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Kosakenposten 6, Layting, St. Loris Herzogtum St. Loris, St. Ives-Pakt

 

22. April 3062

Cassandra Allard-Liao schirmte ihre Augen gegen die Vormittagssonne ab und ließ den Blick über die Karte Laytings schweifen, die Tamas Rubinsky vor seinem Zelt auf einem großen Tisch ausgebreitet hatte. Große stählerne Gewichte in der Form von Pferdeköpfen, die an riesige Springer eines Schachspiels erinnerten, hielten die Karte an den Kanten fest. Die morgendliche Kälte verzog sich endlich, und nach einem letzten Schluck stellte sie die Tasse Tee, die sie von Tamas erhalten hatte, der die wärmende Wirkung noch mit einem Schuß Alkohol verstärkt hatte, bedauernd beiseite, in gebührendem Abstand von der Karte.

»Du hast dich für die östliche Route entschieden?« fragte Tamas, als er an den Tisch zurückkehrte und Cassandras letzte Änderungen sah.

Über die Kartenoberfläche waren kleine Miniaturen verteilt, um die BattleMechtruppen beider Seiten darzustellen. Silberne Figuren repräsentierten Kompanien, goldene Bataillone. Cassandra streckte die Hand aus und versetzte die Figur für das 1. Bataillon ihrer Lanciers. Dann musterte sie die geringfügige Veränderung ihres Angriffsplans mit kritischem Blick.

Sie nickte zögernd. »Ich denke schon. Der Weg ist länger, aber so gelange ich voll in den Rücken der Konföderationslinien, wo ich den größten Schaden anrichten kann.«

Sie sah hoch und bemerkte, daß Tamas zwei Teller mit Zimtplätzchen hielt. Sie lächelte dankbar. Er hatte das robuste gute Aussehen und den slawischen Akzent seines Vaters geerbt, und sie fand beides sehr attraktiv. Außerdem hatte Tamas mit seinem Vater Marko, dem Kommandeur der Leichten Reiter, des 2. Regiments der Söldnereinheit Chorsachows Kosaken, dessen einladende Gastfreundlichkeit außerhalb der Schlacht gemein. Die Kosaken kämpfen um jeden Aspekt des Lebens, werfen sich mit ganzer Energie in die Schlacht, nehmen sich aber auch die Zeit, sich daran zu erinnern, wofür sie überhaupt kämpfen. Sie wissen, wann sie aufhören und einfach genießen müssen.

»Du hast meine Gedanken gelesen«, stieß Cassandra dankbar aus und nahm Tamas einen der Teller ab. Echtes Porzellan, stellte sie fest. Mitten in einer Kampfzone. Das Zimtplätzchen war warm, und die scharfen Gewürze trieben ihr fast die Tränen in die Augen. Ich weiß nicht, wie er das schafft, aber ich hoffe, er macht so weiter.

Tamas wartete, bis Cassandra mehrere Bissen auf ihrer Zunge hatte zergehen lassen, dann griff er nach den Figuren und bewegte alle capellanischen Einheiten mehrere hundert Kilometer in Richtung ihrer eigenen hinteren Stellungen zurück. Er grinste. »Und was macht das aus deiner Planung?«

Cassandra runzelte die Stirn, wischte sich etwas Zuckerglasur vom Mund und stellte den Teller beiseite. »Ich habe mehr Vertrauen in unseren Nachrichtendienst.« Sie studierte die neue Aufgabe, die Tamas ihr gestellt hatte. Gut, aber was, wenn ihre Frontlinie nicht so weit vor Pardray steht, wie wir annehmen? »Das wäre so schlimm auch nicht. Ich habe Spielraum. Schlimmstenfalls müßte ich mich dadurch ein paar Stunden früher zurückziehen.«

Tamas nickte. »So sehe ich es auch«, meinte er und nahm ein paar kleinere Änderungen an der Karte vor. »Dein Plan wirkt sehr solide.«

Tamas hatte den silbernen Vollstrecker, der seine Kompanie der Leichten Reiter darstellte, dichter an die Frontlinien und in die östliche Flanke von Little Richards Panzerbrigade verschoben. Wo er die Möglichkeit hat durchzustoßen, um mich zu unterstützen, solange die Panzerbrigade sich nicht mit einem ganzen Bataillon auf ihn stürzt. Sie streckte die Hand aus und warf den Vollstrecker mit einem leichten Schnipps um. »Mit etwas Glück kann ich ihre Nachschublinien durchtrennen und sie weit zurückwerfen.«

Tamas blickte stirnrunzelnd auf die Karte und seine umgeworfene Figur und nickte. »Ganz ähnlich dem, was dein Bruder an der St.-Ives-Front macht.«

»Kai hat das richtige Konzept«, bestätigte Cassandra. »Aus der Defensive können wir diesen Krieg nicht gewinnen.« Sie seufzte ernüchtert. »Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, Tamas: Ich bin es müde, immer nur zu reagieren statt zu handeln.«

