8

Fünf Tage lang rief Greg jeden Abend an und hat, sie sehen zu dürfen. Jenny blieb bei ihrem Nein, höflich, aber entschieden, und es fielen keine bösen Worte mehr. Jenny sagte, sie wolle für ein Weilchen allein sein, und je klarer sie sich selbst über diesen Wunsch wurde, desto überzeugender wirkte sie auf Greg. Sie war froh, daß er sein Bankkonto in Rittersville hatte und nicht auf ihrer Bank in Humbert Corners; selbst durch das Gitter des Bankschalters hindurch wollte sie ihn nicht sehen. Zehn Tage vergingen, auch Gregs Geburtstag, zu welchem ihm Jenny eine nette, aber keineswegs ermunternde Glückwunschkarte schickte. Sie war überrascht und dankbar, daß er nicht mehr draußen bei ihr auftauchte. Sie nahm an, er wartete darauf, daß sie sich immer einsamer fühlen würde, so ganz allein in ihrem abgelegenen Haus, bis sie dann in ein paar Wochen nur zu dankbar sein würde, wenn er wiederkäme.

Wenn sie an Robert dachte, gab es ihr einen leichten, schmerzhaften Stich, der fast sofort wieder verschwand, und dann stiegen Bilder vor ihren Augen auf: Robert, adrett und gepflegt im Restaurant bei Kerzenlicht; Robert, wie er zögernd den Skiabhang hinunterspähte; Robert, in Hemdsärmeln im Wohnzimmer umherschlendernd; und dann Robert, wie sie ihn zum letztenmal gesehen hatte — nervös im Zimmer auf und ab gehend.

Doch die aufregendste Erinnerung an ihn war das Bild, wie er im Feuerschein vor ihrem Haus gestanden hatte — damals noch ein Fremder. Sie fürchtete sich durchaus nicht vor diesem Erinnerungsbild, und der Gedanke, daß die meisten Menschen an ihrer Stelle Angst gehabt hätten, erschien ihr ganz und gar abwegig. Die meisten Menschen wußten nichts vom Leben, aber sie spürte, daß sie auf dem richtigen Weg war. Sie war nicht so negativ eingestellt wie so viele. Möglich, daß ihre Verbindung mit Robert zu Ende war, das war dann eben nicht zu ändern, doch es war ebensogut möglich, daß ihnen beiden noch etwas anderes vorbestimmt war, Gutes oder Böses.

Und vielleicht verhielt sie sich zu passiv, wenn sie jetzt nicht den Versuch machte, wieder mit ihm in Verbindung zu kommen.

Eines Abends, gegen neun, rief sie Roberts alte Nummer in Langley an. Vermutlich würde ihr die Vermittlung mitteilen, daß der Apparat abgemeldet war. Oder es meldete sich ein Fremder, der Roberts Nummer bekommen hatte.

»Die Nummer ist außer Betrieb«, sagte die Vermittlung. »Wünschen Sie die neue Nummer?«

»Ja«, sagte Jenny.

»Ach, tut mir leid. Wir dürfen Ihnen diese Nummer nicht geben. Es ist eine Privatnummer.«

»Sie meinen, in Langley? Für Robert Forester?«

»Ja, es ist eine Nummer in Langley, aber eine Privatnummer.«

»Vielen Dank.«

Greg weiß nicht, daß Robert noch in Langley ist, dachte Jenny. Greg hatte sie vor zwei Wochen angerufen und ihr triumphierend mitgeteilt, daß Robert die Stadt verlassen habe, aber das hatte er wahrscheinlich aus dem Umstand geschlossen, daß der alte Anschluß nicht mehr existierte. Vielleicht hatte die Vermittlung Greg nicht gesagt, daß Robert eine Privatnummer hatte. Sie konnte Robert im Büro anrufen, denn vermutlich arbeitete er noch dort. Mit diesem Gedanken ging sie zu Bett, obwohl sie wußte, daß sie sich bei Tageslicht eines Besseren besinnen und zu dem Schluß kommen würde, daß es falsch wäre, ihn anzurufen.

