Publius Clodius, schritt in gar nicht femininer Manier zur äußeren Tür und schob den Riegel vor. Dann kehrte er an seinen Platz zurück, schürzte die Lippen und klimperte mit den Augendeckeln. »Meine Liebe, was für eine göttliche Wohnung!« flötete er.

»Oh, oh, oh!« quiekte Pompeia. »Oh, das geht doch nicht!«

»Doch, das geht. Hier bin ich«, sagte Clodius mit seiner normalen Stimme. »Und du hast recht, Clodia. Keine Polyxena.«

»Bitte, bitte, ihr müßt wieder gehen!« flüstere Pompeia, händeringend und ganz blaß im Gesicht. »Meine Schwiegermutter!«

»Wie, die spioniert hier auch hinter dir her?«

»Normalerweise nicht, aber bald ist Bona Dea, und das findet hier statt. Ich soll es vorbereiten.«

»Du meinst natürlich, Aurelia wird es vorbereiten«, höhnte Clodius.

»Natürlich ist es so! Aber sie spricht alles sehr genau mit mir ab, weil ich die offizielle Gastgeberin bin, als Frau des Prätors, in dessen Haus die Bona Dea ausgerichtet wird. Ach, Clodius, geht jetzt bitte! Zur Zeit kommt sie ständig hier herein, und wenn sie meine Tür verriegelt findet, rennt sie gleich zu Caesar.«

»Mein armes Kind!« gurrte Clodius und nahm Pompeia in die Arme »Ich gehe, ich versprech’s dir.« Er schlenderte zu dem auf Hochglanz polierten, silbernen Wandspiegel hinüber und setzte sich mit Fulvias Hilfe die Perücke wieder auf.

»Du bist keine Schönheit, Publius«, sagte seine Frau, während sie letzte Hand an seine Frisur legte, »aber du würdest eine passable Frau abgeben.« Sie mußte kichern. »Wenn auch in einem etwas dubiosen Gewerbe!«

»Komm, laßt uns gehen«, sagte Clodius, zu den restlichen Besucherinnen gewandt. »Ich wollte Clodia bloß beweisen, daß es machbar ist. Und das ist mir gelungen.«

Der Türriegel schnappte zurück; die Gruppe von Frauen — mit Clodius in ihrer Mitte — verließ das Haus. Gerade noch rechzeitig, denn kurz darauf erschien Aurelia und zog mißbilligend die Augenbrauen hoch. »Wer hat sich da eben in aller Eile aus dem Haus geschlichen?«

»Clodia und Clodilla und ein paar andere.«

»Du solltest dir lieber überlegen, was für Milch wir servieren.«

»Milch?« fragte Pompeia erstaunt.

»Ach, Pompeia!« Aurelia blickte ihre Schwiegertochter beinahe mitleidig an. »Hast du denn wirklich nichts außer Schmuck und Kleidern in deinem Kopf?«

Daraufhin brach Pompeia in Tränen aus. Aurelia stieß einen ihrer gemäßigten Kraftausdrücke aus (und das noch mit gedämpfter Stimme) und verließ das Zimmer, bevor sie Lust bekam, Pompeia eine Ohrfeige zu verabreichen.

Draußen eilten die fünf echten Frauen und Clodius die Via Sacra hinauf, anstatt hinunter zum unteren Forum zu gehen; sie befürchteten, einem Mann zu begegnen, den sie alle nur zu gut kannten. Clodius fühlte sich durchaus wohl in seiner Haut, wie er dort entlangflanierte und die Aufmerksamkeit der gutbetuchten Bürgerinnen auf sich zog, die am Porticus Margaritaria und auf dem oberen Forum Einkäufe machten. Die fünf Frauen waren am Schluß heilfroh, ihn nach Hause gezogen zu haben, ohne daß jemand ihn in der Verkleidung erkannt hatte.

»Man wird mich noch tagelang fragen, mit was für einem seltsamen Geschöpf ich heute morgen übers Forum gelaufen bin«, schimpfte Clodia, nachdem die Requisiten abgelegt und die Schminke abgewaschen waren. Publius Clodius hatte es sich auf einer Liege bequem gemacht.

»Es war doch deine Idee!« protestierte er.

»Ja, aber du hättest dich nicht öffentlich in Szene setzen dürfen! Wir hatten ausgemacht, daß du dich auf dem Hin- und Rückweg ruhig verhältst und nicht hinternwackelnd durch die Gegend trippelst!«

»Sei jetzt ruhig, Clodia, ich muß nachdenken!«

»Worüber?«

»Über eine kleine Vergeltungsmaßnahme.«

Fulvia kuschelte sich an seine Seite. Sie spürte die Veränderung. Niemand wußte besser als seine Frau, daß Clodius im Kopf eine Liste mit Opfern führte, und niemand war mehr bereit, ihn zu unterstützen, als sie. In letzter Zeit war die Liste kürzer geworden — Catilina war nicht mehr, und die Araber hatte er gänzlich von ihr gestrichen. Um wen konnte es also gehen?

»Wer?« fragte sie und schnappte nach seinem Ohrläppchen.

»Aurelia«, sagte er zwischen den Zähnen. »Höchste Zeit, daß die einmal jemand in die Schranken weist.«

»Und wie willst du das anstellen?« fragte Palla.

»Fabia wird auch etwas abbekommen«, sagte er nachdenklich. »Die braucht ebenfalls eine Lektion.«

»Was führst du im Schilde, Clodius?« fragte Clodilla mißtrauisch.

»Groben Unfug!« jauchzte er, stürzte sich auf Fulvia und begann, sie gnadenlos durchzukitzeln.

