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Palastanlage, Tian-tan, St. Ives Herzogtum St. Ives, St. Ives-Pakt18.März 3062
Candace Liao nippte an ihrem grünen Tee und stellte die Tasse nahezu geräuschlos auf die Untertasse. Sie saß in aufrechter Haltung, die dunklen Augen scharf und stechend wie immer, und war ganz auf Oberst Caroline Seng konzentriert, die ihr gegenübersaß. Der bedeckte Himmel raubte dem Wintergarten des Palastes einiges an Charme, was ihn zu einem angemessenen Ort für die letzte Lageeinschätzung der ranghöchsten Offizierin des Paktes machte.
»Sie zeichnen ein bedrückendes Bild, Caroline.« Oberst Seng nahm ebenfalls einen Schluck Tee, aus Höflichkeit, wie Candace vermutete. »Sind Sie sicher, daß es keine andere Hoffnung gibt?«
Caroline Seng lächelte traurig. Dunkle Ringe unter ihren Augen kündeten von einer die ganze Nacht dauernden Konferenz mit ihren Adjutanten, deren Ergebnis das Dokument war, das sie soeben zusammengefaßt hatte. »Hoffnung gibt es immer, Herzogin. Sun-Tzu könnte sich zurückziehen. Euer Sohn könnte dem Logistiknetz der Konföderation das Rückgrat brechen. Was ich ausgeführt habe, basiert einfach auf den Fakten, wie sie uns heute morgen bekannt sind.«
»Drei Monate ist keine lange Zeit«, stellte
Candace mit einem leichten Stirnrunzeln fest.
»Ich weiß«, nickte Caroline. »Aber wir haben keine Chance, dem
Ansturm der Konföderation auf zwei Fronten standzuhalten. Die
Konföderation mag keine sonderlich beeindruckenden Angriffskräfte
aufbieten können, aber sie hat größere Reserven, auf die sie
zurückgreifen kann, während unsere fast erschöpft sind. Trotz der
Hilfe Victors und George Haseks wird die Belastung sich in drei
Monaten bemerkbar machen, und dann beginnt der lange
Rückzug.«
»Aber Sie zählen die Truppen des Vereinigten Commonwealth in
unserem Gebiet nicht mit.«
Seng zögerte. »Die Geheimdienstanalysen sind nicht schlüssig,
Herzogin, deshalb folge ich meinem Instinkt. Lieutenant General
Devon ist unterwegs zurück nach St. Ives«, stellte sie fest und
erwähnte zum ersten Mal in diesem Gespräch die
Verbindungsoffizierin der Vereinigten CommonwealthStreitkräfte im
Pakt. »Daher wissen wir, daß Ihre Mission auf New Avalon
erfolgreich war. Katrina wird das Versprechen halten, das ihr Vater
uns gegeben hat, und die drei VCS-Regimenter werden innerhalb
unserer Grenzen verbleiben. Aber ich bin überzeugt davon, daß sie
Euch verraten wird, sobald es zu ihrem Vorteil ist, sie abzuziehen
- und dazu könnte schon eine einzige handfeste Konzession Sun-Tzus
genügen.«
Candace gab ihr recht. Und auch wenn Simone Devon ihr insgeheim
versprochen hatte, jeden Befehl, den Pakt im Stich zu lassen, zu
verweigern, konnte sie dabei nicht für ihre Truppen sprechen. Die
Lage im Vereinigten Commonwealth schien im Augenblick zu unsicher,
um irgendwelche Voraussagen zu machen. »Wann ist Simone zurück?«
fragte sie.
