Meine erste Liebe
Isabella Calotti schoss ein dicker, grüner Strahl Waldmeistereiscreme aus der Nase, der auf meiner Wange landete und kalt an ihr herunterrann.
Isabella sprang auf, ihr türkisfarbenes Oberteil war über und über bekleckert, sie hustete, als hätte sie gerade eine Waterboarding-Folter durchlitten. Dabei hatte ich nur geredet. Ich hatte viel geredet, so viel, dass Isabella als Antwort nur Brechreiz parat hatte. Ich redete einfach weiter, als wäre nichts passiert, so viel Aufregung war einem Neunjährigen einfach nicht zuzumuten. Vielleicht war auch meine Einladung zu fünfzehn Kugeln Eis einfach zu viel für ihren schmalen Körper gewesen, sie hatte zwar höflich Kugel um Kugel in sich hineingeschaufelt, doch als sich ihr Gewicht fast verdoppelt hatte, blies Isabella die fünfzehn Kugeln einfach wieder heraus, als hätte sie ein Überdruckventil eingebaut.
Ein hübsches Überdruckventil, ist zu bemerken, meine erste Liebe: Isabella Calotti.
Isabella hatte das zweifelhafte Glück, im Kunstunterricht der zweiten Klasse meine Banknachbarin zu sein. So wohnte sie einigen meiner Versuche bei, das moderne Kunstgeschehen zu revolutionieren, indem ich in jeder Unterrichtsstunde etwas zu Papier brachte, das nicht mal im Entferntesten an die Arbeitsaufgabe erinnerte. Irgendwo war bei mir zwischen Hirn und Hand der Informationsfluss abgerissen. Sollte ich einen Vogel malen, kam dabei ein Hund mit fünf Beinen heraus, dessen Nase sich erstaunlicherweise auf seinem Rücken befand und der statt Federn ein Euter hatte. Meine malerischen Missgeburten erzeugten bei Isabella wahrscheinlich Mitleid, und einen besseren Nährboden für die aufkeimenden Gefühle eines dicken Kindes konnte es gar nicht geben.
Sie war winzig klein, hatte Rehaugen und ungebändigtes, schwarzes Haar, das sie stets mit einer türkisfarbenen Spange im Zaum hielt. Alles an Isabella Calotti war türkis, ihre Haarspange harmonierte hervorragend mit ihrem türkisen Oberteil, ihren türkisfarbenen Leggins und ihren ebenso gefärbten Schuhen. Ich war spontan verliebt, vielleicht auch, weil es keine absurdere Paarung gegeben hätte als mich und Isabella, einem feingliedrigen Wesen mit schmalen Gelenken, und mir, einer abgeschminkten Cindy aus Marzahn.
Isabella Calotti, meine erste Liebe, die endete, bevor sie begann, weil ich meine Angebetete ins Koma laberte und sie dabei mit Eis vollstopfte. Wahrscheinlich hätte ich nicht auf meinen Vater und Onkel Willi hören dürfen, dachte ich, während Isabella verzweifelt nach einem Taschentuch suchte.
Ich hätte es besser wissen müssen, das einzige Mal, dass ich Onkel Willi im Umgang mit Frauen erlebt hatte, endete damit, dass die Polizei kam und ihn leicht verstört auf den Rücksitz des Einsatzwagens bugsierte. Meinen Vater und seine Beteiligung an dem Desaster übersah man wie immer, da er ja ein kleines Kind an der Hand hatte und kaum in solch absurde Vorfälle verwickelt gewesen sein konnte. Doch er war darin verwickelt gewesen, und im Nachhinein war ich mir nicht sicher, ob er die Möglichkeit, dass Onkel Willi bei seinem Flirtversuch in Einzelhaft landen könnte, nicht ernsthaft mit eingeplant hatte.
Wilfried wusste einfach nichts mit Frauen anzufangen, und warum er überhaupt nach einer suchte, erschien selbst mir neunjährigem Pimpf schleierhaft. Vielleicht hatte er im Fernsehen einige dieser obskur glücklichen Medienpaare gesehen, wie sie ihre innige Nähe vor der ganzen Welt demonstrieren und sich dann wenige Monate später wegen »unüberbrückbarer Differenzen« trennten. Onkel Willi erlebte immer nur »unüberbrückbare Differenzen«, bloß der erste Teil der Beziehung kam nie zustande.