Bona Dea war die Gute Göttin, so alt wie Rom selbst, und deshalb besaß sie weder Gesicht noch Form; sie war numen. Sie hatte einen Namen, aber der durfte nicht ausgesprochen werden, so heilig war er. Was sie römischen Frauen bedeutete, konnte kein Mann verstehen, und auch nicht, warum man sie eine Göttin nannte. Sie wurde abseits der offiziellen Staatsreligion verehrt, und auch wenn das Schatzamt ihr ein wenig Geld gewährte, sprach sie zu keinem Mann und zu keiner Gruppe von Männern. Die Vestalinnen hatten sich ihrer angenommen, denn sie besaß keine eigenen Priesterinnen. Die Vestalinnen stellten auch die Frauen ein, die sich um ihren geheiligten Heilkräutergarten kümmerten, und hatten die daraus gewonnenen Arzneien in ihrer Obhut, die nur an römische Frauen ausgegeben werden durften.

Und sie hatte auch keinen Platz im Rom der Männer. Ihr gewaltiger Tempel lag außerhalb der geheiligten Stadtgrenze, an den Hängen des Aventin, unter einer hervorstehenden Felsnase, dem Saxum Sacrum, dem geheiligten Stein in der Nähe der Wasserspeicher. Kein Mann wagte sich in die Nähe, und dort wuchs keine Myrte. Im Allerheiligsten stand eine Statue, aber es war kein Abbild der Bona Dea, nur etwas, das man dorthin gestellt hatte, um die bösen Kräfte zu täuschen, die von Männern erzeugt wurden. In ihrem Revier wimmelte es von Schlangen. Männer waren Schlangen, so hieß es. Und wo sie so viele Schlangen hatte, was brauchte Bona Dea da noch Männer?

Die Arznei, für die Bona Dea berühmt war, stammte aus einem Garten oben am Tempel. Es gab dort Beete mit den verschiedensten Kräutern, und auf einem Feld wuchs ein Meer von krankem Roggen, der an jedem ersten Mai gesät und unter Aufsicht der Vestalinnen geerntet werden mußte, während Tausende von Schlangen in der Sonne dösten oder sich zwischen den Halmen räkelten — unbehelligt und ohne jemanden zu behelligen. Aus den schütteren Ähren dieses Getreides gewannen sie das Elixier der Bona Dea.

Am ersten Mai weckten die Frauen Roms ihre Gute Göttin aus dem sechsmonatigen Winterschlaf; sie taten dies mit Blumen und Festlichkeiten, die um ihren Tempel herum abgehalten wurden. Römische Bürgerinnen aus allen gesellschaftlichen Schichten versammelten sich, um an den Mysterienspielen teilzunehmen, die bei Morgengrauen begannen und bei Einbruch der Dunkelheit ihr Ende fanden. Die sorgsam gehegte Doppeldeutigkeit der Guten Göttin manifestierte sich in der Maiengeburt und dem Roggentod, in Wein und Milch. Denn Wein war verboten und mußte doch in großen Mengen konsumiert werden. Man nannte ihn Milch und lagerte ihn in kostbaren silbernen Gefäßen, die man Honigtöpfe nannte, eine weitere List, um die männlichen Wesen zu verwirren. Müde Frauen machten sich auf den Heimweg, voll mit Milch aus Honigtöpfen, noch immer ganz erregt vom aufreizenden Dahingleiten der Schlangen, in seliger Erinnerung an die kräftigen Kontraktionen der Schlangenmuskeln, den Kuß der geteilten Zungen, die aufgebrochene Erde, die den Samen empfing, die Krone aus Weinblättern, den ewig weiblichen Kreislauf von Geburt und Tod. Aber kein Mann wußte oder wollte auch nur wissen, was am Maitag oben bei der Bona Dea geschah.

Anfang Dezember begab sich Bona Dea wieder zur Ruhe, aber nicht vor aller Augen, wenn die Sonne am Himmel stand oder die gewöhnliche römische Frau unterwegs war. Denn was sie im Winter träumte, war ihr Geheimnis. Das Ritual blieb den Römerinnen von höchster Geburt vorbehalten. Alle ihre Töchter durften ihrer Wiederaufstehung beiwohnen, aber Zeuginnen ihres Sterbens durften nur die Töchter der Könige sein. Der Tod war heilig. Der Tod war nicht öffentlich.

Daß die Bona Dea dieses Jahr im Hause des Pontifex Maximus zur Ruhe gelegt werden sollte, stand seit langem fest; die Wahl des Ortes war den Vestalinnen vorbehalten, allerdings mit der Auflage, daß es das Haus eines amtierenden Konsuls oder Prätors sein mußte. Seit der Zeit des Ahenobarbus Pontifex Maximus hatte es nicht mehr die Möglichkeit gegeben, die Zeremonie im Domus Publica zu begehen. Dieses Jahr war es möglich. Das Haus des Stadtprätors Julius Caesar war ausgewählt worden, und seine Frau Pompeia Sulla würde die offizielle Gastgeberin sein. Zeitpunkt war die dritte Nacht des Dezember, in dieser Nacht durften kein Mann und kein männliches Kind sich im Domus Publica aufhalten und auch keine männlichen Sklaven.

Natürlich war Caesar begeistert, daß man sich für sein Haus entschieden hatte, und er erklärte sich nur allzugern bereit, in dieser Nacht in seinen Räumen am unteren Vicus Patricii zu schlafen; vermutlich hätte er seine alte Wohnung in Aurelias Mietshaus vorgezogen, aber die war gerade vom Prinzen Masintha von Numidia besetzt, seinem Klienten, der in diesem Jahr einen Gerichtsprozeß verloren hatte. Dabei waren Masintha die Nerven durchgegangen! Er war so erbost über die ständigen Lügen des Prinzen Juba gewesen, daß er ihn an seinem Bart aus dem Sessel gezogen hatte. Da er kein römischer Bürger war, hätten ihm Auspeitschung und Erdrosseln gedroht, aber Caesar hatte ihn rechzeitig in die Obhut von Lucius Decumius gegeben und versteckte ihn jetzt immer noch dort. Vielleicht, dachte der Pontifex Maximus, während er den Hügel hinauf in die Subura ging, konnte es gerade in einer solchen Nacht nicht schaden, sich eine der wunderbaren, erdigen Frauen aus der Subura zu Gemüte zu führen. Zeit und Schicksal hatten dafür gesorgt, daß diese Frauen aus seinem Gesichtskreis entschwunden waren. Ja, eine ausgezeichnete Idee! Zuerst ein Abendessen mit Lucius Decumius, und dann ein kurzes Briefchen an Gavia oder Apronia oder Scaptia...

