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Robert verbrachte den Dienstagabend über den Zeichnungen des zylindrischen Maschinenteils — bis jetzt trug es noch keine Bezeichnung —, das er für Langley Aeronautics in produzierbare Form zu bringen suchte. Das Werk besaß eine Gußform für ein ähnliches Stück, eines von den Standardteilen der Transmission, das zu jedem Hubschrauber gehört. Da Gußformen sehr teuer waren, wünschten Mr. Jaffe und Mr. Gerard, Roberts Chef und der Präsident der Gesellschaft, daß er dieses Teil so konstruierte, daß es mit der bereits vorhandenen Gußform hergestellt werden konnte, obwohl die beiden zylindrischen Teile völlig verschiedene Funktionen hatten. Robert hatte die Idee, zwei Teile zu eliminieren und drei zu einem einzigen zu vereinigen, wodurch die Ausgaben für zwei Gußformen eingespart werden konnten, doch Gerard war anscheinend von dieser Aussicht nicht sonderlich beeindruckt. Sie wollten kein Geld für eine neue Form ausgeben, die erst erprobt werden mußte. Oder wollten sie vielleicht seine Erfindergabe auf die Probe stellen und sehen, ob und wie er mit einer gestellten Aufgabe fertig wurde? Ihre Einstellung war ein bißchen ärgerlich. Doch die gestellte Aufgabe reizte ihn, wie ein Spiel oder ein Rätsel, von dem er wußte, daß er es lösen konnte, wenn er nur ausdauernd daran arbeitete. Wieder und wieder verglich Robert seine Zeichnungen mit denen der Transmissionsform und stand immer wieder vor dem gleichen Problem. Doch was machte es schon? War es für ihn wirklich so wichtig, die Hubschrauber der L. A. zu verbessern? Oder eine Gehaltserhöhung dafür zu bekommen? Nein. Die Idee war ihm neulich ganz zufällig gekommen, als er Teile eines Hubschraubers betrachtete. Du hast nicht den gezingsten Ehrgeiz, klang ihm Nickies Stimme in den Ohren. Sie hatte zweifellos recht. Ganz zufällig war er im letzten Collegejahr auf den Beruf des Designers gekommen. Er hatte Maschinenbau studiert, und er hätte sich statt auf Industriemaschinenbau auf genug andere Zweige spezialisieren können. Nichts hatte ihn sonderlich gereizt. Robert hielt das für einen Mangel, eine Schwäche seines Charakters. Vielleicht zog es ihn eines Tages leidenschaftlich zu einem Beruf hin, für den er dann noch jahrelang studieren mußte. Es war schon anderen vor ihm so ergangen, daß sie ihr Lebenswerk erst mit dreißig begannen oder wenigstens die Arbeit auf ihrem Spezialgebiet.

Er hob den Kopf, als das Telefon läutete, kniff die Augen zusammen und sah auf die Uhr. Fünf nach halb elf. Vermutlich war es Jenny, die ihm gute Nacht sagen wollte. Er hatte den ganzen Abend nichts von ihr gehört.

»Hallo?« sagte er.

»Du bist ja ziemlich vorsichtig mit deiner Telefonnummer, mein Lieber«, hörte er Nickies Stimme.

»Hm, hm. Wo hast du sie her?«

»Ach, von Greg. Und der hat sie bekommen, weil er der Vermittlung gesagt hat, er habe dir eine Nachricht von deiner kranken Mutter zu übermitteln.« Nickie lachte. »Warum versuchst du, deine Nummer geheimzuhalten, wenn’s dir doch nicht gelingt? Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Ein hohes Tier, oder was?«

»Nickie, ich habe zu arbeiten. Weswegen rufst du an?«

»Ich rufe an, weil ich dir einen guten Rat geben möchte«, sagte sie, und durch ihre Worte klang Verachtung. »Mr. Wyncoop ist sehr böse auf dich, und das kann ich ihm auch nicht verdenken. Ihm die Freundin wegzunehmen, seine Verlobte! Ich habe gehört, sie könnte gut und gern deine Tochter sein, so jung ist sie!«

»Mein Gott, Nickie, warum hörst du nicht auf damit.«

»Ich sag dir das nur, weil ich dein Bestes will«, sagte sie jetzt, Selbstgerechtigkeit und Ärger in der Stimme. »Mr. Wyncoop ist ein Mann, mit dem nicht zu spaßen ist. Am besten läßt du die Finger von dem Mädchen, bevor es zu spät ist. Ich höre, du hast mit ihr geschlafen. Großer Gott!« sagte Nickie voller Abscheu.

