Teil I
Juni 68 v. Chr. bis März 66 v. Chr.
Brutus, deine Haut gefällt mir nicht. Komm einmal ans Licht.«
Der Fünfzehnjährige reagierte nicht; ungerührt blieb er sitzen, über das Blatt Fannianpapier gebeugt, über dem die Schreibfeder schwebte, an der die Tinte längst getrocknet war.
»Brutus, du kommst auf der Stelle her«, sagte seine Mutter in ruhigem Ton.
Er ließ die Feder sinken, denn er kannte sie; er hatte keineswegs panische Angst vor ihr, doch ihren Zorn wollte er nicht herausfordern. Die erste Aufforderung durfte man ignorieren, aber bei der zweiten erwartete sie Gehorsam, sogar von ihm. Er erhob sich und schlenderte hinüber zu ihr ans Fenster, dessen Läden weit geöffnet waren, denn Rom stöhnte unter einer ungewöhnlich frühen Hitzewelle.
Obwohl sie klein war und Brutus gerade angefangen hatte, zu einem — wie sie hoffte — großen Mann heranzuwachsen, überragte sein Kopf sie nicht sehr weit; mit einer Hand umfaßte sie sein Kinn und blickte prüfend auf ein paar böse rote Pusteln, die um den Mund herum zu sprießen begannen. Sie ließ ihn wieder los und schob ihm die dunklen Locken aus der Stirn: Ausschläge auch dort oben!
»Wenn du dir nur öfter die Haare schneiden lassen würdest!« sagte sie und zog so fest an einer der tiefhängenden Locken, daß ihm die Tränen in die Augen schossen.
»Kurzes Haar ist nicht intellektuell, Mama«, protestierte er.
»Aber praktisch. Es hängt dir nicht ins Gesicht und reizt deine Haut nicht. Ach, Brutus, wie widerspenstig du geworden bist!«
»Wenn du dir einen kurzgeschorenen Soldaten wünschst, hättest du mit Silanus noch ein paar Jungen zeugen sollen und keine Mädchen.«
»Ein Sohn ist erschwinglich. Zwei Söhne sind zu kostspielig. Und wenn ich Silanus einen Sohn geschenkt hätte, könntest du nicht zwei Väter beerben.« Sie ging hinüber zum Schreibtisch, an dem er gearbeitet hatte, und wühlte ungeduldig zwischen seinen Papieren herum. »Nun sieh sich einer das Zeug hier an! Kein Wunder, daß du einen krummen Rücken hast. Du solltest nach der Schule mit Cassius und den anderen Jungen aufs Marsfeld gehen und deine Zeit nicht mit dem nutzlosen Versuch vergeuden, den ganzen Thukydides auf einem einzigen Blatt Papier unterzubringen.«
»Keiner in Rom schreibt bessere Epitome als ich«, antwortete ihr Sohn großspurig.
Servilia sah ihn amüsiert an. »Thukydides ist nicht verschwenderisch mit Worten umgegangen und hat trotzdem viele Bücher gebraucht, um den Konflikt zwischen Athen und Sparta zu erzählen. Was sollte es für einen Sinn haben, sein wunderschönes Griechisch zu zerpflücken, nur damit ein paar lesefaule Römer sich damit brüsten können, alles über den Peloponnesischen Krieg zu wissen.«
»Die Literatur ist so umfangreich geworden«, widersprach Brutus, »daß ein einzelner sie ohne Zusammenfassungen gar nicht mehr bewältigen kann.«
Servilia kehrte zu dem Thema zurück, das sie eigentlich interessierte: »Du bekommst eine schlechte Haut.«
»Das ist in meinem Alter ganz normal.«
»Aber ich habe Pläne mit dir.«
»Wehe allem, das deinen Plänen im Wege steht!« rief er, plötzlich wütend.
»Zieh dich an. Wir gehen aus.« Ohne ein weiteres Wort verließ sie das Zimmer.
Als Brutus das Atrium von Silanus’ geräumigem Haus betrat, trug er seine Knabentoga mit der purpurroten Borte, denn offiziell galt er vor dem Fest der Juventas im Dezember nicht als Mann. Seine Mutter wartete bereits und blickte ihm besorgt entgegen.
Ja, er hatte einen krummen Rücken, kein Zweifel. Und was war er für ein hübscher Knabe gewesen! Noch im Januar, als sie bei Antenor, dem besten Bildhauer in ganz Italien, eine Büste von ihm bestellt hatte. Doch inzwischen machte die Pubertät sich deutlicher bemerkbar. Darunter hatte seine Schönheit gelitten, sogar für ihren voreingenommenen Blick. Noch immer lagen große, dunkle, verträumte Augen unter den markanten Lidern, aber die eindrucksvolle römische Nase, die sie sich so sehr für ihn wünschte, wollte er einfach nicht bekommen; sie blieb klein und knubblig wie ihre eigene. Und seine einst so makellose, olivfarbene Haut erfüllte sie mit tiefer Sorge. Wenn er nun zu den Unglücklichen gehörte, die so schrecklich von Pickeln heimgesucht wurden, daß Narben zurückblieben? Fünfzehn Jahre. Das war viel zu früh. Das deutete auf eine lange Leidenszeit hin. Pickel! Wie ekelhaft und gewöhnlich! Gleich morgen früh würde sie sich bei Ärzten und Kräuterhändlern erkundigen — und ob es ihm nun paßte oder nicht: Ab jetzt würde er jeden Tag auf das Marsfeld gehen, um sich dort zu ertüchtigen und sich in den Kampfsportarten ausbilden zu lassen; schließlich sollte er mit siebzehn in die römischen Legionen aufgenommen werden, und zwar als Offiziersschüler, nicht als gewöhnlicher Soldat; er sollte als Kadett zum persönlichen Stab eines konsularischen Kommandanten gehören, der namentlich nach ihm verlangte. Dazu prädestinierten ihn seine Herkunft und sein Status.
Der Verwalter ließ sie hinaus in die schmale Seitengasse auf dem Palatin; Servilia ging in Richtung Forum, Brutus mußte sich anstrengen, um mit ihrem zügigen Schritt mithalten zu können.
»Wohin gehen wir?« wollte er wissen. Er war noch immer verärgert, weil sie ihn von seiner Zusammenfassung des Thukydides weggerissen hatte.
»Zu Aurelia.«
Wenn seine Gedanken nicht gar zu sehr mit dem Problem beschäftigt gewesen wären, wie man eine Fülle von Informationen in einen einzigen Satz packt, und wenn es ein etwas kühlerer Tag gewesen wäre, dann hätte sein Herz einen Freudensprung getan. So aber stöhnte er: »O nein, nicht ausgerechnet heute in die Subura hinauf.«
»Doch.«
»Das ist so weit. Und in diese trostlose Gegend.«
»Die Gegend mag trostlos sein, mein Sohn, aber die Frau verfügt über ausgezeichnete Verbindungen. Alle werden sie dort sein.« Sie blieb stehen und warf ihm einen Seitenblick zu. »Alle, Brutus. Alle.«
Er erwiderte nichts darauf.
Zwei Sklaven bahnten Servilia einen Weg, als sie die Treppe der Ringmacher hinunterlief, um sich in das Menschengewühl auf dem Forum Romanum zu stürzen. Hier fand sich jeder ein, der mitreden, zuhören, herumspazieren, gesehen werden und mit den Mächtigen auf Tuchfühlung sein wollte. Heute trat weder der Senat noch eine der anderen Versammlungen zusammen, die Gerichte hatten Ferien, und doch waren ein paar der Mächtigen unterwegs; man erkannte sie an den wippenden, mit roten Lederriemen verschnürten Rutenbündeln, den Zeichen ihrer Macht, die von Liktoren vor ihnen hergetragen wurden.
»Es geht so steil bergauf, Mama! Kannst du nicht etwas langsamer gehen?« stöhnte Brutus, als seine Mutter am anderen Ende des Forums den Clivus Orbius hinaufstieg. Er schwitzte stark.
»Wenn du mehr Sport treiben würdest, müßtest du nicht soviel jammern«, erwiderte Servilia ungerührt.
Hier oben, in den engen Schluchten zwischen den Mietshäusern der Subura, drang Brutus ein ekelhafter Gestank nach Unrat und Fäulnis in die Nase; die abblätternden Hauswände schwitzten faules Wasser aus, eine schwarze, sirupähnliche Flüssigkeit wälzte sich durch die Gosse auf die Gitter der Abflüsse zu. Sie kamen an winzigen, unbeleuchteten Gewölben vorbei, Läden ohne Hausnummern. Wenigstens brachte die feuchte Finsternis ein wenig Abkühlung, aber dies war eine Gegend Roms, auf die der junge Brutus leichten Herzens hätte verzichten können, ganz gleichgültig, ob sich da oben nun »alle« trafen oder nicht.
Schließlich kamen sie zu einer stattlichen Tür aus altem Eichenholz mit solide geschnitztem Paneel und einem kupfernen Klopfer in Form eines Löwenkopfes mit weit aufgerissenem Maul. Einer von Servilias Dienern schlug damit heftig gegen das Holz, und die Tür öffnete sich sofort. Sie standen einem älteren, freigelassenen Griechen von erheblichem Körperumfang gegenüber, der ihnen mit tiefer Verbeugung Einlaß gewährte.
Eine reine Frauenversammlung, was sonst? Wäre Brutus nur schon alt genug gewesen, die toga virilis zu tragen, das Zeichen der erwachsenen Männer! Dann hätte er seine Mutter gar nicht mehr begleiten dürfen. Gleichzeitig ängstigte ihn dieser Gedanke. Seine Mutter mußte mit ihrer Eingabe Erfolg haben, damit er auch noch nach dem Dezember, nach seinem Eintritt in das Mannesalter, Gelegenheit haben würde, seine Liebste zu sehen. Er ließ sich nichts anmerken; gleich als die überschwengliche Begrüßung einsetzte, löste er sich von Servilias Rockzipfel und verzog sich in ein stilles Eckchen des lärmerfüllten Raums, um sich dort vor dem schlichten Dekor der Wände möglichst unsichtbar zu machen.
»Ave, Brutus«, sagte eine helle und doch ein wenig heisere Stimme.
Er wandte sich um, sah hinüber — und glaubte einen Augenblick lang, das Herz bliebe ihm stehen. »Ave, Julia.«
»Komm, setzen wir uns«, forderte die Tochter des Hauses ihn auf und führte ihn zu zwei kleinen Sesseln in der hintersten Ecke. Während er sich unbeholfen auf dem einen niederließ, nahm sie auf dem anderen Platz, anmutig und beherrscht wie eine Schwänin auf ihrem Nest.
Wie kann sie mit ihren acht Jahren schon so schön sein? fragte sich Brutus verwundert, obwohl er sie doch so gut kannte — seine Mutter war eine enge Freundin ihrer Großmutter. Hell wie Eis und Schnee war sie, mit schmalem Kinn und schön geschwungenen Wangenknochen, die Lippen von blassem Rosa, köstlich wie eine Erdbeere, und dazu zwei große blaue Augen, die mit lebhafter Sanftmut auf alles blickten; wenn Brutus sich einmal an Liebeslyrik versucht hatte, dann war sie der Grund dafür gewesen, denn er liebte sie, ja, er liebte sie seit Jahren! Daß es Liebe war, hatte er erst vor kurzem begriffen; sie hatte ihn angesehen und dabei so süß gelächelt, daß die Erkenntnis wie der Blitz bei ihm eingeschlagen hatte.
Noch am selben Abend war er zu seiner Mutter gegangen und hatte ihr mitgeteilt, daß er Julia heiraten wolle, sowie sie erwachsen wäre.
Servilia hatte ihn verblüfft angesehen. »Mein lieber Brutus, sie ist noch ein Kind! Du müßtest acht, neun Jahre auf sie warten.«
»Lange bevor sie alt genug zum Heiraten ist, wird man sie einem Mann versprechen«, hatte er geantwortet, und die bange Sorge war ihm vom Gesicht abzulesen gewesen. »Bitte, Mama, du mußt ihren Vater um ihre Hand bitten, sobald er zurück ist!«
»Und wenn du deine Meinung änderst?«
»Nie. Niemals!«
»Ihre Mitgift wird äußerst dürftig ausfallen.«
»Aber eine Frau besserer Herkunft könntest du dir nicht für mich wünschen.«
»Das ist wahr.« Der Blick ihrer dunklen Augen, der so streng sein konnte, ruhte nicht unfreundlich auf ihm; Servilia konnte sich der Überzeugungskraft des Arguments nicht verwehren. Also nickte sie, nachdem sie den Gedanken noch einmal geprüft hatte. »Meinetwegen, Brutus, wenn ihr Vater wieder in Rom ist, werde ich ihn fragen. Du brauchst keine reiche Braut, aber es ist wichtig, daß ihre Herkunft zu deiner paßt. Eine Julia wäre ideal. Besonders diese Julia. Patrizierin vom Vater und von der Mutter her.«
Und so hatten sie beschlossen zu warten, bis Julias Vater von seinem Posten als Quästor in Hispania Ulterior zurückkehren würde. Das unterste der wichtigen Magistrate — Quästor. Doch Servilia war davon überzeugt, daß Julias Vater das Amt außerordentlich gut versehen hatte. Seltsam, daß sie ihm noch nie begegnet war, wenn man bedachte, wie klein die Gruppe der echten römischen Nobilität war. Beide gehörten sie ihr an. Aber die Frauen erzählten sich, daß er so etwas wie ein Außenseiter war, viel zu beschäftigt für das gesellschaftliche Leben, das die meisten Männer wie er führten, wenn sie in Rom waren. Es wäre ihr leichter gefallen, für Brutus um die Hand seiner Tochter anzuhalten, wenn sie ihn gekannt hätte, auch wenn sie eigentlich nicht zweifelte, wie die Antwort ausfallen würde. Brutus war ein sehr standesgemäßer Bewerber, selbst für einen Julier.