Es war bereits stockfinster, aber ausnahmsweise war der Teil der Via Sacra, der sich durch das Forum Romanum schlängelte, an diesem Abend von Fackeln erleuchtet; eine scheinbar endlose Parade von Sänften und Lakaien strömte aus verschiedenen Richtungen auf das Hauptportal des Domus Publica zu, und in dem dunstigen Schleier aus Licht blitzte hier und da ein wundersam gefärbtes Kleid, ein funkelndes Schmuckstück, ein erwartungsfrohes Gesicht auf. Begrüßungsrufe, Gekicher, kurze Gesprächsfetzen schwebten durch die Luft, als die Frauen ausstiegen und das Vestibül des Domus Publica betraten, die auf den Boden schleifenden Roben rafften, sich die Frisuren ordneten, eine Brosche oder einen Ohrring zurechtrückten. Viel Kopfschmerzen und so mancher Wutanfall dürfte die Vorbereitungen für die passende Abendgarderobe begleitet haben, denn dies war die beste Gelegenheit des Jahres, den anderen Frauen zu zeigen, wie modisch man sich zu kleiden vermochte und welch kostbare Schätze die Schmuckschatullen das Jahr über bargen. Männer hatten dafür kein Auge, aber Frauen.

Die Gästeliste war ungewöhnlich lang, weil diesmal großzügige Räumlichkeiten zur Verfügung standen; Caesar hatte das große Peristylium mit einem Zeltdach übespannen lassen, um es gegen unerwünschte Blicke von der Via Nova abzuschirmen, was bedeutete, daß die Frauen sich dort ebenso aufhalten konnten wie im Atriumtempel, im großen Speisesaal des Pontifex Maximus und in seinem Empfangsraum. Überall glommen Lichter, die Tische waren mit den köstlichsten Speisen beladen, die Honigtöpfe waren riesengroß und enthielten »Milch« eines vorzüglichen Jahrgangs. Kleine Gruppen von Musikantinnen zogen überall herum, spielten auf ihren Pfeifen, Flöten und Lyren, kleinen Trommeln, Kastagnetten, Tamburinen und silbernen Rasseln; Dienerinnen huschten mit Platten voller Delikatessen und Nachschub an »Milch« zwischen den Gästegruppen hin und her.

Bevor die feierliche Zeremonie beginnen konnte, mußte für die richtige Stimmung gesorgt werden, daß heißt, erst einmal wollten Essen, Trinken und Plaudern zu ihrem Recht kommen. Niemand hatte es eilig damit; es mußte so viel nachgeholt werden, viele Gesichter hatte man lange nicht mehr gesehen, und gute Freundinnen steckten eifrig die Köpfe zusammen, um den neuesten Klatsch auszutauscshen.

Man brauchte keine richtigen Schlangen, um die Bona Dea in den Winterschlaf zu wiegen; ihr Schlafmittel war die mehrschwänzige Schlangenpeitsche, ein scheußliches Ding, dessen Riemen sich nicht weniger liebevoll um das Fleisch einer Frau wickelten als jede Schlange. Aber die Geißelung würde später stattfinden, wenn der Winteraltar der Bona Dea erleuchtet war und man genug »Milch« getrunken hatte, um den Schmerz nicht nur zu lindern, sondern zu ganz besonderer Ekstase zu steigern. Bona Dea war eine unerbittliche Liebhaberin.

Aurelia hatte darauf bestanden, daß Pompeia Sulla und Fabia die Begrüßungszeremonie übernahmen, und sie war froh darüber, daß die Damen des Clodius-Clubs erst mit den letzten Gästen eintrafen. Kein Wunder, übrigens! Schließlich mußte es nicht mehr ganz junge Flittchen wie Sempronia Tuditani und Palla mehrere Stunden gekostet haben, die vielen Schichten Schminke auf ihren Gesichtern zu verteilen — ihre mageren Gestalten dagegen dürften sie im Handumdrehen in die spärlichen Kleider gesteckt haben! Die Clodias sahen bezaubernd aus, wie Aurelia neidlos anerkennen mußte: hübsche Kleider, der dazu passende Schmuck (und nicht zuviel davon) und nur ein Hauch von Mascara und Karminrot. Fulvia war wie immer ein Fall für sich, vom flammenfarbenen Kleid bis hin zu den vielen Ketten aus schwarzen Perlen; sie war inzwischen Mutter eines zweijährigen Sohnes, aber ihre Figur hatte darunter nicht gelitten.

»Ja, ja, du kannst jetzt gehen!« sagte die Schwiegermutter zu Pompeia, die von Fulvia mit Küssen überschüttet worden war, und als Caesars kapriziöse Gemahlin mit ihrer Busenfreundin Arm in Arm und fröhlich plappernd davonzog, lächelte sie säuerlich.

Kurz darauf verließ Aurelia die Empfangshalle in der Überzeugung, daß inzwischen alle eingetroffen seien. Doch ihre Sorge, es könnte nicht alles wie am Schnürchen klappen, ließ sie nicht ruhen; sie eilte von Raum zu Raum, hatte die Augen überall, zählte die Dienerinnen, schätzte das Speisenangebot ab, prägte sich die Gäste und die Plätze ein, an denen diese sich niedergelassen hatten. Auch in diesem kontrollierten Chaos funktionierte der Abakus in ihrem Kopf, rückten die einzelnen Kügelchen wie von selbst an die richtige Stelle. Und doch nagte etwas an ihr, ließ ihr keine Ruhe — was war es nur? Fehlte jemand? Irgend jemand fehlte hier!

