12

Robert pfiff vor sich hin, als er die wackelige Leiter zu seinem Dachboden hinaufkletterte. Er packte eine Sprosse und zog die Leiter von den Balken ab, an dem sie lehnte, jederzeit bereit, den Balken zu packen, falls die Leiter rutschte, und er sah sich schon fünf Fuß hoch über dem Boden im Leeren hängen. Die Leiter rutschte nicht weg. Robert stieg hinauf und ging zu der Stelle, wo seine Koffer lagen. Er warf einen kurzen Blick hinein; das Zeug, das sich darin befand, interessierte ihn nicht: ein Paar alte Socken, ein abgetragenes Hemd, das Programm eines Musicals, das er mit Nickie in New York gesehen hatte. Er erinnerte sich noch ganz genau an den Abend, aber warum hatte er das Programm aufgehoben? In einem anderen Koffer war ein Leinenanzug; bald würde es warm genug sein, ihn zu tragen. Er warf die Koffer auf die rote Couch hinunter. Er hatte noch ganze sechzehn Tage Zeit, bis er auszog. Er war noch nicht einmal nach Philadelphia gefahren, um eine Wohnung zu suchen, aber er wollte die Koffer vor Augen haben, damit sie ihn stets an den bevorstehenden Umzug erinnerten.

Er verstaute die Leiter in dem halbhohen Schrank hinter der Couch. Dann holte er Feder, Tusche und sein Skizzenbuch mit den Bäumen heraus und stellte die Tusche auf die Fensterbank. Er hatte sich die Weide vor dem Fenster bis zuletzt aufgehoben, weil sie ja immer bei der Hand war. Es war der zweiunddreißigste Baum, den er zeichnete. Oben auf die rechte Seite, über die Zeichnung, kam der Name und die Gattung des Baumes. Dies war eine Salix nigra. Als die Zeichnung fertig war, nahm er eine Postkarte aus der Schreibtischschublade und zeichnete einen dicken, grinsenden Vogel, der vor einer Haustür auf der Fußmatte stand, einen Koffer unter den Flügel geklemmt. In kleinen sauberen Druckbuchstaben schrieb er in die obere rechte Ecke:

»DER BEHARRLICHE BLEIB-EIN-BISSCHEN« (Stat semper)

AUFENTHALT: die Wohnungen der Wohlhabenden

FARBE: bunt getupfte Brust, rot-weiß; blaue Zeichnung auf roten Flügeln; schwarzer, geteilter Schwanz

RUF: »Ich bin da! Ich bin da!«

Es war Roberts zehnte oder zwölfte Vogelzeichnung. Jenny freute sich immer schrecklich, wenn die Post ihr eine brachte, und hatte ein kleines Album mit blauem Seideneinband dafür angelegt. Er hatte die meisten schon vergessen, die er ihr geschickt hatte, nur an den silberkehligen Hauch, den krummbeinigcn Straßenrenner und den Wäscheleinenvogel, der immer noch Jennys Liebling war, erinnerte er sich.

Dann sah er, daß es Viertel nach sechs war. Um halb acht sollte er Jenny im Jasserine Chains treffen, wo sie seit ihrem ersten gemeinsamen Essen nicht mehr gewesen waren. Robert duschte und wusch sich die Haare, suchte einen frisch von der Reinigung gehalten Anzug heraus, zog Hose und ein weißes Hemd an und setzte sich an die Schreibmaschine, um seiner Mutter einen Brief zu schreiben. Als erstes berichtete er von seinem bevorstehenden Umzug nach Philadelphia, was beim letzten Brief noch nicht festgestanden hatte. Er schrieb, daß dies für ihn einen Schritt nach oben und höheres Gehalt bedeute. Jenny hatte er seiner Mutter gegenüber einmal erwähnt, erinnerte er sich deutlich, und zwar auch nur als ein Mädchen aus seinem hiesigen Bekanntenkreis. Jetzt schrieb er:

Ein wenig tut es mir doch leid daß ich aus Langley wegziehe, denn mit den Nielsons und ein paar anderen Kollegen aus dem Büro habe ich mich ziemlich augefreundet. Auch Jenny Thierolf wird mir fehlen. Ich mag sie sehr gern, obwohl sie viel jünger wirkt als ich. Sie ist aber schon dreiundzwanzig. Überhaupt nicht anspruchsvoll, aber durchaus nicht primitiv. Ganz anders als die Mädchen, die man sonst trifft.