Mit den prächtigen Atrien des Palatins konnte Aurelias Empfangssalon sich nicht messen, aber er bot ausreichend Platz für das gute Dutzend von Frauen, die hereingeströmt waren. Die offenen Läden gaben den Blick auf einen Garten frei, der seine sprichwörtliche Schönheit den Händen des Gaius Matius verdankte. Dieser Mann brachte Rosen auch im Schatten zum Blühen und konnte Weinranken veranlassen, sich zwölf Stockwerke hoch an Gittern und Balkonen emporzuhangeln, rechteckige Büsche in vollkommene Kugeln verwandeln und ein schlichtes Marmorbecken mit einer Schwerkraftspeisung versehen, die es dem aufgerichteten, doppelt geschwänzten Delphin erlaubte, das Wasser in hohem Bogen aus seinem furchterregenden Maul zu spritzen.
Die Wände des Empfangssalons waren gut erhalten und in stilvollem Rot getüncht, häufiges Scheuern hatte dafür gesorgt, daß der billige Terrazzoboden in hellem Rosa erstrahlte, und die Deckenmalerei ließ auch ohne kostspieliges Blattgold die Illusion eines sommerlichen Wolkenhimmels entstehen. Nicht gerade das Domizil eines Mächtigen, aber einem jungen Senator durchaus angemessen, dachte sich Brutus, während er Julia betrachtete, die ihrerseits die Frauen im Auge hatte. Als Julia auf ihn aufmerksam wurde, sah auch er schnell zu den Frauen hinüber.
Seine Mutter hatte auf der Liege gleich neben Aurelia Platz genommen, wo sie gut zur Geltung kam, auch wenn ihre Gastgeberin mit fünfundfünfzig Jahren noch als eine der großen Schönheiten Roms galt. Aurelia hatte eine elegante, schlanke Figur; die Ruhepose kam ihr durchaus zustatten, weil sie sich vielleicht ein wenig zu forsch bewegte, um wirklich anmutig zu sein. Keine einzige graue Strähne trübte das leuchtende Braun ihres Haars, die Haut war noch immer glatt und geschmeidig. Aurelia hatte Servilia die Schule für Brutus empfohlen, denn sie war ihre wichtigste Vertraute.
Schon war Brutus mit den Gedanken bei der Schule, keine untypische Abschweifung bei einem unsteten Geist wie dem seinen. Seine Mutter hatte Brutus nicht auf eine Schule schicken wollen, aus Angst, ihr Sohn könnte dort mit Kindern von niederem Rang und Ansehen in Berührung kommen; zudem hätten die sich über seinen Lerneifer doch nur lustig gemacht. Sie wollte Brutus einen Hauslehrer besorgen. Aber sein Stiefvater hatte darauf bestanden, daß diesem einzigen Sohn der Ansporn und die Konkurrenz einer Schule nicht vorenthalten würden. »Eine vernünftige Beschäftigung und ganz normale Spielgefährten«, so hatte Silanus es ausgedrückt. Er war nicht etwa eifersüchtig auf den ersten Platz, den Brutus in Servilias Herzen einnahm; wenn er mit der Schule fertig war, sollte der Junge gelernt haben, mit Gleichaltrigen aus allen gesellschaftlichen Schichten zurechtzukommen. Natürlich hatte Aurelia ihr zu einer vornehmen Schule geraten, doch leider waren die Pädagogen, die solche Schulen leiteten, von einer beklagenswerten Unabhängigkeit des Geistes und nahmen auch Jungen, die von niedrigerer Herkunft waren als ein Marcus Junius Brutus, auf — ja sogar das eine oder andere intelligente Mädchen.
Bei einer Mutter wie Servilia mußte Brutus die Schule hassen, auch wenn Gaius Cassius Longinus, der Schulkamerad, den Servilia noch am ehesten akzeptierte, aus einer ebenso guten Familie stammte wie Junius Brutus. Doch Brutus tolerierte Cassius nur seiner Mutter zuliebe. Was verband ihn denn schon mit einem lauten und lebhaften Knaben wie diesem Cassius, der sich für den Krieg, für das Kämpfen und große Heldentaten begeisterte? Nur die Tatsache, daß er schon bald zum Lieblingsschüler des Lehrers aufgestiegen war, hatte Brutus mit der schrecklichen Plage der Schule ein wenig versöhnen können. Und mit Kerlen wie Cassius.
Es war ausgerechnet sein Onkel Cato, nach dessen Freundschaft er sich sehnte, aber Servilia tat alles, um jegliche Vertraulichkeit mit ihrem verhaßten Halbbruder im Keim zu ersticken. Sie wurde nicht müde, ihren Sohn daran zu erinnern, daß Onkel Cato der Abkömmling eines tusculanischen Bauern und einer keltiberischen Sklavin war, während sich in Brutus zwei Linien uralter Nobilität vereinten, die eine auf Lucius Junius Brutus zurückgehend, den Gründer der Republik, die andere auf Gaius Servilius Ahala. Auf gar keinen Fall durfte sich ein Junius Brutus, der durch seine Mutter auch patrizischer Servilius war, mit einem nichtsnutzigen Emporkömmling wie Onkel Cato zusammentun.
»Immerhin hat deine Mutter Onkel Catos Vater geheiratet und zwei Kinder von ihm bekommen, Tante Porcia und Onkel Cato!« hatte ihr Brutus bei Gelegenheit vorgehalten.
»Und damit für alle Zeiten Schande über sich gebracht!« hatte Servilia wütend erwidert. »Weder diese Verbindung noch ihre Nachkommenschaft habe ich jemals gebilligt, und auch du, mein Sohn, wirst das nicht tun!«
Ende der Diskussion. Und das Ende aller Hoffnungen, daß er Onkel Cato vielleicht doch häufiger zu sehen bekommen würde, als es dem Ansehen der Familie zuträglich war. Und dabei war Onkel Cato ein wunderbarer Mann! Ein richtiger Stoiker, der alten, asketischen römischen Lebensweise zugetan. Prunk und äußerer Schein waren ihm zuwider; er war schnell bei der Hand mit Kritik an der Großmannssucht von Männern wie Pompeius. Pompeius der Große. Auch so ein Emporkömmling ohne den richtigen Stammbaum! Pompeius, der Brutus’ Vater ermordet hatte, der seine Mutter zur Witwe gemacht und es einem Leichtgewicht wie diesem elenden Silanus ermöglicht hatte, in ihr Bett zu kriechen und mit ihr zwei dümmliche Mädchen zu zeugen, die Brutus nur mit großem Widerwillen als seine Schwestern akzeptierte.
»Worüber denkst du nach, Brutus?« fragte Julia lächelnd.
»Ach, über nichts Bestimmtes«, antwortete er vage.
»Du weichst mir aus. Sag die Wahrheit!«
»Ich habe darüber nachgedacht, was für ein toller Kerl Onkel Cato ist.«
Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Onkel Cato?«
»Du kennst ihn nicht. Für den Senat ist er noch nicht alt genug. Er ist jünger als Mama.«
»War er es, der den Volkstribunen untersagt hat, eine Säule einzureißen, die ihnen in der Basilica Porcia den freien Blick versperrt hat?«
»Das war mein Onkel Cato«, erwiderte Brutus voller Stolz.
Julia zuckte die Achseln. »Mein Vater sagt, daß es dumm von ihm war. Die Volkstribune hätten sich ihr Hauptquartier bequemer einrichten können, wenn die Säule niedergerissen worden wäre.«
»Onkel Cato war im Recht. Cato der Zensor hat die Säule dort aufgestellt, als er Roms erste Basilica errichtete, und das mos maiorum verlangt, daß sie dort stehen bleibt. Cato der Zensor hat es den Volkstribunen gestattet, das Gebäude als Hauptquartier zu nutzen, weil er Verständnis für ihre Notlage hatte — weil sie nur von der Plebs gewählt werden, vertreten sie nicht das ganze Volk und dürfen deshalb keinen Tempel als Hauptquartier nehmen. Aber er hat ihnen nicht das ganze Gebäude gegeben. Sie dürfen nur einen Teil davon für ihre Zwecke verwenden. Damals waren sie ihm dankbar. Und jetzt wollen sie auf einmal verändern, was Cato der Zensor mit seinem Geld aufgebaut hat. Onkel Cato wird es nicht zulassen, daß jemand das Werk seines Urgroßvaters verunstaltet.«
Julia war von Natur aus friedlich und mochte keinen Streit, also lächelte sie wieder und drückte Brutus liebevoll den Arm. Ein verzogener Junge, dieser Brutus, dickköpfig und aufgeblasen, aber sie kannten sich nun schon so lange, und er tat ihr leid, auch wenn sie nicht genau wußte, warum. Möglicherweise, weil seine Mutter so... hinterhältig war.
»Nun, das alles ist vor dem Tod meiner Tante Julia und meiner Mutter passiert. Ich glaube kaum, daß sich heute noch jemand an der Säule vergreifen wird«, sagte sie.
»Dein Vater muß bald nach Hause kommen.« Brutus war mit den Gedanken schon wieder beim Heiraten.
»Wir erwarten ihn jeden Tag.« Julia rutschte freudig erregt auf ihrem Stuhl herum. »Ach, ich vermisse ihn so!«
»Es heißt, daß er im italischen Gallien Unruhe stiftet, jenseits des Padus«, sagte Brutus, ohne zu ahnen, daß er das Thema aufgriff, das unter den Frauen um Aurelia und Servilia gerade eine heftige Debatte ausgelöst hatte.
»Warum sollte er das tun?« fragte Aurelia und zog die schnurgeraden, schwarzen Augenbrauen zusammen. Ihre berühmten veilchenblauen Augen funkelten. »Manchmal widern Rom und die römische Aristokratie mich geradezu an! Warum wird ausgerechnet mein Sohn immer zum Gegenstand von Gerüchten und politischem Geschwätz gemacht?«
»Weil er zu groß ist und zu gut aussieht, weil er Erfolg bei Frauen hat und viel zu arrogant ist.« Terentia, Ciceros Frau, nahm selten ein Blatt vor den Mund. »Und außerdem«, fügte sie, die Frau eines berühmten Gelehrten und Redners, hinzu, »kann er wunderbar mit dem gesprochenen und geschriebenen Wort umgehen.«
»Das sind angeborene Qualitäten, und nicht eine von ihnen rechtfertigt die Diffamierungen einiger Männer, die ich mit Namen nennen könnte!« fauchte Aurelia.
»Sprichst du von Lucullus?« fragte Mucia Tertia, die Frau des Pompeius.
»Nein, ihm mache ich den geringsten Vorwurf«, erwiderte Terentia. »Ich vermute, König Tigranes und Armenien nehmen ihn so in Anspruch, daß er sich um keine römischen Angelegenheiten mehr kümmern kann, abgesehen von den Rittern, die in seinen Provinzen nicht genug Geld mit der Steuerpacht verdienen.«
»Dann mußt du Bibulus meinen, jetzt, wo er wieder in Rom ist«, sagte eine majestätische Gestalt, die im schönsten Sessel saß. In dieser farbenfrohen Gruppe war sie als einzige von Kopf bis Fuß in weißes Tuch gekleidet, unter dem ihre weiblichen Reize, sofern sie welche besaß, vollständig verborgen bleiben mußten. Auf ihrem königlichen Haupt trug sie eine Krone aus sieben übereinandergelegten, aus Schurwolle geflochtenen Zöpfen; der dünne weiße Schleier, den sie darübergelegt hatte, wehte auf, als sie sich umwandte, um die beiden Frauen auf dem Diwan anzusehen. Perpennia, die Vorsteherin der Vestalinnen, schnaubte vor Lachen. »Ach, der arme Bibulus! Es will ihm nicht gelingen, seine Feindseligkeiten zu kaschieren.«
»Ich hab’s dir ja gesagt, Aurelia«, meinte Terentia. »Wenn so ein hochgewachsener, gutaussehender Mann wie dein Sohn sich einen Zwerg wie Bibulus zum Feind macht, dann darf er sich nicht wundern, wenn er verleumdet wird. Es ist der Gipfel der Dummheit, einen Mann in Gegenwart Gleichaltriger einen Floh zu nennen. So hat er sich Bibulus zum Feind fürs Leben gemacht.«
»Lächerlich! Das war vor zehn Jahren, als die beiden noch junge Burschen waren«, erwiderte Aurelia.