»Hör mal, Nickie, wir sind geschieden, vergiß das nicht. Was ich tue und lasse, geht dich nichts mehr an …«

»Ich will dir ja nur einen guten Rat geben. Ich würde dir raten, du läßt das Mädchen laufen, bevor es zu spät ist.«

»Und was meinst du mit ›zu spät‹?«

Sie lachte. »Ich meine, wenn dir das aufgeht, ist es wahrscheinlich schon zu spät. Kapiert? Ich meine, achte auf deine Gesundheit.«

Jetzt lachte Robert. »Interessant.«

»Ach, du bist ein Esel. Ein Schwachkopf!«

»Gute Nacht, Nickie.« Er wartete einen Moment, und als es am anderen Ende still blieb, legte er auf.

Er setzte sich wieder an den Schreibtisch, doch die Zeichnungen verschwammen ihm vor den Augen. Verdammt noch mal, dachte er, ich werde mich doch davon nicht ins Bockshorn jagen lassen! Wäre es nicht Jenny, dann würde ich mich eben für ein anderes Mädchen interessieren, egal welches. Nickie würde auch das herausbekommen und genug Zeit und Energie daran wenden, sich ans Telefon zu hängen und ihm die Ohren vollzuplärren. Er warf den Bleistift hin und stand auf.

Trotzdem mußte er immer noch daran denken, auch als er schon im Bett lag. Natürlich hatte Nickie seine Nummer von Greg bekommen, er hätte gar nicht erst danach zu fragen brauchen. Das Überraschende war nur, daß sie sich die Nummer nicht schon vor Wochen selbst verschafft hatte, so wie auch die in den Camelot Apartments. Schade, daß die neue Ehe sie nicht ein bißchen mehr beschäftigte, ein wenig mehr befriedigte. Sie hatte Ralph vor etwa einem Monat geheiratet. Robert hatte die Anzeige eines Sonntags in der New York Times gelesen. Sie waren in einer Kirche im Norden von New York getraut werden, wo Ralph auch getauft worden war, erinnerte er sich, und es hatte ihn ziemlich überrascht, daß sich ein Mann wie Ralph Jurgen, ein Mann aus der Werbebranche, bei der Wahl der Kirche so von Gefühlen leiten ließ. Aber schließlich kannte er Ralph ja kaum. Wenn sie sich, wie es zwei-, dreimal geschehen war, in der Wohnung über den Weg gelaufen waren, oder wenn Robert einen Anruf von Ralph für Nickie abgenommen hatte, waren sie freundlich zueinander gewesen, nicht mehr, nicht weniger.

Das Telefon läutete abermals, Robert stieg aus dem Bett und hob mit gerunzelter Stirn den Hörer ab.

»Hallo, Robert«, sagte Jenny. »Ich hätte gerne gewußt, ob du meine Freunde, die Tessers, kennenlernen möchtest? Mittwoch abend. Ich möchte sie zum Abendessen einladen. Es sind sehr nette Leute. Hättest du Lust?« Sie sprach sanft und ruhig, als hätte sie es vorher geübt.

