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Hai Fen-ling, Provinz Xin Singapur, Indicass Xin-Sheng-Kommunalität, Konföderation Capella10. April 3062
Sang-shao Ni Tehn Dho setzte sich müde auf den Fuß seines Victor, während die Junior-Offiziere der Hustaing-Rabauken sich wie nach jedem Gefecht darum kümmerten, die Schäden ihrer Einheiten festzustellen und den Wert des Bergungsguts abzuschätzen. Der überschwere Mech mit seinen achtzig Tonnen Gewicht ragte über ihm auf, und sein Kopf stieß bis in das Blätterdach des Schwarzwalds hoch. Sonnenlicht filterte durch den Baldachin aus wuchtigen Ästen und breiten Blättern herab, ein grünes Leuchten, durch das gelegentlich ein einzelner Strahl aus reinem Sonnenlicht brach. Ein grüner Schleier lag über der ganzen Szenerie. Ganz Liao, dachte der ältliche Regimentskommandeur und lehnte sich mit dem Rücken an den Knöchel des Kampfkolosses.
Er hatte sich an eine Seite des Schlachtfelds zurückgezogen, in der Hoffnung, den Schatten eines vom Gefecht unbeschädigten Baums zu genießen... ein Versprechen auf bessere Zeiten. Jetzt, außerhalb des Cockpits, stellte er fest, daß auch die Eiche, neben der er seinen Mech abgestellt hatte, ein paar Autokanonentreffer abbekommen hatte. Die Granaten hatten einen Teil der unteren Äste weggesprengt. Außerdem trug der leichte Wind, der aus der Richtung des Schlachtfelds herüberwehte, ihm den Geruch verbrannter Vegetation zu. Nicht so angenehm, wie ich es erhofft hatte, aber immer noch besser, als ich hätte erwarten dürfen. Über ihm knallte und sang das abkühlende Metall der Kampfmaschine, und auch seine Glieder knirschten und knackten wie aus Protest gegen die Belastung, der sie in den letzten Monaten ausgesetzt worden waren.
Doh schloß die Augen und machte ihnen leere
Versprechungen, daß sie bald genug Ruhe bekämen.
Ewige Ruhe, würde mich nicht
wundern.
»Sang-shao?« unterbrach eine Stimme seine Muße, eine junge,
kräftige, eifrige Stimme.
Doh kämpfte die Verärgerung nieder. Er wollte dem Krieger dessen
Jugend nicht zum Vorwurf machen. Schon gar nicht diesem, der zu den
besseren seiner Leute gehörte. Er öffnete ein Auge und musterte
Sao-shao Daniel Evans. Der Anführer der inoffiziell als die
Arkadenranger bekannten Kompanie der Rabauken war ein Streber, der
den übrigen Kompaniechefs in der Regel ständig einen Schritt voraus
war.
»Was gibt es, Sao-shao?«
»Ich habe meine Bewertung fertig«, erwiderte Evans mit neutraler
Stimme, aber in seinen Augen glänzte der Stolz. »Die Ranger haben
natürlich keinen BattleMech verloren, und wir sind unter
Berücksichtigung von Panzerung, Wärmetauschern und einzelnen
zerstörten Waffen nur sechzehn Prozent unter
Soll-Leistung.«
»Und was machen Ihre Leute jetzt?« fragte Doh, obwohl er wußte, daß
ihm die Antwort nicht gefallen würde. Er wußte aber auch, daß er es
wahrscheinlich durchgehen ließe.
Wenigstens war Evans so höflich zu zögern. »Sie malen die letzten
Punkte auf ihre Maschinen.«
Doh verkniff sich ein Stöhnen, dann rieb er sich mit beiden Händen
das Gesicht. Die Arkadenranger hatten ihre Existenz als Lanze aus
Studenten einer Hochschule Hustaings begonnen, deren
Hauptqualifikation im regelmäßigen Besuch einer örtlichen
Spielhalle bestanden hatte, die vereinfachte BattleMechsimulatoren
anbot. Überraschenderweise hatte sich die leichtfertige Art, mit
der sie den Mechkampf als Spiel behandelten, zu ihrem Vorteil
ausgewirkt. Sie vergaben sogar nach einem komplexen Regelsystem,
das Sang-shao Doh längst aufgegeben hatte verstehen zu wollen
›Punkte‹ für jeden Kampf. Er hatte ihnen Evans als Kommandeur
zugeteilt, in der Hoffnung, er könnte sie zähmen. Statt dessen
hatten sie ihn bekehrt.
Hauptsache, es funktioniert, beruhigte
Doh sich. »Wie viele Abschüsse haben Ihre Krieger erzielt, Danny?«
fragte er.