So auch bei Gundula Götze, der Abteilungsleiterin Wissenschaft eines Traditionsbuchhandels aus der Fußgängerzone. Gundula war ein so unscheinbares Wesen, sie hätte sich im Baumarkt einfach neben die graue Raufasertapete stellen können und wäre dann verschwunden. Nichts an ihr hatte Farbe oder auch nur die kleinste Tendenz zur Spannung, ein menschliches Fernsehtestbild, moderiert von Frank Elstner. Sie war perfekt für Onkel Willi.
Dies musste er auch selbst festgestellt haben, als er wieder einmal ein paar Stunden in der Buchhandlung herumgegeistert war und sich Fachliteratur über Gartenzwerge angeschaut hatte. Gundula Götze war ihm aufgefallen, weil sie so energisch den Warenscanner in die Buchrücken rammte, als wollte sie eine Mastsau aus dem Leben pflocken.
Wilfried stellte sich in die Schlange vor ihrer Kasse und wartete, bis sein Buch namens »Die Geschichte des Gartenzwergs« von Gundula bearbeitet wurde. Sie schlug den Scanner fast durch den Buchrücken, was Wilfried mit einem »Sie machen das aber gut« quittierte. Die anderen Kunden waren nicht so erheitert, dass die frustriert aggressive Gundula ihnen eine Bügelfalte ins Buch kloppte, doch Onkel Willi war entzückt und stellte sich gleich noch einmal an. Dieses Mal kaufte er ein Buch über Meditation für Reizdarmpatienten, welches er einfach von einem Stapel gegriffen hatte. Gundula pflockte erneut, und er stellte sich wieder an. Nachdem er fast den gesamten Buchbereich um die Kasse herum leer gekauft hatte, neigte sich der Arbeitstag von Gundula dem Ende zu und sie registrierte noch immer in keinster Weise, dass der irgendwie eigenartige Mann mit den halb offenen Augen und den Spuckefäden im Mundwinkel vielleicht gar nicht so interessiert an der Literatur über Yoga und Zen-Meditation war.
Am nächsten Tag klagte Wilfried meinem Vater sein Leid und schilderte ihm seinen aufregenden Nachmittag in der Buchhandlung. Er hätte die scannerhackende Gundula wahrscheinlich weniger szenisch eingeführt, wenn er gewusst hätte, welch unheilvolle Kette an Ereignissen er damit in Gang setzte und dass er in der Folge fast im Gefängnis landen sollte – wobei ich bei allem der Augenzeuge war.
Mein Vater hatte eine paradoxe Mischung aus Samaritersyndrom und Teufel in sich, die im Zusammenspiel mit dem leichtgläubigen Wilfried immer wieder Katastrophen heraufbeschwor. Einmal erzählte er Wilfried, dass das Hans-Sachs-Haus, das einzige Veranstaltungszentrum in Gelsenkirchens Innenstadt, für eine unbekannte Summe an Steuergeldern von Christo verhüllt worden sei, weil die Documenta 1989 in Bulmke-Hüllen stattfinde. Nicht nur die Documenta war gelogen, die paar trinksüchtigen Erwerbslosen, die in Bulmke-Hüllen versauerten, brauchten viel, aber keine Kunstausstellung. Nein, auch das Hans-Sachs-Haus war nicht von Christo, sondern von einer Gerüstbaufirma verhüllt worden, die Fassade befand sich ganz einfach in der Renovierung. Wilfried nahm die Sache todernst und ging in Streik, fast einen Monat lang stand er tagsüber in der Novemberkälte und protestierte gegen die Verschwendung von Steuergeldern, während mein Vater sich klammheimlich kaputtlachte und wir Willi zeitweise etwas Hühnerbrühe brachten.
Auf dem gleichen Misthaufen aus Leichtgläubigkeit und Naivität war auch das nächste Projekt meines Vaters gewachsen, das pragmatisch »Frau für Willi« lautete. Mein Vater war sicherlich nicht der richtige Ratgeber, wenn es darum ging, eine Frau kennenzulernen. Zwar war er durchaus nicht unattraktiv (manche behaupten sogar, er sähe Pierre Brice ähnlich, ich würde das bestätigen, allerdings nur von hinten und aus 200 Metern Entfernung), aber er wusste, ähnlich wie Wilfried, nur wenig mit dem weiblichen Geschlecht anzufangen. Ja klar, er hatte meine Mutter rumbekommen und war damit schon weit erfahrener als Wilfried. Trotzdem war mein Vater nicht sehr geschickt im Umgang mit seinen Kolleginnen, und auch der kleine Kreis von Schülermüttern, die ihn klammheimlich anhimmelten, wurde mit dem gleichen rheinländischen Pragmatismus bedacht wie der Rest der Welt.