Am nächsten Morgen um elf rief sie ihn an. Sie verließ die Bank während der Kaffeepause unter einem Vorwand. Sie sprach mit zwei anderen Angestellten, bevor Robert an den Apparat kam.

»Hallo, Robert. Wie geht es Ihnen?« fragte sie.

»Gut, danke. Und Ihnen, Jenny?«

»Ich habe erst gestern abend erfahren, daß Sie noch hier sind.« Sie preßte den Hörer fest ans Ohr. »Ich hatte Ihre alte Nummer angerufen.« All die un verbindlichen Liebenswürdigkeiten, die sie ihm sagen wollte, waren wie weggeblasen.

»Ja, ich bin umgezogen. Ich habe ein Haus gemietet.«

»Geht es Ihnen wirklich gut?«

»Ja, natürlich. Besser als letztes Mal , als Sie mich gesehen haben.«

»Sind Sie jetzt geschieden?«

»Ja, das bin ich.«

»Robert, es tut mir so leid, daß Greg Sie angerufen hat. Ich muß mich anscheinend dauernd für ihn entschuldigen.«

»Ach, das ist doch schon so lange her. Über einen Monat, nicht? Ich wünschte nur, er hätte nicht in New York angerufen.«

»Dafür habe ich ihm auch ganz schön die Hölle heiß gemacht. Ich habe ihn nicht mehr gesehen seit dem Tag, als er uns beim Essen überfallen hat.« Sie schwieg. Gerne hätte sie gefragt, ob sie sich jetzt, da er geschieden war, nicht einmal sehen könnten. Es fiel ihr ein, was er damals gesagt hatte, daß er sie so gerne durchs Küchenfenster beobachtet hatte. Genauso erging es ihr jetzt mit ihm. Nur sehen wollte sie ihn.

»Ich muß gehen, Jenny. Vielen Dank für den Anruf.«

Sie hatte aufgehängt, noch ehe es ihr recht zu Bewußtsein kam. Sie machte sich Vorwürfe, daß ihr das mit der Scheidung herausgerutscht war; sie hätte eigentlich nichts davon wissen dürfen. Es hatte Robert in Verlegenheit gebracht, das hatte sie gespürt. Und Robert interessierte sich nicht im geringsten für die Tatsache, daß sie Greg nicht mehr gesehen hatte.

Als Jenny kurz nach halb fünf mit der Arbeit fertig war, fuhr sie nach Langley. Die Sonne ging unter, und es wurde langsam dämmerig, Langlev Aeronautics machten um fünf Uhr Feierabend, überlegte sie, und zugleich war sie sich klar darüber, daß es hoffnungslos war, Roberts Wagen unter den Hunderten von Autos herausfinden zu wollen. Doch er würde da sein, irgendwo, vielleicht eine Viertelmeile von ihr entfernt, vielleicht auch viel näher. Der Parkplatz von Langley Aeronautics sah aus wie einer von den Plätzen, wo Gebrauchtwagen ausgestellt waren, an denen sie vorübergekommen war. Sogar ein Polizist stand da, der den Verkehr durch die riesigen Gittertore regelte. Und es gab mindestens sechs Ausgänge. Robert fuhr ein schwarzes Cabriolet mit Chromklammern, um das Verdeck herunterzuklappen. Solche Wagen sah man zwar nicht oft, aber das Gewühl hier war einfach unüberschaubar. Sie fuhr langsam an den Ausgängen vorüber, bis nur noch etwa zwanzig Wagen auf dem Parkplatz standen, doch Roberts Auto entdeckte sie nirgends. Schließlich fuhr sie nach Hause. Um sieben war sie bei den Tessers zum Essen eingeladen, aber sie freute sich kein bißchen darauf. Die Tessers glaubten, daß der Bruch mit Greg der Grund für ihr bedrücktes Wesen sei und versuchten immer wieder, sie ein wenig aufzuheitern. Von Robert hatte sie ihnen nichts erzählt. Vielleicht würde sie es heute tun. Irgend jemand mußte sie es erzählen.

