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Hazlet, NashuarHerzogtum St. Ives, St. Ives-Pakt
12. März 3062
Subcommander Maurice Fitzgerald empfand den Himmel über Hazlet als den idealen Hintergrund für die heutige Schlacht. Aus einer tiefhängenden Wolkendecke fiel ein scheinbar endloser Nieselregen, in dem die ganze Stadt naßgrau wirkte. Der trübe Himmel versprach ein Gewitter, aber vorerst ging das leise Rumpeln fernen Donners zwischen Raketenexplosionen, dem Stakkato schwerer Maschinengewehre und den hallenden Schritten riesiger Kampfmaschinen unter. Es war ein lausiger Tag, der durch offenen Straßenkampf noch weiter verdorben wurde.
Die vier Mechs der Nashuar-Heimatmiliz unter Fitz' Befehl standen in Hazlets Hauptindustriegebiet der gleichen Anzahl aus dem Nachtreiterregiment von McCarron's Armored Cavalry gegenüber. Der frisch beförderte Subcommander hatte den Kampf hier erzwungen, abseits der dichter besiedelten Gebiete, auch weil er hoffte, das weitoffene Gelände konnte den älteren aber robusteren Maschinen der Heimatmiliz einen Vorteil verschaffen. Jetzt müßte ich es nur noch schaffen, die Nachtreiter daran zu erinnern, daß wir hier im Vorteil sein sollten, dachte Fitz, als sein Totschläger unter zwei elektrischblauen Energiebögen aus Partikelprojektorkanonen und einem Hagel von Autokanonengranaten zurückgeworfen wurde. Er prallte gegen eine einstöckige Lagerhalle mit Stahlfassade, brachte mehrere Wandplatten zum Bersten und verbeulte die Stützträger, blieb aber auf den Beinen.
Die Nachtreiter setzten ihnen heute ernsthaft zu. Zum erstenmal seit Wochen war es ihnen gelungen, die Stadtgrenze zu überschreiten. Aleishas Berittene Füsiliere hatten den Hauptvorstoß der Armored Cavalry nur Stunden zuvor knapp außerhalb Hazlets gestoppt. Dieser Angriff einer einzelnen Mechkompanie mit Panzerunterstützung war wildverwegen über die westliche Flanke gekommen. Eigentlich nur als Ablenkungsmanöver gedacht, war es den Capellanern mit viel Glück gelungen, durch die Linien zu brechen und die Stadt selbst anzugreifen. Das Gefecht war in drei Lanzenduelle zerfasert, und dem Funkverkehr auf den Heimatgardefrequenzen entnahm er, daß mindestens eine Nachtreiterlanze bereits in die Flucht geschlagen worden war.
»Fitz, hinter dir!«Fitzgerald zuckte unwillkürlich zusammen, obwohl er die Warnung seines Lanzenkameraden gar nicht benötigt hätte. Als deren letzte Silbe durch die Lautsprecher des in den Neurohelm eingebauten Kommsets krachte, gellte bereits der Sensoralarm durch die Kanzel. Ein Jinggau war durch ein Bürogebäude hinter Fitz gebrochen und schleuderte Backsteine und zerborstene Stahlträger auf die Straße zwischen den Büros und dem Industriepark. Eine aus Überresten der zerschmetterten Mauern bestehende Staubwolke wogte rings um den fünfundsechzig Tonnen schweren Mech, wurde aber vom Nieselregen schnell beseitigt.
»Hab ihn«, konnte er gerade noch antworten.Die geschwungene Panzerung des Jinggau verlieh ihm ein unverwechselbares Aussehen, und sein gewehrkugelförmiger Rumpf war von einer tödlichen Eleganz, die Fitz allerdings besser zu schätzen gewußt hätte, wäre die Maschine nicht im blauschwarzen Farbschema der Nachtreiter des Big MAC bemalt gewesen. Und sie nicht gerade mitten durch ein vollbesetztes Bürohaus gebrochen wäre.
Eine Möglichkeit, dem Feuer des Jinggau auszuweichen, gab es nicht, also drehte Fitz den Totschläger zur Seite. Statt den dünneren Panzerschutz auf dem Rücken des Mechs zu durchschlagen, trafen die smaragdgrünen Laserstrahlen so auf die dickere Panzerung am linken Arm und der darunterliegenden Rumpfseite. Fitz ließ das Lichtgewitter über sich ergehen und half dem Gyroskop mit leichter Hand an den Steuerknüppeln, die fünfundvierzig Tonnen Metall seines Mechs aufrecht zu halten.
