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Raumhafen Báo-feng, Wuhan, Ambergrist Herzogtum St. Loris, St. Ives-Pakt6. September 3062
Treyhang Liao stand im Zentrum seiner Kommandozentrale, sorgsam darauf bedacht, nicht auf das Wappen der Bewegung Freies Capella zu treten, und unterhielt Ambergrists planetare Diem weiter mit Erzählungen über militärische Triumphe, während er aus dem Augenwinkel Warner Doles näherkommen sah. Er hatte diesen Besuch erwartet, seit die Blackwind-Lanciers nach Wuhan zurückgekehrt waren, und bedauerte nur kurz dessen Timing. Lady Ehn Wa'Ting war keine Gesprächspartnerin, die man für einen Soldaten abfertigte, nicht einmal für einen Regimentskommandeur. Sie war zwar etwas grobschlächtig und so provinziell wie ganz Ambergrist, aber sie besaß Macht.
Und Treyhang genoß es, Kontakte zu den
Mächtigen zu pflegen.
Alles zu seiner Zeit, alles an seinem
Platz, erinnerte er sich. Doles hatte sich eine Audienz
wirklich verdient. Aber seltsam, daß er seine
volle Ausgehuniform trägt. Trey entging auch das Dadao
nicht, das am Gürtel des Obersten hing, das Bestechungsgeschenk,
mit dem sich Tormano Doles' Unterstützung erkauft hatte. Das
Schwert, mit dem Doles Zhongshao Daqing alias Trisha Smithson
erschlagen hatte.
»Ah, Mylady. Ich könnte Stunden damit zubringen, Ihnen von unseren
jüngsten Anstrengungen zu erzählen, die Konföderation vom Boden
Ihrer Heimatwelt zu vertreiben«, stellte er in bester höfischer
Manier fest. »Aber damit würde ich die Verpflichtungen
vernachlässigen, die meine Tante mir auferlegt hat« Eine versteckte
Andeutung an die Diem, daß sein Familienname mehr wirkliches
Gewicht hatte als ihr Titel. »Ich muß mich wieder dem Krieg widmen,
aber ich habe für heute abend ein Diner arrangiert. Wenn Sie so
freundlich wären, mir Gesellschaft zu leisten?« Damit war er
gezwungen, den Mandrinn auf den Cocktail nach dem Essen zu
verschieben, notierte er sich in Gedanken. Er nahm mit
schwungvoller Geste Lady Wa'Tings Hand, hauchte einen Kuß darauf
und verbeugte sich zu einem herzlichen Abschied.
»Störe ich?« fragte Doles, sobald Lady Ehn Wa'Ting den Saal
verlassen hatte.
Treyhang zuckte die Schultern und schüttelte lokker den Kopf. »Ein
glückliches Zusammentreffen«, erklärte er. »Es hätte nicht mehr
lange gedauert, und ich wäre gezwungen gewesen zu erklären, weshalb
Freies Capella es nicht geschafft hat, die 3.
Konföderations-Reservekavallerie in die Flucht zu schlagen. Von der
Ankunft der Taurischen Veliten ganz zu schweigen.«
»Sie hätten einen Weg gefunden, dabei gut abzuschneiden.« Doles'
Bemerkung enthielt keine Ablehnung. Fast hätte man sie freundlich
nennen können. »Das macht Ihnen wirklich Spaß, habe ich recht,
Trey?«
Einen Monat zuvor wäre Treyhang noch sicher gewesen, Doles'
Gedanken zu kennen. Der Hüne hatte an Selbstkontrolle gewonnen, was
das Spiel erheblich interessanter machte. Treyhang gestattete
seinem höflichen Lächeln, sich zu einem echten zu weiten. »Jedem
das Seine, Oberst Doles.« Er beugte
sich vor und musterte Doles Rangabzeichen mit übertriebener
Gewissenhaftigkeit. »Ja, sie passen wirklich zu Ihnen.«
Doles wurde etwas verlegen, was seine Kartenspielermiene ruinierte.
»Eines Tages vielleicht. Bis dahin tue ich, was zu tun ist, und
versuche unterwegs ein paar Schulden zu begleichen.«
Treyhang unterdrückte ein Stirnrunzeln. Er hätte mehr von Warner
Doles erwartet als kleinliche Rachsucht. Mit einem Nicken in
Richtung des Schwerts an dessen Hüfte fragte er den Lancier: »Und,
muß ich mir Sorgen machen?« Es war als Erinnerung an den Offizier
gedacht, daß er seine letzte ›Schuld‹ mit dem Schwert beglichen
hatte.
Doles verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Nicht darüber,
nein. Meine Schulden habe ich bei der Herzogin, dafür, daß ich in
ihrem Dienst versagt habe. Und bei Ihnen, Trey, dafür, daß Sie mich
daran erinnert haben, wer ich bin und wo mein Feind steht.« Er zog
das Schwert langsam aus der Scheide und reichte es Treyhang. »Das
hier gehört mir nicht. Legen Sie es in seine Vitrine zurück oder
geben Sie es jemandem, der es sich verdient hat.«
Treyhang nahm das Dadao entgegen und legte es in die Armbeuge,
während er den Oberst mit offenem Interesse ansah. »Das ist also
Ihr Austritt aus den Diensten von Freies Capella? Fliegen Sie jetzt
los, um die Hustaing-Rabauken zurück nach Indicass zu hetzen,
ja?«
Doles schüttelte den Kopf und grinste ohne eine Spur von Humor.
