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Hondah-Raumhafen, Hazlet, Nashuar Herzogtum St. Ives, St. Ives-Pakt

 

22. Mai 3062

Der Rauch von einem Dutzend Feuer hing wie ein schwarzes Leichentuch über dem nördlichen Stadtrand der planetaren Hauptstadt. In Richtung des Raumhafens dünnte er aus, schwängerte die Luft aber noch immer mit dem Geruch brennender Wohnund Geschäftshäuser. Der Himmel leuchtete orangerot. Das Gellen ferner Sirenen kündete davon, daß die Feuerwehren noch immer im Kampf standen, auch wenn die Funkberichte den Eindruck vermittelten, daß sie allmählich auch die letzten Brandherde unter Kontrolle brachten.

»Es ist nur Sachschaden«, murmelte Maurice Fitzgerald hauptsächlich zu sich selbst und stellte sein Ende der Trage ab. »Inzwischen ist niemand mehr am Leben, den man retten könnte.«

Danielle Singh, die das andere Ende der Trage hielt, verzog bei dieser Bemerkung das Gesicht. »Es hätte viel schlimmer sein können, Maurice.« Sie warf einen Blick zum Triagebereich und seufzte. »Aber es hätte auch viel besser sein können.«

Die Hilfsanstrengungen für diesen neuesten Anschlag des Schwarzen Lenz waren auf dem Südabschnitt des Raumhafens konzentriert. Die Nähe zum Katastrophengebiet und der weite, offene Raum waren dabei nur von sekundärer Bedeutung - verglichen mit der Ankunft Kuan Yin Allard-Liaos und dem jüngsten Versuch der Mandrissa, den belagerten Welten des Paktes humanitäre Hilfe zu leisten. Kuan Yins drei Landungsschiffe, ein Overlord und zwei Schiffe der UnionKlasse, waren zu einer Dreiecksformation aufgestellt, in der Triage und medizinische Behandlung zwei Ecken belegten, während die dritte sich langsam mit dem ausgeschifften Nachschub füllte. Der Triagebereich wurde von Rauchopfern wie dem einen der beiden MechKrieger beherrscht, die sie gerade von den ständig eintreffenden Krankenwagen abgeholt hatten. Sie kamen aus Gebieten, die an die Anschlagszonen angrenzten. Die wenigen Überlebenden aus den in Flammen stehenden Vierteln, denen es auf wunderbare Weise gelungen war, dem Nervengas und den Brandstiftungen zu entgehen, waren längst behandelt und in besser ausgestattete Krankenhäuser evakuiert worden. Fitzgerald würde die offenen Brandwunden und weißen Augen nie vergessen, die das ätzende Gas seinen Opfern beschert hatte, und dabei wußte er sehr gut, daß dies im Vergleich zu den inneren Verletzungen nur Lappalien waren.

Danielle zitterte. Möglicherweise erinnerte sie sich an denselben Anblick. »Wir können dem lieben Gott danken, daß sie Brevet-Oberst Nevarr nicht erwischt haben.«
Das konnte Fitzgerald nur mit stummem Kopfnikken bestätigen, aber es war ein bittersüßer Trost. Nach diesem letzten Thugee-Anschlag war Major Nevarr, der Kommandeur der Nashuar-Heimatmiliz, zum höchstrangigen Paktoffizier des Planeten aufgestiegen. Senioroberst Trahn Soo Lee, Nashuars Militärkoordinator, hatte sich zusammen mit Oberst Leonard Perrin, dem Kommandeur der BlackwindLanciers, der mit seinem 1. Bataillon auf dem Planeten eingetroffen war, im Zentrum des Anschlags befunden. Generalhauptmann Seiser, der Kommandeur der 7. VerCom-RKG, in der Stadt, um sich mit Senioroberst Lee abzusprechen, war Berichten zufolge bei einem der Brandanschläge ums Leben gekommen. »Hätten die Nachtreiter heute abend angegriffen, hätten sie die Stadt eingenommen.«

»Allem Anschein nach hat McCarron's Cavalry sich zurückgezogen«, stellte Danielle fest und trat beiseite, als eine Krankenschwester den neuen Patienten in Empfang nahm. »Wahrscheinlich auf Befehl von oben. Sun-Tzu Liao versucht, seine Truppen aus jedem Zusammenhang mit den ThugeeAnschlägen herauszuhalten.« Ihre Züge verhärteten sich, und Fitz bemerkte die Schärfe ihrer Stimme. »Nicht, daß ihm das etwas nützen wird.«