Zwei Musikantinnen schlenderten an ihr vorbei, um sich in einer Spielpause eine Erfrischung zu holen. Die Pfeifen hatten sie an den Handgelenken befestigt, um die Hände für »Milch« und Honigkuchen frei zu haben.

»Chryse, das ist das schönste Bona Dea, das ich je erlebt habe«, sagte die größere von beiden.

»Finde ich auch!« stimmte die andere ihr mit vollem Mund zu. »Ich wünschte, alle unsere Auftritte wären so schön, Doris.«

Doris! Doris! Die fehlte. Pompeias Zofe Doris! Vor einer Stunde hatte Aurelia sie zuletzt gesehen. Wo mochte sie stecken? Was heckte sie gerade aus? Schmuggelte sie heimlich »Milch« in die Küche? Oder hatte sie selbst so viel davon getrunken, daß sie in einer stillen Ecke eingeschlafen war oder sich übergab?

Aurelia ging los, die Nase auf einer Spur, der nur sie zu folgen vermochte; Zurufe und Einladungen verschiedener Gruppen, sich doch zu ihnen zu gesellen, hörte sie gar nicht.

Nein, im Speisesaal war sie nicht. Im Peristylium auch nicht. Und ganz bestimmt nicht im Atrium oder im Vestibül. Blieb nur noch die Empfangshalle, bevor Aurelia sich in anderen Revieren auf die Suche machte.

Vielleicht war der Reiz des Neuen der Grund dafür, daß die meisten Gäste sich unter Caesars safrangelbem Zelt im Peristylium versammelt hatten. Der Rest verteilte sich auf das Speisezimmer und das Atrium, die beide zum Garten hin offen waren. Dagegen war die Empfangshalle, die wegen ihrer Größe und Bauweise schwer zu beleuchten war, nahezu menschenleer. Das Domus Publica hatte wieder einmal bewiesen, das es mit zweihundert Gästen und hundert Dienstboten nicht annähernd zu füllen war.

Aha! Da war Doris! Sie stand am Hauptportal und ließ gerade eine Musikantin ein. Und was für eine Musikantin! Eine höchst sonderbare Erscheinung, gekleidet in kostbarste, mit Goldfäden durchwirkte Seide aus Kos, mit phantastischen Juwelen um den Hals und in ihrem außergewöhnlich gelben Haar. Unter den linken Arm hatte sie sich eine wunderbare Lyra aus Schildpatt mit Intarsien aus Bernstein und goldenen Stiften geklemmt. Sollte es in Rom tatsächlich eine Musikantin geben, die sich ein solches Kleid, solche Juwelen und ein derartig kostbares Instrument leisten konnte? Wohl kaum, es sei denn, sie wäre hoch berühmt gewesen!

Auch mit Doris stimmte etwas nicht. Das Mädchen stand so seltsam da, lachte affektiert, warf die Hände vors Gesicht und verdrehte beim Anblick der seltsamen Musikantin in freudiger und beinahe verschwörerischer Erwartung die Augen. Lautlos schlich sich Aurelia an die beiden heran, mit dem Rücken zur Wand, dort, wo das Halbdunkel am schwächsten erleuchtet war. Und als sie die Musikantin mit Männerstimme sprechen hörte, stürzte sie sich auf sie.

Der Eindringling war ein schmächtiger Bursche und nicht besonders groß, aber er hatte die Kraft und die Gewandtheit eines jungen Mannes; eigentlich hätte es für ihn kein Problem sein sollen, eine betagte Frau wie Caesars Mutter abzuschütteln. Die alte Schachtel! Das würde sie und Fabia lehren, ihn weiterhin zu schikanieren! Aber das war alles andere als eine betagte Frau! Das war Proteus höchstpersönlich! Er konnte sich drehen und winden, wie er wollte, Aurelia ließ sich nicht abschütteln.

Ihr Mund öffnete sich, und sie schrie: »Hilfe, Hilfe! Man hat uns geschändet! Zu Hilfe! Die Mysterien sind entweiht worden! Zu Hilfe!«

Aus allen Richtungen kamen Frauen gelaufen; ganz unwillkürlich gehorchten sie Caesars Mutter, der die Menschen ein ganzes Leben lang gehorcht hatten. Die Lyra des Musikanten fiel scheppernd zu Boden, seine Arme waren am Körper gefesselt, die bloße Überzahl hatte ihn besiegt. Jetzt konnte Aurelia loslassen. Sie wandte sich an das Publikum.

»Dies«, stellte sie fest, »ist ein Mann.«

Inzwischen hatten sich die meisten Gäste versammelt und sahen entgeistert zu, wie Aurelia ihm die goldene Perücke vom Kopf und das fadenscheinige, kostspielige Kleid vom Leib riß, unter dem eine behaarte Männerbrust zum Vorschein kam: Publius Clodius.

»Frevel!« schrie jemand. Ein Heulen und Kreischen hob an und hatte schon bald eine solche Lautstärke erreicht, daß sich aus jedem Fenster der Via Nova die Köpfe der Neugierigen reckten; Frauen liefen in alle Richtungen davon, jammerten darüber, daß die Riten der Bona Dea beschmutzt und entweiht seien. Die Sklavinnen flüchteten in ihre Unterkünfte, Musikantinnen wälzten sich am Boden und rauften sich die Haare, die drei erwachsenen Vestalinnen warfen die Schleier vor die schmerzverzerrten Gesichter, um Trauer und Entsetzen vor allen Augen außer denen der Bona Dea zu verbergen.

Inzwischen wischte Aurelia dem wie wahnsinnig lachenden Clodius mit einem Zipfel ihres eigenen Kleides über das Gesicht und verschmierte das viele Rot und Schwarz und Weiß zu einem schmutzigen, streifigen Braun.