»Du hoffst hier an der Teng-Front dasselbe zu erreichen wie Kai Allard-Liao?«
Cassandra zuckte die Achseln, obwohl sie genau wußte, daß sie damit niemanden täuschen konnte. Sie nahm eine neue Figur auf, ein KonföderationsLandungsschiff, und rollte es in ihrer Hand, um irgendwie den Frust abzubauen, der sich in ihr aufgestaut hatte. Kai operiert in der Konföderation! Mich hält Mutter hier an der Teng-Front in einer Pattsituation fest. In ihrem Innersten wußte Cassandra wohl, wie unfair sie damit war. Ihr Bruder hatte sich als weitaus besserer General bewiesen, als sie es jemals geschafft hatte. Bis jetzt. Ich spiele vielleicht nicht in Kais Liga - wer kann das schon? -, aber ich weiß, daß ich zu mehr fähig bin. »Ich hätte nichts dagegen« gab sie schließlich zu und hörte selbst den wehmütigen Ton aus ihrer Stimme heraus.
Tamas' lautes, kehliges Lachen riß sie aus ihrem Anfall von Melancholie. »Du wirst Sun-Tzu noch früh genug Alpträume schenken, Cassandra.«
Sie hatte schon in mehreren Systemen an der Seite der Kosaken gekämpft und gelernt, sich von deren grobschlächtigem Humor nicht beleidigen zu lassen. Und solange du mitlachst, lacht dich keiner aus. Sie grinste und schaffte sogar ein paar kurze Lachgeräusche, auch wenn sie ihr mehr Mühe machten als Tamas. »Komm«, erwiderte sie und rächte sich, indem sie seinen Akzent übertrieben nachahmte. »Wir gehen Nachschub kontrollieren. Machen sicher ist genug.«
Sie stellte das Konföderations-Landungsschiff auf die Karte, nahm Tamas beim Ellbogen und zog ihn davon.
Hinter ihr auf dem Kartentisch ragte das capellanische Schiff gefährlich nahe an ihren 2. St.-IvesLanciers auf.

* * *
Qining-Hochebene, Provinz Qining, Indicass Xin-Sheng-Kommunalität, Konföderation Capella

Im Schatten eines Landungsschiffs der OverlordKlasse, eines einsamen Monuments von der Größe eines riesigen Wolkenkratzers in der Mitte der Qining-Hochebene des Planeten Indicass, blinzelte Major Warner Doles kaum, als ein Infanterie-Trupp die beiden Leichensäcke in seiner Nähe ablegte. Er überwachte weiter das Einschiffen des Bergeguts. Zwei BattleMechs der Blackwind-Lanciers wuchteten einen weitgehend intakten JägerMech die Landungsschiffsrampe hoch, gefolgt von einem dritten, der die Überreste des abgerissenen Mechbeins der capellanischen Maschine trug. Zweihundertfünfzig Meter entfernt schlachtete ein Techteam das Wrack eines Cataphract aus, und weit dahinter suchte Doles' spärliches Infanteriekontingent die Hochebene weiter nach dem vermißten Piloten der HustaingRabauken ab.

Falls sie den MechKrieger fanden, gab Doles ihm eine 50:50-Chance, vor Erreichen des Basislagers einem tödlichen ›Unfall‹ zum Opfer zu fallen. Die Nachricht von Smithsons Tod und ihrer möglichen Agententätigkeit für die Konföderation - Doles hatte es wenigstens geschafft, es auf ein Gerücht zu beschränken -, hatte seine Krieger dermaßen in Rage gebracht, daß er sie kaum noch unter Kontrolle hielt.

»Warum habe ich dann keine Raumgardisten von Bord des Landungsschiffs angefordert?« fragte er sich selbst, und seine eigene Stimme klang fremd in seinen Ohren. Er wußte die Antwort. Weil er sich dazu mit ihm hätte auseinandersetzen müssen.

Doles fuhr sich mit den Fingern durch den braunen Bürstenhaarschnitt. Er glaubte nicht daran, daß er die Konfrontation mit den Hustaing-Rabauken hier auf Indicass dem Schicksal zu verdanken hatte. Die Konfrontation mit der Einheit, die Sun-Tzu Liao mit der Ausrüstung aufgebaut hatte, die er den Blackwind-Lanciers gestohlen hatte. Der Einheit, die geholfen hatte, Denbar zu erobern, seit der ersten Besiedlung der Heimatwelt ihres Bataillons.