»Alle Einheiten«, öffnete er einen Kanal zu seiner Lanze. »Nach innen ziehen und zwischen mir und den Nachtreitern halten.« Der Befehl war nicht lange durchdacht gewesen. Fitzgerald erkannte einfach die Gefahr, die ein schwerer Feindmech im Rücken seiner Lanze darstellte. Diese Bedrohung mußte neutralisiert werden, bevor die Nachtreiterlanze irgendwie koordiniert vorrücken konnte. Er lieferte sich einen Schußwechsel mit dem Neuankömmling, und beide Kombattanten erzielten eine Reihe von Treffern. Aber während das Schadensdiagramm des Totschläger an mehreren Stellen warnend gelb aufblinkte und vor Schäden an der Panzerung warnte, wenn sie auch noch nirgends durchschlagen war, bemerkte Fitz eine Fontäne graugrüner Kühlflüssigkeit, die aus dem Rumpf des Jinggau schoß.
Wärmetauscher. Aber wenn ich so schnell durch die Panzerung gekommen bin, muß er schon vorher von einer anderen Lanze ziemlich durch die Mangel gedreht worden sein. Das erklärt auch, warum er sein Gaussgeschütz nicht einsetzt. Er hat keine Munition mehr! Er schaltete die Schadensanzeige von seinem eigenen Mech auf den gegnerischen um und pfiff durch die Zähne, als er die Breschen in dessen schwerer Maschine sah. Ein Bluff!
Der MACist steht
vielleicht dreißig Sekunden vor dem totalen
Zusammenbruch.
Nur hatte Fitzgerald keine dreißig Sekunden Zeit, darauf zu warten.
Der Jinggau mußte sofort erledigt
werden.
Kaum hatte er seine Entscheidung getroffen, bellte Fitz schon
Befehle. »Cameron, Posten! Alle anderen feuern auf den Jinggau!«
Posten war der Code für einen Sturmangriff, gefolgt von einem
schnellen Rückzug. Eine Finte. Wenn sie klappte, konnte sie das
Feindfeuer für mehrere Sekunden ablenken. Fitz war klar, daß schon
das kleinste Zögern zum Scheitern dieses Manövers führen konnte,
aber er vertraute auf seine Leute. Außerdem
bleibt mir keine andere Wahl.
Alles verlief lehrbuchmäßig. Er hätte sich keine Sorgen zu machen
brauchen. Lance-Sergeant Cameron Long stieß mit seinem neuen
Vollstrecker vor, und der gutgepanzerte
Mech hielt dem konzentrierten Beschuß der Nachtreiter gut stand. In
der Zwischenzeit nahmen die beiden anderen Mitglieder von Fitz'
Lanze den Jinggau unter Beschuß und
steuerten ihre Feuerkraft zu der des Totschläger bei. Fitz sah zwei weitere
Wärmetauscher bersten, dann schoß durch mehrere Breschen im Torso
des Jinggau ein Strom von glühenden
Metallsplittern, der nur vom explodierenden Kreiselstabilisator des
Mechs stammen konnte. Der Jinggau
kippte nach hinten, zum Teil in das klaffende Loch hinein, das er
selbst in das Bürogebäude geschlagen hatte, und regte sich nicht
mehr.
»Sie ziehen sich zurück.« Das war Camerons Stimme, in der
Übertragung blechern und entfernt, aber trotzdem konnte man
Überraschung und Erleichterung heraushören.
Fitz brachte den Totschläger herum und
suchte das Industriegelände ab. Cameron hatte sich nach überlebtem
Postenmanöver in die magere Deckung einer niedrigen Sperrmauer
zurückgezogen. Ein paar der Nachtreiter feuerten weiter mit
weitreichenden Energiewaffen auf ihn, aber die Einheit fiel
tatsächlich erkennbar in Richtung Stadtrand zurück. Fitz hätte
keine Wetten darauf abgeschlossen, die Nachtreiter so leicht
schlagen zu können. Aus der persönlichen Erfahrung der letzten
Monate wußte er, daß McCarron's Armored Cavalry sich nicht
zurückzog, solange die Chancen noch halbwegs ausgewogen standen.