Robert kniff die Augen zu. »Jenny, ich weiß noch nicht, ob ich Mittwoch kann. Ich hab diesen Zylinder noch nicht fertig. Diese Woche möchte ich eigentlich lieber zu Hause bleiben.«

»Und Freitag? Freitag paßt es ihnen noch besser, das weiß ich genau, weil …«

»Also gut, Freitag.«

»Um sieben? Ich merke schon, du steckst mitten in der Arbeit, da will ich dich nicht aufhalten. Gute Nacht, Robert.«

Am Freitag lernte er die Tessers kennen. Dick Tesser war ein großer, schlanker Mann in den Dreißigern, mit schwarzem Haar und buschigem Schnurrbart. Er war Bauunternehmer. Seine Frau Naomi war klein und blond, lebhaft und lustig. Sie schienen um Jennys Wohlergehen besorgt, als wäre sie ihre Tochter. Und Robert spürte, daß sie ihn sympathisch fanden und mit ihm in bezug auf Jenny »einverstanden« waren, vermutlich auf Grund dessen, was Jenny ihnen von ihm erzählt hatte, denn Robert selbst war an diesem Abend ziemlich schweigsam. Robert und Dick hatten sich gegenseitig höflich nach ihrer Arbeit erkundigt, und im übrigen hatte man sich über die vom Frost geplatzten Wasserrohre in Tessers Haus und über ihre drei Kinder unterhalten.

»Greg hat uns ein paarmal angerufen, seit wir dich zuletzt gesehen haben«, sagte Dick Tesser zu Jenny, als sie alle im Wohnzimmer saßen und Kaffee tranken.

»So?« sagte Jenny.

»Dick, müssen wir das jetzt zur Sprache bringen?« fragte Naomi.

»Ja«, sagte Dick. »Ich finde, es ist der richtige Augenblick, da wir nun mal Mr. Forester heute abend kennengelernt haben. Greg nennt Sie immer Mr. Forester, wenn er von Ihnen spricht«, sagte er feierlich zu Robert. Dick hatte schon ein ziemliches Quantum getrunken.

»Greg ist zur Zeit ein bißchen aus dem Gleichgewicht«, sagte Naomi achselzuckend und lächelte Robert zu. »Ist ja verständlich.«

»Tut mir leid, daß er euch damit behelligt«, sagte Jenny.

»Er will, daß wir unseren Einfluß geltend machen«, fuhr Dick fort. »Er scheint zu glauben, daß wir dich wie eine Marionette tanzen lassen können. Er hat uns mindestens drei- oder viermal angerufen, nicht wahr, Schatz?«

»Ja, aber wir wollen doch nicht mehr daraus machen, als es wirklich ist, Dick.« Sie gab ihrem Mann mit den Augen ein Zeichen, den Mund zu halten, doch Dick ging nicht darauf ein.

»Ich mag es nicht, wenn ein Mann versucht, die Konkurrenz auszuschalten, indem er sie heruntermacht«, nahm Dick den Faden wieder auf. »Und überhaupt, was ist denn so Großartiges an Greg, möchte ich wissen? Er ist ein ganz gewöhnlicher junger Mann mit einem ganz gewöhnlichen Job. Und natürlich ist er eifersüchtig. Vielleicht, weil Mr. Forester einen besseren Job hat.«

Naomi lachte. »Oh, ich bezweifle, daß das der Grund ist.«

Robert starrte zu Boden und wünschte, sie würden das Thema wechseln. Jenny machte ein ebenso unbehagliches Gesicht.

»Es ist meine Schuld, weil ich … weil ich Greg überhaupt Versprechungen gemacht habe«, sagte Jenny. »Ich war zu voreilig.«

»Wer weiß schon alles im voraus, mein Liebes«, sagte Naomi. »Wir alle machen Fehler.«

»Greg sollte sich ein nettes Mädchen suchen, vielleicht eine aus einem Drugstore …«

»Ach hör auf, Dick«, unterbrach ihn Naomi. »Als Jenny ihn noch mochte, hast du ihn ganz in Ordnung gefunden, also mach ihn jetzt nicht schlecht.«

»Schon gut, schon gut. Aber du weißt doch, was er zu mir gesagt hat, und das hat mir eben nicht gepaßt, das ist alles.« Dick, der beschwipst war, sah seiner Frau trotzig ins Gesicht.

»Was hat er gesagt?« fragte Jenny.

»Dick, müssen wir unbedingt …?« fragte seine Frau.