»Du weißt ganz genau, wie sensibel kleine Männer auf Witze über ihre Körpergröße reagieren«, gab Terentia zurück. »Du stammst aus einer Familie von Politikern, Aurelia. In der Politik geht’s vor allem um das öffentliche Ansehen eines Mannes. Dein Sohn hat Bibulus’ öffentliches Ansehen verletzt. Noch heute nennt man ihn den Floh. Das wird er Caesar nie verzeihen!«
»Ganz abgesehen davon«, gab Servilia zu bedenken, »daß Bibulus in Kreaturen wie Cato aufgeschlossene Zuhörer für seine Verleumdungen findet.«
»Was hat Bibulus denn eigentlich behauptet?« fragte Aurelia mit schmalen Lippen.
»Er behauptet, anstatt direkt aus Spanien zurückzukehren, habe dein Sohn es vorgezogen, im italischen Gallien eine Rebellion unter den Menschen zu schüren, die noch nicht die römische Staatsbürgerschaft besitzen«, sagte Terentia.
»Was für ein Unsinn!« rief Servilia aus.
»Und warum ist es Unsinn, Gnädigste?« fragte eine tiefe Männerstimme.
Es wurde still im Raum, bis Julia aufsprang und auf den Ankömmling zustürmte. »Tata! Oh, tata!«
Caesar hob sie hoch, küßte ihre Lippen und Wangen, drückte sie an sich und strich ihr zärtlich über das helle Haar. »Wie geht es meinem Mädchen?« fragte er, und sein Lächeln galt nur ihr.
Doch mehr als »Oh, tata!« brachte Julia nicht hervor. Sie preßte das Gesicht gegen die Schulter ihres Vaters.
»Nun, Gnädigste, warum ist es Unsinn?« wiederholte Caesar seine Frage, während seine Tochter es sich in seiner Armbeuge bequem machte. Jetzt ruhte sein Blick auf Servilia, und das Lächeln war sogar aus den Augen gewichen; ein Blick, der ihr Geschlecht registrierte, ihm aber keine Bedeutung beimaß.
»Caesar, das ist Servilia, die Gattin des Decimus Junius Silanus«, sagte Aurelia, die anscheinend nicht gekränkt darüber war, daß ihr Sohn sie noch nicht begrüßt hatte.
»Servilia...« Er nickte, als er ihren Namen aussprach.
Ihre Stimme klang kühl und ruhig, sie wog die Worte wie der Juwelier das Gold. »Es gibt keinen einsichtigen Grund für ein solches Gerücht. Was hättest du davon, im italischen Gallien einen Aufstand zu schüren? Wenn du vor diejenigen treten würdest, die noch keine Staatsbürgerschaft haben, und ihnen versprächest, dich für ihr Wahlrecht einzusetzen, dann wäre das nur recht und billig für einen römischen Edelmann, der nach dem Amt des Konsuls strebt. Du würdest dir damit eine Gefolgschaft von Klienten zulegen — eine kluge Handlungsweise für einen Mann, der auf der politischen Leiter nach oben klettern will. Ich war mit einem Mann verheiratet, der im italischen Gallien eine Rebellion angezettelt hat, deshalb kann ich beurteilen, was für ein unüberlegtes Vorgehen das ist. Lepidus und meinem Gatten Brutus erschien es unerträglich, in Sullas Rom zu leben. Ihre Karrieren neigten sich bereits dem Ende zu, während deine gerade erst begonnen hat. Was solltest du dir davon versprechen, einen Aufstand zu schüren?«
»Sehr richtig«, sagte er, und jetzt funkelte sogar etwas Humor in seinen Augen, die ihr bis dahin ein wenig kalt vorgekommen waren.
»Und ob das richtig ist«, bestätigte sie. »Was ich von deiner Karriere weiß, läßt mich nicht einen Moment daran zweifeln, daß du lediglich auf Klienten aus warst, wenn du diesen Abstecher zur nichtrömischen Bevölkerung im italischen Gallien tatsächlich gemacht hast.«
Er warf den Kopf in den Nacken und lachte; er sah phantastisch aus, und er wußte es nur zu gut. Dieser Mann tat nichts, ohne die Wirkung auf sein Publikum zu berechnen, davon war sie überzeugt. Doch sie spürte instinktiv, daß auch er es instinktiv tat; nicht eine Sekunde lang ließ er sich die Berechnung anmerken. »Es ist wahr, ich habe Klienten gesammelt.«
»Siehst du?« sagte Servilia. Um ihre Lippen spielte ein geheimnisvolles Lächeln. »Wer sollte dir einen Vorwurf daraus machen, Caesar?« Und mit einer Spur von Herablassung fügte sie hinzu: »Keine Angst, ich sorge schon dafür, daß die richtige Version der Geschichte die Runde macht.«
Doch damit war sie zu weit gegangen. Caesar hatte es nicht nötig, sich von einer Servilierin gönnerhaft behandeln zu lassen, mochte sie aus dem adligen Zweig der Familie stammen oder nicht. Mit verächtlichem Augenaufschlag wandte er sich von ihr ab und suchte sich unter den Frauen, die diesem Wortwechsel gespannt gelauscht hatten, Mucia Tertia aus. Die kleine Julia setzte er ab, um Mucia Tertias beide Hände ergreifen zu können.
»Wie geht es dir, Weib des Pompeius?« fragte er sie liebenswürdig.
Sie wirkte verlegen, murmelte Unverständliches. Doch er hatte sich bereits Cornelia Sulla zugewandt, Sullas Tochter und seiner Cousine ersten Grades. Und so ging er sie eine nach der anderen durch, die ganze Gruppe; bis auf Servilia kannte er sie alle. Und Servilia sah ihm dabei zu, voller Bewunderung, nachdem sie den ersten Schock wegen seiner schroffen Behandlung überwunden hatte. Auch Perpennia erlag seinem Charme, und selbst eine ehrfurchtgebietende Matrone wie Terentia schmolz einfach dahin. Zuletzt stand er vor seiner Mutter.
»Mutter, du siehst gut aus.«
»Mir geht es auch gut. Und du«, fügte sie auf ihre trockene, prosaische Weise hinzu, »siehst aus, als wärst du geheilt.«
Die Bemerkung schien ihn verletzt zu haben. Aha! dachte Servilia. Da gibt es Zwischentöne.
»Ich bin vollständig geheilt«, erwiderte er ruhig und nahm neben ihr auf dem Sofa Platz — weit weg von Servilia. »Gibt es einen Anlaß für euer Zusammensein?« fragte er.
»Wir haben einen Verein. Einmal in der Woche kommen wir bei einer von uns zusammen. Heute war ich an der Reihe.«
Er stand auf und sagte, er müsse sich den Schmutz von der Reise abwaschen, auch wenn Servilia sich nicht erinnern konnte, schon einmal einen makelloseren Reisenden gesehen zu haben. Doch bevor er den Raum verließ, trat Julia ihm mit Brutus an der Hand in den Weg.
»Tata, das ist mein Freund Marcus Junius Brutus.«
Das Begrüßungslächeln fiel freundlich aus, und Brutus war sichtlich beeindruckt (was ich ihm auch geraten haben will, dachte Servilia, die noch immer beleidigt war). »Dein Sohn?« fragte Caesar sie über Brutus’ Schulter hinweg.
»Ja.«
»Hast du auch welche von Silanus?«
»Nein, nur zwei Töchter.«
Er hob eine Augenbraue und grinste. Und schon war er draußen.
Der Rest des Treffens war, wenn nicht gerade eine Qual, so doch eine schleppende Angelegenheit. Lange vor der Stunde des Abendessens löste es sich auf. Servilia ging als letzte.
»Ich möchte etwas mit Caesar besprechen«, sagte sie an der Tür zu Aurelia. Brutus stand hinter ihr und warf Julia verliebte Blicke zu. »Es wäre nicht ziemlich, mich unter seine Klienten einzureihen. Könntest du nicht eine private Unterredung arrangieren? So bald wie möglich?«
»Natürlich«, sagte Aurelia. »Ich gebe dir Nachricht.«
Keine Fragen, nicht der geringste Hinweis auf Neugier. Eine Frau, die sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmert, dachte die Mutter des Brutus voller Dankbarkeit, als sie zusammen mit ihrem Sohn das Haus verließ.
War es gut, nach fünfzehn Monaten wieder zu Hause zu sein? Weder die erste noch die längste Abwesenheit, aber diesmal war es ein offizieller Anlaß gewesen, und das war ein Unterschied. Weil der Statthalter Antistius Vetus seinen Legaten nicht nach Hispania Ulterior mitgenommen hatte, war Caesar der zweitwichtigste Mann in der Provinz gewesen — Gerichtstage, Finanzen, Verwaltungsaufgaben. Ein einsames Leben, ständig unterwegs vom einen Ende der Provinz zum anderen, gewöhnlich im Eiltempo — da war nicht viel Zeit für Freundschaften mit anderen Römern geblieben. Kein Wunder, daß der einzige Mann, mit dem er sich ein bißchen angefreundet hatte, kein Römer war; kein Wunder auch, daß zwischen dem Statthalter Antistius Vetus und seinem Stellvertreter keine Vertrautheit entstand, auch wenn sie ganz gut miteinander zurechtgekommen waren und sich hin und wieder, wenn sie sich zufällig in derselben Stadt aufhielten, zu dem einen oder anderen Arbeitsessen getroffen hatten. Einen Nachteil hatte es, dem Patriziergeschlecht der Julier anzugehören: Bis jetzt waren sich alle seine Vorgesetzten der Tatsache bewußt gewesen, daß er von wesentlich erlauchteren Vorfahren abstammte als sie selbst. Nichts war für einen Römer so wichtig wie illustre Vorfahren. Und dieser Caesar erinnerte seine Vorgesetzten ständig an Sulla: die Abstammung, die brillanten Fähigkeiten, die körperliche Erscheinung, die kalten Augen.
Nun, war es gut, wieder zu Hause zu sein? Caesar ließ den Blick durch sein wunderbar aufgeräumtes Arbeitszimmer schweifen — alle Flächen abgestaubt, jede Schriftrolle in ihrem Behälter oder ihrem Fach, nur ein Tintengefäß aus Horn und ein Tonbecher mit Schreibfedern verdeckten das Intarsienmuster aus Blüten und Blättern auf seinem Schreibtisch.
Zumindest war die Ankunft in seinem Haus leichter gewesen, als er befürchtet hatte. Nachdem Eutychus ihm die Tür zu dem Raum voller schnatternder Weiber geöffnet hatte, wäre er am liebsten gleich wieder davongelaufen, aber dann war ihm klargeworden, daß er sich keinen besseren Anfang wünschen konnte; er mußte nicht darüber sprechen, wie leer ihm das Haus ohne seine geliebte Cinnilla erschien. Früher oder später würde die kleine Julia davon anfangen, aber nicht in diesen ersten Augenblicken, nicht, bevor seine Augen sich so weit an Cinnillas Abwesenheit gewöhnt hatten, daß sie sich nicht mehr mit Tränen füllten. Er konnte sich kaum noch erinnern, wie die Wohnung ohne sie ausgesehen hatte, mit der er hier wie mit einer Schwester zusammengelebt hatte, bis sie alt genug war, um seine Frau zu werden — sie war Teil seiner Jugend und seines Mannesalters gewesen. Seine geliebte Frau — und jetzt ein Häuflein Asche in einem dunklen Grab.
Seine Mutter kam herein, kühl und reserviert wie immer.
»Wer hat die Gerüchte über meinen Abstecher ins italische Gallien verbreitet?« fragte er sie und zog einen Stuhl für sie dicht neben seinen.
»Bibulus.«
Er setzte sich mit einem Seufzer. »Nun, das war zu erwarten.
Wenn man einen Gnom wie Bibulus so beleidigt, wie ich es getan habe, dann schafft man sich damit einen Feind fürs Leben. Aber ich konnte ihn nun einmal nicht leiden.«
»Und er kann dich noch immer nicht leiden.«
»Es gibt zwanzig Quästoren, und ich hatte Glück. Das Los hat mir einen Posten weit weg von Bibulus verschafft. Aber er ist fast auf den Tag genau zwei Jahre älter als ich, das heißt, daß unsere Wege sich auf dem cursus honorum immer wieder kreuzen werden.«
»Du willst also Sullas Dekret in Anspruch nehmen, das es den Patriziern gestattet, sich zwei Jahre früher als die Plebejer — wie Bibulus einer ist — um ein kurulisches Amt zu bewerben.« Aurelia ließ die Frage wie eine Feststellung klingen.