»Die Rabauken sind nicht der Feind. Und ich habe hier auf
Ambergrist reichlich zu tun. Sie haben die 3.
KonföderationsReservekavallerie erwähnt, glaube ich?«
»Kann gut sein«, antwortete Treyhang. »Und die Taurischen
Velitten.«
»Heißt das, Sie planen, bis auf weiteres zu bleiben?« Doles
verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte Liaos musternden
Blick Sekunden zuvor. »Abendessen mit Lady Ehn Wa'Ting. Zigarren
und Drinks mit irgendeinem Barduc-Mandrinn und kleineren Adligen.
Noch sechs Monate, und Sie sind die größte Mediensensation, die
Ambergrist je gesehen hat.«
Treyhang heuchelte gekränkten Stolz. »Sechs Monate? Sie trauen mir
ja überhaupt nichts zu, Warner.« Er machte eine Pause und zuckte
die Achseln. »Ich weiß nicht, ob es ›bis auf weiteres‹ wird, aber
ich habe tatsächlich vor, noch eine Zeit hierzubleiben. Die
Solarjachtrennen von Marlette sind wegen der Schwierigkeiten im
Commonwealth ohnehin abgesagt worden. Außerdem hat Tante Candace
mich offiziell gebeten, die Führung von Freies Capella zu behalten.
Sie hat mir sogar einen Titel angeboten.« Er bemerkte Doles'
fragenden Blick. »Ach ja, ich schätze, ich bin ohnehin schon ein
Lord. Tormanos Erbe. Aber ohne Grundbesitz und ganz sicher kein
Schwertadel. Tante Candace dachte, die Förmlichkeit sage mir
zu.«
»Nur eine unbedeutende Anerkennung«, stimmte Doles mit gespieltem
Ernst zu. »Was ist es denn nun? Lord Treyhang Liao oder
Mandrinn?«
»Weder noch. Ich habe abgelehnt.« Treyhang lachte, als er Doles'
überraschte Miene sah. »Vorerst«, fügte er hinzu. »Vorerst. Titel
scheinen mit zu vielen Beschränkungen verbunden zu sein. Das paßt
nicht zu mir. Die Verantwortung für Freies Capella ist schon schwer
genug.« Dann betrachtete er das Schwert in seinem Arm, als erinnere
er sich gerade wieder daran. »Eine wunderbare Arbeit, finden Sie
nicht?«
»Das ist es«, stimmte Doles mit einem Nicken zu.
Treyhang nickte ebenfalls, und ein dünnes Lächeln spielte um seine
Lippen, als er das Ringknaufdadao mit beiden Händen emporhielt, um
es zu bewundern. »Lady Aleisha Liaos Schwert wäre wirklich ein
würdiges Geschenk für jemanden, der sein Erbe und seine Pflichten
zu schätzen weiß.« Dann schlug er das Schwert plötzlich und ohne
das geringste Zögern mit der Breitseite auf das hochzuckende Knie.
Die Klinge brach sauber in zwei Hälften.
Hätte Treyhang eine bessere Methode gesucht, Warner Doles
aufzurütteln, hätte er sie wahrscheinlich selbst mit einem Monat
Vorbereitungszeit nicht gefunden. Aber die
letzten paar Tage haben schon gereicht. »Ein Nachguß«,
stellte er fest. »Eine Imitation.« Er nickte einem Adjutanten zu,
der ein anderes Schwert brachte: ein Ringknaufdadao, dieses
teilweise in ein elfenbeinfarbenes Seidentuch gehüllt, um zu
verhindern, daß jemand die polierte Klinge berührte. Diese Klinge
hatte ein paar Scharten mehr. Sie war abgenutzter. Irgendwie machte
dies das Schwert wirklicher. »Hier ist das echte.« Der Adjutant
hielt es Doles entgegen, der es mit leerem Blick
anstarrte.
»Tormanos Geschenke mußte man immer genau unter die Lupe nehmen«,
erklärte Treyhang, »um ihren wahren Wert und die daran geknüpften
Verpflichtungen zu erkennen. Er wollte die BlackwindLanciers
kaufen, wollte Sie kaufen, und er hat
mit Falschgeld bezahlt, ohne sich um den alten Grundsatz zu
kümmern, daß man das bekommt, wofür man bezahlt.« Treyhang
ermunterte Doles mit einer Kopfbewegung, das Schwert zu nehmen.
»Sie haben es sich verdient. Ihre Blackwind-Lanciers sind eine
echte Bereicherung für Freies Capella.«
Doles packte das Schwert vorsichtig mit der Linken am Knauf und
nahm es zur Seite, während er Trey die Hand schüttelte. Dann
stockte er und hielt dessen Hand fest, während er ihn mißtrauisch
anstarrte. »Woher weiß ich, daß dies hier das echte ist?« fragte
er. Nicht aus Trotz, sondern weil er sich plötzlich der Spielregeln
nicht mehr sicher war.
Treyhang grinste, lachte und zog die Hand nach heftiger
Pumpbewegung frei. »Warner, gerade Sie sollten das inzwischen
wissen.« Er zupfte an der Manschette seiner Uniform, strich sie
gerade, klopfte sich mit einer schnellen Bewegung nicht vorhandene
Flusen vom Stoff. »Ich gebe mich nicht mit zweiter Ware ab.«