Es klang steif, nichtssagend und war gar nicht sein Stil, aber mehr konnte er über Jenny nicht schreiben. In einem weiteren Absatz fügte er hinzu, daß er sich »viel besser und im allgemeinen viel munterer« fühle.

Robert schlug die Straße am Fluß entlang ein, die in vielen Windungen bis nach Cromwell führte. Es gab zwar eine Abkürzung, doch er hatte noch genug Zeit, um die sieben oder acht Meilen in aller Ruhe zurückzulegen. Er liebte die dunkle River Road, obwohl die Straßendecke infolge des Winters voller Schlaglöcher war, und er liebte die Äste und Zweige der Bäume, die im Licht der Scheinwerfer ihre wechselnden, schwarzgrauen Konturen zeigten. Hinter sich bemerkte er die Lichter eines Wagens und fuhr langsamer, um ihn vorbeizulassen. Doch der andere Wagen wurde ebenfalls langsamer. Robert ging wieder auf sein Fünfunddreißig-Meilen-Tempo, schaute auf die Uhr — fünf nach sieben — und zündete sich eine Zigarette an.

Jetzt war der Wagen dicht hinter ihm, und wieder verlangsamte Robert sein Tempo. Der Wagen setzte zum Überholen an, führte seine Absicht jedoch nicht aus, und jetzt sah Robert, daß es ein blaßgrünes Fahrzeug war — Gregs Plymouth-Cabriolet. Er bemerkte, daß Greg eine Handbewegung machte und hörte ihn sprechen, konnte aber nicht verstehen, was er sagte. Greg wollte ihn zwingen, anzuhalten und drängte ihn nach rechts, wo der Fluß neben der Straße lief. Robert fuhr an den Straßenrand, teils weil Gregs Wagen den seinen fast gestreift hatte, und teils, weil er sich über diese Frechheit ärgerte und Greg zur Rede stellen wollte. Greg brachte sein Auto dicht vor Robert durch ruckartiges Anziehen der Handbremse zum Stehen. Robert öffnete seine Tür und stieg aus. Er warf die Zigarette fort und ballte die Fäuste.

»Nun, Mr. Forester?« sagte Greg. »Auf dem Wege zu Jenny?« Greg kam näher und baute sich breitbeinig vor ihm auf. Die Scheinwerfer hatte er abgeschaltet, doch in Roberts Wagen brannten sie noch und strahlten Gregs Gesicht mit den schwarzen Brauen an.

Robert duckte sich, und Gregs Faust traf ihn nur an der Schulter. Der Schlag riß ihn jedoch zu Boden, da das Gelände rechts steil zum Fluß abfiel und er die Balance verlor. Sofort war er wieder auf den Beinen, noch ehe Greg ihm nachsetzen konnte. Gregs Faust zielte nach unten auf Roberts Kopf. Robert packte Greg am Arm, zog sich daran den Abhang hinauf und schleuderte Greg gegen einen Baum, der hinter ihm stand. Nun stürzte sich Greg rasend vor Wut auf ihn und schlug ihm den Handrücken heftig über den Mund. Der nächste Hieb traf Robert am linken Auge, und dann fand er sich plötzlich auf Händen und Knien und wartete, wie es ihm schien, eine volle Minute darauf, daß Greg ihm mit dem Fuß ins Gesicht trat. Robert bekam den Fuß zu packen und rappelte sich auf. Greg stürzte hintenüber ins Dunkel, den Hang hinab, und dann hörte Robert lautes Knacken von Büschen. Er setzte ihm nach, fand den dunklen Fleck, der Gregs Kopf zu sein schien, genau in der richtigen Höhe zum Zuschlagen, und legte dann alle Kraft in einen wuchtigen Hieb seiner rechten Faust. Es knackte laut im Gebüsch, als Greg den Abhang hinunter bis ans Wasser rollte. Zögernd kletterte Robert hinterher und wartete darauf, daß Greg jeden Augenblick wieder hochkam, doch er vemahm nichts als ein leises Knacken im Gebüsch und bemerkte schließlich, daß er selbst dieses Geräusch verursachte. Es war dunkel. Robert konnte den Fluß nicht sehen, aber er hörte ihn.