»Ich wäre ein Dummkopf, wenn ich es nicht täte, und ich bin nicht dumm, Mutter«, antwortete ihr Sohn. »Wenn ich im siebenunddreißigsten Lebensjahr für das Amt des Prätors kandidiere, dann habe ich sechzehn Jahre davon dem Senat angehört, die Jahre als Hamen Dialis nicht mitgezählt. Mehr als genug Wartezeit für einen Mann.«
»Bis dahin sind es noch ganze sechs Jahre. Und in der Zwischenzeit?«
Er rutschte unruhig hin und her. »Ach, ich spüre doch schon jetzt, wie eng die Mauern von Rom sind, und dabei bin ich erst vor zwei Stunden durchs Tor geritten! Im Ausland lebt es sich leichter.«
»Es stehen jede Menge Gerichtsverfahren an. Du bist ein berühmter Advokat, stehst Cicero und Hortensius in nichts nach. Du wirst lukrative Angebote bekommen.«
»Aber in Rom, immer nur in Rom! Spanien war eine Offenbarung!« rief Caesar erregt. »Antistius Vetus war ein träger Statthalter. Er war heilfroh, mir soviel Arbeit wie möglich aufhalsen zu können, trotz meines niedrigen Status. Und so hab’ ich alle Gerichtstage in der Provinz abgehalten und mich obendrein um die Finanzen gekümmert.«
»Letzteres muß dir ein Graus gewesen sein«, bemerkte seine Mutter trocken. »Geld hat dich doch noch nie interessiert.«
»Es ist seltsam, sobald es sich um Roms Geld handelt, interessiert es mich sehr wohl. Ich habe in Gades bei einem höchst bemerkenswerten Mann etwas Nachhilfe in Buchhaltung genommen, einem Bankier punischer Abstammung. Er hieß Lucius Cornelius Balbus Major. Er hat einen Neffen, der beinahe so alt ist wie er selbst: Balbus Minor, sein Partner. Sie haben viel für Pompeius Magnus gearbeitet, als er in Spanien war; inzwischen gehört ihnen halb Gades. Was der ältere Balbus über Gelddinge nicht weiß, ist auch nicht wesentlich. Natürlich waren die öffentlichen Finanzen Chaos, keine Frage. Aber mit Hilfe von diesem Balbus Major habe ich sie in den Griff bekommen. Ich habe den Mann gemocht, Mater.« Caesar zuckte mit den Achseln und lächelte sarkastisch. »Er war mein einziger Freund dort drüben.«
»Zu einer Freundschaft gehören zwei«, sagte Aurelia. »Du kennst mehr Menschen als alle anderen Patrizier zusammen, aber du läßt keinen einzigen Römer deines Standes in deine Nähe. Deshalb sind deine wenigen Freunde immer nur Ausländer oder Römer niederer Herkunft.«
Caesar grinste. »Unsinn! Ich komme besser mit Ausländern aus, weil ich in einem Mietshaus aufgewachsen bin, wo ich von Juden, Syrern, Galliern, Griechen und ähnlichen Leuten umgeben war.«
»Meine Schuld«, sagte sie mit tonloser Stimme.
Er beschloß, die Bemerkung zu überhören. »Marcus Crassus ist mein Freund, und er ist Römer, von ebenso edler Geburt wie ich.«
Sie erwiderte darauf: »Hast du in Spanien Geld verdient?«
»Hier und da ein wenig, Balbus sei es gedankt. Leider war es in der Provinz zur Abwechslung einmal friedlich, keine kleinen Grenzkriege gegen die Lusitaner. Und wenn, dann hätte Antistius Vetus sie selber ausgefochten. Sei unbesorgt, Mutter. Mein Seeräuberschatz ist unangetastet. Ich habe genug auf die Seite gelegt, um mich für höhere Ämter bewerben zu können.«
»Auch für das eines kurulischen Ädils?« fragte sie in ahnungsvollem Ton.
»Ich bin Patrizier und kann mir meinen Ruhm nicht als Volkstribun erwerben. Da bleiben nicht viele Möglichkeiten«, sagte er und zog eine der Schreibfedern aus dem Tonbecher, um sie auf die Tischplatte zu legen; eigentlich spielte er nicht mit Gegenständen herum, aber manchmal mußte er den Augen seiner Mutter einfach ausweichen können. Seltsam. Er hatte ganz vergessen, wie nervtötend sie sein konnte.
»Selbst wenn man einen Seeräuberschatz in der Hinterhand hat, das Amt des curulis aedilis ist eine äußerst kostspielige Angelegenheit, Caesar. Ich kenne dich! Du gibst dich nicht mit bescheidenen Spielen zufrieden. Du willst die besten Spiele aller Zeiten veranstalten.«
»Möglich. Darüber mache ich mir in vier Jahren Gedanken, wenn es soweit ist«, erwiderte er seelenruhig. »Zunächst einmal beabsichtige ich, mich im nächsten Jahr für den Posten des Kurators der Via Appia zu bewerben. Von den Claudiern will keiner die Stelle.«
»Auch so ein ruinöses Unternehmen! Das Schatzamt wird dir eine Sesterze für hundert Meilen gewähren, und du brauchst für jede Meile hundert Dinare.«
Er hatte genug von dem Gespräch; wie immer, wenn sie mehr als ein paar Sätze wechselten, brachte sie das Thema auf das leidige Geld und warf ihm seine Gleichgültigkeit vor. »Ach, weißt du«, sagte er, während er die Schreibfeder vom Tisch nahm und in den Becher zurückstellte, »ich hatte einfach vergessen, daß immer alles so bleibt, wie es ist. In der Fremde habe ich angefangen, mir eine Mutter zurechtzuträumen, wie ein Mann sie sich wünscht. Aber das hier ist die Wirklichkeit: die ewige Leier von meinem Hang zur Verschwendungssucht. Gib es endlich auf, Mutter! Was dir wichtig ist, zählt für mich noch lange nicht.«
Ihre Lippen wurden schmal, aber sie schwieg zunächst. Erst als sie sich erhob, sagte sie: »Servilia wünscht sobald wie möglich ein privates Gespräch mit dir.«
»Wozu in aller Welt?«
»Sie wird es dir zweifellos sagen, wenn es soweit ist.«
»Kennst du den Grund?«
»Ich stelle niemandem außer dir Fragen, mein Sohn. Auf diese Weise wird man nicht so oft angelogen.«
»Du glaubst also, daß ich lüge?«
»Aber natürlich.«
Er stand langsam auf, ließ sich jedoch in den Stuhl zurückfallen, runzelte die Stirn und zog noch eine Schreibfeder aus dem Becher. »Eine interessante Frau, diese Servilia.« Er legte den Kopf auf die Seite. »Ihre Einschätzung von Bibulus’ übler Nachrede war erstaunlich präzise.«
»Falls du dich erinnerst, ich habe dir vor Jahren schon einmal erzählt, daß sie die scharfsinnigste politische Beobachterin in meinem Bekanntenkreis ist. Aber du warst nicht so beeindruckt, daß du sie kennenlernen wolltest.«
»Gut, und jetzt habe ich sie kennengelernt. Und ich bin beeindruckt — wenn auch nicht von ihrer Arroganz. Sie hat doch allen Ernstes versucht, sich mir gegenüber gönnerhaft zu benehmen.«
Etwas in seinem Tonfall veranlaßte Aurelia, auf dem Weg zur Tür stehenzubleiben; sie drehte sich um und blickte Caesar eindringlich an. »Silanus ist nicht dein Feind«, sagte sie steif.
Das reizte ihn zu einem Lachen, das sogleich wieder verschwand. »Gelegentlich finde ich auch Gefallen an Frauen, die nicht mit einem meiner Feinde verheiratet sind, Mater! Und ich glaube, ein bißchen Gefallen habe ich an ihr gefunden. Aufjeden Fall muß ich wissen, was sie von mir will. Wer weiß, am Ende will sie mich?«
»Das kann man bei Servilia nie wissen. Sie ist undurchschaubar.«
»Ein bißchen hat sie mich an Cinnilla erinnert.«
»Laß dich nicht von romantischen Gefühlen täuschen, Caesar. Es gibt nicht die geringste Ähnlichkeit zwischen Servilia und deiner verstorbenen Frau.« Ihr Blick wurde sanft. »Cinnilla war ein liebes kleines Mädchen. Mit sechsunddreißig ist Servilia kein Mädchen mehr, und lieb ist sie schon gar nicht. Im Gegenteil, ich würde sagen, sie ist hart wie ein Marmorblock.«
»Du magst sie nicht?«
»Ich habe sie in ihrer Art ganz gern.« Diesmal drehte Aurelia sich erst an der Tür um. »Das Essen ist bald fertig. Ißt du hier?«
Seine Züge entspannten sich. »Ich kann Julia doch nicht enttäuschen und heute abend ausgehen.« Dann fiel ihm etwas ein, und er sagte: »Ein seltsamer Junge, dieser Brutus. Nach außen hin wie Öl, aber tief drinnen vermute ich einen Kern aus Eisen. Julia schien ihn als ihr Eigentum zu betrachten. Ich hätte nicht gedacht, daß er ihr gefällt.«
»Ich bezweifle es auch. Aber sie sind alte Freunde. Deine Tochter ist außergewöhnlich liebenswürdig. In dieser Hinsicht kommt sie ganz nach ihrer Mutter. Sonst gibt es ja auch niemanden, von dem sie dieses Merkmal geerbt haben könnte.«
Servilia konnte einfach nicht langsam gehen, sie hatte ihren üblichen zügigen Schritt angeschlagen, und Brutus mühte sich noch immer, ihr zu folgen, diesmal jedoch ohne zu klagen. Die schlimmste Hitze war vorbei, und außerdem war er in Gedanken längst wieder bei dem unglückseligen Thukydides. Julia war für den Augenblick vergessen. Und auch Onkel Cato.
Normalerweise hätte Servilia mit ihm geredet, aber heute nahm sie überhaupt keine Notiz von ihm. Sie war in Gedanken bei Gaius Julius Caesar. Sie hätten sich längst über den Weg laufen müssen, klein wie ihr Kreis war. Aber sie hatte ihn vorhin zum erstenmal gesehen, und bei seinem Anblick hatte sie fassungslos, wie gelähmt, dagesessen. Sicher, sie hatte schon erstaunliche Dinge von ihm gehört, wie jede römische Aristokratin. Die meisten von ihnen hatten versucht, ihn unter einem Vorwand kennenzulernen, aber Servilia gehörte nicht zu dieser Sorte. Sie hatte ihn von vornherein so ähnlich eingeschätzt wie Memmius und Catilina; das waren Männer, die Frauen mit einem einzigen Lächeln ins Bett locken konnten, und die das weidlich ausnutzten. Doch ein Blick auf Caesar, und sie hatte gewußt — das war weder ein Memmius noch ein Catilina. Sicher, auch er vermochte eine Frau mit einem Lächeln zu besiegen, und bestimmt zog er seinen Vorteil daraus. Aber da war noch mehr: etwas Unnahbares, Reserviertes, Unerreichbares. Jetzt verstand sie, warum manche Frauen, die er mit einer kurzen Affäre beglückt hatte, anschließend in Verzweiflung dahingekümmert waren. Er hatte ihnen nur das gegeben, was ihm nichts bedeutete, sich selbst jedoch hatte er ihnen nicht gegeben.
Servilia, mit ihrer Fähigkeit zu kühler Analyse, war bereits bei ihrer eigenen Reaktion auf ihn. Warum gerade er, wo es noch nie zuvor einen Mann gegeben hatte, der ihr mehr bedeutet hätte als Sicherheit und gesellschaftlicher Status? Gut, sie hatte eine Schwäche für blonde Männer. Brutus war damals für sie ausgesucht worden, erst am Hochzeitstag hatte sie ihn kennengelernt. Daß er ein ausgesprochen dunkler Typ war, hatte sie ebenso enttäuscht wie alles andere an ihm. Silanus, einen blonden und sehr gut aussehenden Mann, hatte sie sich selbst gewählt. Vom optischen Eindruck her hatte er sie befriedigt, aber in jeder anderen Hinsicht war auch er eine große Enttäuschung gewesen. Kein starker Mann, weder was Gesundheit noch Intellekt oder Charakter betraf. Kein Wunder, daß er mit ihr keine Söhne gezeugt hatte. Servilia war fest davon überzeugt, daß das Geschlecht ihres Nachwuchses ausschließlich in ihrer Hand lag, und schon in der ersten Nacht in Silanus’ Armen hatte sie beschlossen, daß Brutus ihr einziger Sohn bleiben sollte. Auf diese Weise würde das ohnehin schon ansehnliche Vermögen durch Silanus’ beträchtlichen Besitz noch vermehrt.
Was für ein Jammer, daß es nicht in ihrer Macht lag, Brutus auch noch ein drittes und weitaus größeres Eigentum zu sichern. Jetzt war Caesar vergessen, denn ihr Sohn hatte sich dazwischengeschoben; Servilias sehnsüchtige Gedanken drehten sich um die fünfzehntausend Talente Gold, die ihr Großvater Caepio, der vor siebenunddreißig Jahren Konsul gewesen war, von einem Konvoi in Gallia Narbonensis gestohlen hatte. Mehr Gold, als die Schatzkammern Roms enthielten, war damals in Servilius Caepios Besitz übergegangen, ein Vermögen, das heute natürlich nicht mehr in Form von Goldbarren existierte. Es war längst in Besitztümer der vielfältigsten Art konvertiert worden: Manufakturen im italischen Gallien, riesige Getreideflächen in Sizilien und der Provinz Africa, Mietshäuser überall auf der italischen Halbinsel und stille Teilhaberschaften an geschäftlichen Unternehmungen, die sich nicht mit dem Rang eines Senators hatten vereinbaren lassen. Nach dem Tode von Caepio dem Konsul war das alles an Servilias Vater übergegangen, und als er während des Italischen Krieges getötet worden war, hatte es ihr Bruder bekommen, der dritte Mann in ihrem Leben, der den Namen Quintus Servilius Caepio trug. Ja, ihr Bruder Caepio hatte alles bekommen! Ihr Onkel Drusus hatte dafür gesorgt, daß er es bekam, obwohl Onkel Drusus die Wahrheit kannte. Und was war das für eine Wahrheit? Daß Servilias Bruder Caepio eigentlich nur ihr Halbbruder war: In Wirklichkeit war er das erste Kind, das ihre Mutter diesem Emporkömmling Cato Salonianus geboren hatte, obwohl sie damals noch mit Servilias Vater verheiratet war. Und der hatte das K\1ckucksei im Nest der Servilii Caepio gefunden, ein riesiges Kuckucksei mit langem Hals und roten Haaren und einer Nase, an der ganz Rom erkennen konnte, wessen Kind er war. Jetzt, da Caepio dreißig Jahre alt war, wußte jedermann in Rom, woher er stammte. Zum Totlachen! Und was für eine Gerechtigkeit! Ein Kuckucksei im Nest der Servilii Caepio hatte das Geld von Tolosa schließlich bekommen.