»Sechs«, antwortete Evans wie aus der Pistole geschossen. »Zwei
Panzer verschrottet und vier Mechs, drei davon mit gutem
Bergungswert.«
Nicht schlecht, alles in allem. »Und
wie viele
»Sechshundertfünfundsiebzig. Ich habe...« Evans unterbrach sich und wurde rot, dann sprach er mit einem Schulterzucken weiter. »Für den VedettePanzer habe ich nur die halbe Punktzahl bekommen, weil ich keine Munition mehr hatte.«
Diese Burschen werden endlich lernen müssen, daß wir hier nicht in der Spielhalle sind. Doh hatte gehofft, ein Jahr im Kampfeinsatz auf Denbar hätte dieses Problem lösen können. Und wenn schon das nicht, dann die letzten Monate gegen die Überreste der Indicass-Heimatmiliz und die Legers. Aber von Anfang an hatten nur ein paar von ihnen überhaupt einen militärischen Hintergrund. Schließlich sind sie aus Universitäten und kleinen Hochschulen rekrutiert oder aus der Reserve der Planetaren HustaingMiliz gezogen worden. Und es spielt keine Rolle, wieviel Gefechtszeit sie hinter sich bringen, solange sie besser werden.
Mit sechzig Jahren hatte Doh das alles schon aus erster Hand kennengelernt. Die Verluste des 4. Nachfolgekrieges und das Verlangen danach, sie wettzumachen, loderten in seinem Innern. Aber soll ich diesen Kindern eine derartige Erfahrung wirklich wünschen, nur um ihnen etwas mehr Disziplin und einen Sinn für die Würde des Capellanischen Heers beizubringen?
Doh lehnte sich zurück und versuchte, seine Rückenschmerzen zu ignorieren. »Danke, Danny. Grüßen Sie Ihre...« Fast hätte er gesagt ›Ihre Kinder‹. »...Ihre Krieger von mir. Wegtreten.« Dann schloß er die Augen wieder. Würde ich ihnen eine derartige Erfahrung wirklich wünschen?
Glücklicherweise brauchte diese Frage keine Antwort. Noch nicht.* * *
Hazlet, Nashuar
Herzogtum St Ives, St Ives-Pakt
Hazlets kleines Militärkrankenhaus war überfüllt, und die Heimatmiliz hatte ihre ernsteren Fälle ins Immergrün-Gedächtnishospital im Stadtinnern verlegt. Maurice Fitzgerald hatte eine Stunde Zeit bis zu Nevarrs Tagesbesprechung und war gekommen, um den jüngsten Neuzugang zu besuchen.
Selbst vor der weißen Bettwäsche wirkte David Sherman bleich. In den Krankenzimmern war der in den Korridoren hängende beißende Geruch nach Desinfektionsmitteln besonders stark. Fitz rieb sich die Nase und sah den Hauch eines Lächelns auf dem Gesicht seines alten Lanzenkameraden.
»He, Schleicher«, begrüßte ihn der Patient mit dem Spitznamen, den sich Fitzgerald als Lance Sergeant im Panzercorps der Heimatmiliz verdient hatte.
Ein Spitzname, den die ganze Lanze übernommen hatte. Das war nach seinem Scheitern bei dem Versuch gewesen, ein MechKrieger zu werden, aber noch bevor der damalige Kapitän Nevarr ihm eine neue Position angeboten hatte. Er konnte sich gut daran erinnern, wie nervös er gewesen war, die Verantwortung für drei andere Leben übernehmen zu müssen. Besonders nach dem Desaster bei der MechKriegerausbildung. Das war alles noch kein Jahr her. Es fiel ihm schwer, es zu glauben. »Hallo, David«, grüßte er zurück.
»Ich schätze, wenn du hier bist, haben wir gewonnen, ja?« Der dunkelhaarige Mann war erst neunundzwanzig, aber die Linien unter seinen Augen und die Schwere seiner Stimme hätten zu jemand sehr viel älterem gepaßt. »Ich bin vor dem Ende gegangen. Tut mir leid.«
Fitz zwang sich zu einem Lächeln, so schwer es ihm auch fiel. Wie so vieles in diesen Tagen. Er war einfach zu erschöpft. »Ich weiß nicht, ob ich das einen Sieg nennen würde«, meinte er und erinnerte sich an die ausgebrannten Ruinen der Häuser von Yei Hou, eines Dorfs nördlich von Hazlet. Er fühlte neuen Haß auf den Panzerkommandeur der Nachtreiter in sich aufsteigen, der die Kurzstreckenlafette seines Pegasus mit Infernoraketen geladen hatte. Ein Fehlschuß hatte genügt, um das ganze Dorf in Flammen aufgehen zu lassen.
»Hab davon gehört«, sagte sein Freund leise und verzog das Gesicht, als habe er Schmerzen. »Muß schlimm gewesen sein. Da war ich wohl schon im Rettungshubschrauber.«
Fitzgerald setzte sich auf die Bettkante und war sich sehr bewußt, wieviel Platz er hatte. Der Krieg holt sich seinen Zoll von den Soldaten genau wie vom Pakt, Stück für Stück. Letztes Jahr hat David mit seinem Bein bezahlt. Warum mußte er sich unbedingt weitervernichten?