Dann plötzlich war Greg links neben ihm und verkrallte sich mit beiden Händen in seinen Mantel. Mit aller Kraft drängte Greg ihn auf das Wasser zu, und jetzt — das erkannte Robert deutlich — war es nicht mehr eine Schlägerei, sondern versuchter Mord. Ein dünner, kleiner Baum, der sich über den Fluß hinausbog, rettete Robert vor dem Wasser, doch er hatte kaum wieder festen Fuß gefaßt, als Greg sich schon wieder keuchend auf ihn stürzte. Zischend ging sein Atem durch die Zähne. Es war das gleiche Geräusch, mit dem das Wasser hinter Robert über die Felsen stürzte. Robert duckte sich. Das hätte kaum etwas genützt, da Greg es auf Roberts Beine abgesehen hatte, doch Greg mußte ausgerutscht sein. Wie ein dunkler Schatten schoß er an Robert vorbei, dann hörte Robert ein lautes Platschen.

Robert glitt, sich an Büsche klammernd, zu ihm hinunter. Der Abhang wurde immer steiler. Robert hörte es wieder platschen, etwas leiser diesmal, dann ein Stöhnen. Er tastete herum, erwischte Greg am Knöchel und zog daran. Mit einem Fuß stand Robert im Schlamm, rnit dem anderen auf einem überspülten Felsbrocken und zog Greg mit beiden Händen am Mantel hoch. Gregs nasses Haar streifte sein Gesicht. Er ließ den anderen zu Boden fallen und kletterte ein Stückchen weiter nach oben.

Greg saß stöhnend auf dem steil abfallenden Hang. Robert holte aus … Aber mit einemmal verspürte er überhaupt keine Lust mehr zuzuschlagen. Er drehte sich um und erklomm mit überraschender Behendigkeit den Abhang. Es war, als flüge er hinauf zur Straße. Sein Motor lief noch immer. Robert fuhr ein Stück rückwärts, fuhr um Gregs Wagen herum und davon. Sein linker Eckzahn schmerzte, und aus dem Mundwinkel rann ihm Blut. Er hielt und suchte nach seinem Taschentuch. Dieser verdammte Eckzahn war abgebrochen. Mit der Zunge befühlte er die scheußliche, scharfe Bruchstelle. Auch am linken Auge hatte es ihn erwischt; er stellte fest, daß es immer weiter zuschwoll. Er sah aus, daß es schon fast komisch war. Und noch komischer war die Tatsache, daß er, in gewisser Hinsicht, Sieger über Greg geblieben war. Hätte er ihn nicht herausgezogen, wäre Greg vielleicht ertrunken, denn er war ganz schön angeschlagen gewesen. Warum hatte er ihn nicht einfach in diesem verdammten Fluß liegen lassen? Es war seine Oberlippe, die so blutete. Robert fand die Wunde dicht neben dem abgebrochenen Eckzahn. Er fuhr weiter. Es war erstaunlich, wieviel Schaden eine Schlägerei von wenigen Sekunden anrichten konnte.

Dann erreichte er das Jasserine Chains und bog auf den schwach erleuchteten Parkplatz. Eine ältere Dame, die eben aus dem Restaurant kam, trat hastig einen Schritt zurück, als sie ihn sah, dann ging sie weiter. Der Oberkellner im Foyer sah ihn erstaunt an und sagte: »Sir?«

»Ich habe einen Tisch bestellt. Robert Forester. Für halb acht. Ich habe mich ein wenig verspätet.«

Der Oberkellner nickte mit steinerner Miene. »Ja, natürlich, Mr. Forester. Hatten Sie einen Unfall, Sir?«

»Nein«, sagte Robert. »Ich bin gleich wieder da.« Er lief die teppichbelegten Stufen zur Herrentoilette im ersten Stock hinauf.

Er wusch sich das Gesicht und die aufgeplatzten Handknöchel mit einem Papierhandtuch, kämmte sich und rückte die Krawatte zurecht. Jetzt sah er schon viel besser aus, obwohl dem rasch anschwellenden Auge leider nicht abzuhelfen war. Er ging nach unten, gab seinen Mantel ab und betrat so selbstbewußt wie möglich die Bar, in der er Jenny treffen sollte. Sie saß vor dem Kamin und hob erstaunt den Kopf, als sie ihn sah.