»Er hat uns eine Geschichte erzählt von ‘nem Kerl, der sich um dein Haus rumgeschlichen hat«, sagte Dick zu Jenny. »Du hättest komische Geräusche gehört, draußen vor dem Haus, und nachdem du Mr. Forester kennengelernt hattest, hätte das aufgehört. Greg schließt daraus, daß Mr. Forester der Herumschleicher war.« Dick machte ein finsteres Gesicht und wartete auf die Wirkung seiner Worte.

Die Wirkung bestand aus drei Sekunden Schweigen. Dann sagte Jenny: »Also, das ist einfach nicht wahr!«

»Wir haben es auch nicht geglaubt«, sagte Naomi beruhigend.

Dick sah Robert an. »Er hat seinen Verdacht mit ‘ner Menge Gerede über Telefongespräche mit Mr. Foresters ehemaliger Frau in New York begründet«, sagte Dick, jetzt an Jenny gewandt. »Sie soll gesagt haben, Mr. Forester sei reif fürs Irrenhaus.«

Jennys Tasse klirrte auf dem Untersatz, und um ein Haar hätte sie sie fallen lassen.

Sie stand auf. »Es ist nicht wahr, Dick. Warum hast du es mir eigentlich wiedererzählt?«

Dick sah sie überrascht an. »Schon gut, Jenny, tut mir leid. Ich wollte dich nicht kränken. Ich hab’s nur gesagt, weil…weil…«

»Hast du noch nicht genug geschwatzt?« fragte Naomi.

Doch Robert merkte, daß auch sie über Jennys Reaktion erstaunt war. Er hörte Jenny heftig atmen, als wäre sie den Tränen nahe.

»Weil ich finde«, fuhr Dick fort, »daß du es wissen sollst, und dein Bekannter auch. Es ist übel, wenn eine solche Geschichte in einer so kleinen Gemeinde die Runde macht. In einer so kleinen und vor allem so neugierigen Gemeinde! Und zweitens, weil … Nun, ich würde sagen, ein Blick auf Mr. Forester genügt, daß man weiß, er ist gar nicht der Typ, der so was macht, und auch kein Mensch, der in die Klapsmühle gehört.«

»Ich finde, den zweiten Grund hättest du ruhig für dich behalten können«, sagte seine Frau. »Selbstverständliche Dinge braucht man schließlich nicht auszusprechen, Liebling.«

Dick Tesser sah seine Frau an. Er lächelte gereizt, sagte: »Na schön«, und lehnte sich zurück.

»Das ist das dritte Mädchen, das Greg wegläuft, Robert«, sagte Naomi. »Darum ist es verständlich, daß er verletzt ist. Ich habe eines von den anderen Mädchen in Philadelphia kennengelernt. Sie sagt, sie hat Greg nie Hoffnungen gemacht, aber er war weiß vor Wut, als sie einen anderen geheiratet hat.«

Robert warf ihr einen Blick zu, dann blickte er wieder auf seine Kaffeetasse. »Tut mir leid, daß ich soviel Unruhe stifte«, murmelte er. Er spürte, daß Naomis Blick auf ihm ruhte. Auch Dicks Augen wichen nicht von ihm. Lange nicht. Was erwarteten sie von ihm? Ein Lächeln? Eine oberflächliche Bemerkung? Er fragte sich, ob Jenny mit ihrer offenherzigen Art und ihrem Enthusiasmus den Tessers gesagt hatte, sie seien verlobt oder so gut wie verlobt?

Schließlich sagte Jenny: »Möchte jemand noch Kaffee?«

»Ich glaube, mein Mann könnte noch einen vertragen«, sagte Naomi.

Die Tessers blieben nur noch zwanzig Minuten, doch von nun an ging alles glatter. Die Tessers erzählten ein paar lustige Geschichten von einem Pennsylvania-Deutschen, der in ihrer Nähe wohnte und nur vom Tauschhandel lebte. Robert hatte das Gefühl, sie gingen so früh, um ihn und Jenny noch eine Weile allein zu lassen.