Die Antwort auf seine unausgesprochene Frage erhielt er wenige
Sekunden später, als auf der Sichtprojektion drei neue Symbole
aufleuchteten, die der Computer als Heimatmiliz-BattleMechs
identifizierte.
»Es ist der Commander«, krähte Jason begeistert, dessen Position
ihm die Informationen einen Sekundenbruchteil eher lieferte, als
die anderen die Identifikation von der Sichtprojektion ablesen
konnten.
Commander Danielle Singhs Stimme erklang unmittelbar nach dem Ende
von Jasons Funkspruch. »Fitz von Singh, freut mich zu sehen, daß es
dich noch gibt.« Ihr Helios löste sich
von seinen beiden Begleitern und nahm Kurs auf Fitzgerald, während
die anderen als Vorkehrung gegen eine Rückkehr der Capellaner eine
Kampfreihe bildeten.
»Allzu viele Sorgen mache ich mir nicht«, fuhr sie fort, und ihre
Stimme wurde lauter, als sie auf die Privatfrequenz umschaltete,
die sie sich nur mit ihren beiden Lanzenführern und gelegentlich
mit Major Nevarr, dem Kommandeur der Heimatmiliz, teilte. »Der
Stützpunkt hat ihren Rückzugsbefehl aufgefangen. Sie sind
weg.«
Fitz nickte dem Sichtschirm zu. »Für heute«, antwortete er über
dieselbe Frequenz. Jetzt drang die Müdigkeit, die er vor seinen
Leuten versteckte, in seine Stimme durch. Er war schon mit Danielle
befreundet gewesen, bevor sie durch die Ausfälle in den Reihen der
Heimatmiliz zu seiner Vorgesetzten geworden war. Sie gehörte zu den
wenigen Menschen, mit denen Fitz reden konnte. »Ein Glück, daß ihr
gekommen seid. Ich weiß nicht, wie lange wir die Stellung noch
hätten halten können.«
»Du hättest sie schon gehalten, Maurice. Du hättest Wetten darüber
abgeschlossen, welchen Nachtreiter dein Team zuerst erledigt, und
dir den Gewinn dann in freiwilligen Hilfsaktionen auszahlen
lassen.«
Die Andeutung eines Lächelns spielte um seine Mundwinkel, schaffte
es aber nicht, die Mattigkeit zu überwinden. Danielle gehörte zu
dem kleinen Kreis von Personen, der seinen Vornamen benutzen
konnte, ohne ihn zu verärgern. Außerdem liebte sie es, Witze über
sein altes Hobby zu machen, Wetten auf die Mechkämpfe von Solaris
VII abzuschließen. Aber selbst in diesem lockeren Geplauder, mit
dem sie einander aufzumuntern versuchten, klang ihr Beifall für
seine neueste Freizeitbeschäftigung durch, die Freiwilligenarbeit
bei den Notfalldiensten Hazlets. Das war gut, denn es hatte in
seinem Leben bisher kaum etwas gegeben, mit dem es ihm so ernst
war.
Es gab nur wenige aktive Militärs und noch weniger MechKrieger, die
sich die Zeit für Freiwilligendienst nahmen. Die meisten konnten es
nicht, weil sie ohnehin schon doppelte Schichten schoben oder für
die beinahe täglichen Gefechte in Bereitschaft bleiben mußten. Aber
wenn Fitzgerald mehr als zwei Stunden zusammenhängender Freizeit
hatte und in den vorangegangenen vierundzwanzig Stunden zum
Schlafen gekommen war, fand man ihn beim Bergungsdienst, der
Umsiedlung oder anderen humanitären Diensten für die Bevölkerung
Nashuars. Nicht einmal Danielle verstand, woher Fitz die Energie
nahm.
Die Antwort war einfach. Fitzgerald fühlte sich für die Menschen
verantwortlich.
Nashuar hatte ein schweres Jahr hinter sich. Der Planet hatte zu
den ersten Zielen der ›Friedenstruppen‹ Sun-Tzus gehört und in der
Folge die Angriffe Haus Hirutsus und anderer capellanischer
Einheiten über sich ergehen lassen müssen. Die letzten Besatzer,
die Nachtreiter des 1. Regiments der Armored Cavalry, waren selbst
für eine Welt, die durch tägliche
Mechgefechte abgehärtet war, von außergewöhnlicher Brutalität.