»Keine Sorge, es ist nichts. Komm, setzen wir uns hier an den Tisch.« Er rückte ihr einen Sessel zurecht.

»Was ist denn passiert?«

»Greg. Ich brauch’ einen Drink.« Schon stand auch ein Kellner neben ihm. Robert bestellte einen Manhattan für Jenny und für sich einen doppelten Scotch.

Dann kam der Oberkellner und sagte, zu seinem Bedauern sei ihr Tisch erst in zwanzig Minuten frei. Und Robert sagte, das sei nicht so schlimm, sie würden hier ihre Drinks nehmen.

»Greg? Wo!« flüsterte Jenny.

Robert berichtete, was geschehen war. »Dabei hat er gar nicht gewonnen. Ich weiß nicht, wer gewonnen hat. Frag mich nicht, warum ich ihn rausgezogen habe. Ich war so wütend, daß ich ihn da unten habe sitzen lassen und weggefahren bin.«

»Du hast ihm das Leben gerettet.«

Robert lachte. »Das will ich nicht sagen. Das Wasser war flach da, glaube ich. ‘ne Menge Felsen.« Er bückte sich und zog seine feuchten Hosenaufschläge glatt. Sein Auge war heiß und jetzt ganz geschlossen. Es war ein Gefühl, als hielte ihm jemand mit heißen Fingern die Lider zu. Er sah, daß Jenny ihr Glas vom Tisch nahm, und hob das seine ebenfalls. »Prosit. Weißt du, vielleicht hört Greg jetzt auf, uns zu belästigen. Oder hat er die Angewohnheit, zweimal zu versuchen, die Leute zusammenzuschlagen?«

»Ich finde, er gehört hinter Schloß und Riegel«, sagte Jenny.

Dieser Gedanke kam Robert sehr komisch vor. »Dein Kleid gefällt mir«, sagte er. Sie wußte, er sah sie gern in Schwarz, und sie hatte ihm erzählt, daß sie für heute abend ein schwarzes Kleid kaufen wollte, das sie in Rittersville gesehen hatte.

»Ja?« Ihr Gesicht leuchtete auf bei seinem Lob. Befangen strich sie sich über die Hüften. Dann wurde sie wieder ernst und sah Robert an. »Er hat dir ja einen Zahn ausgebrochen!«

Soeben hatte Robert bemerkt, daß sie auch eine neue Frisur hatte, das Haar hinten hochgesteckt, so daß es ihr wie eine lichtbraune Wolke halb über die Ohren fiel. Jetzt hing es nicht mehr glatt herunter. Es machte sie um drei, vier Jahre älter. »Nun ja, ist ja nur einer«, sagte er.

Sie bestellten noch einen Drink. Robert begann sich bald wohler zu fühlen. Er war angenehm müde, richtig entspannt. Nichts tat ihm mehr weh, und er fühlte sich geradezu als stolzer Sieger. Jenny sah wunderschön aus, ihr Haar war weich und schimmernd, ihre Nägel hübsch rot, die Lippen so geschminkt, wie sie es immer tat, wenn sie sich groß aufmachte: die Oberlippe größer ausgezogen, als sie war. Jenny genierte sich wegen ihrer schmalen Oberlippe, worüber sich Robert amüsierte. Sie hatte so viele andere Vorzüge, zum Beispiel ihre Warmherzigkeit, daß er es recht naiv und kindlich fand, sich wegen einer Nichtigkeit, wie eine schmale Oberlippe es war, Gedanken zu machen. Als er hinter ihr her in den Speisesaal ging, bemerkte er, daß sie abgenommen hatte. Er beschloß, es nicht zu erwähnen. Jenny würde es vielleicht als Kritik auffassen.