Als sie die Tür öffnete, klingelte das Telefon, und sie hoffte schon, es sei Robert, aber es war Greg. An Washingtons Geburtstag fand im großen Saal in Langley ein Konzert statt, und Greg wollte sie dazu einladen. Sie dankte und lehnte ab.

»Wie lange soll das noch so weitergehen, Jenny? Ich hab dir jetzt über einen Monat Zeit gelassen. Was machst du eigentlich? Trauerst du Mr. Forester nach, oder was? Willst du ihm noch nach New York nachfahren?«

»Ich will, daß du mich in Ruhe läßt, Greg. Mehr nicht.«

»Mit wem steckst du denn die ganze Zeit zusammen? Mit Susie? Oder mit ihren Freunden?«

»Nein!«

»Na schön, mein Mädchen. Ich liebe dich. Aber manchmal habe ich den Eindruck, du verdienst eine gehörige Tracht Prügel. Ich lasse wieder von mir hören.«

Das war an einem Donnerstagabend gewesen, und am Sonntag bekam sie einen Brief von ihm. Vier Seiten lang und mit Maschine geschrieben, und er steigerte sich auf Seite vier zum Crescendo, wo er von ihrer Hartherzigkeit sprach, weil sie sich so lange schon weigerte, ihn zu sehen, und auf die übermenschliche Geduld hinwies, mit der er wie wohl kaum ein anderer an seiner Stelle auf sie eingegangen sei.

Am darauffolgenden Dienstagabend versuchte Jenny zum vierten- oder fünftenmal, Roberts Wagen vor dem Werk ausfindig zu machen, und entdeckte ihn schließlich. Er kam aus dem Tor gefahren und wandte sich nach Norden. Sechs andere Wagen waren zwischen ihnen, aber sie sah trotzdem, daß er nach einer halben Meile links in einen ungepflasterten Weg abbog, der aus der Stadt hinaus direkt aufs offene Land führte. Sie hielt sich ein gutes Stück hinter ihm, da sich jetzt keine Wagen mehr zwischen ihnen befanden. Sie wollte nur sein Haus sehen und wissen, wo es stand. Seine roten Schlußlichter bogen rechts ein, und der Wagen hielt. Im Licht der Scheinwerfer sah sie ein kleines Haus mit spitzem Dachgiebel. Sie verlangsamte ihr Tempo. Robert stieg aus, ließ seine Scheinwerfer brennen und ging auf das Haus zu.

Jetzt war sie fast an seiner Einfahrt angekommen und fuhr nun noch langsamer, getrieben von dem Verlangen, gesehen zu werden, angerufen zu werden. Die Einfahrt war nicht lang.

»Jenny?« rief er.

Sie bog in die Einfahrt ein und hielt. Sie beobachtete ihn, während er herankam. Er lächelte, überrascht, doch freundlich und gar nicht böse.

»Sie sind es also«, sagte er. »Ist was passiert?«

»Nein.«

»Nun, wollen Sie nicht aussteigen? Kommen Sie herein.«

Sie zog den Zündschlüssel ab, stieg aus und ging an seiner Seite auf das Haus zu. Der Eingang lag an der Einfahrt, die obere Hälfte der Tür bestand aus sechseckigen Glasscheiben. Die Säulen, auf denen das Dach der kleinen Veranda ruhte, waren in gekehlten Spiralen geschnitzt. Das Haus war schwarz und braun, mehr konnte sie nicht sehen, und auch das bemerkte sie kaum, so sehr war sie auf Robert konzentriert, und es fiel ihr nicht ein Wort ein, kein Wort der Entschuldigung, kein Scherzwort, nichts.

Er machte Licht. »Treten Sie ein. Ich komme sofort.« Er ging hinaus, um seine Scheinwerfer abzuschalten.