»Seht her!« schrie sie mit einer ganz anderen als ihrer gewohnten Stimme. »Ich rufe euch zu Zeugen, daß diese männliche Kreatur, die das Mysterium der Bona Dea geschändet hat, niemand anderer ist als Publius Clodius!«

Und plötzlich fand der junge Mann es nicht mehr lustig. Clodius hörte auf zu gackern, starrte in das versteinerte, schöne Gesicht und verspürte eine schreckliche Angst, die er wiedererkannte. Er glaubte sich wieder in dem fremden, dunklen Zimmer in Antiochia, doch diesmal mußte er nicht um seine Hoden fürchten; diesmal stand sein Leben auf dem Spiel. Religionsfrevel konnte noch immer auf die alte Art mit dem Tode bestraft werden, und nicht einmal die Elite aller großen Advokaten Roms könnte ihn da wieder herauspauken. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Paroxysmus des Schreckens: Aurelia war die Bona Dea! Er sammelte jedes Gran an Kraft, daß ihm geblieben war, befreite sich aus der Umklammerung der Arme und stürzte auf den Durchgang zu, der zur Wohnung des Pontifex Maximus und zum Speisezimmer führte. Dahinter befand sich der private Garten, und hinter einer hohen Mauer aus Backsteinen wartete die Freiheit. Wie eine Katze sprang er ab, krallte und hangelte sich hinauf, mußte seinen Körper verrenken, damit er den Armen folgen konnte, wälzte sich über die Mauer und stürzte auf der anderen Seite zu Boden.

»Bringt mir Pompeia Sulla, Fulvia, Clodia und Clodilla!« befahl Aurelia. »Sie stehen unter Verdacht, und ich will mit ihnen reden!« Sie raffte das goldene Kleid und die Perücke zusammen und händigte beides an Polyxena aus. »Bewahr das gut auf, es sind Beweisstücke.«

Die riesenhafte Gallierin Cardixa wartete schweigend auf Befehle und bekam den Auftrag, sämtliche anwesenden Damen so schnell wie möglich aus dem Haus zu schaffen. Die rituelle Feier konnte nicht fortgesetzt werden; Rom war in eine ernste religiöse Krise gestürzt worden, wie es seit Menschengedenken keine mehr gegeben hatte.

»Wo ist Fabia?«

Terentia trat vor, ihr Blick hätte Clodius erneut in Angst und Schrecken versetzt. »Fabia muß sich erst sammeln, ihr wird es bald besser gehen. Ach, Aurelia, wie entsetzlich ist das alles! Was sollen wir bloß tun?«

»Wir müssen den Schaden wiedergutmachen, wenn nicht um unserer selbst willen, dann jeder römischen Frau zuliebe. Fabia ist die Vorsteherin der Vestalinnen, sie ist für die Gute Göttin zuständig. Sei so nett und bitte sie, in den Büchern nachzusehen, was wir tun können, um eine Katastrophe zu vermeiden. Wir dürfen Bona Dea erst begraben, wenn der Frevel gesühnt ist. Und wenn wir Bona Dea nicht begraben, wird sie im Mai nicht wiederauferstehen. Die heilenden Kräuter werden nicht wachsen, kein Kind wird ohne Makel auf die Welt kommen, alle Schlangen werden verschwinden oder sterben, die Saat wird auf den Feldern vertrocknen, und schwarze Hunde werden die Leichen in den Gossen dieser verfluchten Stadt fressen!«

Diesmal fing das Publikum nicht an zu schreien. Ein Stöhnen und Seufzen hob an und schwebte hinauf in die Finsternis hinter den Säulen, in alle Winkel, in jedes Herz. Die Stadt war verflucht.

Wohl hundert Hände stießen Pompeia, Fulvia, Clodia und Clodilla durch die lichter werdenden Reihen der Gäste nach vorn, und dort standen sie nun, schluchzend und fassungslos; keine von ihnen war in der Nähe gewesen, als man Clodius enttarnt hatte, sie wußten nur, daß die Bona Dea von einem Mann entehrt worden war.

Die Mutter des Pontifex Maximus musterte sie mit strengem, aber gerechtem Blick. Waren sie an der Verschwörung beteiligt gewesen? Jedes der Augenpaare war weit aufgerissen, blickte furchtsam und völlig verstört. Nein, dachte Aurelia, sie hatten wohl damit nichts zu tun. Keine Frau, wenn sie nicht eine törichte griechische Sklavin wie Doris war, würde bei etwas so Scheußlichem, Ungeheuerlichem mitmachen. Und was mochte Clodius dieser schwachsinnigen Zofe von Pompeia versprochen haben, daß diese sich darauf einließ?

Doris stand zwischen Servilia und Cornelia Sulla und weinte hemmungslos. Gleich wäre sie an der Reihe, doch zunächst wandte Aurelia sich an die Gäste.

»Meine Damen, bis auf die ersten vier Reihen gehen jetzt bitte alle hinaus. Dieses Haus ist ein unheiliges Haus, eure Anwesenheit hier steht unter keinem guten Stern. Wartet auf der Straße auf eure Sänften oder geht in Gruppen nach Hause. Die Gäste in den vorderen Reihen benötige ich als Zeuginnen. Wir müssen dieses Mädchen sofort verhören, sonst tun es die Männer, und die Männer werden zu Dummköpfen, wenn sie junge Mädchen befragen.«

Und dann nahm sie sich Doris vor.

»Wisch dir das Gesicht ab, Sklavin!« bellte Aurelia sie an. »Los, wisch dir das Gesicht ab und nimm dich zusammen! Sonst laß’ ich dich gleich hier auspeitschen!«

Es kam Bewegung in das Mädchen mit dem selbstgesponnenen Gewand; sie gehorchte, weil Aurelias Wort in diesem Haus Gesetz war.