Bei Tisch sagte Jenny: »Das ist wohl einer der letzten Abende, an denen wir zusammen essen.«

Robert runzelte die Stirn. »Nein. Wieso?« Einem plötzlichem Einfall folgend drehte er sich nach dem Kellner um, der neben dem Tisch stand, und bestellte sich noch einen Scotch, diesmal jedoch keinen doppelten. Jenny wollte nichts mehr trinken. »Ich werde doch öfter mal rüberkommen«, sagte Robert. »Und du kannst mich ja auch besuchen.«

»Ich hab schon daran gedacht, auch nach Philadelphia zu ziehen. Würde dich das stören, Robert?«

Einen Augenblick blieb Robert stumm. »Nein, aber …«

»Schließlich, was soll ich noch hier? Die Stadt ist schrecklich klein. In Philadelphia würde ich sicher einen besseren Job finden, als Sekretärin zum Beispiel, und mehr Gehalt bekommen als jetzt. Steno kann ich auch ein bißchen. Und das Haus, in dem ich jetzt wohne …« Sie verstummte.

»Ich dachte, das Haus gefällt dir.«

»Ich glaube kaum, daß es mir noch gefällt, wenn du nicht mehr da bist, in meiner Nähe, meine ich, und mich ab und zu besuchen kommst.«

Das Gespräch wurde langsam melancholisch. Es wäre sinnlos gewesen, die Situation mit einer albernen Bemerkung retten zu wollen, das war ihm klar. Sein Scotch kam, er nahm das Glas und trank.

Sie hatten das Vorgericht schon bestellt, und jetzt lag die Weinkarte vor ihm, um die er gebeten hatte. Er sah sie durch und entschied sich für einen Château Haut-Brion. Jenny hatte Filet Mignon bestellt. Und dann sah Robert plötzlich alles in anderem Licht: Wenn er und Jenny aus dieser Gegend fortzögen, würde Greg allein hier zurückbleiben, denn Philadelphia gehörte nicht zu seinem Bezirk. Das machte es ihm schwerer, sie beide zu belästigen. Und dann bestand noch die Möglichkeit, daß sich seine Gefühle für Jenny eines Tages änderten, daß er sie in drei, vier Monaten ebensosehr liebte wie sie ihn. Unmöglich war das nicht.

»Woran denkst du?« fragte Jenny.

»Ich dachte … Es wäre vielleicht gar keine schlechte Idee, wenn du nach Philadelphia ziehst. Falls du das wirklich willst. Du solltest es dir gründlich überlegen. Schließlich bleibe ich ja zwei Jahre dort.«

»Ich brauch’s mir nicht mehr zu überlegen. Ich hab mich schon entschlossen.«

Er sah in ihre ernsten, blauen Augen. Sie blickten jetzt ganz und gar nicht mehr kindlich drein. Vielleicht machte es die Frisur oder das raffinierte Kleid, aber Jenny sah auf einmal aus wie eine erwachsene Frau. »Ich trinke darauf«, sagte er und leerte sein Glas. Lächelnd setzte er es ab.

»Würde es dich stören, wenn ich in deine Nähe ziehe?« fragte sie.

»Na ja …« Das wollte er doch wieder nicht. »Wo wir doch beide ein Auto haben … Ist das nötig?«

Seine Antwort machte sie traurig. Sie schien verletzt, die Mundwinkel zogen sich nach unten. Obwohl der Rest des Abends sehr harmonisch verlief und Robert ihr von allem möglichen erzählte, von Albuquerque und San Francisco, von seiner Soldatenzeit in Florida und Alaska, sah sie noch immer enttäuscht aus. Wie weggewischt war die fröhliche Miene, die sonst immer verriet, daß sie jeden Moment, den sie zusammen verbrachten, bis ins letzte auskostete.

»Robert, glaubst du, du könntest mich je so lieben, daß du mich heiraten wolltest?«

Er hielt eine Zigarette zwischen den Lippen und zog so heftig daran, daß er fast am Rauch erstickte. »Ich weiß es nicht, Jenny. Ich möchte dir keine Versprechungen machen. Und ich möchte auch nicht, daß du darauf rechnest und wartest.«

»Gut. Ich verstehe.«

»Ich meine es wirklich ernst. Ich will nicht, daß du wartest.«

Als Sie hinausgingen, entdeckte Robert einen Briefkasten und lief über die Straße, um den Brief an seine Mutter und Jennys Karte mit dem Vogel einzuwerfen. Am kommenden Samstag sollte Jenny mit ihm nach Philadelphia fahren, um ein Haus oder eine Wohnung für ihn zu suchen. Oder für sie.