»Ich hab das Seconal für dich«, sagte Jenny. »Es ist oben. Ich hol’s eben runter.«

Robert ging rauchend im Wohnzimmer auf und ab. Auf dem Regal unter Jennys Plattenspieler bemerkte er eine zusammengerollte weiße Strickarbeit, in der noch die Nadeln steckten. Es war ein Pullover mit Zopfmuster. Jenny hatte neulich gefragt, ob sie einen für ihn stricken solle. Robert lächelte ein wenig und dachte gerührt an die vielen Stunden Arbeit, die sie über der Strickerei verbrachte, wenn er nicht bei ihr war.

»Hier ist es. Neunzig-Milligramm-Pillen. Sind sie zu stark?«

Robert lächelte. »Nun ja, ich glaube, es sind die stärksten. Aber ich kann sie ja halbieren.« Er nahm das Glasfläschchen mit den roten Kapseln. »Ich bin froh, daß ich sie habe. Tausend Dank, Jenny. Was bin ich dir schuldig?«

»Ach, gar nichts.«

Das hatte er erwartet. Er nahm die Brieftasche heraus. »Aber ich bestehe darauf. Hier sind fünf Dollar. Kommt das hin?«

»Nein, fünf ist zuviel. Ich nehm’s nicht.«

Er kam mit dem Schein auf sie zu und tat, als wolle er ihn in ihre Hand fallen lassen, die sie aber nicht ausgestreckt hatte.

Sie nahm seine Hand und hielt sie einen Augenblick lang fest. Dann zog er seine Hand fort. Scheu legte sie den Schein auf den Tisch.

»Wie findest du die Tessers?«

»Sehr nett.«

»Sie zanken sich immer ein bißchen, wenn Dick einen Schwips hat. Sie mögen dich, das haben beide gesagt, als du draußen warst.« Er schwieg.

»Können wir sie mal zu dir einladen?«

»Ja, doch. Warum nicht?«

»Willst du dich nicht setzen?«

»Ich glaube, ich muß gehen, Jenny. Das Essen war ausgezeichnet.«

Sie freute sich über sein abgedroschenes Kompliment. »Das war ein neues Rezept für Kalbsschnitzel. Ich hab’s erst neulich gelesen.«

Er holte seinen Mantel aus dem Schrank in der Küche.

»Wann sehen wir uns?« fragte sie. »Morgen abend?«

Sie sagte es, als wäre es schon ein Opfer für sie, morgen nicht den ganzen Tag mit ihm zu verbringen. Morgen war Samstag.

»Ich bin zu den Nielsons eingeladen«, erwiderte er und sah die Enttäuschung auf ihrem Gesicht. Er konnte ihre Gedanken lesen — die Frage, warum er nicht gefragt habe, ob er sie mitbringen könne.

»Ich möchte sie gern mal kennenlernen«, sagte sie.

»Ach, das kommt noch. Ich lade sie einmal zu mir ein. Gut, ich rufe dich morgen an, Jenny.« Auf einmal hielt er ihre rechte Hand. Er schüttelte sie kurz und war zur Tür hinaus.

In der darauffolgenden Woche lud Robert die Nielsons zu sich zum Essen ein, und Jenny machte einen Lammbraten. Der Abend verlief harmonisch. Die Nielsons fanden Jenny nett, und es freute sie sichtlich für Robert, daß er »ein Mädchen« hatte. Es war klar, daß Jenny von nun an in die Einladungen der Nielsons eingeschlossen war. Robert widmete Jenny nicht mehr Aufmerksamkeit als an dem Abend mit den Tessers, nicht mehr als dann, wenn er mit ihr allein war, doch die verliebten Blicke, die Jenny ihm zuwarf, wogen schwerer als sein Verhalten, dessen war Robert sicher. Die Nielsons mußten annehmen, daß er ebenso verliebt war wie sie. Später, als er einmal im Werk mit Jack Nielson sprach, stellte Robert klar, daß es zwischen ihm und Jenny keinerlei Affäre gab, und daß er sie nur ein paarmal getroffen hatte.