Wir saßen im strammen Herbstwind im Park, als Onkel Wilfried begann, mir und meinem Vater von Gundula zu erzählen. Sie sei die schönste Frau, die er je gesehen habe, was schon damals auf aufkeimenden Irrsinn oder eine beachtliche Sehschwäche hindeutete. Zu sagen, Gundula Götze sei schön, war ein ebenso großer Fehlgriff, wie zu behaupten, sich die Hornhaut des Dalai Lama aufs Käsebrot zu hobeln, sei appetitlich.
Willi war verliebt, und immerhin handelte es sich bei dem Ziel seiner Begierde um einen Menschen, und das war, nachdem er meinem Vater einst begeistert einen »Stern«-Artikel gezeigt hatte, in dem eine Frau eine langjährige Beziehung zu ihrem Toaster pflegte, fast schon überraschend.
Gundula sei eindeutig eine »Eins«, wertete Wilfried, er hatte sich irgendwann im Referendariat angewöhnt, alles in Notensysteme einzuordnen, was zwar menschenverachtend, aber irgendwie pragmatisch war. Leider offenbarte er den Betreffenden sein Notensystem auch immer direkt, was nicht selten zum Eklat führte. Bei uns zu Hause am Esstisch hatte er meiner Mutter einmal offenbart, dass ihre Suppe höchstens eine »Vier plus« sei, schlecht gewürzt, mit kloakenartiger Konsistenz und zu wenig Liebe gekocht, um in höhere Wertungsregionen vorzustoßen. Mein Vater würgte fast den Löffel mit herunter und machte Willi hinter dem Rücken meiner Mutter »Kopf ab«-Gesten, aber bildliche Signale wie diese gingen an Onkel Willi gänzlich vorbei. Als meine Mutter nachfragte, was Wilfried mit »Vier plus« meinte, erläuterte er ganz sachgemäß sein Notensystem und schob, um die Situation erfolgreich in einem atomaren Supergau enden zu lassen, noch hinterher:
»Das Gleiche gilt auch für Frauen, du bist beispielsweise eine Drei minus, deine Haut ist von der Sonnenbräune welk geworden und deine frühere Schönheit ist über die Jahre immer mehr verloren gegangen, vielleicht lag es an den Geburten, vielleicht hast du dich auch einfach gehen lassen. So oder so, für höhere Wertungsregionen bist du ungeeignet, Ingrid, ich empfehle plastische Chirurgie«, schlug Wilfried verbal noch ein paar Nägel in seinen Sarg.
Ich war erst neun und musste lachen. Meine Mutter nicht. Erst blieb sie relativ ruhig, aber eine solche Empfehlung von jemandem zu empfangen, der selbst wie eine Mischung aus einem westfälischen Protestschwein und Karl Dall aussah, immer mit offener Hose am Ententeich saß und das Haus nur über das Wohnzimmerfenster verließ, kränkte ihren Stolz doch zu sehr. Der Teller Suppe landete an der Zimmerwand und Wilfried vor der Haustür. Er bekam vorläufig Besuchsverbot, was dazu führte, dass er eine ganze Weile wie ein geprügelter Hund an unserem Gartenzaun wartete, wenn er meinen Vater und mich abholen wollte.
Wir waren schon ein eigenartiges Trio, ein Paranoiker, ein hämisch grinsender Studienrat und ein Zwerg mit einer Mütze, aus der sich zwei pinke Schweineöhrchen hervorschoben. Selbst die Enten schienen uns mit einer gewissen Skepsis zu betrachten, besonders den dicken Mann mit der offenen Hose, der sich vor sie setzte und ihnen das trockene Brot wegfraß.
»Weißt du, Wilfried, wenn du diese Gundula wirklich kennenlernen willst, helfe ich dir natürlich!«, stellte mein Vater mit einem so ungewöhnlichen und wenig vertrauenerweckenden Altruismus fest, dass sogar die Enten kurz schlucken mussten.
»Diese Enten sind auch nur eine Vier, irgendwie plump und dumm«, stellte Wilfried fest. Wir nickten, ich war jedoch nicht sicher, ob die Enten von uns allen nicht womöglich die größte Menschenkenntnis vorzuweisen hatten.
Ein paar Tage später standen wir vor der Buchhandlung, ich hing an der Hand meines Vaters, Wilfried hatte seinen feinsten Anzug angelegt und sah aus wie ein bulgarischer Autoschieber auf Brautschau. Mein Vater nannte uns »Komplizen«, und ich fand das gut, auch wenn ich nicht wusste, was es bedeutete. Es war ein kühler Montagnachmittag, meine Mutter brauchte ihre Ruhe und schickte mich und meinen Vater auf den Spielplatz. Wenn sie gewusst hätte, dass der Tag mit einem Polizeieinsatz enden würde, hätte sie sich vielleicht anders entschieden.
