69

LeSeur stand inmitten der Menschenmenge auf der Hilfsbrücke und blickte auf das S-Band-Radarbild des sich nähernden Schiffes. Es wurde groß und größer, ein phosphoreszierender Punkt, der sich auf dem Radarschirm immer mehr ausweitete. Die Doppler-Ausdrucke deuteten auf eine kombinierte Aufprallgeschwindigkeit von siebenunddreißig Knoten.

»Noch zweitausendfünfhundert Meter«, sagte der Zweite Offizier. LeSeur rechnete das schnell durch: zwei Minuten bis zum Kontakt.

Er blickte auf das empfindlichere X-Band, aber darauf war kaum etwas zu erkennen. Leise und rasch informierte er die übrigen Offiziere von seinem Plan. Es war zumindest möglich, dass Mason alles gehört hatte, was er zum Kapitän der Grenfell gesagt hatte; es gab da keine hundertprozentig sichere Methode, die Gespräche vor der Hauptbrücke zu verheimlichen. So oder so, sowie die Grenfell in Aktion getreten war, würde die Britannia antworten müssen.

Chefingenieur Halsey kam zu ihm herüber. »Ich habe die Schätzungen, um die Sie gebeten haben.« Er sagte das leise, damit die anderen es nicht mitbekamen.

Also steht es so schlecht, dachte LeSeur. Er zog Halsey auf die Seite.

»Die Zahlen«, sagte Halsey, »basieren auf einem Frontalzusammenstoß mit der Mitte des Riffs, wovon wir ausgehen.«

»Machen Sie’s kurz.«

»Angesichts der Wucht des Aufpralls gehen wir von einer Todesrate von dreißig bis fünfzig Prozent aus – wobei fast alle Überlebenden schwere Verletzungen davontragen würden: gebrochene Gliedmaßen, Gehirnprellungen, Schädelbrüche.«

»Verstanden.«

»Wegen ihres Tiefgangs von elf Metern wird die Britannia den ersten Kontakt mit einer kleinen Untiefe etwas entfernt vom Hauptteil des Riffs machen. Wenn das Schiff von den Hauptfelsen gestoppt wird, wird es bereits von Bug bis Heck aufgerissen sein. Sämtliche wasserdichten Schotts und Zwischenwände werden leck sein. Die geschätzte Zeit bis zum Untergang liegt unter drei Minuten.«

LeSeur schluckte. »Besteht die Möglichkeit, dass sie an dem Felsen hängen bleibt?«

»Es gibt da einen steilen Absturz. Das Heck wird darüberschrammen und abreißen – und zwar schnell.«

»Du lieber Gott.«

»In Anbetracht der Zahl der Toten und Verletzten und der Geschwindigkeit, mit der die Britannia untergeht, werden wir keine Zeit mehr haben, irgendwelche Vorkehrungen zum Verlassen des Schiffes zu treffen. Das bedeutet, dass niemand, der zur Zeit der Kollision an Bord ist, irgendeine Überlebenschance hat. Dazu gehören auch« – er zögerte und blickte sich um – »alle Besatzungsmitglieder, die sich auf der Hilfsbrücke befinden.«

»Tausendfünfhundert Meter«, sagte der Zweite Offizier, den Blick aufs Radar fixiert. Der Schweiß lief ihm in Strömen übers Gesicht. Auf der Hilfsbrücke war alles still, alle starrten auf den grünen Punkt auf dem Radar, der immer näher rückte.

LeSeur hatte überlegt, ob er zur Warnung einen allgemeinen Befehl an alle Passagiere und Besatzungsmitglieder ausgeben sollte, sich zu wappnen, hatte es sich dann aber anders überlegt. Zum einen würde Mason, wenn sie die Lautsprecheranlage benutzten, ihr Vorhaben mitbekommen. Wichtiger aber war: Wenn die Grenfell alles richtig machte, würde die ungeheure Masse der Britannia die Wucht des Aufpralls am Bug zum großen Teil absorbieren. Es würde einen Ruck geben, der die Passagiere womöglich erschreckte oder schlimmstenfalls ein paar von ihnen von den Beinen holte. Aber er musste das Risiko eingehen.

»Tausendzweihundert Meter.«