Brutus zuckte, aus seinen besorgten Gedanken gerissen, zusammen, denn seine Mutter hatte mit den Zähnen geknirscht. Ein schreckliches Geräusch, das alle, die es hörten, erbleichen ließ und zu Fluchtgedanken trieb. Aber Brutus konnte nicht fliehen. Ihm blieb nur die Hoffnung, daß nicht er der Grund für ihr Zähneknirschen war. Das hofften auch die Sklaven, die ihr vorausgingen. Sie blickten sich erschrocken an, während ihre Herzen heftig zu klopfen begannen und der Schweiß ihnen aus den Poren trat.
Servilia bemerkte davon nichts; ihre kurzen, stämmigen Beine öffneten und schlossen sich wie die Schere der Atropos, während sie vorwärts stürmte. Dieser verfluchte Caepio! Ja, jetzt konnte Brutus nicht mehr erben. Caepio hatte die Tochter von Hortensius dem Advokaten geehelicht, die aus einer der ältesten und erlauchtesten Plebejerfamilien Roms stammte, und Hortensia trug bereits ihr erstes Kind unterm Herzen. Und es würden viele Kinder folgen; Caepio war so wohlhabend, daß selbst ein Dutzend Söhne ihn nicht ruinieren konnten. Und Caepio selbst war gesund und kräftig wie alle Abkömmlinge, die aus der schändlichen zweiten Ehe hervorgegangen waren, die Cato der Zensor mit der Tochter seines Sklaven Salonius einging, als er bereits hoch in den Siebzigern war. Das war nun schon hundert Jahre her. Ganz Rom hatte damals darüber gelacht, bis man sich schließlich dazu durchgerungen hatte, dem alten Wüstling zu vergeben und die Abkömmlinge der Sklavin in die Reihen der berühmten Familien aufzunehmen. Sicher, Caepio könnte eines Tages einem Unfall zum Opfer fallen, wie es seinem leiblichen Vater Cato Salonianus ergangen war. Schon wieder dieses Knirschen von Servilias Zähnen: ein Hoffnungsschimmer? Doch Caepio hatte mehrere Kriege unbeschadet überstanden, obwohl er alles andere als ein Feigling war. Nein, nein, es hieß Abschied nehmen vom Gold von Tolosa. Brutus würde die schönen Dinge, die damit erworben worden waren, niemals erben. Und das war nicht gerecht! Immerhin war Brutus mütterlicherseits ein echter Servilius Caepio. Ach, könnte Brutus dieses dritte Vermögen doch nur erben; er wäre dann reicher als Pompeius Magnus und Marcus Crassus zusammen!
Ein paar Schritte vor dem Haus des Silanus hasteten die beiden Sklaven auf die Eingangstür zu, hämmerten dagegen und waren nicht mehr gesehen, nachdem sie sich geöffnet hatte. Das Atrium war bereits verlassen, als Servilia und ihr Sohn es betraten. Es hatte sich bereits im Hause herumgesprochen, daß Servilia mit den Zähnen geknirscht hatte. Und deshalb warnte sie auch niemand vor dem Besuch, der in ihrem Wohnzimmer auf sie wartete; sie stürmte durch die Tür, in Gedanken immer noch beim Gold von Tolosa und Brutus’ Pech. Und dann fiel ihr wütender Blick ausgerechnet auf ihren Halbbruder Marcus Porcius Cato, Brutus’ heißgeliebten Onkel.
Es war eine neue Marotte von ihm, keine Tunika mehr unter der Toga zu tragen, weil das in den frühen Tagen der Republik so Sitte gewesen war. Und wäre Servilias Blick nicht so von Haß getrübt gewesen, dann hätte ihr eigentlich auffallen müssen, daß diese verblüffende und extravagante neue Mode (zu der er bisher noch keine Nachahmer überreden konnte) ihm durchaus stand. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Gesundheit und Manneskraft. Während des Krieges gegen Spartacus hatte er ein hartes, entbehrungsreiches Leben geführt; er hatte wenig gegessen und nur Wasser getrunken. Auch wenn sein kurzgeschnittenes, leicht gewelltes, kastanienbraunes Haar einen rötlichen Schimmer hatte und die großen Augen von grauer Farbe waren, besaß er eine glatte, gebräunte Haut, und so machte es sich sehr gut, daß die rechte Hälfte des Oberkörpers von der Schulter bis zur Hüfte hinunter entblößt war. Er war schlank und unbehaart mit gut entwickelter Brustmuskulatur, flachem Bauch und einem rechten Arm, der die muskulösen Wölbungen genau an den richtigen Stellen hatte. Auf seinem sehr langen Hals saß ein gut geformter Kopf mit einem außerordentlich schönen Mund. Wäre diese erstaunliche Nase nicht gewesen, er hätte mit seinem Aussehen Männern wie Caesar, Memmius oder Catilina durchaus Konkurrenz machen können. Aber diese Nase war so hervorspringend und höckrig, daß sie alles andere zu glatter Bedeutungslosigkeit reduzierte. Eine Nase mit Eigenleben, sagten die Leute beinahe ehrfürchtig.
»Ich wollte gerade gehen«, verkündete Cato mit seiner lauten, schrillen, unmelodischen Stimme.
»Ein Jammer, daß du nicht schon weg bist«, murmelte Servilia zwischen den Zähnen.
»Wo ist Marcus Junius? Man hat mir gesagt, du hättest ihn mitgenommen.«
»Brutus! Nenn ihn bitte Brutus, wie alle anderen auch!«
»Es gefällt mir nicht, wie man seit dem vergangenen Jahrzehnt mit unseren Namen umgeht«, sagte er noch etwas lauter. »Ein Mann kann einen, zwei, sogar drei Beinamen haben, aber die Tradition verlangt es, daß man ihn nur bei seinem ersten, dem Familiennamen nennt, nicht bei seinen Beinamen.«
»Siehst du, Cato, und ich für meinen Teil bin sehr froh über diese Veränderung! Und was Brutus betrifft — für dich ist er nicht zu sprechen.«
»Du glaubst, ich werde irgendwann aufgeben, was?« fuhr er fort, und jetzt hatte seine Stimme den üblichen arroganten Tonfall. »Da kannst du lange warten, Servilia. Ich gebe nicht auf, solange Leben in mir ist. Dein Sohn ist mein leiblicher Neffe, und in seiner Welt gibt es keinen einzigen Mann. Ob es dir paßt oder nicht, ich werde meine Pflicht ihm gegenüber erfüllen.«
»Sein Stiefvater ist der pater familias, nicht du.«
Catos Lachen klang wie ein schrilles Wiehern. »Decimus Junius ist eine armselige magenkranke Memme, eine sterbende Ente wäre geeigneter als Vormund für deinen Jungen!«
Unter einem ziemlich dicken Fell versteckte Cato ein paar schwache Stellen. Servilia kannte jede einzelne von ihnen. Aemilia Lepida, zum Beispiel. Mit achtzehn Jahren war Cato verrückt nach ihr gewesen. So verrückt wie ein Grieche nach hübschen Knaben. Doch Aemilia Lepida hatte Cato nur benutzt, um Metellus Scipio anzulocken.
Ganz beiläufig sagte Servilia: »Heute bei Aurelia habe ich Aemilia Lepida gesehen. Sie sieht phantastisch aus! Eine richtige kleine Ehefrau und Mutter. Sie liebt Metellus Scipio mehr denn je.«
Der Pfeil hatte gesessen. Cato wurde kreidebleich. »Mich hat sie als Köder benutzt, damit er angekrochen kommt«, sagte er verbittert. »Sie ist wie alle Frauen — verschlagen, verlogen und ohne Prinzipien.«
»Denkst du von deiner eigenen Frau auch so?« fragte Servilia mit breitem Lächeln, und dabei funkelten ihre Augen.
»Atilia ist meine Frau. Wenn Aemilia Lepida ihr Versprechen gehalten und mich geheiratet hätte, dann hätte sie bald entdeckt, daß sie mit weiblicher Hinterlist bei mir nicht weit kommt. Atilia tut, was man von ihr verlangt, und führt ein vorbildliches Leben.«
»Arme Atilia! Läßt du sie töten, wenn ihr Atem einmal nach Wein riecht? Die Zwölf Tafeln geben dir das Recht dazu, und du bist doch so ein glühender Verfechter von überkommenen Gesetzen.«
»Ich bin ein glühender Verfechter der alten Lebensart, der Traditionen und Gebräuche des römischen mos maiorum!«, brüllte er und blähte die Nasenflügel, bis sie wie kleine Blasen aussahen. »Mein Sohn und meine Tochter, meine Frau und ich, wir alle essen Speisen, die sie selbst zubereitet, wir leben in Räumen, in denen sie allein für Ordnung sorgt, wir tragen Kleidung, deren Stoffe sie eigenhändig gesponnen, gewoben und zusammengenäht hat.«
»Läufst du deshalb halbnackt herum? Und sie muß schuften wie ein Ackergaul!«
»Atilia führt ein vorbildliches Leben«, wiederholte er. »Ich lasse es nicht zu, daß die Kinder Dienern und Kindermädchen überlassen werden. Sie hat die volle Verantwortung für das dreijährige Mädchen und den ein Jahr alten Jungen. Atilias Zeit ist voll und ganz ausgefüllt.«
»Das sagte ich ja; sie ist dein Ackergaul. Du könntest dir genug Dienstpersonal leisten, Cato, und das weiß sie. Statt dessen knauserst du und machst eine Sklavin aus ihr. Sie wird es dir nicht danken.« Servilia hob die schweren weißen Augenlider und maß ihn mit ihrem ironischen Blick vom Kopf bis zu den Füßen. »Eines Tages wirst du ein bißchen früher nach Hause kommen und feststellen müssen, daß sie sich ein wenig außerehelichen Trost gesucht hat. Und wer könnte es ihr verdenken? So ein Paar Hörner auf dem Kopf würden dir nicht schlecht stehen, mein lieber Cato!«
Dieser Pfeil traf ins Leere; Cato blieb gelassen. »O nein, ganz bestimmt nicht«, erwiderte er selbstgefällig. »Auch in diesen inflationären Zeiten zahle ich nicht mehr für einen Sklaven, als mein Urgroßvater bezahlt hat, aber ich sorge dafür, daß sie mich fürchten. Mag sein, daß ich sehr sparsam bin, aber kein Sklave, der sein Geld wert ist, hat unter mir zu leiden. Er muß nur wissen, daß er mein Eigentum ist.«
»Welch beneidenswerte häusliche Idylle«, sagte Servilia lächelnd. »Ich muß Aemilia Lepida unbedingt berichten, was ihr entgangen ist.« Sie hatte nun genug von ihm und wandte sich ab. »Geh jetzt, Cato! Brutus bekommst du nur über meine Leiche. Wir haben nicht denselben Vater — und ich danke den Göttern für diese Gnade —, aber wir sind aus einem ähnlichen Holz geschnitzt. Nur daß ich bei weitem intelligenter bin als du, Cato.« Sie machte ein Geräusch, das an das Schnurren einer Katze erinnerte. »Ich bin bei weitem intelligenter als alle meine Halbbrüder.«
Dieser dritte Pfeil hatte ihn bis ins Mark getroffen. Cato erstarrte, ballte die feingliedrigen Hände zu Fäusten. »Ich ertrage deine Boshaftigkeit, wenn du sie gegen mich richtest, Servilia, aber nicht, wenn Caepio ihr Ziel ist!« donnerte er los. »Unterlasse gefälligst diese Verleumdungen! Caepio ist dein richtiger Bruder, nicht meiner! Ich wollte, er wäre es. Ich liebe ihn mehr als jeden anderen auf dieser Welt. Und ich werde nicht dulden, daß er diffamiert wird, schon gar nicht von dir!«
»Sieh doch in den Spiegel, Cato. Ganz Rom kennt die Wahrheit.«
»Meine Mutter war eine halbe Rutilierin — von dieser Seite der Familie hat Caepio seine Haarfarbe!«
»Unsinn! Die Rutilier sind weizenblond, und von ihnen hat niemand die Nase eines Cato Salonianus.« Servilia schnaubte verächtlich. »Ihr seid Äpfel vom selben Baum, Cato, und so dick wie Apfelmus wart ihr euer Leben lang miteinander. Da gibt es nichts abzustreiten — Caepio ist dein richtiger Bruder, nicht meiner!«
Cato erhob sich. »Du bist eine böse Frau, Servilia.«
Sie gähnte demonstrativ. »Du hast die Schlacht verloren, Cato. Auf Wiedersehen und hoffentlich nicht so bald.«
Schon im Begriff, den Raum zu verlassen, schleuderte er ihr seinen Abschiedsgruß ins Gesicht: »Am Ende siege ich ja doch, Servilia. Ich siege immer!«
»Du müßtest mich töten, um zu siegen! Aber du wirst vor mir sterben.«
Danach mußte sie sich mit einem anderen der Männer beschäftigen, die in ihrem Leben eine Rolle spielten — mit ihrem Gatten Decimus Junius Silanus. Cato hatte ihn recht zutreffend als magenkranke Memme charakterisiert, das mußte sie zugeben. Was auch immer der Grund dafür sein mochte, er mußte sich ständig übergeben, und zweifellos war er ein schüchterner, resignierter, ziemlich nichtssagender Mann. Er gehört zu den Männern, dachte sie — während sie zusah, wie er in seinem Essen herumstocherte —, die alles, was sie zu bieten haben, offen zur Schau stellen: ein schönes Gesicht und nichts dahinter. Ganz anders war das bei jenem anderen gutaussehenden Gesicht, dem Gesicht des Julius Caesar. Caesar... Er hatte es ihr angetan. Einen Moment lang glaubte sie, ihm auch gut gefallen zu haben, aber dann war die Zunge mit ihr durchgegangen und sie hatte ihn brüskiert. Wie habe ich bloß vergessen können, daß er ein Julier ist? dachte sie verärgert. Auch eine Patrizierin, eine Servilia wie sie, durfte sich nicht in die persönlichen Angelegenheiten eines Juliers mischen...