Das Zimmer wirkte wie der Saal eines mittelalterlichen Schlosses. Links befand sich ein Kamin, etwa drei Meter hoch, so daß man den Sims nicht als Sims benutzen konnte, und an der Wand stand eine offenbar aus der Shakespeare Zeit stammende Couch mit rotem Bezug. Das Schlafzimmer lag anscheinend oben an der Galerie, da das Wohnzimmer fast das ganze Erdgeschoß einnahm.

»Ein komisches Haus, nicht wahr?« sagte Robert lächelnd. »Aber mir gefällt’s.«

»Es ist fast wie aus einem Märchen.«

»Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«

Er hängte ihren Mantel neben seinen in einen Schrank und ging dann zum Kamin, wo fertig zum Anzünden Scheite lagen, die in dem riesigen Feuerloch seltsam winzig wirkten. Er hielt ein Streichholz an das Papier unter dem Holz und öffnete den Schieber. Dann schaltete er die Lampe auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers an und die Deckenbeleuchtung aus. Der Tisch war bedeckt mit Zeichnungen von Maschinenteilen.

»Nehmen Sie doch Platz. Möchten Sie etwas zu trinken?«

Sie setzte sich in einen Ledersessel vor dem Kamin.

»Aber Sie sind nicht gerade gesprächig heute abend.« Er ging in den Gang, der in die blaue Küche führte.

Sie folgte ihm. Die Küche war klein, aber sauber und ordentlich. Er holte Eis und maß den Scotch glasweise in Highballbecher. Zweimal warf er ihr über die Schulter einen Blick zu, der sie an damals erinnerte, als er zu ihr ins Haus gekommen war und sie, das mußte sie zugeben, ein klein wenig Angst vor ihm gehabt hatte, wenn sie ihn ansah. Jetzt lächelte er und schien glücklich. Er reichte ihr ein Glas, und sie gingen ins Wohnzimmer zurück. Sie bemerkte, daß er einen Plattenspieler besaß, darunter lag ein Stapel Langspielplatten.

»Das sieht ja aus, als hätten Sie sich hier für längere Zeit eingerichtet«, sagte sie. »Haben Sie einen Mietvertrag abgeschlossen?« Augenblicklich bereute sie ihre Frage. Sie nahm dreimal einen großen Schluck aus ihrem Glas.

»Ja, auf ein Jahr. Hundertfünfundzwanzig pro Monat, Heizung eingeschlossen. Nicht schlecht, finden Sie nicht auch?« Er sah sie lächelnd an. Er hockte auf einem Sitzkissen am Feuer.

»Sehr viel Platz haben Sie nicht«, meinte sie kritisch und sah hinauf zur Decke, die ein spitzes, umgekehrtes V bildete.

»Ich brauche ja nicht mehr. Ich freue mich, daß Sie vorbeigekommen sind. Es ist ein bißchen einsam hier draußen. Ganz anders als in einem Apartmenthaus.«

Sie fand, daß er ganz und gar nicht den Eindruck machte, sich einsam zu fühlen. Dann fiel ihr die Scheidung ein. »Es tut mir leid, daß ich von Ihrer Scheidung angefangen habe. Ich wußte es von Greg.«

Sein Lächeln erstarb, doch gleich kam es wieder. »Macht nichts, ich bin froh über die Scheidung. Und Nickie ist bestimmt noch viel glücklicher, also ist alles in Ordnung. Wie geht’s Greg? Haben Sie ihn wieder mal gesehen?«

»Ich sagte Ihnen doch, ich habe ihn seit dem Sonntag, an dem wir Skifahren waren, nicht mehr gesehen.«

»Aha.« Er legte ein neues Scheit aufs Feuer.

Jenny betrachtete die Bücherregale neben dem Kamin. Die meisten Bücher schienen neu zu sein. Viel Geschichte und Biographien. Er nahm ihr das Glas aus der Hand.