»Wer hat dich dazu angestiftet, Doris?«

»Er hat mir einen Beutel voll Gold und meine Freiheit versprochen, domina!«

»Publius Clodius?«

»Ja.«

»War es nur Publius Clodius, oder war noch jemand dabei?«

Mit welcher Antwort konnte Doris die zu erwartende Strafe mildern? Sie mußte wenigstens einen Teil der Schuld von ihren Schultern wälzen. Sie überlegte mit der Schnelligkeit und Schlauheit eines Mädchens, das in die Sklaverei verkauft worden war, nachdem Piraten ihr Fischerdorf in Lycia überfallen hatten; sie war zwölf Jahre alt gewesen, alt genug, um vergewaltigt und für gutes Geld verkauft zu werden. Vor Pompeia Sulla hatte sie zwei andere Herrinnen gehabt, ältere und strengere als die Frau des Pontifex Maximus. Das Leben in den Diensten von Pompeia war ein Elysium dagegen gewesen, und die kleine Kiste unter Doris’ Bett in ihrem eigenen kleinen Schlafzimmer war voller Geschenke; Pompeia war ebenso großzügig, wie sie leichtfertig war. Doch im Augenblick zählte für Doris nur die Angst vor der Peitsche, und sonst nichts. Wenn ihr die Haut in Fetzen vom Körper hing, würde Astyanax sie nie wieder anschauen! Die Männer würden sich schaudernd von ihr abwenden.

»Es war noch jemand dabei, domina«, flüsterte sie.

»Sprich lauter, damit wir dich verstehen! Wer war noch dabei?«

»Meine Herrin, domina. Die Dame Pompeia Sulla.«

»Was hat sie damit zu tun?« fragte Aurelia, ohne auf den Schreckenslaut aus Pompeias Mund oder das Gemurmel der Zeuginnen zu achten.

»Wenn Männer dabei sind, domina, dann darf Polyxena meine Herrin nicht aus den Augen lassen. Ich sollte Publius Clodius hereinlassen und ihn nach oben bringen, weil er mit Pompeia allein sein wollte!«

»Das ist nicht wahr!« heulte Pompeia. »Aurelia, ich schwöre bei allen Göttern, daß das nicht wahr ist! Ich schwör’s bei der Bona Dea! Ich schwöre es, ich schwöre es, ich schwöre es!«

Aber die Sklavin blieb hartnäckig bei ihrer Geschichte von einem heimlichen Stelldichein; nichts konnte sie davon abbringen.

Nach einer Stunde gab Aurelia auf. »Die Zeuginnen können nach Hause gehen. Frau und Schwestern von Publius Clodius, auch ihr dürft gehen. Bereitet euch darauf vor, daß ihr morgen Rede und Antwort stehen müßt. Eine von uns wird zu euch kommen. Dieses ist eine Frauensache, und sie wird von Frauen erledigt.«

Pompeia Sulla war zusammengebrochen und lag schluchzend auf dem Boden.

»Polyxena, bring die Frau des Pontifex Maximus in ihre eigenen Räume und lasse sie nicht einen Moment lang aus den Augen.«

»Mama!« flehte Pompeia ihre Mutter Cornelia Sulla an, als Polyxena ihr auf die Beine half. »Mama, so hilf mir doch! Bitte, bitte, hilf mir!«

Noch so ein schönes, versteinertes Gesicht. »Außer der Bona Dea kann dir niemand helfen. Geh mit Polyxena«, sagte Cornelia Sulla.

Cardixa war von ihrer Aufgabe an den großen Bonzetüren zurückgekehrt; weinende Gäste hatte sie hinauslassen müssen, die dann frierend und in zerknitterten Kleidern im kühlen Wind auf der Straße darauf warten mußten, daß ihre Sänften, die sie eigentlich erst im Morgengrauen benötigt hätten, von ihren Sklaven herbeigeschafft worden waren. Und so hatten sie sich auf dem Randstein der Via Sacra niedergelassen, sich gegenseitig gegen die Kälte geschützt und mit Angst in den Augen auf die Stadt geblickt, über der jetzt ein Fluch lag.

»Cardixa, sperre Doris ein.«

»Was habt ihr mit mir vor?« schrie das Mädchen, als sie fortgebracht wurde. »Domina, was wird mit mir geschehen?«

»Du wirst der Bona Dea Rede und Antwort stehen.«

Mit dem ersten Hahnenschrei ging die Nacht zu Ende; nur noch Aurelia, Servilia und Cornelia Sulla waren übriggeblieben.

»Kommt noch auf einen Becher Wein in Caesars Arbeitszimmer.« Sie lachte traurig. »Aber wir wollen ihn nicht >Milch< nennen.«

Der Wein aus Caesars Vorrat auf der Konsole half ein wenig. Aurelia wischte sich mit einer zitternden Hand über die Augen, zog die Schultern hoch und blickte Cornelia Sulla an.

»Was meinst du, avia?« fragte Pompeias Mutter.

»Ich glaube, die kleine Doris lügt uns etwas vor.«

»Das glaube ich auch«, pflichtete Servilia ihr bei.

»Ich weiß, daß meine arme Tochter ziemlich dumm ist, aber sie ist weder böswillig noch rebellisch, und sie hätte gar nicht den Mut, einem Mann dabei zu helfen, die Bona Dea zu beleidigen.«

»Aber das wird Rom uns nicht glauben«, sagte Servilia.

»Du hast recht, Rom wird die Geschichte vom Stelldichein während einer heiligen Zeremonie glauben, weil es eine herrliche Klatschgeschichte ist. Was für ein Alptraum! Der arme Caesar! Das so etwas in seinem Haus passieren mußte. Welch gefundenes Fressen für seine Gegner!« rief Aurelia.

»Das Ungeheuer hat zwei Köpfe«, meinte Servilia. »Das Sakrileg ist schrecklicher, aber der Skandal wird länger im Gedächtnis bleiben.«

»Stimmt.« Cornelia Sulla erschauerte. »Könnt ihr euch vorstellen was man sich bereits jetzt entlang der Via Nova erzählt, nach dem Aufruhr hier unten und wo die Dienerinnen längst in den Tavernen unterwegs waren, aus denen sie die Sänftenträger geholt haben? Aurelia, wie können wir der Guten Göttin zeigen, daß wir sie noch lieben?«

»Ich hoffe, daß Fabia und Terentia eine gute Lösung finden.«

»Und Caesar? Weiß er es schon?« fragte Servilia, die mit den Gedanken nie weit weg von Caesar war.