»Na ja, wir haben sie wieder mal aus der Ebene gehalten. Vielleicht hilft's«, bot er seinem Kameraden an.
»Wir haben bei Hazlet eine Linie gezogen, und die Cavalry scheint bereit, das zu akzeptieren. Tut mir leid um deinen Arm.« Das war sie, die Entschuldigung, wegen der er gekommen war, mitten im Gespräch eingeworfen, als versuche er, sie zu verstekken.
»Was ist das? Ein Mechjockey, der Mitleid mit einem Blechbüchsenfahrer hat?« Diesmal gelang David ein echtes Lächeln. Die Aufmerksamkeit seines alten Kommandeurs ging ihm sichtlich nahe. »Da gegen hätte ich Wetten abgeschlossen.«
Fitzgerald wußte Davids Versuch zu schätzen, die Stimmung zu heben, aber das änderte nichts an der Tatsache, daß er sich diesmal noch verantwortlicher fühlte als sonst. Ich habe Nevarrs Angebot, MechKrieger zu werden, erst angenommen, als meine Panzerlanze auseinandergefallen war. Hätte ich gewußt, daß David nach seiner ersten Operation zurückkommen würde, hätte ich... was? Was hätte er tatsächlich tun können? Er war in der Hoffnung MechKrieger geworden, einen größeren Unterschied im Kampf Nashuars gegen die Konföderation bewirken zu können. Nein, ich wollte den entscheidenden
Unterschied bewirken. Habe ich immer noch nicht begriffen, daß es so etwas nicht gibt? Jedenfalls nicht in diesem Krieg.
Etwas von Fitz' Selbstvorwürfen mußte sich auf seinem Gesicht wiedergespiegelt haben. »Mach es dir deswegen nicht selber schwer, Fitz«, meinte David. »Wir wissen alle, was da draußen vorgeht. Teufel, ich hätte nach der letzten Verletzung aussteigen können. Aber ich habe mich dagegen entschieden.« Er sah seinem alten Kommandeur in die Augen. »Ich habe mich dagegen entschieden«, wiederholte er.
Fitz nickte. Das wußte er, aber er verstand es
nicht. »Warum?« fragte er.
David atmete laut aus. »Weil ich mich an der Konföderation rächen
wollte.« Plötzlich klang er klein und schwach. »Nicht für Nashuar
oder den Pakt, sondern für das, was sie mir angetan hat.« Er
lachte, und in seinem Blick tanzte eine Spur von Wahnsinn. »Weißt
du, was wirklich komisch ist? Als das hier losging, hatte ich gar
nichts gegen die Rückkehr der Konföderation. Aber die letzten sechs
Monate ...« Er sank in die Kissen zurück und wirkte sehr
verletzlich. »Es war mir egal, wer mir in den Weg kam.«
Fitzgerald wußte nicht, was er sagen sollte. Dieser Krieg hatte
seinen Sinn verloren. Konnte sich irgend jemand erinnern, wann
genau sie die Kontrolle über ihn verloren hatten? Er schüttelte den
Kopf, im gleichen Maße vor Bedauern für David wie als Antwort auf
seine eigene Frage.
»Es spielt keine Rolle«, sagte David. Er warf einen Blick zur Uhr.
»Nevarrs Tagesbesprechung muß gleich anfangen. Du solltest dich
lieber auf den Weg machen.«
Fitzgerald stand auf und schenkte seinem alten Lanzenkameraden noch
ein aufmunterndes Kopfnikken. »Es spielt eine Rolle«, erklärte er
und versuchte, seinem Freund etwas Trost zu spenden. »Es war dir
nicht so gleichgültig wie manchem anderen. Nicht so wie dem
Schlächter, der Yei Hou angezündet hat.«
David zuckte zusammen, und auf seinen Zügen stand der Schmerz. Fitz
wußte, daß es nichts mehr zu sagen gab, und drehte sich um. Seine
Hand lag schon auf dem Türgriff, als David noch etwas
sagte.
»He, Fitz.« David sah ihn nicht an, sondern starrte mit
schmerzlichem Ausdruck an die Decke. Ein paar lange Sekunden
verstrichen. Er weinte. »Das ist nicht so komisch. Aber die
Wahrheit ist, daß ich gestern auch Infernos geladen hatte.« Davids
Blick zuckte kurz zu Fitz herüber, dann drehte er sich weg. »Ich
habe nur keine Gelegenheit bekommen, sie abzufeuern.«
Er hätte noch eine Stunde bleiben können, aber Fitzgerald
bezweifelte, daß ihm irgend etwas eingefallen wäre, was er darauf
hätte antworten können. Ohne ein weiteres Wort verließ er das
Zimmer und schloß leise die Tür hinter sich.