Die beiden Mädchen, die sie Silanus geboren hatte, saßen mit am Tisch, und wie immer hänselten sie Brutus (denn für ihre Begriffe war Brutus ein Kümmerling). Junia war ein bißchen jünger als Caesars Julia, sieben Jahre alt, und Junilla wurde bald sechs. Beide hatten mittelbraunes Haar und waren außerordentlich hübsch; keine Gefahr, daß sie ihren späteren Ehemännern nicht gefallen könnten! Schönheit und eine fette Mitgift waren eine unwiderstehliche Kombination. Sie waren jedoch beide schon den Erben zweier großer Familien versprochen. Nur Brutus war noch nicht verlobt, auch wenn er keinen Zweifel daran gelassen hatte, wer seine Auserwählte war: die kleine Julia. Ein sonderbarer Junge — verliebte sich in ein Kind. Sie gestand es sich nicht gern ein, aber heute abend war sie nicht in der Stimmung, sich etwas vorzumachen: Manchmal war Brutus ihr ein Rätsel. Warum bestand er so hartnäckig darauf, sich wie ein Intellektueller zu gebärden? Wenn er diese Marotte nicht bald ablegte, würde aus seiner politischen Karriere nichts werden. Wenn Intellektuelle nicht, wie Caesar, auch Lorbeeren auf dem Schlachtfeld einheimsten oder große Erfolge vor Gericht zu verzeichnen hatten, wie Cicero, wurden sie schnell zur Zielscheibe des Spottes. Brutus war weder so robust noch so flexibel und gewandt wie ein Caesar oder ein Cicero. Vielleicht war es ganz gut, daß er Caesars Schwiegersohn werden würde. Etwas von dieser magischen Energie, diesem Charme würde, mußte auf ihn abfärben. Caesar...
Caesar schickte ihr am folgenden Tag die Nachricht, daß er sie gern privat empfangen würde: in seinen Räumen am unteren Vicus Patricii, im zweiten Stock des Mietshauses, das zwischen der Färberei Fabricius und den öffentlichen Bädern stand. Zur vierten Stunde des morgigen Tages würde ein Lucius Decumius sie im Erdgeschoß am Tor erwarten, um sie nach oben zu führen.
Antistius Vetus’ Amtszeit als Statthalter in Hispania Ulterior war zwar verlängert worden, aber Caesar hatte sich nicht verpflichtet gefühlt, noch länger dort unten bei ihm zu verweilen. Schließlich fühlte er sich nicht durch eine persönliche Berufung gebunden; die Provinz war ihm durch das Los zugeteilt worden. Vielleicht wäre es ganz angenehm gewesen, noch ein bißchen länger in Hispania Ulterior zu bleiben, aber auf dem Forum ließ sich mit dem Posten einen Quästors kein Staat machen. Caesar war sich darüber im klaren, daß er in den nächsten beiden Jahren möglichst viel Zeit in Rom verbringen mußte: Die Römer sollten sich an sein Gesicht und an seine Stimme gewöhnen. Weil er bereits mit zwanzig die Bürgerkrone für außerordentliche Tapferkeit erhalten hatte, war ihm zehn Jahre vor dem üblichen Mindestalter von dreißig Jahren der Zugang zum Senat gewährt worden, und von Anfang an hatte er sich in dieser Kammer zu Wort melden dürfen und war nicht — bis er in ein höheres Amt als das des Quästors gewählt worden war — unter das Gesetz des Schweigens gefallen. Caesar hatte vorsichtigen Gebrauch von diesem Vorrecht gemacht; er war viel zu klug, um die Leute damit zu verärgern, daß er sich auf eine ohnehin schon viel zu lange Rednerliste setzen ließ. Er brauchte keine Reden, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, weil er den Beweis für seine Ausnahmestellung für jedermann sichtbar auf dem Kopf trug. Sullas Gesetz verlangte von ihm, bei allen öffentlichen Auftritten die Bürgerkrone aus Eichenlaub zu tragen, und alle, die ihn damit sahen, mußten sich erheben und ihm applaudieren, selbst die ehrwürdigsten Konsulare und Zensoren. Die Krone hob ihn aus der Masse heraus, machte ihn zu etwas Besonderem, ein Zustand, der ihm durchaus behagte. Vielleicht hätten andere sich möglichst viele mächtige Freunde zugelegt; Caesar zog es vor, seinen Weg allein zu gehen. Sicher, ein Mann brauchte eine Menge Klienten, mußte als ein Patron von besonderem Rang von sich reden machen. Caesar war fest entschlossen, nach oben zu kommen, aber nicht, indem er sich einer einflußreichen Clique anschloß. Cliquen pflegten ihre Mitglieder zu kontrollieren.
Zum Beispiel die boni — die »guten Männer«. Von den vielen Faktionen im Senat waren sie die mächtigste. Häufig gelang es ihnen, die Wahlen zu bestimmen, die wichtigsten Gerichte zu besetzen, in den Versammlungen am lautesten zu brüllen. Und doch standen die boni für gar nichts! Allenfalls in der tiefverwurzelten Abneigung gegen jegliche Veränderung ließ sich so etwas wie eine gemeinsame Überzeugung erkennen. Caesar dagegen war für Veränderungen. Es gab so viele Dinge, die förmlich darauf warteten, verbessert oder abgeschafft zu werden. Wenn der Dienst in Hispania Ulterior ihn etwas gelehrt hatte, dann war es die Notwendigkeit von Umgestaltungen. Korruption in der Verwaltung und Habgier würden eines Tages das Imperium zerstören, wenn man ihnen nicht ein Ende bereitete, und das war nur eine der vielen Neuerungen, die er sich wünschte — und die er in die Tat umsetzen würde! Jeder Aspekt des römischen Staates bedurfte der Wachsamkeit, der Reglementierung. Aber die boni widersetzten sich aus Tradition auch den geringfügigsten Wandlungen. Das waren nicht Caesars Männer. Und Caesar war nicht sehr beliebt bei ihnen; ihre sensiblen Spürnasen hatten in Caesar bereits vor langer Zeit den radikalen Neuerer ausgemacht.
Tatsächlich gab es nur einen sicheren Weg, auf dem Caesar gehen konnte — den eines militärischen Kommandanten. Doch bevor er eine von Roms Armeen befehligen durfte, mußte er es mindestens bis zum Prätor gebracht haben, und um seine Wahl in dieses Gremium von acht Männern, das die Gerichtshöfe und das Rechtssystem überwachte, zu sichern, mußte er die nächsten sechs Jahre innerhalb des pomerium verbringen, der geheiligten Stadtgrenze: auf Stimmenfang gehen, versuchen, sich in der chaotischen politischen Szene zu behaupten; seine Person in den Vordergrund stellen, Einfluß, Macht, Klienten, eine Gefolgschaft unter den Kaufleuten und Anhänger aller Art gewinnen. Und zwar für sich und nur für sich, nicht als einer der boni oder irgendeiner anderen Gruppe, die von ihren Mitgliedern verlangte, daß alle das gleiche dachten oder — noch besser — überhaupt nicht dachten.
Doch Caesar wollte mehr sein als der Anführer einer eigenen Faktion; er wollte eine Institution werden, der »Erste Mann in Rom«, primus inter pares, der erste unter gleichen, die meiste auctoritas besitzen, die größte dignitas. Der »Erste Mann in Rom« — das war die personifizierte Macht. Was immer er sagte, man würde ihm zuhören, und niemand konnte ihn stürzen, denn er war weder König noch Diktator; er würde seine Stellung allein durch die Kraft seiner Persönlichkeit halten, ohne ein Amt, ohne eine Armee im Rücken. Der alte Gaius Marius hatte den schweren Weg gewählt und Germanien erobert, denn er konnte nicht auf Vorfahren zurückgreifen, die den Leuten klargemacht hätten, daß er es verdiente, der »Erste Mann in Rom« zu sein. Sulla hatte die entsprechenden Vorfahren gehabt, aber den Titel hatte er sich nicht verdient, weil er sich selbst zum Diktator gemacht hatte. Er war einfach Sulla gewesen — der große Aristokrat, Alleinherrscher, Träger der Graskrone, unbesiegter General. Eine militärische Legende, gereift in der politischen Arena — der »Erste Mann in Rom«.
Und deshalb durfte der Mann, der »Erster Mann in Rom« werden wollte, keiner Faktion angehören; er mußte eine Faktion konstituieren, durfte sich auf dem Forum nicht zur Marionette eines anderen machen lassen, sondern hatte als furchterregender Verbündeter aufzutreten. Im heutigen Rom hatte ein Patrizier es leichter, und Caesar war Patrizier. Seine frühen Vorfahren hatten bereits dem Senat angehört, als dieser noch aus hundert Männern bestand, die den römischen Königen als Ratgeber dienten. Noch bevor Rom überhaupt existierte, waren seine Vorfahren selbst Könige gewesen, Könige von Alba Longa auf dem Albanerberg. Und eine Urahnin war die Göttin Venus; sie hatte Aeneas geboren, den König von Dardania, der ins latinische Italien gesegelt war, um dort ein neues Königreich zu errichten, das eines Tages zum Stammland des Römischen Reiches werden sollte. Wer einer solch herausragenden Familie entstammte, war dazu prädestiniert, zum Führer seiner eigenen Sache zu werden. Die Römer liebten Männer mit langen Stammbäumen, und je erlauchter dieser Stammbaum, desto größer die Chancen des Mannes, Gründer einer eigenen Faktion zu werden.
Und so wußte Caesar genau, was er bis zu seiner ersten Amtszeit als Konsul in neun Jahren zu tun hatte. Er mußte Männer um sich scharen, die ihn für würdig befanden, der »Erste Mann in Rom« zu werden. Was nicht unbedingt bedeutete, daß er sie bei Laune halten mußte; er mußte vielmehr die beherrschen, die nicht seinesgleichen waren. Die Männer, die ihm ebenbürtig waren, würden ihn fürchten und hassen, weil sie gegen jeden waren, der »Erster Mann in Rom« werden wollte. Mit Klauen und Zähnen würden sie sich gegen seinen Ehrgeiz wehren, sie würden vor nichts zurückschrecken, um ihn zu stürzen, bevor er so mächtig geworden wäre, daß sie ihn nicht mehr stürzen konnten. Deshalb verabscheuten sie Pompeius den Großen, der sich zur Zeit gern »Erster Mann in Rom« nannte. Nun, das würde nicht so bleiben. Der Titel gehörte ihm, Caesar, und nichts und niemand würde ihn daran hindern, ihn sich zu holen. Er wußte es, denn er kannte sich.
Er war dankbar, als sich am Morgen des Tages nach seiner Rückkehr eine kleine Gruppe von Klienten eingefunden hatte, die ihm ihre Aufwartung machen wollten; sie füllten sein Empfangszimmer, und sein Verwalter Eutychus strahlte bei ihrem Anblick übers ganze Gesicht. Lucius Decumius, drahtig und aufgekratzt wie eine Grille, strahlte ebenfalls und hüpfte von einem Bein auf das andere, als Caesar aus seinen Privatgemächern trat.
Ein Kuß auf Lucius Decumius’ Mund machte großen Eindruck auf so manchen der Männer, die Zeugen dieser Begrüßung wurden.
»Ich hab’ dich fast so sehr vermißt wie Julia, Papa«, sagte Caesar und schloß Lucius Decumius fest in seine Arme.
