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Die Stille, die sich über den matt erleuchteten Salon der Tudor-Suite gesenkt hatte, strafte die unterschwellige Spannung Lügen. Constance stand vor Pendergast und sah zu, wie er wieder seelenruhig einen Schluck Tee nahm und dann die Tasse beiseitestellte.

»Also?«, fragte er. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«

Constance holte tief Luft. »Aloysius, wie kannst du nur so ruhig dort sitzen und etwas befürworten, das gegen alles verstößt, wofür du je eingetreten bist?«

Pendergast seufzte mit kaum verhohlener Ungeduld. »Bitte beleidige nicht meine Intelligenz, indem du dieses sinnlose Argument nochmals aufgreifst.«

»Irgendwie hat das Agozyen deinen Geist vergiftet.«

»Das Agozyen hat nichts dergleichen getan. Es hat meinen Geist befreit. Hat ihn sauber gewischt von infantilen und engstirnigen Moralvorstellungen.«

»Das Agozyen ist ein Werkzeug des Teufels. Die Mönche wussten das.«

»Du meinst, die Mönche, die so ängstlich waren, dass sie selber das Agozyen nicht anschauen?«

»Ja, und sie sind klüger als du. Offenbar hat das Agozyen die Kraft, alles, was in denen, die es betrachten, gut und gütig und bescheiden ist, auszulöschen. Schau, was es mit Blackburn angestellt hat; er hat gemordet, um es zu bekommen. Sieh, was es jetzt mit dir macht.«

Pendergast reagierte verächtlich. »Das Agozyen zerstört einen schwächeren Geist, aber stärkt den stärkeren. Du brauchst dir nur dieses Zimmermädchen oder auch Captain Mason vor Augen zu halten.«

»Wie bitte?«

»Wirklich, Constance, du enttäuschst mich. Natürlich hat Mason das Agozyen angeschaut – welche andere Erklärung sollte es sonst für ihr Verhalten geben? Wie, das weiß ich nicht, und es interessiert mich auch nicht. Sie steckt hinter den verschwundenen Passagieren und den Morden – alles sehr sorgsam eskaliert, wie dir aufgefallen sein wird –, alles, um eine Meuterei herbeizuführen und dafür zu sorgen, dass die Britannia Kurs auf St. John’s nimmt, weil sie dann das Schiff gegen die Carrion Rocks steuern kann.«

Constance sah ihn ungläubig an. Seine Theorie kam ihr völlig absurd vor – oder war sie es doch nicht? Widerwillig bemerkte sie, dass manche Details allmählich an den rechten Platz rückten.

»Aber nichts davon ist noch wichtig.« Pendergast fuchtelte mit der Hand durch die Luft. »Ich werde keine weiteren Verzögerungen mehr dulden. Komm mit.«

Constance zögerte. »Unter einer Bedingung.«

»Als da wäre, wenn ich fragen darf?«

»Mach vorher gemeinsam mit mir eine Chongg-Ran-Sitzung.«

Pendergast sah sie forschend an. »Chongg Ran? Wie abartig – dafür haben wir keine Zeit.«

»Oh doch. Wir beide sind geistig gut geschult, um rasch den stong pa nyid zu erreichen. Wovor hast du Angst? Dass die Meditation dich wieder in die Wirklichkeit zurückführt?« Was, ehrlich gesagt, ihre sehnlichste Hoffnung war.

»Das ist doch absurd. Es gibt kein Zurück mehr.«

»Dann meditiere mit mir.«

Pendergast blieb einen Moment reglos sitzen. Dann veränderte sich seine Miene erneut. Abermals gab er sich entspannt, selbstbewusst, distanziert.

»Nun gut«, sagte er. »Ich willige ein. Aber unter einer Bedingung.«

»Und die wäre?«

»Ich habe vor, das Agozyen zu stehlen, ehe wir dieses Schiff verlassen. Wenn das Chongg Ran nicht zu deiner Zufriedenheit funktioniert, dann wirst du selbst das Agozyen betrachten. Es wird dich befreien, so wie es mich befreit hat. Ich mache dir damit ein großes Geschenk, Constance.«

Bei diesen Worten stockte ihr der Atem.

Er blickte sie kalt lächelnd an. »Du hast deine Bedingung genannt. Jetzt habe ich meine genannt.«

Sie schwieg einen kurzen Moment. Dann hatte sie die Fassung wiedergewonnen und sah ihm in die silbrig grauen Augen. »Nun gut. Ich akzeptiere.«

Er nickte. »Ausgezeichnet. Wollen wir also endlich anfangen?«

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür zur Suite. Constance ging hin und machte auf. Auf dem Flur stand eine besorgt aussehende Marya.

»Entschuldigen Sie, Miss Greene. Kein Arzt ich gefunden. Ich überall gesucht, aber das Schiff verrückt geworden, Passagiere schreien, trinken, plündern …«

»Das macht nichts. Würden Sie mir einen letzten Gefallen tun? Könnten Sie ein paar Minuten vor der Tür warten und dafür sorgen, dass uns niemand stört?«

Marya nickte.

»Vielen Dank.« Sie schloss leise die Tür und ging ins Wohnzimmer zurück, wo sich Pendergast im Schneidersitz auf den Teppich gesetzt hatte, die Handrücken auf die Knie gelegt, und völlig gleichmütig auf sie wartete.