Nein, nicht dem Schicksal. Mandrinn Torm Liao. Bis jetzt schien die Großzügigkeit des Mandrinns keine Grenzen zu kennen. Proviant und Nachschub. Neue Krieger und ein paar neue Mechs. Sogar ein Landungsschiff! Doles sah an der riesigen Flanke des Schiffes empor und hatte zwiespältige Gefühle, als er das blaue Axtblatt der Blackwind-Lanciers neben dem goldenen Drachen der Bewegung Freies Capella sah. Weiß ich überhaupt noch, wie ich zu irgend etwas stehe? Es hatte sichtliche Vorteile, mit Tormano Liao in Verbindung zu stehen. Und er hat uns einen neuen Schlag gegen die Hustaing-Rabauken ermöglicht, aber was wird uns das kosten, wenn er die Rechnung präsentiert? Diese Frage kümmerte ihn weit weniger, als es seiner Überzeugung nach hätte der Fall sein müssen.
Aber andererseits gab es eine ganze Reihe von Dingen, die ihn nicht mehr sonderlich berührten. Er hatte die beiden Leichensäcke nicht vergessen, konnte aber kaum Interesse an ihnen aufbringen. Einer meiner Lanciers, der CataphractPilot, und ein Hustaing-Rabauke. Auge um Auge. Und während die Rabauken-Lanze den Cataphract verschrottet hatte, war es seinen Leuten gelungen, den JägerMech und die Überreste eines ausgeweideten Hurone zu erbeuten. Also haben wir gewonnen, richtig?
»Major Doles, Sir.« Ein junger Kadett in makelloser elfenbein-goldener Borduniform sprang von der Rampe.
Der junge Mann sah gut aus, mit ausgeprägt asiatischen Zügen, dunklen Mandelaugen und einer angenehmen Hautfarbe. Alles Qualitäten, auf die Tormano Liao bei Mitgliedern der Bewegung Freies Capella Wert zu legen schien. Rekrutierungsplakatmaterial, wie alle, mit denen sich der Mandrinn umgab. Schlau, dachte Doles. Obwohl nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung der Konföderation Capella asiatischer Abstammung war, blieb deren Nationalkultur durch die jahrhundertealte Herrschaft Haus Liaos und die Amtssprache Mandarin stark asiatisch geprägt, und es ließ sich nicht leugnen, daß man Asiaten mit den Herrschern des capellanischen Raums assoziierte. Und dann sind da noch die Blackwind-Lanciers. Kaum ein Asiate in der ganzen Einheit... aber wir haben andere Vorzüge.
Der Kadett hielt ihm einen Compblock hin. »Die Nachricht ist über offene Frequenz eingetroffen, Sir. Vom Kommandeur der Hustaing-Rabauken, an den Kommandeur der Blackwind-Lanciers.«
»Hat der Mandrinn sie schon gesehen?« fragte Doles und verschränkte die Arme vor der breiten Brust.
Die Miene des jungen Offiziers blieb absolut neutral. »Sie ist an Sie adressiert, Major.«
Also hat Tormano sie gesehen. Und? Doles schüttelte den Kopf. »Fassen Sie den Text bitte zusammen.«
Mit einem kurzen Schulterzucken ließ der Kadett die Hand mit dem Compblock wieder sinken. »Die Hustaing-Rabauken begrüßen die BlackwindLanciers auf Indicass und laden Sie ein, die rechtmäßige Herrschaft Kanzler Sun-Tzu Liaos zu akzeptieren. Ungeachtet Ihrer Antwort bitten Sie außerdem um die Herausgabe der Leiche ihres Kriegers zur Rückführung nach Hustaing.«
Doles nickte. Der Rest der Rabauken-Lanze ist zur Basis zurückgekehrt, und die Tatsache, daß sie keinen Gefangenen erwähnen, bedeutet, daß der dritte MechKrieger von einem seiner Kameraden aufgenommen wurde.
»Lassen Sie die Suchaktion abbrechen«, befahl er. Er wußte zwar, daß der Kadett ihm eigentlich nicht unterstand, ging aber davon aus, daß die niederen Offiziersränge der Bewegung Freies Capella vom Mandrinn zur Kooperation angewiesen waren. »Und schicken Sie eine Nachricht an die Basis. Lager abbrechen und zur Verlegung vorbereiten.« Wenn wir so dicht an den Hustaing-Rabauken kampieren, daß unsere Routinepatrouillen aufeinanderstoßen, sollten wir uns etwas mehr Atemraum verschaffen.
Aber nicht für lange,
dachte er, halb resigniert, halb als Versprechen an seine Einheit. Er wanderte davon, blieb aber stehen, als der Kadett sich räusperte.
»Sir. Irgendeine Antwort bezüglich des Toten?«
»Lassen Sie ihn hier liegen. Sie werden unsere Flugroute zurückverfolgen und ihn abholen. Dann können Sie ihn nach Hustaing schicken, oder wohin sie sonst wollen.« Er sah hinüber zu den beiden Plastiksäcken, suchte in seinem Innern nach einem Funken des Bedauerns und fand nur Taubheit. »Ich werde ein paar Lanciers abstellen, die unseren Mann beisetzen.«
Seine Blackwind-Lanciers hatten keine Heimatwelt mehr. Wo immer sie bei der Verteidigung des Pakts fallen, der Boden wird gut genug für ihr Begräbnis sein müssen.
Er ist ja offensichtlich gut genug, um dafür zu sterben.

Battletech 46: Die Natur des Kriegers
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