Niemand wagte es, sich daran zu erinnern, daß der Pakt noch vor
kurzer Zeit im Frieden gelebt hatte, denn dann hätten sie sich
eingestehen müssen, daß sie nichts tun konnten, um den Frieden
wiederherzustellen.
Und es war in erster Linie diese beiläufige Akzeptanz ständigen
Krieges, die Fitzgerald zu schaffen machte. Gleichgültig, ob man
den Krieg als Routine oder seltenes Ereignis sah, die Menschen
litten darunter. BattleMechs waren dazu gedacht, den Schrekken
ständiger Kriegsführung zu begrenzen. Ein MechKrieger sollte
versuchen, deren Folgen einzudämmen, und nicht mithelfen, sie noch
auszuweiten. Es war diese Hoffnung, die ihn zurück in die Reihen
der MechKrieger gebracht hatte, nachdem er seinen ersten
Eignungstest verpatzt hatte. Und es war diese Hoffnung, die ihn
immer wieder antrieb.
»Jedenfalls war es keineswegs Glück, daß wir hier aufgetaucht
sind«, stellte Danielle fest. »Wir haben einen Jinggau verfolgt, der uns entkommen ist, in der
Hoffnung, ihn zu Bergegut zu machen. Hast du ihn zufällig
gesehen?«
Fitz war zu schlechter Stimmung, um ihr über Funk zu antworten.
Offensichtlich hatte sie das riesige Loch in dem Gebäude hinter ihm
nicht bemerkt, oder falls doch: keinen Wunsch verspürt, sich die
Verwüstung näher anzusehen. Er trat mit dem Totschläger wortlos beiseite, so daß die Kameras
des Helios freie Sicht hatten. Menschen
kletterten über die Trümmer, die einmal einen Großteil des
Innenlebens des Bürohauses dargestellt hatten, und suchten nach
Überlebenden. Er sah ein paar von ihnen, die mit Pistolen oder
sogar einem Stück Stahlstrebe bewaffnet in der Nähe des
Mechcockpits darauf warteten, daß der Pilot sich zeigte.
Wenn er auch nur einen Funken Verstand hat,
wartet er auf die Miliz.
»Fitz«, meinte Danielle leise, so leise, daß sie über die
Funkverbindung kaum zu verstehen war. »Fitz, es tut mir
leid.«
Bei mir brauchst du dich nicht zu
entschuldigen,
dachte Fitz, sprach es aber nicht aus. Außerdem, war es Danielles Schuld, daß der Cavalry-MechKrieger seinen Kampfkoloß mitten durch das Gebäude gesteuert hatte statt außen herum? Nicht mehr, als es Fitz' Schuld war, oder die Major Nevarrs, oder SunTzus oder sogar Herzogin Candace Liaos.
»Du hast den Mech nicht gelenkt, Danielle.«Sie seufzte. »Mag sein, aber ich fühle mich
trotzdem furchtbar.«
»Laß uns unsere Leute einsammeln und zurück zur Basis marschieren«,
erwiderte Fitzgerald. »Wenn wir eh schon depressiv sind, können wir
uns auch Major Nevarrs tägliche Nachbesprechung anhören.«
Und je eher wir damit anfangen, desto
schneller kann ich wieder zurückkommen und daran arbeiten, meinen
Frust loszuwerden.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, fragte Danielle: »Kommst du
heute nachmittag hierher zurück?«
»Wahrscheinlich. Warum?« Fitz stählte sich für die standardmäßige
Kommandeurspredigt damit, daß er sich ausruhte und darauf achtete,
sich nicht zu überanstrengen. Daß ich in einem
Mech dringender benötigt werde als beim Aushändigen von
Verbandszeug.
Danielle überraschte ihn. »Ich will vielleicht mitkommen. Wenn du
nichts dagegen hast.«
Jetzt lächelte Fitzgerald doch. Nicht aus Belustigung, sondern
durch den Schimmer von Hoffnung, den Danielle ihm zurückgegeben
hatte. Selbst wenn es nur für eine kurze Zeit war. So oder so, versprach er sich, werden die MechKrieger einen Unterschied
machen.