Der Biologielehrer

Biologielehrer sind wohl die Lehrkräfte, die am leichtesten zu identifizieren sind. Sie wirken im Schulalltag immer ein wenig deplatziert, die asbestverseuchten Schulgemäuer, die sich wie trostlose Leichensäcke aus Granit in das Stadtbild legen, sind für den naturverbundenen Biologielehrer wie ein Gefängnis, denn schließlich hat er sein Studium ursprünglich begonnen, um Schülern die Schönheit unserer Natur zu vermitteln. Über die Jahre ihres Beamtendienstes beginnen die Biologielehrer ein eigenartig eremitenhaftes Leben, sie bilden eine Art pädagogische Subkultur innerhalb der Schule, die so weit von der nikotingetränkten Resignation des sonstigen Lehrkörpers entfernt ist wie David Hasselhoff heutzutage vom Charterfolg. Während die anderen Lehrer den Rückzugspunkt Lehrerzimmer festungsartig ausbauen, zieht es den Biologielehrer in die Natur, notfalls kann selbst der Beobachtungsposten vor dem Schimmelwuchs im warmen Kellergewölbe der Schule als Zufluchtsort vor dem Unterrichtsalltag dienen. Da hockt er nun, der gemeine Biologielehrer (lat. Biologis pädagogicus), umringt von seinen in Formaldehyd eingelegten Wegbegleitern namens Opossum und Wabenkröte, und betet für ein schnelles Verstreichen seines vierzigjährigen Schuldienstes. Viele Biologielehrer befriedigen autodestruktive Tendenzen durch das Heranzüchten von Tieren, die sie dann mit einer besorgniserregenden Genugtuung an noch größere Tiere verfüttern. Ich erinnere mich, dass eine sympathische, aber verblendete Mitschülerin von mir unserem Biologielehrer Dr. Bommelheim einmal einen Pappkarton voller Hühnerküken entriss, die eigentlich in die Fänge seiner Schmucknatter Jutta sollten, und mit diesen aus dem Schulgebäude flüchtete. Was aus den Küken wurde, ist Hörensagen, als ich die sympathische Mitschülerin ein paar Jahre später wieder traf, führte sie jedenfalls keine Gruppe erwachsener Hühner mit sich.

Männliche Biologielehrer haben oft etwas Einsiedlerhaftes. Unser Lehrer Dr. Bommelheim lebte in einer Holzhütte im Wald, wusch seine Kleidung in den kalten Strömen eines Bachs und produzierte seinen eigenen Käse. Nebenbei roch er, als würde er sich vor dem Schlafengehen selbst in Formaldehyd einlegen, dazu passend trug er stolz einen grauen Rauschebart vor sich her, der am Saum schon vom Rauch selbst gedrehter Bantam-Zigaretten vergilbt war. Dass keine Frau sein Bett teilte, überraschte wenig, jedoch schien er auch an seiner eigentlichen Lebensaufgabe, dem Lehrerdasein, bemerkenswert wenig Interesse zu haben. Eigentlich zeigte er uns nur Super-8-Schmuddelfilmchen aus den Siebzigern, die wohl unsere längst erfolgte Aufklärung herbeiführen sollten. Während er in einem Hinterzimmer des Klassenraums selig Schmetterlinge mit Ammoniak vergiftete, sahen wir Heiner Lauterbach (noch mit Haaren auf dem Kopf!) dabei zu, wie er sich in verschiedenen Stellungen im »Schulmädchenreport 6« abmühte. Dieses Szenario beschreibt nicht nur relativ passend den Rahmen, in dem ich das erste Mal Sexualität tatsächlich zu sehen bekam, nämlich in Form eines dümmlich schwitzenden Heiner Lauterbach, sondern auch, wie der Biologielehrer seiner schulischen Tätigkeit nachgeht: Mit einer gewissen Gleichmütigkeit klärt er Kinder über Sexualität auf, während er selbst keine hat, und verbringt die restliche Zeit damit, lebendige Tiere in den Zustand der Unvergänglichkeit zu versetzen, indem er sie zunächst vergiftet und dann fein säuberlich präpariert.

Dr. Bommelheim war auch in seinem restlichen Verhalten ein Kuriosum in der Lehrerwelt. Seine Außenkontakte beschränkten sich auf die regelmäßige Pflege des Schulgartens, den er mit Leidenschaft umpflügte und mit neuen, exotischen Pflanzen bestückte. Da der Schuletat knapp war und der Schulgarten nicht gerade Priorität hatte, konnte er allerdings vom schmalen Monatsgeld nur das Nötigste kaufen, was bedeutete, dass der Schulgarten eigentlich nur aus unansehnlichen Unkrautgewächsen bestand, zwischen denen ein dicker, bärtiger Dr. Bommelheim schwitzend Löcher grub. Die Schulgarten AG musste nach relativ kurzer Zeit aufgelöst werden, weil einige engagierte Schüler asthmatische Allergieanfälle bekamen und wild prustend aus dem Gestrüpp gerettet werden mussten. Es kam heraus, dass Dr. Bommelheim eigentlich nur hochgiftige oder zumindest schwer allergene Pflanzen ausgesät hatte, zwischen Fingerhut und Brennnesseln fand sich sogar eine Kolonie Herkulesstauden, die jeden Schüler, der versuchte, sie zurückzuschneiden, in ein rot geschwollenes Ballontier verwandelten. Dr. Bommelheim hatte einen Dschungel des Todes direkt neben dem Schulhof herangezüchtet, selbst die dümmlich gurrenden Tauben vermieden es, in dieser Giftküche zu landen. Nachdem sich einige besorgte Eltern beschwert hatten, kam eine ganze Delegation von Stadtangestellten und brannte den Schulgarten auf richterlichen Beschluss mit Flammenwerfern nieder.

Weibliche Biologielehrer(innen) sind eher eine Splittergruppe. Während meiner Schulzeit habe ich nur wenige Exemplare dieser Spezies angetroffen, die sich von Fall zu Fall jedoch so sehr voneinander unterschieden, dass eine allgemeine Beschreibung schwierig erscheint. Sie wirkten auf mich jedoch ungemein weniger lebensfremd als die männlichen Biologielehrer, die so unbeholfen durch ihr Leben torkeln wie ein Blinder durch den Streichelzoo. Biologielehrerinnen sind entweder verblendete Ökoaktivistinnen, die an den nördlichen Stränden dieser Welt den Robben das Öl aus dem Scheitel kneten oder mit Greenpeace-Schiffen japanische Walfänger attackieren. Oder sie sind sonnenbankgebräunte Schicksen mit rot lackierten Fingernägeln, die Tiere höchstens schützen, indem sie das Leder ihrer Stilettos imprägnieren.

Abschließend lässt sich sagen, dass der Biologielehrer im Schulalltag eher eine bemerkenswerte Randerscheinung ist, da er sich in seinem Verhalten und seinen Bedürfnissen deutlich von den anderen Lehrern abhebt.

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