Fitzgerald behielt seine Ansicht für sich. Er wußte, daß die Nachtreiter auf Wei die Opfer des ersten Nervengasangriffs geworden waren. Möglicherweise machte ihnen der Einsatz dieses Mittels für die Konföderation zu schaffen. Irgendwie enthielt dieser Gedanke eine innere Wahrheit, auf dieselbe Weise, in der er das bisherige gnadenlose Vorgehen der Nachtreiter auf Nashuar erklärte. Aber ihr Zögern, jetzt zuzuschlagen, würde ihnen keine Sympathien einbringen. Der Konflikt auf Nashuar war längst zum Selbstläufer geworden. Die größere politische Lage schien keine weitere Bedeutung mehr zu besitzen. Die Kämpfe würden weitergehen, dessen war Fitz sich sicher. Und ohne Zweifel würde es schlimmer werden als je zuvor.

Wenn es hier noch irgendeine Möglichkeit gab, einen Unterschied zu machen, dann sah er sie nicht.

 

* * *
Palastanlage, Tian-tan, St. Ives Herzogtum St. Ives, St. Ives-Pakt

Präsidentin Candace Liao blickte aus einem Fenster im zweiten Stock ihres Palais hinaus auf den Tumult am weit entfernten Haupttor. Soldaten in Schutzanzügen bewegten sich zögernd um das Wrack des Savannah Master, der durch das Tor auf das Palastgelände gebrochen war, nur um Sekunden später von einem patrouillierenden Helios zerrissen zu werden. Das Eintreffen eines Entgiftungsteams bestätigte ihre Einschätzung, bevor der Bote eintraf, der sich sicher schon auf dem Weg zu ihr befand. Ein neuer Thugee-Angriff.

Candace legte die Arme um ihre Taille und umfaßte mit den Händen die Ellbogen, um das Beben zu unterdrücken, das sie in sich aufwallen fühlte. Es war kein Zeichen der Angst. Nach vierundsiebzig Lebensjahren hatte sie keine Angst mehr vor dem Tod, nicht einmal, wenn er sich so grausam zeigte wie durch das Wei-Nervengas. Ihre frühe Laufbahn als MechKriegerin in den Diensten der Konföderation Capella hatte sie gegen derartige Ängste weitgehend immunisiert, und der Tag, an dem sie ihren St. IvesPakt offiziell aus der Konföderation gelöst hatte, war die letzte Feuerprobe gewesen. Später hatte sie das Attentat überlebt, dem ihr Ehemann zum Opfer gefallen war, und sie hatte ihn gerächt, indem sie eigenhändig ihre Schwester Romano tötete, die es befohlen hatte. Im letzten Monat war sie trotz fünf - inzwischen sechs -Thugee-Anschlägen in der Palastanlage geblieben, statt sich in ein geheimes Versteck zu flüchten.