»In etwas über einem Monat.«
»Ich hatte auf etwas mehr Zeit gehofft, aber wenn wir nur drei
Monate haben, müssen wir einen Entschluß fassen, wie es
weitergeht.« Candace nahm sich ein paar Sekunden Zeit, Sengs Worte
zu überdenken. »Leider kann Sun-Tzu sich keinen Rückzug leisten. Er
hat zu viel seines Reiches auf diesen Versuch verwettet, den Pakt
zurückzuerobern, um jetzt aufzugeben.«
»Und Kai?«
Candace versuchte nicht, den Stolz zu verstecken, den sie für ihren
Sohn fühlte. Stolz auf all ihre Kinder. »Gegen Kai zu wetten ist
riskant. Er wird weiter agieren, wie er es für richtig hält, genau
wie Cassandra und Kuan Yin. Und wie Quentin es von Anfang an getan
hat.« Sie schüttelte leicht den Kopf. »Aber meinen Neffen darf man
auch nicht unterschätzen. Ich kann nicht die Zukunft des Paktes
darauf bauen, was eines meiner Kinder erreichen könnte.« Sie kniff nachdenklich die Augen zusammen.
»Was, wenn ich mehr Truppen von Victor anfordere?«
Victor Steiner-Davion, der neue Präzentor Martialum ComStars, hatte
auf Drängen des Ersten Lords Theodore Kurita den Befehl über die
SternenbundVerteidigungsstreitkräfte übernommen. Er hatte ihnen
jede Unterstützung zugesagt, die Candace in Anspruch nehmen wollte,
allerdings hatte sie bisher nur sehr sparsam von diesem Angebot
Gebrauch gemacht. Die neuesten Ankömmlinge, ClanNovakatzen-Truppen
unter SBVS-Fahne, hatte sie als neue Garnisonseinheiten und
strategische Reserve auf St. Ives stationiert.
Seng schüttelte den Kopf. »Wir haben uns die verschiedensten
Szenarien angesehen, aber in jedem Fall enden sie in der
Rasalhaag-Lösung. Schon die Anzahl der Truppen, die Ihr bis jetzt
in den Pakt gelassen habt, ist kritisch. Alle Situationsanalysen
sagen voraus, daß der St. Ives-Pakt innerhalb eines Jahres zum
ComStar-Protektorat wird, wenn deren Zahl sich noch
erhöht.«
»Inakzeptabel«, stimmte Candace zu. Nicht, daß sie selbst
Schwierigkeiten damit gehabt hätte, Victor als Schutzherrn
anzuerkennen, und sicher würde auch Kai mit seinem Freund immer
einverstanden sein, aber Candace kannte ihr Volk. Es würde eine Rasalhaag-Lösung nie akzeptieren. Wenn wir
überleben, muß uns das aus eigener Kraft gelingen. Wir brauchen
eine capellanische Losung.
Das Schweigen dehnte sich. Schließlich sprach Candace ihre Gedanken
laut aus. »Auf der Sternenbund-Konferenz haben Tormano und ich uns
über den Preis unterhalten, den der Pakt zu zahlen gezwungen wäre,
um sich nicht Sun-Tzus Launen beugen zu müssen. Ich hätte nicht
gedacht, daß die Rechnung so schnell fällig wird.« Sie sah, wie
sich die Miene ihrer Freundin bei der Erwähnung Tormanos spannte.
»Keine Sorge, Caroline. Ich traue ihm auch nicht. Aber er ist
Sun-Tzus Feind, und im Augenblick ist nur das von Bedeutung.« Sie
nahm noch einen Schluck Tee und ließ sich von dessen Wärme
durchdringen. »Ich wünschte nur, er hätte nicht so viel seiner
Bewegung Freies Capella in Tikonov gebunden.«
»Katrinas Einfluß?« fragte Caroline Seng. »Glaubt Ihr, daß sie das
als Preis für seine Beurlaubung verlangt hat?«
»Nein.« Candace faltete die Hände im Schoß. »So leicht würde er
sich von Katrina nicht erpressen lassen. Eher hat er es
vorgeschlagen, bevor sie es von ihm verlangen konnte. Dadurch käme
sie in die Lage, keine neuen Forderungen zu haben, so daß sie
ihm einen Gefallen schuldet.«
Wenn je jemand ein Meister der Intrige war,
dann ist es Tormano.