»Noch einen? Oder lieber nicht?«

»Ja, bitte noch einen.«

Der Alkohol stieg ihr schnell zu Kopf, er entspannte Sie und machte sie traurig. Möglich, daß ich etwas Falsches tue oder sage, dachte sie, was Robert mißfällt, und daß er mich dann niemals wiedersehen will. Sie merkte, daß Robert besorgt war, weil sie immer stiller wurde Und dann schlug er vor, sie solle zum Essen bleiben, er habe ein Steak, das für zwei reiche, und sie könnten es am Feuer braten. Und sie sagte, sie bliebe gern. Sogleich begann sich ihr Sinn fürs Praktische zu regen, und sie überlegte, ob das Steak wohl schon aufgetaut war, und als sie wieder richtig zu sich kam, sah sie Robert vor dem Feuer knien und Kartoffeln in Aluminiumfolie wickeln; das Steak lag schon zum Grillen bereit auf einem Rost, und es war ganz offensichtlich schon aufgetaut.

»Soll ich Salat machen? Meine Salate sind herrlich.« Sie stand unsicher auf und spürte, wie sich ihr Gesicht durch das dumme Lächeln ganz verzog. Sie hatte das Gefühl, daß sie sich benahm wie ein Backfisch, und hätte sich dafür am liebsten geohrfeigt.

Doch als sie in der Küche in einer hölzernen Salatschüssel die Soße anrührte, vergaß sie ihre Befangenheit. Er hatte Knoblauch und Zwiebeln und alle möglichen Kräuter. Er hatte ihr eine derbe Schürze umgebunden, die aussah wie ein Zimmermannsschurz, und sie spürte noch die kurze Berührung seiner Hände an ihrer Hüfte. Ihr Salat war kompliziert, und als sie endlich damit fertig war, waren auch Steak und Kartoffeln gar, und Robert hatte im Wohnzimmer den Tisch gedeckt, obwohl sie das eigentlich hatte tun wollen. Auf dem Tisch stand außerdem eine Flasche Wein mit französichem Etikett.

Beim Essen erzählte ihr Robert von seiner Arbeit und erwähnte, daß er vielleicht nach Philadelphia gehen werde, wo sich das Hauptwerk von Langley Aeronautics befand. Robert arbeitete an der Kombination zweier Teile, die zum Motor eines Hubschraubers gehörten, und auf dem Schreibtisch lagen die Zeichnungen der Entwürfe. Er zeigte ihr eine, und Jenny versuchte, schlau daraus zu werden, aber sie sah alles doppelt. Vermutlich, weil sie so wenig dazu sagte, zeigte er ihr einen Hefter voller Zeichnungen von Insekten. Das einzige, von dem sie je gehört hatte, war die Gottesanbeterin, die auf Roberts Zeichnung zum Fürchten aussah. Robert sagte, die Zeichnungen seien für ein Buch, und er wolle sie eben alle nach New York schicken. Und dann fühlte sie sich blamiert, weil Robert fragte, ob sie das Mozart und Strawinsky-Konzert im großen Saal in Langley gehört habe, und Jenny es verneinen mußte. Sie sagte aber nicht, daß Greg sie dazu eingeladen hatte. Sie hatte sich zunächst mit großem Appetit über ihr Steak hergemacht, doch auf einmal konnte sie nicht weiteressen. Beim Salat hätte sie am liebsten geweint.

»Robert, ich liebe Sie«, unterbrach sie ihn mitten in einem Satz.

Er stieß einen Laut aus, halb Lachen, halb Ausdruck des Erstaunens, und dann saß sie auf der roten Couch, und lehnte sich gegen einige Kissen. Robert sagte beruhigend: »… ein bißchen Kaffee. Hier. Schöner, starker Espresso. Ich hätte Ihnen den zweiten Scotch nicht geben sollen. Aber soviel haben Sie ja gar nicht getrunken. Sie werden sich gleich besser fühlen.«

Worte, so viele Worte schossen ihr durch den Kopf, und kein einziges konnte sie aussprechen.

Robert ging mit der Zigarette in der Hand auf und ab und blieb hin und wieder vor dem runden Tischchen stehen, um einen Schluck Kaffee zu trinken. Sie dachte: Wir sind verheiratet und wohnen hier, und es ist für mich ganz natürlich, mit Robert im selben Bett zu schlafen, und er ist ganz an mich gewöhnt. Sie beobachtete, wie er immer wieder auf und ab ging, seine Schritte machten auf dem dicken Teppich fast kein Geräusch. Sie schloß die Augen und schlief ein; Sie erwachte, als er sie an der Schulter berührte. Er hatte eine karierte Decke über sie gebreitet und saß neben ihr auf der Couch.

