3. April 2010
Hamburg.

Gleich am nächsten Morgen trafen sich Christian und Volker mit Martin George, dem Chefredakteur der Hamburger Morgenpost, in seinem Büro. George war erschüttert, als er den Grund des Besuchs erfuhr – der gewaltsame Tod seines Volontärs Henning Petersen.

»Bitte, setzen Sie sich doch. Also, ich muss mich zumindest setzen … Ich fasse es nicht … Haben Sie die Eltern schon benachrichtigt?«

Volker bejahte: »Ein Kollege aus Itzehoe hat das freundlicherweise übernommen.« Volker und Christian setzten sich George gegenüber.

»Wie furchtbar für sie …« Über Georges Gesicht huschte ein kleines Lächeln. »Als Henning sein Vorstellungsgespräch hier hatte, saßen beide draußen auf dem Flur und haben ihm die Daumen gedrückt. Es war Henning ungeheuer peinlich.«

»Was für ein Typ war Henning Petersen?«, wollte Christian wissen.

»Fleißig. Aufgeweckt. Ehrgeizig. Mit einem guten Gespür für Themen. Natürlich muss er … musste er noch viel lernen, aber aus ihm hätte ein guter Journalist werden können. Darf ich fragen, wie er getötet worden ist? Und ob Sie schon etwas über den Täter wissen?«

»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt geben wir keine Informationen an die Presse heraus«, antwortete Christian.

»Ich frage nicht als Journalist. Mir geht Hennings Tod sehr nahe. Glauben Sie mir, ich mochte ihn gerne.«

Volker schaltete sich wieder ein. Wie immer fand er Christians Art der Gesprächsführung zu ungeschickt. »Sobald wir Ihnen Genaueres sagen können, was jetzt aus ermittlungstechnischen Gründen keinen Sinn macht, werden wir Sie benachrichtigen. War Henning auch bei seinen Kollegen beliebt? Wissen Sie etwas über Freunde, möglicherweise eine Freundin?«

»Privat hatte ich nichts mit ihm zu tun. Allein schon der Altersunterschied … Und ich war sein Chef. Aber alle hier mochten ihn. Er hat nie gemeckert, auch wenn er Arbeiten erledigen musste, auf die meine Redakteure keinen Bock haben. Er wollte lernen, hat alles in sich aufgesogen. Am besten hat ihn wohl Walter Ramsauer gekannt, unser Ressortleiter Entertainment. Henning hat ihn zum großen Vorbild erkoren und sich an ihn rangehängt. Ramsauer ist noch einer von der alten Schule, war früher sogar mal beim Spiegel.«

»Können wir Herrn Ramsauer bitte kurz sprechen?«

»Bedaure. Der ist für ein halbes Jahr in Elternzeit. Und soweit ich weiß, im Moment mit Frau und Kind verreist.«

George vergewisserte sich bei seiner Sekretärin, dass er recht hatte. Ramsauer war irgendwo in Österreich, bei seinen Eltern. Auf einer Alm, wo es nicht mal Handyempfang gab, wie Ramsauer vor seiner Abreise fröhlich verkündet hatte. Auch keiner der Kollegen wusste, wo genau Ramsauer herkam. Für sie war Österreich ein schwarzes Loch, das Mozartkugeln und Medienschaffende ausspuckte und ein paar passable Skipisten bot.

»Hatte Henning hier einen eigenen Arbeitsplatz?«, fragte Christian weiter.

»Natürlich. Unsere Volontäre schreiben, die sind nicht zum Kaffeekochen da.«

Volker erhob sich. »Ich würde mir gerne seine Dateien auf einen Stick kopieren, wenn das möglich ist.«

George rief seine Sekretärin, damit sie Volker zu Hennings Computer brachte.

»Gibt es ein Passwort?«, wollte Volker wissen.

George lächelte: »Wir sind eine Tageszeitung, keine Polizeibehörde. Bei uns braucht jeder jederzeit Zugang zu allem. Wir lüften Geheimnisse, wir hüten sie nicht.«

Volker ging mit der Sekretärin hinaus.

»Wissen Sie, an was Henning in letzter Zeit gearbeitet hat?«, fragte Christian.

»Leserbriefe beantworten, Kurzmeldungen aus den Stadtteilen … Warum fragen Sie?«

»Wir haben Grund zu der Annahme, dass er etwas wusste. Oder etwas gehört oder gesehen hat, was er nicht sollte. Sein Zimmer ist durchwühlt worden, der Laptop ist weg.«

Georges Aufmerksamkeit war geweckt, sicher auch aus beruflicher Neugier. Doch er bedauerte: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas mit seiner Arbeit hier bei der Morgenpost zu tun haben kann. An investigativen Themen sind unsere Volos selten beteiligt.«

»Haben Sie denn zurzeit ein heißes Eisen im Feuer?«

»Ein brandheißes!« George grinste. »Eine fünfköpfige Bürger-Ini kämpft um eine alte Eiche, die wegen eines Bauprojekts gefällt werden soll.«

Christian erhob sich und reichte George die Hand. »Dennoch vielen Dank für Ihre Zeit.«

Auch George erhob sich: »Sie halten mich auf dem Laufenden?«

»Soweit das möglich ist.«