Candace erhob sich von ihrem Stuhl, und Seng tat es ihr nach. »Ich
beneide dich nicht um diese Entscheidung, Candace«, meinte sie
leise und verzichtete auf jede Formalität. Die Oberste nahm die
Privilegien ihres Ranges nur selten in Anspruch, und Candace
erkannte darin ihre Besorgnis. »Vor Sun-Tzu zu kapitulieren oder
einen Großteil des Paktes zu verkaufen, um St. Ives am Leben zu
erhalten. Ich hoffe, du findest eine dritte Möglichkeit.«
Ich auch. Candace verließ den Raum wie
immer mit ruhiger Eleganz. Sie nickte den Dienstboten höflich zu
und plauderte ein paar Worte mit einem Gast des Palastes. Innerlich
aber war sie ganz darauf konzentriert, eine neue Antwort auf das
jüngste Problem des Paktes zu finden: Wie er dem in drei Monaten
vollstreckbaren Todesurteil entgehen konnte.
Landungsschiff Jin-huáng-se Ji-dán,
Ho-lu-Tiefland, Denbar
Xin-Sheng-Kommunalität, Konföderation Capella
Major Warner Doles überspielte seine Erregung
durch eine steife militärische Haltung, als zwei bewaffnete Wachen
ihn in ein prunkvoll ausgestattetes Büro an Bord des
Overlord-Landungsschiffs Jinhuáng-se
Ji-dán führten. Es ärgerte ihn, daß irgend jemand offenbar
exakt gewußt hatte, wo seine Lanciers ihr neuestes Lager
aufgeschlagen hatten, und es beunruhigte ihn noch mehr, daß dieser
jemand nur zehn Kilometer entfernt ein vierzig Stockwerke hohes
Landungsschiff aufgesetzt hatte. Falls die 3. Reservekavallerie den
Anflug des Schiffes verfolgt hatte, konnte er sehr bald mit
Gesellschaft rechnen. Nur die von einem unbewaffneten Boten
überbrachte Nachricht hatte ihn daran gehindert, das Lager
abbrechen zu lassen: eine Bitte, der Botschaft in jeder Hinsicht
behilflich zu sein, unterzeichnet mit verigraphischer Signatur
Candace Liaos.
Doles stand also praktisch unter Befehl, zu kooperieren und sich
höflich zu benehmen.
Ein schwacher Duft von Räucherstäbchen lag in der Luft des Büros, und an den Wänden hingen asiatisch beeinflußte Kunstwerke. Doch er fand keinerlei Hinweis auf die Identität seines Gastgebers. Auf dem Schreibtisch waren weder Papiere noch Familienholos zu sehen. Ein antikes Schwert in einem Schaukasten erregte die Aufmerksamkeit des Majors, und er trat näher, um es sich genauer anzusehen. Auch diese Waffe war offensichtlich asiatischer Herkunft, unterschied sich jedoch geringfügig von allen Schwertern, die Doles bisher gesehen hatte.
»Ein Han-Ringknauf-Dadao«, bemerkte eine Stimme
von der Tür hinter ihm leise.
Doles wirbelte erschreckt herum und ging instinktiv in
Abwehrstellung. Als erstes fiel ihm der Anzug seines Gegenübers
auf, ein teurer weißer Seidenanzug, der offensichtlich für dessen
hageren Körper maßgeschneidert war - inmitten einer Gefechtszone
eine doppelt ungewöhnliche Bekleidung. Dann erst richtete sich
seine Aufmerksamkeit auf das Gesicht. Doles nahm augenblicklich
Haltung an und salutierte. »Ich bitte um Verzeihung, Mandrinn Liao.
Sie haben mich erschreckt.«
Tormano Liao erwiderte den Gruß beiläufig, nicht beleidigend
abgewandt, aber sichtlich ohne großes Interesse an militärischem
Protokoll. Das graumelierte Haar deutete auf sein Alter hin - wenn
Doles sich richtig erinnerte, war Tormano inzwischen Mitte sechzig
-, aber die Züge des Mandrinns hatten sich jugendliche Elemente
bewahrt. Tormano kam zu Doles herüber und sah hinunter in den
Schaukasten mit dem Schwert.
