A wie Anahronismus

Mein Vater ordnete gerade generalstabsmäßig die Spielsteinchen, da klingelte es an der Tür, und als ob die Situation nicht sowieso schon absurd genug gewesen wäre, trat ein weiterer Geist aus meiner Vergangenheit ins Wohnzimmer. Onkel Willi. Im Gegensatz zu früher hatte er immerhin die Hose zu und war ohne Polizeiaufgebot erschienen. Onkel Willi tapste wie ein Tanzbär herein, er trug immer noch das Autoschieber-Jackett, mit dem er die Buchhändlerin Gundula Götze damals in die Flucht geschlagen hatte. Doch ein anderes Opfer hatte sich davon anscheinend nicht abschrecken lassen, denn eine Frau, die mindestens ebenso unbeholfen wie er selbst durch die Tür wackelte und ein breites Grinsen im Gesicht trug, stand nun Händchen haltend neben ihm.

»Hallo Bastian, ich bin die Regina, freut mich«, stellte sie sich vor und klang wie ein kanadischer Holzfäller mit Keuchhusten.

Regina hatte nicht nur die Körperform, sondern auch die sonnige Ausstrahlung eines kleinen Buddhas. Sie hatte Wilfried vor ein paar Jahren im Park angetroffen, wie er da unsicher die Enten anstarrte, und sich sofort in ihn verliebt. Wilfried wollte die Sache langsam angehen lassen, deshalb heirateten sie erst nach einer Woche. Sie war die Erfüllung all seiner Träume, sein Nirwana. Eine liebevolle und verständnisvolle Frau, die zumindest so weit einen Schlag hatte, dass sie sich in einen schrägen Vogel wie ihn verlieben konnte.

Auch Wilfried war anscheinend in dieser Ehe aufgeblüht und war mit Regina in ein kleines Reihenendhaus gezogen, in dem er sich statt um seine Wahnvorstellungen jetzt um ihre Katzen kümmern konnte.

Wilfried gab mir einen Händedruck, der sich nach einem rohen Schnitzel anfühlte, setzte sich an den Tisch und fing sofort an, seine Spielsteine ebenso akribisch zu ordnen wie mein Vater.

»Und du bist jetzt wieder hier?«, fragte er und starrte dabei auf seinen Haufen Steinchen.

»Ja, er hat abgebrochen …«, triumphierte meine Mutter. Sie stellte ein paar Bier auf den Tisch.

»Was abgebrochen?«, fragte Regina.

»Lehramt«, antworteten meine Eltern gleichzeitig, anscheinend konnte man dieses Wort nur vorwurfsvoll aussprechen.

»Vielleicht auch besser so«, sagte Willi und schaute meine Eltern an. Nach seinen Erfahrungen als gepiesackter Mathelehrer das einzig nachvollziehbare Fazit.

»Haben wir auch gesagt«, nickte mein Vater.

 

»Ich fange an«, sagte Regina und legte »F-R-O-H-
S-I-N-N«. Sie unterbrach damit ziemlich geschickt den Dialog, der zu einer mittelschweren K-R-I-S-E meinerseits geführt hätte.

»Zuerst die Einsätze bitte!«, forderte mein Vater auf. Kaum zu glauben, aber meine kreuzbiederen Eltern waren wahrhaftig zu Zockern geworden. Er legte ohne zu zögern einen Zehn-Euro-Schein auf den Tisch.

Es hatte sich wohl doch einiges verändert.

Dann holte Onkel Willi vier dicke Rollen mit Zehn-Cent-Münzen aus seiner Tasche.

Nun ja, nicht alles.

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