»Auch für mich ist Rom nicht Rom, wenn du fort bist, Pavo!« antwortete er und nannte Caesar beim Namen des Pfauen, wie er es schon getan hatte, als sein Patron noch ein kleiner Junge war.
»Du scheinst überhaupt nicht älter zu werden, Papa.«
Das stimmte. Niemand kannte das genaue Alter von Lucius Decumius, aber zweifellos war er eher siebzig als sechzig Jahre alt. Er würde wohl ewig leben. Er gehörte lediglich der vierten Klasse an, dem städtischen Tribus der Subura, seine Stimme hatte in keiner Versammlung viel Gewicht, und trotzdem besaß Lucius Decumius in gewissen Kreisen viel Macht und großen Einfluß. Er war der Kustos eines Kreuzwegevereins, einer Bruderschaft, die ihr Hauptquartier in Aurelias Mietshaus hatte, und jeder Mann im Viertel — gleich welcher Klasse er angehörte — war verpflichtet, diesen Räumlichkeiten, die ebensogut eine Taverne wie ein religiöser Treffpunkt waren, von Zeit zu Zeit einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Und als Kustos seiner Bruderschaft besaß Lucius Decumius eine gewisse Autorität; außerdem hatte er sich mit zahlreichen zwielichtigen Geschäften ein nicht unbeträchtliches Vermögen erworben, von dem er gegen hohe Zinsen Geld an diejenigen verlieh, die den Zielen des Lucius Decumius oder seines Patrons Caesar später einmal nützlich sein konnten. Caesar, den er mehr liebte als seine beiden kräftigen Söhne, Caesar, der sich als junger Bursche schon an einigen seiner fragwürdigen Abenteuer beteiligt hatte...
»Deine Zimmer am Ende der Straße sind für dich hergerichtet«, sagte der alte Mann und grinste breit. »Neues Bett—recht hübsch.«
Aus den eisigen, blaßblauen Augen leuchtete es; Caesar erwiderte das Grinsen und zwinkerte ihm zu. »Ich werd’ es in Augenschein nehmen und dann mein eigenes Urteil fällen, Papa. Da fällt mir ein — könntest du der Frau von Decimus Junius Silanus eine Nachricht von mir bringen?«
Lucius Decumius legte die Stirn in Falten. »Servilia?«
»Scheint eine Berühmtheit zu sein, diese Dame.«
»Und ob. Sie herrscht unerbittlich über ihre Sklaven.«
»Woher willst du das wissen? Ich nehme an, ihre Sklaven besuchen den Kreuzwegeverein auf dem Palatin.«
»Nun, so etwas spricht sich herum. Sie schreckt auch vor Kreuzigungen nicht zurück, wenn sie’s für richtig hält. Hat sie schon gemacht, vor aller Augen im eigenen Garten. Und stell dir vor, vorher werden sie ausgepeitscht, damit sie nicht so lange am Kreuz hängen!«
»Wie rücksichtsvoll«, sagte Caesar und machte sich daran, die Botschaft für Servilia zu formulieren. Er rechnete gar nicht damit, daß Lucius Decumius ihn vor ihr warnen oder sich gar anmaßen würde, seinen Geschmack zu kritisieren; Lucius Decumius würde seine Pflicht tun und die Nachricht überbringen.
Caesar legte nicht viel Wert auf gutes Essen, er war kein Feinschmecker und schon gar kein Mann von epikuräischer Lebensart, also kaute er geistesabwesend auf einem knusprigen, frischen Brötchen vom Bäcker in Aurelias Straße herum und trank einen Becher klares Wasser dazu, während er seine Klienten begrüßte. Sein Verwalter, der um Caesars Großzügigkeit wußte, ging bereits mit Tabletts herum und servierte eben solche Brötchen und mit Wasser verdünnten Wein für diejenigen, die ihn reinem Wasser vorzogen, außerdem kleine Schalen mit Öl oder Honig zum Eintunken. Wie schön zu sehen, daß Caesars Klientel ständig größer wurde!
Einige waren nur gekommen, um ihm zu zeigen, daß sie zu seiner Verfügung standen, andere wiederum hatten irgendein Anliegen: eine Empfehlung für einen Arbeitgeber, eine Anstellung für einen gut ausgebildeten Sohn im Schatzamt oder in den Archiven, oder es wollte jemand wissen, was Caesar von einem Heiratsangebot an die Tochter oder einem Kaufvertrag über ein Stück Land hielt. Ein paar waren gekommen, um ihn um Geld zu bitten, und auch ihnen wurde mit größter Bereitwilligkeit geholfen, als sei Caesars Geldbeutel so prall gefüllt wie der von Marcus Crassus — und dabei war er so leer.
Die meisten Klienten gingen wieder, nachdem ein paar Worte gewechselt worden waren. Diejenigen, die noch blieben, brauchten ein paar Zeilen von ihm und warteten geduldig, bis er hinter seinem Schreibtisch Platz genommen und das Papier bereitgelegt hatte. So waren bereits vier der länger werdenden Frühlingsstunden verstrichen, bevor der letzte Besucher sich empfohlen hatte und der Rest des Tages Caesar nun endlich allein gehörte. Natürlich waren die Männer nicht weit gegangen; als er eine Stunde später aus seiner Wohnung trat, nachdem er die dringendste Korrespondenz erledigt hatte, schlossen sie sich ihm erneut an und begleiteten ihn zu den Orten, zu denen seine Geschäfte ihn führten. Ein Mann mußte sich in der Öffentlichkeit mit seinen Klienten zeigen.
Leider war auf dem Forum Romanum niemand von Bedeutung anwesend, als Caesar und sein Gefolge am Fuße des Argiletum ankamen und zwischen der Basilica Aemilia und der Treppe der Curia Hostilia hindurchgingen. Und dann lag es vor ihnen, das Zentrum der gesamten römischen Welt: das untere Forum Romanum, ein Ort, der großzügig mit Stätten der Verehrung, des Altertums und des öffentlichen Gebrauchs ausgestattet war. Seit über fünfzehn Monaten war er nicht mehr hier gewesen. Nicht etwa, daß sich etwas verändert hätte, hier änderte sich nie etwas.
Direkt vor ihm öffnete sich das Komitium, ein vermeintlich kleines, kreisrundes Auditorium mit breiten Stufen, die bis hinunter an die Grundfläche reichten. Hier tagten die Volksversammlung und die Plebejische Versammlung. Wenn es bis auf den letzten Platz besetzt war, hatte das Komitium für ungefähr dreitausend Männer Raum. An seiner Rückseite befand sich die Rostra, von der aus die Politiker zu der Menge redeten, die sich unter ihnen im Auditorium drängte. Und dann war da noch die alte ehrwürdige Curia Hostilia, Versammlungsort des Senats in all den Jahrhunderten seit ihrer Errichtung durch König Tullius Hostilius, zu klein, seit Sulla diese Körperschaft erweitert hatte, und ein wenig schäbig geworden, trotz der wundervollen Malereien auf einer der Seitenwände. Der Brunnen des Curtius, die heiligen Bäume, Scipio Africanus auf seiner hohen Säule, die Galionsfiguren gekaperter Schiffe, ebenfalls auf Säulen montiert, eine ganze Anzahl von Standbildern auf imposanten Sockeln, die zornige Gesichter machten, wie der greise und blinde Appius Claudius, oder selbstgefällig in die Welt schauten, wie der listige alte Scaurus Princeps Senatus. Auf der anderen Seite der offenen Fläche standen zwischen zwei oder drei Rednertribünen die beiden schäbigen Basiliken der Opimia und Sempronia und links davon der herrliche Tempel von Castor und Pollux. Wie zwischen so vielen Klötzen noch Versammlungen und Gerichtsverhandlungen stattfinden konnten, war ein Rätsel; aber sie fanden statt, und das würde wohl immer so sein.
Im Norden erhob sich die riesige Anhöhe des Kapitols — dessen eine Erhebung die andere ein wenig überragte —, ein Labyrinth aus Tempeln mit grell getünchten Pfeilern, Ziergiebeln und vergoldeten Standbildern auf orangefarbenen Ziegeldächern.
Jupiter Optimus Maximus’ neue Heimstatt (die alte war ein paar Jahre zuvor niedergebrannt) befand sich noch im Bau, wie Caesar mit einem Stirnrunzeln feststellen mußte; anscheinend war Catulus ein säumiger Kustos der Bauarbeiten und brachte sie nicht schnell genug voran. Aber Sullas eindrucksvolles Tabularium war jetzt tatsächlich fertiggestellt. Seine Stockwerke mit Bogenfenstern und Säulengängen, in denen sämtliche Archive, Gesetzestafeln und Rechnungsbücher Roms Platz finden sollten, füllte die gesamte Mitte des vorderen Hügels aus. Und am Fuße des Kapitols standen noch weitere öffentliche Bauwerke — der Tempel der Concordia und, gleich daneben, das kleine alte Senaculum, in dem die ausländischen Delegationen vom Senat empfangen wurden.
In der Ecke hinter dem Senaculum, gesäumt vom Clivus Capitolinus und dem Vicus Jugarius, lag das Ziel von Caesars Spaziergang, der Tempel des Saturn: sehr alt und groß und streng dorisch, sah man einmal von den grellen Farben ab, mit denen seine hölzernen Wände und Pfosten beschmiert waren. Er war die Heimstatt der antiken Statue des Gottes, die ständig mit Öl gefüllt und in Tücher gewickelt werden mußte, damit sie nicht auseinderfiel. Außerdem hatte hier — und das war für Caesars Absichten viel ausschlaggebender — das Schatzamt der Stadt Rom seinen Sitz.
Der Tempel selbst war auf einer zwanzig Stufen hohen Plattform errichtet worden, einem steinernen Unterbau, der ein ganzes Labyrinth von Korridoren und Räumen beherbergte. Ein Teil davon diente als Lager für Gesetze, die, wenn sie einmal in Stein oder Bronze graviert waren, hier aufbewahrt wurden, weil Roms weitgehend ungeschriebene Verfassung verlangte, daß alle Gesetzestafeln irgendwo aufbewahrt werden mußten. Die mit der Zeit immer größer werdende Menge an Steinplatten machte es inzwischen jedoch erforderlich, daß ein neues Gesetz zum Vordereingang hineinund zum Hinterausgang wieder herausgebracht wurde, um anderswo gelagert zu werden.
Der weitaus größte Teil der Räumlichkeiten stand dem Schatzamt zur Verfügung. Hier lagerte in Tresorräumen hinter riesigen Eisentüren der römische Staatsschatz in Form von Goldund Silberbarren im Wert von vielen Tausenden Talenten. Hier arbeitete in schäbigen Büros, die vom Licht flackernder Öllampen und kleiner, hoch in den Außenmauern angebrachter Gitterfenster beleuchtet waren, jene Gruppe von Staatsbediensteten, die mit der Verwaltung der öffentlichen Gelder Roms betraut war, von den altehrwürdigen tribuni aerarii, den Zahlmeistern, über weniger ehrwürdige Buchführer bis hin zu den Sklaven im öffentlichen Dienst, die die staubigen Korridore fegen mußten und dabei die Spinnweben an den Wänden geflissentlich übersahen.
Durch den Zuwachs an Provinzen und Profit war der Tempel des Saturn längst viel zu klein für seine fiskalischen Zwecke geworden, aber die Römer trennten sich nun einmal ungern von Orten, die für die Verwaltung ihres Staatswesens bestimmt waren. Kleinere Vorräte an Münzgeld und Barren waren in die Tresorräume anderer Tempel geschafft worden, die Bücher aus allen Jahren, außer dem laufenden, hatte man in Sullas Tabularium verbannt; infolgedessen war das Heer der Finanzbeamten und ihrer Untergebenen ständig angewachsen. Die Staatsbeamten — auch dies war eines der eher dunklen Kapitel Roms, aber das Schatzamt war nun einmal eine äußerst wichtige Institution; die öffentlichen Gelder wollten ordentlich kassiert, verwahrt und vermehrt werden, selbst wenn das eine fast unerträglich große Zahl an öffentlichen Bediensteten erforderte.
Während seine Gefolgsleute zurückblieben, schlenderte Caesar, begleitet von ihren bewundernden Blicken, auf die große, geschnitzte Tür zu, die sich in der Seitenmauer der Plattform des Saturn-Tempels befand. Er war in eine makellos saubere, weiße Toga gekleidet, die rechte Schulter seiner Tunika zierte der purpurrote Streifen des Senators. Auf dem Kopf trug er den Kranz aus Eichenlaub, denn ein dienstlicher Anlaß hatte ihn hierhergeführt, und die Bürgerkrone mußte er bei allen öffentlichen Anlässen tragen. Ein anderer Mann hätte vielleicht einen seiner Begleiter aufgefordert, den Türklopfer zu betätigen, aber Caesar tat es selbst und wartete, bis die Tür vorsichtig geöffnet wurde und ein Kopf sich durch den Spalt schob.
»Gaius Julius Caesar, Quästor der Provinz Hispania Ultenor unter der Statthalterschaft des Gaius Antistius Vetus, wünscht die Haushaltsbücher seiner Provinz vorlegen zu dürfen, wie Gesetz und Brauch es verlangen«, sagte Caesar mit ruhiger Stimme.