»Ein Ringknauf-Dadao«, wiederholte er. »Eine handgeschmiedete
Replik einer Waffe aus der QingDynastie des siebzehnten
Jahrhunderts. Sie wurde speziell für Lady Aleisha Liao angefertigt,
die dritte Kanzlerin der Konföderation.«
Doles fand die Geschichte der Waffe faszinierend, und fast wäre er
Tormanos Zauber erlegen. Dann erinnerte er sich an das
Landungsschiff und dessen Position und zwang sich zu annähernder
militärischer Wachsamkeit. »Mandrinn, vergeben Sie mir die
Unterbrechung, aber wäre es möglich, Ihr Landungsschiff zu
versetzen, bevor wir weitersprechen? Es wäre mir lieber, wenn keine
Erkundungsflüge oder Satelliten die Lage des derzeitigen
Lancier-Camps feststellten.«
Tormano sah auf, lächelte und ging zu seinem Schreibtisch, wo er
mit einstudierter Gelassenheit Platz nahm. »Die kennt man bereits,
Major. Ich habe, während ich meine Ankunft regelte, den Capellanern
genau mitgeteilt, wo ich aufsetzen werde und warum.« Er hob die
Hand, um den Wutausbruch Doles abzuwehren, dessen Ansatz er ohne
Zweifel an dessen Gesicht ablas. »Sie haben sich einverstanden
erklärt, dieses Gebiet nicht zu betreten, nachdem sie mein Angebot
gehört hatten.«
»Und was für ein Angebot war das?« fragte Doles, zu gleichen Teilen
schockiert und beeindruckt von der Arroganz des
Mandrinns.
»Ich habe versprochen, Sie von Denbar zu entfernen«, bekam er zur
Antwort. »Die 3. Reservekavallerie fand die Vorstellung Ihrer
Abreise höchst erfreulich.«
Doles war konfus. Dieses Gespräch entwickelte sich zu schnell.
Wie Tormano es beabsichtigt, dachte er.
Der Mandrinn hat offensichtlich Freude an
dramatischen Eröffnungen. Ich sollte darauf eingehen. »Warum
sollte ich Denbar verlassen wollen?« fragte er.
»Weil Sie ebenso gut wie ich wissen, daß die Blackwind-Lanciers
hier nicht viel bewirken können. Denbar ist schon zu fest in der
Hand der Konföderation. Ich kann Sie an einen Ort bringen, wo die
Lanciers noch Entscheidendes leisten können. Sie werden die
Kerneinheit meiner Bewegung Freies Capella im St. Ives-Pakt
werden.« Er machte eine Pause, und der Blick seiner dunkelblauen
Augen verhärtete sich: »Meine
Einheit.«
Die persönliche Einheit des Mandrinns?
Vorsicht, ermahnte Doles sich. Wenn
etwas zu gut scheint, um wahr zu sein, ist es das meistens
auch. »Warum ausgerechnet die Lanciers? Wir sind
entehrt.«
Tormano lachte leise, lehnte sich in seinem Sessel zurück und legte
die Fingerspitzen aneinander. »Ah ja, entehrt. Eine Sicht, die auf
der Zeit, dem Lauf der Dinge und einem Quentchen Pech beruht.« Er
machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich versichere Ihnen, nach
zwei Monaten unter meiner Führung wird sich niemand mehr an das
Debakel auf Hustaing erinnern.« Seine dunklen Augen wurden schmal.
»Übrigens habe ich ein Geschenk für Sie. Zwei sogar. Vielleicht
können sie Ihnen etwas von der Schuld abnehmen, die Sie
glauben tragen zu müssen.«
Doles glaubte Tormano, daß die Schande sich aus der Erinnerung der
Öffentlichkeit streichen ließ. Der Mandrinn war zu selbstsicher,
als daß er sein Geschäft nicht verstanden hätte. Aber das Angebot
eines Geschenks beunruhigte ihn. Die Geschenke der Familie Liao
waren nicht gerade für ihre wohltuende Natur bekannt. Deshalb war
er schockiert, als Tormano aufstand und zum Schaukasten trat, um
Aleisha Liaos Schwert herauszuheben. Er reichte es Doles, den Knauf
voraus.