»Cardixa ist ihn suchen gegangen.«

Cornelia Sulla erhob sich und zog die Augenbrauen hoch — für Servilia ein Zeichen, daß es Zeit zum Gehen war. »Aurelia, du siehst müde aus. Wir können hier nichts mehr tun. Ich gehe nach Hause in mein Bett, und das solltet ihr auch tun.«

Wie es sich gehörte, kehrte Caesar nicht vor Sonnenaufgang ins Domus Publica zurück. Er ging zunächst in die Regia, um zu beten, ein Opfer zu bringen und im heiligen Kamin ein Feuer zu entfachen. Danach begab er sich in den offiziellen Amtssitz des Pontifex Maximus gleich hinter der Regia, entzündete dort alle Lampen, schickte nach den Priestern der Regia und vergewisserte sich, daß für alle in Rom anwesenden Pontifices Stühle vorhanden waren. Daraufhin ließ er Aurelia rufen, wohl wissend, wie ungeduldig sie auf diesen Ruf wartete.

Sie sah alt aus. Alt! Seine Mutter?

»Mutter, es tut mir so leid«, sagte er und half ihr in den bequemsten Sessel.

»Ich muß dir nicht leid tun, Caesar. Rom sollte dir leid tun. Es ist ein schrecklicher Fluch.«

»Rom wird sich davon erholen, dafür werden alle priesterlichen Kollegien sorgen. Wichtiger ist, daß du dich erholst. Ich weiß, wieviel es dir bedeutet hat, die Bona Dea zu bewirten. Was für eine dumme, verrückte Geschichte!«

»Vielleicht könnte man es von einem ungebildeten Kerl aus der Subura erwarten, daß er in seiner betrunkenen Neugier während der Bona Dea über die Mauer klettert, aber bei Publius Clodius kann ich es nicht verstehen! O ja, ich weiß, er ist von diesem Narren Appius Claudius verzogen worden, und ich weiß auch, daß Clodius nur Unfug im Kopf hat. Aber sich als Frau zu verkleiden, um die Bona Dea zu beleidigen? Mit voller Absicht einen Religionsfrevel zu begehen? Er muß wahnsinnig geworden sein!«

Caesar zuckte die Achseln. »Möglicherweise ist er das, Mater. Es ist eine alte Familie, in die viel hineingeheiratet worden ist. Die Claudii Pulchri haben alle ihre Absonderlichkeiten! Von Pietät haben die noch nie viel gehalten. Denk nur an Claudius Pulcher. Während unseres ersten Krieges gegen Karthago hat er die heiligen Hühner ertränkt und anschließend die Schlacht von Drepana verloren, ganz zu schweigen davon, daß er seine eigene Tochter, die Vestalin, in seiner illegalen Triumphkarosse mitgenommen hat. Ein seltsames Volk. Genial, aber unberechenbar. Und ich glaube, Clodius ist auch so einer.«

»Die Bona Dea zu schänden, ist weit schlimmer, als eine Vestalin zu schänden.«

»Nun ja, wenn es nach Fabia geht, hat er beides versucht. Nachdem er sich bei ihr einen Korb geholt hatte, hat er Catilina beschuldigt.« Caesar seufzte, dann hob er wieder die Schultern. »Leider ist Clodius von einem Wahnsinn der gesunden Sorte befallen. Wir können nicht einfach einen Geisteskranken aus ihm machen und ihn einsperren.«

»Wird er vor Gericht angeklagt?«

»Da du ihn nun einmal im Angesicht der Frauen und Töchter von Konsularen entlarvt hast, Mater, wird es sich nicht vermeiden lassen.«

»Und Pompeia?«

»Cardixa sagt, du hältst sie für unschuldig.«

»Ja. Servilia und ihre Mutter denken das auch.«

»Also steht Pompeias Wort gegen das einer Sklavin — es sei denn, Clodius belastet sie.«

»Das wird er schön bleibenlassen«, sagte Aurelia grimmig.

»Warum?«

»Dann hätte er keine Wahl mehr und müßte zugeben, daß er das Sakrileg begangen hat. Aber Clodius wird alles abstreiten.«

»Zu viele von euch haben ihn mit eigenen Augen gesehen.«

»Unter einer dicken Schicht von Schminke. Ich habe daran gerieben, und darunter ist Clodius zum Vorschein gekommen. Aber ich denke, eine Mannschaft aus Roms besten Advokaten würde so manche Zeugin dazu bringen, ihren Augen nicht mehr zu trauen.«

»Du willst damit sagen, es wäre besser für Rom, wenn Clodius unbehelligt bliebe?«

»Unbedingt. Die Bona Dea gehört den Frauen. Sie wird es den römischen Männern nicht danken, wenn sie in ihrem Namen strafen.«

»Er darf nicht so einfach davonkommen, Mater. Religionsfrevel ist ein öffentliches Delikt.«

»Er wird nicht davonkommen, Caesar. Bona Dea findet ihn, und dann wird sie ihn sich vorknöpfen.« Aurelia stand auf. »Die Pontifices werden bald hier sein. Ich gehe jetzt. Wenn du mich brauchst, dann laß mich rufen.«

Kurz darauf kamen Catulus und Vatia Isauricus herein, und Mamercus folgte ihnen so dicht auf den Füßen, daß Caesar nichts sagte, bis sich alle drei gesetzt hatten.

»Es erstaunt mich immer wieder, Pontifex Maximus, wie viele Informationen du auf einem einzigen Blatt Papier unterbringst«, sagte Catulus. »Und alles so schlüssig ausgedrückt, so leicht zu verstehen.«

»Aber es ist kein Vergnügen, es zu lesen«, erwiderte Caesar.

»Nein, diesmal sicher nicht.«

Andere betraten den Raum: Silanus, Acilius Glabrio, Varro Lucullus, der designierte Konsul Marcus Valerius Messala Niger, Metellus Scipio und der Rex Sacrorum Lucius Claudius.