Man ließ ihn ein, und hinter ihm schloß sich die Tür wieder; alle Klienten blieben draußen.
»Ich nehme an, du bist erst seit gestern wieder zurück«, äußerte Marcus Vibius, der Leiter des Schatzamts, nachdem man Caesar in sein düsteres Büro geführt hatte.
»Ja.«
»Eigentlich hatte es damit keine solche Eile.«
»Soweit es mich betrifft, hat es durchaus Eile. Mein Dienst als Quästor ist nicht beendet, solange ich die Bücher nicht vorgelegt habe.«
Vibius kniff die Augen zusammen. »Dann leg sie vor!«
Caesar zog sieben Schriftrollen unter seiner Toga hervor, jede von ihnen doppelt versiegelt, einmal mit Caesars Ring, ein zweites Mal mit dem Ring des Antistius Vetus. Als Vibius das Siegel der ersten Rolle brechen wollte, hielt Caesar ihn zurück.
»Was ist, Gaius Julius?«
»Es sind keine Zeugen anwesend.«
Wieder kniff Vibius die Augen zusammen. »Ach, mit solchen Kleinigkeiten nehmen wir es nicht so genau.«
Caesars Hand schoß hervor und legte sich um Vibius’ Handgelenk. »Dann solltest du schleunigst anfangen, es mit solchen Kleinigkeiten genauer zu nehmen«, sagte Caesar freundlich. »Das sind die offiziellen Abrechnungen meiner Zeit als Quästor in Hispania Ulterior, und ich bestehe darauf, sie unter Zeugen vorzulegen. Sollte es nicht möglich sein, so kurzfristig Zeugen zu bestellen, dann nenne mir einen günstigeren Termin.«
Die Atmosphäre in dem Büro wurde frostiger. »Natürlich ist es möglich, Gaius Julius.«
Aber die ersten vier Zeugen waren nicht nach Caesars Geschmack, und erst nachdem er sich zwölf besehen hatte, waren die vier gefunden, die ihm zusagten. Die weitere Verhandlung vernahm einen für Marcus Vibius geradezu atemberaubenden Verlauf, denn er war es nicht gewöhnt, daß die Quästoren sich mit Buchhaltung auskannten, und schon gar nicht, daß sie ein phänomenales Gedächtnis hatten, welches es ihnen ermöglichte, die Zahlenkolonnen herunterzurattern, ohne auch nur einmal in die schriftlichen Unterlagen sehen zu müssen. Vibius war schweißnaß, als Caesar geendet hatte.
»Ehrlich gesagt, ich habe noch nie einen Quästor erlebt, der seine Bücher so gut präsentiert hat«, bemerkte Vibius und wischte sich über die Stirn. »Alles hat seine Ordnung, Gaius Julius. Hispania Ulterior müßte dir eine Dankadresse dafür schicken, daß du Ordnung in ihr Durcheinander gebracht hast.« Er hatte seine Worte mit einem versöhnlichen Lächeln begleitet; Vibius fing an zu begreifen, daß dieser hochmütige Kerl einmal Konsul werden wollte, und mit Leuten dieser Art sollte man es sich nicht verscherzen.
»Wenn alles seine Ordnung hat, dann mußt du mir das in einem offiziellen Papier bestätigen. Vor Zeugen.«
»Das wollte ich gerade tun.«
»Ausgezeichnet!« rief Caesar mit übertriebener Aufgeräumtheit.
»Und wann trifft das Geld hier ein?« wollte Vibius wissen, als er seinen unangenehmen Besucher zur Tür brachte.
Caesar zuckte mit den Schultern. »Darauf habe ich keinen Einfluß. Ich denke, der Statthalter wird das Geld mitbringen, wenn seine Amtszeit abgelaufen ist.«
Ein Anflug von Verbitterung sprach aus Vibius’ Blick. »Das ist doch typisch!« rief er aus. »Eigentlich steht es Rom schon dieses Jahr zu, aber Antistius Vetus behält es noch so lange als Anlage in seinem Namen, bis er seinen Profit daraus gezogen hat.«
»Das ist ganz legal, und es kommt mir nicht zu, daran Kritik zu üben«, sagte Caesar großzügig und kniff die Augen zusammen, als er in das helle Sonnenlicht des Forums hinaustrat.
»Ave, Gaius Julius!« knurrte Vibius und schloß die Tür.
Während der Stunde, die das Gespräch gedauert hatte, war es auf dem unteren Forum ein wenig lebhafter geworden; Menschen liefen geschäftig hin und her, um ihre Angelegenheiten noch vor dem Nachmittag und dem Abendessen zu erledigen. Caesar mußte mit einem tiefen Seufzer feststellen, daß unter den neuen Gesichtern auch jenes des Marcus Calpurnius Bibulus war, den er einst ohne viel Mühe in die Höhe gehoben und vor den Augen seiner Kameraden auf einen Schrank gesetzt hatte. Und dann hatte er ihn auch noch als Floh bezeichnet. Und das nicht ohne Grund! Sie hatten beide auf den ersten Blick eine ausgesprochene Abneigung füreinander empfunden. So etwas kam vor. Bibulus hatte ihn auf eine Weise beleidigt, die nach körperlicher Vergeltung schrie, wohl wissend, daß seine geringe Körpergröße ihn vor Caesars Schlägen bewahren würde. Bibulus hatte Andeutungen gemacht, wonach Caesar sich dem alten König Nikomedes von Bithynien hingegeben habe, um von ihm den Befehl über eine einzigartige Flotte zu erhalten. Vielleicht hätte Caesar sich besser in der Gewalt gehabt, wenn nicht Lucullus kurz zuvor genau die gleichen Anspielungen gemacht hätte. Doch zweimal war einmal zuviel! Bibulus mußte auf den Schrank hinauf, begleitet von ein paar treffenden Bemerkungen. So hatte der Beginn ihres einjährigen Zusammenlebens im selben Militärquartier ausgesehen, zu der Zeit, als Rom der Stadt Mitylene auf Lesbos in der Person des Lucullus demonstrierte, daß sie sich seiner Oberherrschaft nicht entziehen konnte. Und seit dieser Zeit war Bibulus sein Feind.
Er hat sich nicht verändert in den zehn Jahren, die mittlerweile vergangen sind, dachte Caesar, als die neue Gruppe näher kam, Bibulus ein paar Schritte voraus. Im anderen Zweig der berühmten Familie Calpurnius, der den Beinamen Piso trug, wimmelte es buchstäblich von den hochgewachsensten Burschen Roms, der Zweig mit dem Beinamen Bibulus jedoch war, was das Physische anging, das genaue Gegenteil. Jeder in der römischen Nobilität konnte unschwer erkennen, welchem Zweig der berühmten Familie Bibulus angehörte. Er war nicht nur ein wenig klein geraten, er war winzig, sein Gesicht war nicht nur hell, es war bleich, mit hervortretenden Wangenknochen, farblosem Haar, spärlichen Augenbrauen und zwei silbergrauen Augen. Seine Erscheinung war nicht nur unattraktiv, sondern ein trostloser Anblick.
Bibulus wurde nicht nur von Klienten begleitet. Neben ihm ging zudem ein außergewöhnlicher Mann, der keine Tunika unter der Toga trug: der junge Cato, der Haarfarbe und der Nase nach zu urteilen. Ja, diese Freundschaft war nur allzu begreiflich. Bibulus war mit einer Domitia verheiratet, einer Cousine ersten Grades von Catos Schwager Lucius Domitius Ahenobarbus. Wie die Kletten klebten diese Widerlinge aneinander, verwandt und verschwägert. Und da Bibulus den boni angehörte, war Cato zweifellos auch einer von denen.
»Suchst du ein wenig Schatten, Bibulus?« fragte ihn Caesar mit honigsüßer Stimme, als sie sich gegenüberstanden. Sein Blick wanderte von seinem Erzfeind hinauf zu dessen hochgewachsenem Begleiter, der dank der Stellung der Sonne tatsächlich einen langen Schatten auf Bibulus warf.
»Cato wird uns über kurz oder lang alle in den Schatten stellen«, lautete die kühle Antwort.
»Seine Nase wird ihm dabei eine große Hilfe sein«, erwiderte Caesar.
Cato rieb sich mit Genugtuung über den markantesten Teil seines Gesichts, nicht verärgert, aber auch nicht gerade belustigt. »So wird man mein Standbild wenigstens nicht mit anderen verwechseln«, sagte er.
»Das ist wahr.« Caesar sah Bibulus an. »Hast du vor, dich dieses Jahr für ein Amt zu bewerben?«
»Ich nicht!«
»Und du, Marcus Cato?«
»Militärtribun«, lautete Catos knappe Antwort.
»Da wirst du dich gut machen. Ich habe gehört, daß du als Soldat in Popliculas Armee gegen Spartacus reich dekoriert worden bist.«
»Richtig, das ist er«, knurrte Bibulus. »Popliculas Armee bestand nicht nur aus Feiglingen!«
Caesar hob eine blonde Augenbraue. »Das habe ich nie behauptet.«
»Mußtest du auch nicht. Du hast dir Crassus für deinen Wahlkampf ausgesucht.«
»Ich hatte gar keine Alternative; ebenso wird es Marcus Cato ergehen, wenn er erst Militärtribun ist. Als militärische Magistrate gehen wir dorthin, wo Romulus uns hinschickt.«
Das Gespräch kam ins Stocken und wäre wohl beendet worden, wenn nicht ein anderes, Caesar wesentlich sympathischeres Paar aufgetaucht wäre: Appius Claudius Pulcher und Marcus Tullius Cicero.
Doch Bibulus hatte genug und machte sich zusammen mit Cato davon.
»Bemerkenswert«, sagte Caesar zu Appius und sah dem abgehenden Cato nach. »Warum trägt er keine Tunika?«
»Das ist für ihn ein Teil des mos maiorum. Er will uns alle dazu bringen, wieder zu den alten Werten zurückzukehren«, antwortete Appius Claudius, ein typischer Vertreter seiner Familie, dunkel, von mittlerer Größe und außerordentlich gutaussehend. Er gab Cicero einen Klaps auf den Bauch und grinste. »Für Burschen wie ihn und Caesar wär’s ja ganz in Ordnung, aber ich kann mir kaum vorstellen, daß du mit deinem Speck die Geschworenen beeindrucken würdest«, sagte er zu Cicero.
»Das ist doch bloß eine Marotte«, meinte Cicero. »Die legt er bald wieder ab.« Er sah Caesar mit seinen dunklen, intelligenten Augen an. »Ich weiß noch, wie du mit deinen Kleidermarotten einige boni auf die Palme gebracht hast, Caesar. Diese purpurroten Borten an den langen Ärmeln.«
Caesar lachte. »Mir war langweilig, und damals konnte man Catulus mit so etwas bis zur Weißglut reizen.«
»Und ob! Als Führer der boni spielt Catulus sich gern als oberster Hüter der römischen Gebräuche und Traditionen auf.«
»Apropos Catulus, wann gedenkt er mit dem Tempel des Jupiter Optimus Maximus fertig zu sein? Ich sehe keinerlei Fortschritte.«
»Vor einem Jahr ist er geweiht worden«, sagte Cicero. »Aber wer weiß, wann wir ihn endlich benutzen können? Mit diesem Auftrag hat Sulla den armen Mann in ernste finanzielle Schwierigkeiten gebracht. Das meiste Geld muß er aus der eigenen Tasche beisteuern.«
»Er kann es sich leisten. Während Sulla im Exil war, hat er gemütlich hier in Rom gesessen und mit Cinna und Carbo Geld gescheffelt. Dafür hat Sulla sich gerächt und Catulus den Auftrag gegeben, den Jupiter Optimus Maximus zu bauen.« »O ja! Sullas Art, Rache zu nehmen, ist immer noch berühmt, obwohl er schon zehn Jahre tot ist.«
»Er war der >Erste Mann in Rom<«, sagte Caesar.
»Und jetzt beansprucht Pompeius Magnus den Titel.« Appius Claudius machte keinen Hehl aus seinem Mißfallen.
Caesars Kommentar blieb unausgesprochen, denn Cicero ergriff das Wort.
»Ich bin froh, daß du wieder in Rom bist, Caesar. Hortensius wird langsam alt. Er hat es nicht verwunden, daß ich ihn im Fall Verres besiegt habe. Ein bißchen ernsthafte Konkurrenz vor Gericht wird mir guttun.«
»Mit siebenundvierzig Jahren schon verbraucht?« fragte Caesar.
»Er führt ein strapaziöses Leben.«
»Das ist in seinen Kreisen ganz normal.«
»Von Lucullus kann man das zur Zeit nicht behaupten.«
»Richtig, du bist ja erst kürzlich von deinem Dienst bei ihm im Osten zurückgekehrt«, sagte Caesar und bereitete seinen Abgang vor, indem er seinem Gefolge zunickte.
»Und ich bin heilfroh, daß ich von dort weg bin«, erwiderte Appius Claudius mit Nachdruck. Dann lachte er leise. »Immerhin habe ich Lucullus einen Ersatz geschickt!«
»Einen Ersatz?«
»Meinen kleinen Bruder, Publius Claudius.«
»Oh, das wird ihm gefallen!« sagte Caesar und mußte nun ebenfalls lachen.