Das Han-Schwert war süperb ausbalanciert und lag täuschend leicht
in der Hand. »Es ist wundervoll, Mandrinn. Aber ich kann das nicht
annehmen.«
Tormano kehrte an seinen Schreibtisch zurück und ließ sich in den
Ledersessel sinken. »Sie werden es annehmen, weil ich das wünsche«,
stellte er amüsiert fest. »Ebenso wie Sie mein Angebot annehmen
werden, sich der Bewegung Freies Capella anzuschließen, weil meine
Schwester, Ihre Präsidentin, dem bereits zugestimmt hat und ich es
ebenfalls wünsche.« Er beobachtete Doles aufmerksam. »Die
Blackwind-Lanciers sind eine alte capellanische Einheit. Sie werden
meiner Bewegung Freies Capella in den Augen der
Konföderationsbürger zusätzliche Legitimation verleihen.«
»Genau wie in den Augen der Paktbürger«, stellte Doles fest und
wünschte sich sofort, er hätte den Gedanken nicht ausgesprochen. Es
war nicht Tormanos Reaktion, die ihm bestätigte, daß er richtig
geraten hatte, sondern deren völlige Abwesenheit. Keine
desinteressierte Geste. Keine abwiegelnde Bemerkung. Nur eine
harte, kalte Maske, die sich über seine Züge gelegt hatte. Je
länger Doles darüber nachdachte, um so logischer erschien es ihm.
Die BlackwindLanciers sind eine
Traditionseinheit St. Ives'. Wir waren sogar einmal Candace Liaos
Leibregiment. Wenn der Mandrinn sich durch uns irgendwo Legitimität
verschaffen will, dann im Pakt.
Tormano beugte sich vor und drückte einen Knopf am Rand des
Schreibtischs. Doles hörte, wie sich eine weitere Tür öffnete, dann
erkannte er, daß sie hinter einem Shojipaneel verborgen gewesen
war. Eine Frau betrat das Büro, trat um das Paneel herum, gefolgt
von einem Wächter, der ein HollyfeldSturmgewehr im Anschlag
hielt.
Alle Gedanken über Tormanos Absichten und Beweggründe waren wie
weggeblasen, als der Major seine alte Kommandeurin erkannte.
»Tricia!« rief er und hätte fast das Schwert fallen gelassen.
»Majorin Smithson! Sie sind entkommen?«
Tricia Smithson lächelte Doles traurig an, dann verzog sich ihr
Gesicht zu einer Maske eiskalten Hasses, als sie Tormano hinter dem
Schreibtisch sitzen sah. Der holte eine Nakajima-Laserpistole aus
einer Schublade und nickte dem Wachtposten zu, der das Büro wieder
verließ.
»Nicht direkt«, stellte er fest und beantwortete die Frage, die
Doles seiner alten Kommandeurin gestellt hatte. »Aber sie ist das
zweite Geschenk, von dem ich sprach. Meine Agenten haben Sie
gefangen genommen, kurz nachdem Talon Zahn ihren kleinen ›Ausbruch‹
arrangierte.«
Eisige Kälte stieg in Doles hoch. »Was wollen Sie damit sagen?«
fragte er, obwohl es eigentlich kaum Zweifel daran geben konnte,
was Tormano meinte.
Der Mandrinn lächelte mit vorgetäuschter Freundlichkeit. »Major
Warner Doles, darf ich Ihnen Zhong-shao Daqing des Capellanischen
Heeres vorstellen.« Er zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich
außerdem eine ausgebildete MaskirovkaAttentäterin.« Während der
Vorstellung hatte er dem Lauf der Pistole gestattet, etwas
seitwärts zu driften, und nun korrigierte er sich hastig und
richtete die Waffe wieder auf Smithson, bevor er weitersprach. »Es
war kein Zufall, daß Ihre Lanciers die Grenze gerade zu diesem
Zeitpunkt und mit diesem Ziel überschritten haben. Die Zhong-shao
hatte Befehl, den Zwischenfall zu arrangieren.«
»Stimmt das?« fragte Doles leise.