Nein, es war nicht Angst, die ihre Hände zu verraten drohten, sondern Wut.
Über zehntausend Tote durch Nervengasanschläge. Indicass verloren, und die Rückschläge auf Taga und Nashuar drohten auch dort eine Niederlage unvermeidbar zu machen. Cassandra war auf St. Loris nur durch das beinahe selbstmörderische Opfer des jungen Tamas Rubinsky dem Tod entgangen. Simone Devon, eine unschätzbare Hilfe und gute Freundin, hatte weniger Glück gehabt. Sie hatte den Preis bezahlt, den Candace zweifelsohne hätte bezahlen müssen, wäre das Schicksal ihr nicht in Form eines fehlgeschlagenen Piratenpunktsprungs zu Hilfe gekommen. Tormano war tot, sein Sohn vermißt. Das zu glauben fiel ihr besonders schwer. Ihr Bruder war immer ein Überlebenskünstler gewesen, und doch war gerade er das erste Opfer in Kalis wahngeborenem Massaker geworden. Kali, die Todesgöttin. Sie war wahrhaft Romanos Tochter.
Und eine Frau, deren Leben ich vor zehn Jahren in meiner Hand gehalten habe, als ich sie und SunTzu von meiner Rache für Justins Tod ausnahm. Was habe ich ihm damals gesagt? ›Durch Kampf wirst du stärker, und es ist mir lieber, wenn du dir deine Gegner in deinem eigenen Reich suchst statt außerhalb‹ Candace erinnerte sich, wie zufrieden sie damals gewesen war. Aber Sun-Tzu hat sich meinen Pakt trotzdem zum Gegner gewählt. Und Kalis Wahnsinn, mit dem ich gehofft hatte, meinen Neffen zu behindern, verfolgt jetzt mich.
Tausende Tote. Nur durch Sun-Tzu war die Liste der Opfer nicht in die Hunderttausende gestiegen. Mit den Informationen, die er über Ion Rush geliefert hatte, war es gelungen, viele der Anschläge zu verhindern oder zumindest deren Folgen zu mildern. Aber auch das machte sie wütend, die Ungerechtigkeit des Schicksals, dadurch noch in der Schuld ihres Neffen zu stehen. Es wäre so leicht gewesen, ihn zu beschuldigen, sein sofortiges Handeln und das Drängen auf Kalis Verurteilung abzutun. Wie es mein Volk bereits getan hat. Aber das wäre eine Ungerechtigkeit gewesen, die Romanos oder ihrer beider Vater Maximilians würdig gewesen wäre. Dabei hätte ihr die Wut die Zunge geführt.
Candace Liao war zu erfahren, um ihr Urteilsvermögen von Wut trüben zu lassen, und ganz sicher ließ sie es sich nicht anmerken, wenn ihre Selbstsicherheit Risse bekam. »Die Bevölkerung von St. Ives braucht Stabilität und Stärke«, stellte sie laut fest. Und Stabilität hatte sie ihr sicher gegeben, drei Jahrzehnte, erkauft durch die Desertion aus der Konföderation. Jetzt muß ich stark sein, weil mir meine Nation keine Stärke mehr geben kann.
Caroline Sengs düstere Vorhersage zwei Monate zuvor, daß der Pakt kaum noch Zeit hatte, eine auf Dauer tragbare Gegenwehr zu organisieren, wurde mit jedem Wochenbericht realer. Mit seinem Feldzug quer durch die Konföderation hatte Kai ihnen Erleichterung gebracht. Sun-Tzus Verlust der sicheren Grenze zur Liga Freier Welten war eine noch größere Hilfe gewesen, weil er Truppen hatte abziehen müssen, um die gegenspinwärtige Grenze der Konföderation zu sichern. Und die Pakttruppen kämpften inzwischen mit fanatischer Entschlossenheit, forderten Vergeltung in Form capellanischer Leben. Aber in der logistischen und Nachschubstruktur der Paktstreitkräfte wurden die Bruchstellen immer deutlicher, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie sich auf die Leistungen an der Front auswirkten.
Die letzte noch so geringe Chance auf eine Versöhnung, auf irgendeine friedliche Lösung, war zusammen mit Tormano gestorben. Und mit jedem Paktbürger, der bei einem Thugee-Anschlag ums Leben gekommen war. Und gleichgültig, welchen Vorteil es für den Pakt brachte, es war unmöglich geworden, auch nur eine Welt aufzugeben, wie Seng es vorgeschlagen hatte. Jetzt konnte ihr Volk nichts außer einem Sieg mehr akzeptieren, einen unmöglich zu erringenden Sieg. Nicht, bis sein Zorn ausgebrannt war. Und so würde der Krieg also weitergehen, über Tage, Wochen, Monate, erkauft mit Leben, die Kali sich anrechnen konnte, obwohl sie nicht unter den Anschlägen ihrer Thugee-Jünger endeten. Es gab keine andere Möglichkeit.
»Verdammt sollst du sein, Sun-Tzu«, stieß sie aus und gestattete sich die kurze Erleichterung, die ihr das Fluchen auf ihren Neffen bescherte. Verflucht sollst du sein, dafür, daß du Kali nicht im Zaum gehalten hast und mich dadurch zu dieser Entscheidung zwingst. Zwischen uns werden wir den Pakt zermalmen, bis dir der Preis zu hoch wird, den wir fordern, oder bis nichts mehr bleibt, was du beanspruchen könntest, außer einem Trümmerfeld. Unser hoffnungsloser Kampf. Unsere letzte Schlacht.
Möglicherweise ist das die einzige Lösung, die uns bleibt.

Battletech 46: Die Natur des Kriegers
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