Zuerst betrat ich den Buchladen, so wie es der mehrstufige Masterplan meines Vaters vorsah. Ich nahm zielsicher ein Buch aus dem Regal, präparierte es und stellte mich an die Kasse, an der Gundula Götze die Bücher totschlug. Als ich an der Reihe war, blätterte ich die erste Seite auf, legte das Buch auf die Kasse und zeigte mit meinem kleinen Finger auf die Mitte des Blattes. Dort stand in einer sehr serifenreichen Schrift:
»Frau Götze, wollen Sie Ihr wahres Glück finden? Treffen Sie mich vor dem Buchladen um 18 Uhr! Gezeichnet: Der Unbekannte.«
Gundula Götze las die Nachricht, die Worte flossen geradezu durch ihren riesigen Kopf und kitzelten den letzten Rest an Leben heraus, der sich in ihr versteckt hielt. Sie sah den kleinen Jungen mit der Schweinemütze an, und ein Lächeln entstellte ihr Gesicht. Der Junge mit der seltsamen Mütze drehte sich um und ließ das Buch an der Kasse liegen.
Punkt 18 Uhr stand Wilfried vor der Buchhandlung, er hielt eine Rose in der Hand, die langsam im kalten Wind ihren Kopf senkte. Um 18 Uhr schossen die Leute wie getriebenes Vieh aus dem Buchladen, denn in guter westfälischer Tradition waren Kunden ab Ladenschluss nur noch störender Ballast, der vertrieben gehörte wie Filzlausbefall. Am Ende der Menschenmenge stand Gundula Götze und blickte unsicher aus dem beleuchteten Fenster der Buchhandlung. Die Menschenmenge löste sich schnell auf, und übrig blieb nur noch Wilfried, der dastand, als würde ihm gleich die Ehrendoktorwürde verliehen. Sein blockartiger Kopf war hochrot geschwollen, die Rose in seiner Hand weinte Blütenblätter. Gundula trat durch die Tür, ein leichter Nieselregen setzte ein, ich verbarg mich unter dem Jackenzipfel meines Vaters. Wir standen an einem Mauervorsprung gegenüber.
Komplizen.
Mein Vater hatte Wilfried klare Instruktionen erteilt, was er wie zu sagen hatte. Wichtigstes Element war: »Lass sie nicht zu Wort kommen, erzähl erst mal was, dein Charme macht dann den Rest.« Die Wahrheit war, dass Onkel Willi den Charme eines übernächtigten Lkw-Fahrers hatte, der ein Gesicht auf seine Thermoskanne voller Schweinemett malt. Charme war sicherlich nicht seine Geheimwaffe, also verließ er sich auf den ersten Hinweis meines Vaters und fing einfach an, ohne Unterlass zu reden.
»Frau Götze, wie schön, dass Sie da sind. Mein Name ist Wilfried, Wilfried Schmitt, ich denke Sie kennen mich. Ich möchte Ihnen heute ein Angebot machen, das Sie nicht abschlagen können. Ich liebe Sie, ja wirklich, ich liebe Sie so sehr. Mit welcher ausgenommenen Zärtlichkeit Sie die Bücher kassieren, wie Ihnen immer ein kleines Lächeln bei schlechten Romanen über das Gesicht huscht und wie Sie Ihren Kaffee trinken, schwarz wie der Po eines arabischen Hengstes. Sie sind wirklich eine glatte Eins.«
Gundula Götzes Mund öffnete sich, doch bevor sie Wilfrieds absurdes Gebrabbel erwidern konnte, holte er einen Gegenstand aus seiner Jackentasche, wegen dem er in jedem amerikanischen Film versehentlich von der Polizei erschossen worden wäre.
»Hier ist das Liebesthermometer, und wie Sie sehen können, steht es derzeit auf ›Brennende Herzen‹, was daran liegt, dass ich es in der Hand halte. Ich würde Sie bitten, dass Sie es auch mal in die Hand nehmen, dann können wir rein empirisch Ihre Gefühle für mich einschätzen.«
Mein Vater musste lachen, als er sah, wie Wilfried mit dem seltsamen Ding hantierte. Er hatte ihm aus einem Scherzartikelgeschäft das »Liebesthermometer« beschafft, weil Willi darauf bestanden hatte. Mein Vater musste sogar so lachen, dass die Jacke verrutschte, die er im Regen über mich gespannt hatte.