Daqing nickte ihm mit aufrechter Haltung und hocherhobenen Hauptes
zu. »Nä shi dui«, bestätigte sie in fehlerfreiem Mandarin. »So ist
es, Warner.«
Der Knopf auf Tormanos Schreibtisch rief den Posten zurück, der mit
angelegtem Gewehr in den Raum trat. Tormano legte die Nakajima auf
den Schreibtisch und lehnte sich entspannt zurück. »Sie sehen,
Major Doles, der Zwischenfall läßt sich ohne weiteres als Intrige
meines Neffen darstellen. Bei Zhong-shao Daqings
Verratsprozeß...«
Weiter kam er nicht. Daqing sah die Waffe in ihrer Reichweite und
ergriff die sich bietende Gelegenheit. Ein hoher Tritt schlug den
Gewehrlauf des Postens weg, dann hechtete sie in der Drehung nach
der Pistole auf Tormanos Schreibtisch. Sie riß die Nakajima hoch
und richtete sie nicht auf ihren Bewacher, sondern auf Tormano
Liao, offensichtlich entschlossen, den älteren Liao mit ins Grab zu
nehmen. Ihr einziger Fehler bestand darin, ihren ehemaligen
Stellvertreter zu ignorieren.
Doles schlug einmal mit Aleisha Liaos Schwert zu. Und ein zweites
Mal.
Das nächste, woran Doles sich erinnerte, war Tormanos Hand auf
seiner Schulter. Die NakajimaLaserpistole lag wieder auf dem
Schreibtisch, vom Mandrinn aus der Hand Daqings gezogen. Auf der
Metalloberfläche stand eine Blutpfütze - Tormano hatte die
handgewobene Schreibtischauflage beiseite gezogen -, und der
Wachtposten stand über der Leiche.
»Ist wahrscheinlich besser so«, meinte Tormano Liao. »Ein Prozeß
hätte häßlich werden können.« Er steuerte Doles zur Tür.
Tormano Liao kehrte an seinen Schreibtisch zurück, nachdem er Major Doles persönlich zur Rampe des Landungsschiffs begleitet hatte. Die Leiche war inzwischen beseitigt und das Büro gesäubert worden. Er bemerkte ein paar Blutspritzer am Rand des Schreibtischs, in der Nähe der Nakajima, und nahm sich vor, den Verantwortlichen für diese Nachlässigkeit zu degradieren. Er erwartete erstklassige Leistungen von allen, die das Privileg hatten, ihm zu dienen.
Trotzdem, alles scheint glatt zu laufen, entschied er. Die Blackwind-Lanciers werden mein sein... das ganze Regiment, nicht nur dieses eine Bataillon. Und wenn Doles nach dem heutigen Tag noch nicht mein ist, kann es zumindest nicht mehr lange dauern.
Trotzdem hatte es während des Gesprächs einen unangenehmen Moment gegeben, als Doles eine zufällige Bemerkung fast in eine Richtung gesteuert hätte, die Tormano lieber nicht verfolgt sah. Die Lanciers würden Freies Capella eine gewisse Legitimität in der Konföderation Capella verschaffen, das entsprach der Wahrheit. Und Tormano war ganz sicher niemand, der einen sich bietenden Vorteil ausschlug. Aber es stimmte ebenso, daß sie ihm im St. Ives-Pakt noch weit mehr Legitimität verschafften. Irgend jemand wird diesen Krieg verlieren. Irgendwo könnte ein capellanischer Thron herrenlos werden. Das kann nur ein Dummkopf ignorieren.
Er nahm die Laserpistole vom Schreibtisch, zog die leere Batterie heraus und lud eine frische nach, bevor er die Waffe weglegte. Ich bin schließlich nicht dumm.