In dieser Woche fand Robert eine Lösung für das Problem mit dem Zylinder und legte seine Zeichnungen Mr. Jaffe vor, der für Freitag eine Konferenz mit den Produktionsingenieuren anberaumte. Roberts Ansehen bei L. A. nahm langsam, aber stetig zu, und er erwartete in allernächster Zeit das Angebot der Versetzung in das Hauptwerk in Philadelphia. Das, so überlegte er, würde weiteren Komplikationen mit Jenny vorbeugen. Er würde von der Bildfläche verschwinden. Bis Philadelphia waren es zwei Stunden Fahrzeit, und wenn sie auch Freunde blieben, so würden sie einander bestimmt nicht mehr so oft sehen. Jedoch, Freunde war nicht das rechte Wort, soweit es Jenny betraf, und Robert nahm an, daß sie eine Zeitlang sehr einsam, vielleicht sogar verbittert sein würde, wenn er nach Philadelphia zog, und vielleicht völlig mit ihm brechen würde. Unter diesen Auspizien war Robert nur um so behutsamer mit ihr. Keine Küsse mehr, kein Händestreicheln, nichts.

Wenn Robert von Philadelphia sprach, zeigte Jenny keinerlei Verstimmung. Sie machte noch nicht einmal an den Abenden, an denen sie sehr lange bei ihm blieb, die leiseste Andeutung, daß sie gern ganz über Nacht bleiben wolle. Sie schien ganz zufrieden mit der Vereinbarung, daß sie sich nur noch zweimal in der Woche sehen wollten. Doch Robert spürte, daß diese selteneren Zusammenkünfte sie innerlich viel angespannter machten. Sie schien jeden Augenblick auszukosten, und eines Abends, nach einem primitiven, ja sogar schlechten Essen in einem Restaurant in Rittersville, sagte Jenny plötzlich ganz unvermittelt: »Wenn jetzt in dem Kaffee hier Gift wäre, ich würde ihn austrinken. Und wenn du es hineingetan hättest.«

Robert sah sie einen Augenblick verständnislos an, dann lächelte er. »Ich finde, er ist schon so das reinste Gift.«

Jenny lächelte nicht. »Ich bin so glücklich, wenn ich bei dir bin. Sterben — wäre nichts als ewiges Glücklichsein und kein Ende.«

Robert wand sich. Er wollte diesen Ausbruch nicht mit einer dummen Bemerkung abtun, war aber unfähig, etwas ebenso Ernstes zu äußern.

Das Schweigen, das jetzt folgte, war peinlich. Und unnötig. »Jenny, müssen wir über den Tod sprechen? Ich meine, du hast mir doch gesagt, du hättest deine Furcht davor überwunden. Vielleicht habe ich sie noch nicht überwunden. Für mich ist der Tod noch immer ein recht deprimierendes Thema.«

»Es tut mir leid, Robert.«

»Ach, es macht nichts. Aber es ist einfach albern, wenn ein so junges Mädchen wie du dauernd vom Tod spricht. Er wird schon zu uns kommen, keine Sorge, aber so bald noch nicht. Zu uns nicht so bald.« Dann bereute er sofort, »uns« gesagt zu haben, und wandte den Blick ab.

»Ich wollte damit nicht sagen, daß es mir leid tut, davon gesprochen zu haben, sondern es tut mir leid, daß dich das so bedrückt. Aber ich kann dich verstehen. Du bist eine Zeitlang zu nahe davor gewesen, um das so leicht zu überwinden. Im Grunde ist der Tod ganz ähnlich wie der Schlaf. Byron hat das auch gesagt. Schlaf und Tod sind Schwestern, sagt er.«

Robert seufzte.

Am zweiten Mai erhielt Robert einen Brief von Ernest Gunnarote, dem Präsidenten der Arrobrit Company — so hieß die Mutterfirma von L. A. in Philadelphia —, mit der Aufforderung, dort in der technischen Abteilung zu arbeiten. Robert nahm sich vor, am ersten Juni Langley zu verlassen, und begann sich nach einem Untermieter umzusehen, der sein Haus bis zum Ablauf des Mietvertrages übernehmen würde. Er hätte Jenny zum Abschied gern ein Schmuckstück geschenkt, eine Kette oder eine Brosche, und er sah sich in den nicht sehr vielversprechenden Juweliergeschäften von Langley und Rittersville danach um. Er war sicher, daß Jenny ihm den weißen Pullover als Abschiedsgeschenk überreichen würde.