Gundula Götze reagierte nicht, wie es Wilfried erhofft hatte, sie verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, woraufhin der gläserne Phallus in seiner Hand fast zu Boden fiel.
Wilfried regte sich schrecklich auf, sein roter Kopf schien zu bersten, dann schrie er ihr, bevor sie sich im Buchladen einschloss, laut hinterher:
»Aber Frau Götze, bitte seien Sie doch nicht so, fassen Sie bitte an mein Liebesthermometer.«
Frau Götze aber rief die Polizei, die kurz darauf einen Mann festnahm, der immer noch laut wehklagend vor dem Buchladen stand und mit dem riesigen Dildo in seiner Hand herumfuchtelte.
Mein Vater und ich gaben unsere Komplizenrolle spontan auf und wurden zu Beobachtern von Wilfrieds Verhaftung. Wie er da traurig auf dem Rücksitz saß, immer noch das Liebesthermometer in der Hand, und uns durch die Panzerglasscheiben ansah wie ein Goldfisch im Mixer, das tat sogar meinem Vater leid. Er brüllte gegen das blanke Glas: »Wir besuchen dich, Wilfried!« Bei jedem Zurechnungsfähigen hätte eine solche Aussage Wut hervorgerufen, Wilfried winkte nur und lächelte.
»Das ist nicht gut gelaufen«, konstatierte mein Vater nüchtern, während der Polizeiwagen durch die Fußgängerzone davonholperte. Der Regen wurde stärker, und ich verbarg mich abermals unter seiner Jacke.
Dass das mit Isabella Calotti nicht gut gehen konnte, ist im Nachhinein also keine Überraschung, denn ich war ebenso wie Onkel Willi schlecht beraten: Ausgerechnet auf meinen Vater hatte ich gehört, den Eros der Lehrerzimmer. Er hatte mir den im Nachhinein leicht als völligen Irrsinn enttarnbaren Plan offeriert, ich solle Isabella einfach eine möglichst große Menge Eis kaufen und dann so lange auf sie einreden, bis sie sich freiwillig ergeben würde. Bis auf den minimalen Unterschied, dass aus »ergeben« dann »übergeben« wurde, ging der Plan meines Vaters ja sogar auf.
Ich hatte ihr also fünfzehn Kugeln bestellt und der verdutzten Bedienung siegessicher zugenickt. Dann hatte ich gewartet, bis der riesige Eimer voll Eis angeliefert wurde. Isabella begann, von einer absurden Höflichkeit erfüllt, zu essen, und ich sprach in einem nicht enden wollenden Wortschwall einfach von allem, was mich so beschäftigte.
Da mein Wahrnehmungskosmos mit neun Jahren jedoch relativ beschränkt war, erzählte ich Isabella engagiert, aber erfolglos von meinen Wrestlinghelden, von David Hasselhoff und dem A-Team. Während sie mich anschaute, als würde ich auf Hebräisch über Schlagbohrer philosophieren, hatte ich das Gefühl, sie sei tatsächlich gebannt von meiner Erzählung. Etwa dreißig Minuten und sieben Eiskugeln später sah Isabella Calotti aus, als hätte sie eine Darmspülung mit Tabasco hinter sich. Ihr Gesicht wechselte im Sekundentakt die Farbe, und ihre Mimik war am besten als bizarr zu bezeichnen. Plötzlich, ich redete mittlerweile von meiner Leidenschaft für die »Teenage Mutant Hero Turtels«, die für Mädchen damals ähnlich unnachvollziehbar waren wie heute eine Folge »Sex and the City« für einen albanischen Kartoffelbauern, explodierte mein italienisches Date vor mir und schleuderte eine Soße aus waldmeisterfarbenem Mageninhalt über den Tisch.
Als ich am Abend nach Hause kam, stand mein Vater schon erwartungsvoll im Hausflur und hoffte auf ein positives Fazit meines ersten romantischen Kontakts zur Frauenwelt. Wahrscheinlich hatte er die Hoffnung, ich würde glückstrunken in seine Arme fallen und ihm für seinen genialen Plan danken. Stattdessen passierte ich ihn wortlos und ging mit gesenktem Kopf in mein Zimmer. Kurz bevor ich die Tür schloss, hörte ich ihn abermals resümieren: »Das ist nicht gut gelaufen.« Ich dankte Gott dafür, dass ich anders als Onkel Willi immerhin die Nacht nicht in einer Arrestzelle verbringen musste.