»Das sind alle, die gegenwärtig in Rom sind«, stellte Caesar fest. »Bist du einverstanden, daß wir anfangen, Quintus Lutatius?«

»Wir können anfangen, Pontifex Maximus.«

»Ich habe euch die Sachlage in meiner Notiz bereits kurz geschildert, aber meine Mutter soll euch ausführlich berichten, was passiert ist. Ich weiß, das wäre eigentlich Fabias Aufgabe, aber sie und die beiden anderen erwachsenen Vestalinnen suchen eben in den Büchern nach geeigneten Sühneritualen.«

»Aurelia wird sie gut vertreten, Pontifex Maximus.«

Also kam Aurelia herein und erzählte in klaren, knappen Worten und mit viel Sinn für die richtige Wirkung ihrer Geschichte.

Wie gut sie sich auszudrücken verstand! Selbst Männer wie Catulus stellten auf einmal fest, wie sehr Caesar nach seiner Mutter kam.

»Und du würdest vor Gericht aussagen, daß der Mann Publius Clodius war?« fragte Catulus.

»Ja, aber nur unter Protest. Er gehört der Bona Dea.«

Mit ein wenig Unbehagen dankten sie ihr. Caesar entließ sie.

»Rex Sacrorum, darf ich dich als erster um dein Urteil bitten«, sagte Caesar.

»Publius Clodius nefarius est«, lautete die Antwort.

»Quintus Lutatius?«

»Nefarius est

Und so ging es weiter; alle erklärten sie Publius Clodius des Religionsfrevels für schuldig.

Heute fehlten die Unterströmungen, die sich sonst aus persönlichen Zwistigkeiten und gegenseitiger Abneigung ergaben. Alle Priester waren sich einig und dankbar für Caesars feste Hand. Die Politik verlangte nach Feindschaften, aber bei einer religiösen Krise war das anders. Sie betraf jeden gleich und verlangte nach Einigkeit.

»Ich werde die fünfzehn Hüter anweisen, sofort in den prophetischen Büchern nachzuschlagen«, sagte Caesar, »und beabsichtige, auch das Kollegium der Auguren nach seiner Meinung zu fragen. Der Senat wird zusammentreten und unsere Ansicht wissen wollen, und darauf müssen wir vorbereitet sein.«

»Clodius muß vor Gericht gestellt werden«, sagte Messala Niger, der beim Gedanken an das, was Clodius getan hatte, eine Gänsehaut bekam.

»Dazu sind ein empfehlender Erlaß des Senats erforderlich und ein Gesetzesbeschluß der Volksversammlung. Die Frauen sind dagegen, aber du hast recht, Niger. Er muß vor Gericht gestellt werden. Da jedoch der Rest des Monats der Sühne und nicht der Vergeltung vorbehalten ist, werden die Konsuln des nächsten Jahres sich mit der Sache herumschlagen müssen.«

»Und was ist mit Pompeia?« fragte Catulus, da niemand anderer die Frage stellen wollte.

»Wenn Clodius sie nicht belastet — und meine Mutter scheint anzunehmen, daß er es nicht tun wird —, dann hängt ihre Beteiligung an dem Sakrileg ausschließlich an der Aussage einer Sklavin, die selber beteiligt ist«, stellte Caesar nüchtern fest. »Das heißt, daß Pompeia nicht öffentlich verurteilt werden kann.«

»Glaubst du, daß sie beteiligt war, Pontifex Maximus?«

»Nein. Meine Mutter glaubt es auch nicht, und die war dabei. Die Sklavin will ihre eigene Haut retten, was durchaus verständlich ist. Sie weiß noch nicht, daß Bona Dea ihren Tod fordern wird — aber das liegt nicht in unserer Hand. Es ist Sache der Frauen.«

»Und was ist mit Clodius’ Frau und seinen Schwestern?« wollte Vatia Isauricus wissen.

»Meine Mutter hält auch sie für unschuldig.«

»Deine Mutter hat recht«, sagte Catulus. »Keine Römerin würde die Mysterien der Bona Dea entweihen, nicht einmal Fulvia oder Clodia.«

»Trotzdem, ich muß etwas gegen Pompeia unternehmen«, sagte Caesar und rief einen Priester herbei, der eine Wachstafel in der Hand hielt. »Schreib auf: An Pompeia Sulla, Gattin des Gaius Julius Caesar, Pontifex Maximus von Rom: Hiermit lasse ich mich von dir scheiden und schicke dich zu deinem Bruder zurück. Ich erhebe keinen Anspruch auf deine Mitgift.«

Niemand sprach ein Wort; auch nachdem Caesar das kurzgefaßte Dokument zur Unterschrift vorgelegt worden war, wagte es noch keiner, etwas zu sagen.

Erst als es mit Wachs versiegelt und zur Auslieferung ins Domus Publica freigegeben war, meldete sich Mamercus zu Wort.

»Meine Frau ist ihre Mutter, aber sie will Pompeia nicht zurücknehmen.«

»Kein Mensch verlangt das von ihr«, erwiderte Caesar kühl. »Deshalb habe ich ja angeordnet, daß sie zu ihrem älteren Bruder zurückgeschickt wird, ihrem pater familias. Er ist Statthalter in Africa, aber seine Frau lebt hier in Rom. Ob sie wollen oder nicht, sie müssen sie aufnehmen.«

Silanus stellte schließlich die Frage, die allen unter den Nägeln brannte: »Caesar, du hast gesagt, daß du Pompeia von jeder Komplizenschaft freisprichst. Warum läßt du dich dann von ihr scheiden?«

Die blonden Augenbrauen schnellten in die Höhe; Caesar schien über die Frage wirklich verwundert zu sein. »Weil Caesars Frau, wie jeder andere in Caesars Familie, über jeden Verdacht erhaben sein muß«, sagte er.

Und ein paar Tage später, als ihm im Senat die gleiche Frage gestellt wurde, gab er darauf die gleiche Antwort.