»Geht’s jetzt besser? Es ist erst halb zwölf. Ich dachte, Sie wollen vielleicht nach Hause.«

»Ich will nicht nach Hause.«

»Ach so. Hm. Na, dann schlafen Sie hier unten. Bettwäsche habe ich oben, ich hol gleich welche.« Dann machte er ein etwas hilfloses Gesicht und ging zum Sessel, auf dessen Sitz ein Buch umgekehrt lag. Er nahm es, klappte es zu und legte es auf den Tisch. Das Feuer war zu einer Schicht orangefarbener Glut niedergebrannt. Er wandte sich zu ihr um und sah sie an, als erwarte er, daß sie sich anders besinnen, daß sie wach werden und sagen würde, sie wolle doch lieber heimfahren.

»Haben Sie einen Schlafanzug für mich?« fragte sie.

»Ich glaube. Aber er ist bestimmt zu groß.«

Sie duschte, wusch mechanisch ihre Strümpfe aus und hängte sie über die Vorhangstange der Dusche, nahm von der Zahnpasta und schrubbte sich die Zähne mit dem Finger, obwohl sie lieber seine Zahnbürste benutzt hätte, aber das wagte sie nicht. Ihre Scham darüber, daß sie sich selbst eingeladen hatte, war verschwunden, hatte sich verwandelt in eine Art Verwegenheit, die sie nicht ablegen durfte, und an die sie später vermutlich nie würde denken können, ohne zusammenzuzucken. Als sie aus dem Badezimmer kam, stand Robert im Schlafanzug und Hausmantel vor ihr, ein Glas Milch in der Hand.

»Ich dachte, das tut Ihnen vielleicht gut«, sagte er.

»Nein, danke. Ich möchte lieber noch ein Glas Wein.«

Er ging in die Küche, um den Wein zu holen. Sie stand da und sah zu, wie er den Wein in eines der langstieligen Gläser goß, aus denen sie bei Tisch getrunken hatten. Die Küche war wieder aufgeräumt. Sogar gespült hatte er. Sie stellte das Glas auf den Teetisch, den er dicht an die Couch gezogen hatte, schlüpfte zwischen die Kissen und nippte an dem Wein. Robert legte noch ein Scheit aufs Feuer.

»Nicht wegen der Wärme«, sagte er, »aber es sieht so hübsch aus. Um wieviel Uhr müssen Sie aufstehen?«

»Um halb acht.«

»Gut. Das ist auch meine Zeit. Gute Nacht, Jenny.«

»Gute Nacht.«

Er stand da und sah sie an, den Kopf leicht gesenkt, ein Lächeln auf den Lippen, die Hände in den Taschen seines Hausmantels. Jenny fand, alles war vollkommen; ob er sie küssen wollte oder nicht, es war schon allein ein Gefühl vollkommenen Glücks, nur in seinem Haus im Bett zu liegen, im gleichen Haus, in dem auch er schlief, dieselbe Luft zu atmen wie er. Sie schloß die Augen. Sie lag auf dem Bauch, die Wange in die Hand geschmiegt, und sie wollte die Augen öffnen, um ihn noch einmal zu sehen, wie er in seinem blaugestreiften Mantel dastand. Doch als sie die Augen aufschlug, war es dunkel und er war fort, und nur ein Lichtschimmer fiel noch von der Galerie herab. Sie hatte das Gefühl, als seien kaum fünf Minuten verstrichen, doch die Zeit war davongelaufen. Vielleicht würde sie die ganze Nacht wachliegen, vielleicht würde sie schlafen. Beides schien ihr verlockend. Für sie war weder Nacht noch Tag, sie spürte nur, daß sie existierte. Das passende Wort dafür war Ewigkeit.