XIII
2005. Nach dem Sommerfest bei Gabriele Heintzen war Holtrop mit einer ganz neuen Begeisterung für GELD an seine Arbeit zurückgegangen. Geld in großen und sehr großen Mengen war für ihn jetzt auf die sinnlich sehr konkrete Vorstellung von Grundbesitz in großen und am besten riesengroßen Ausmaßen bezogen. Er hatte außerdem auch einige Fragen an Mack, die sein Geld und die Verhältnisse in der Veerendonckbank betrafen. Mack erklärte, der Einwand gegen die Veerendonckbank, der verschiedentlich erhoben werde, Bargeldverkehr sei nicht möglich, sei Unsinn und könne von ihm an dieser Stelle zurückgewiesen werden. »Blödsinn«, sagte Mack, »Bargeldverkehr ist möglich.« Mack beschrieb die Prozedur folgendermaßen: Das Bargeld wird in den Filialen der Bank entgegengenommen, kann dort in Buchgeld umgewandelt einem Konto gutgeschrieben werden oder nach Schweizer Art direkt bar in die Tresorräume der Bank verbracht. Auch für die Auszahlung von jeder Art von Geld an den Kunden, speziell von zuvor als Buchgeld noch nicht fixierten Bargeldern, hält die Bank an allen Standorten in dafür eigens eingerichteten Liquiditätsschleusen anonymisiert hochprozentig verzinste Mittel vor. In der Münchner Filiale der Veerendonckbank am Promenadeplatz war die entsprechend gehebelte Geldpumpe in die Zwischenwandkammer zwischen den Beratungszimmern Zirbelstube und Hanseat im zweiten Stock eingebaut. Der von Mack beauftragte Bote kam in der ersten Hälfte des Jahres einmal im Monat, seit Mitte des Jahres alle zwei Wochen via Luxemburg mit dem Auto nach München und brachte die in London von Holtrop zuvor generierten und nach Brüssel transferierten Übersummen in kleinen Tranchen zu je drei- bis vierhunderttausend Euro zuerst in eines der beiden Besprechungszimmer. Dort quittierte der bei Veerendonck München für Holtrop zuständige Privatbeamte dem Boten die Summe und verließ das Zimmer. In der Zirbelstube auf der rechten Seite, im Zimmer Hanseat links ging dann die in die Lamperie eingeschnittene Türe auf, durch die der Geldbote die Kammer dahinter betrat. Von dort aus führte eine elektronisch gesteuerte Metallschachtvorrichtung, die Materie im Raum durch Wände hindurch bewegen konnte, direkt in die Tresoranlage im Keller der Bank. Hier empfing der diensthabende Kellerbeamte den Boten und brachte ihn durch zwei mit Stahlbolzen und Zahlschloßsystem steuerabweisend gesicherte Feuertüren in den eigentlichen Barraum, wo das Geld auf den Tisch gelegt und, nachdem der Bote den Raum verlassen hatte, normalerweise in den dahinter eingezogenen Fluchtgang mit Rücklauftreppe zur Garage, vorschriftsgemäß automatisch zum Verschwinden gebracht wurde. In umgekehrter Richtung und auf gleiche Weise wurde das Geld, wenn benötigt, wieder rematerialisiert. Holtrop war von diesen Darstellungen, was mit den von ihm erwirtschafteten Geldern und Gewinnen konkret geschehe, weniger beruhigt als vielmehr zusätzlich erregt und fühlte sich dazu veranlasst, möglichst viel von diesen auf diese Art sicher verwahrten Geldmitteln zusätzlich zu generieren, solange das so besonders gut und leicht möglich war wie durch seinen international ausgerichteten Job bei der Cain Corps Inc. Holtrop war also, worüber er sich freute, von Mack genau so angefixt worden, wie Mack das bei allen seinen Kunden machte, um sie nach seinen Wünschen steuern zu können, denn je mehr Geld Macks Kunden heranschafften, umso mehr davon blieb natürlich bei Mack hängen, wie vertraglich vereinbart. Im Spätsommer nahm Mack Holtrop mit nach Sylt, wo ein zweitägiges Poloturnier stattfand. »Man muss die Reichen zueinanderhetzen«, sagte Mack zu Holtrop, »das befördert ihre Gier.« Holtrop lachte über diesen Scherz von Mack, ohne darüber nachzudenken, selbstverständlich auch ohne sich selbst davon gemeint zu fühlen. Denn da war es wie mit den Toten auch: die Reichen sind immer die anderen. Das Poloturnier war eine Veranstaltung der Veerendonckbankchefs. Die traditionsreiche Bank wurde seit einigen Jahren von zwei Hochstaplern, die sich selbst als Dick und Doof vorstellten, geleitet, beide hatten an verschiedenen Stellen in die weitverzweigte alte Familie, der die Bank gehörte, eingeheiratet, Dick hieß eigentlich Graf Sittl, Doof war ein geborener Baron von Solling-Bleichen, und zusammen hatten sie für ihre Arbeit bei der Bank das Ziel identifiziert: die Bank so schnell und effektiv wie möglich auszuplündern, im Sinn eines von Graf Sittl bei Marx entlehnten Gedankens, was gegen den Besitz einer Bank zu sagen sei, solange von der Pleite ihrer Kunden wenn schon nicht die Bank selbst, so doch wenigstens die Chefs der Bank profitierten. VW sponserte das Turnier auf Sylt, um seinen Polo zu promoten. Die Veranstaltung war sehr wenig mondän, das Wetter war schlecht. Hinter weißen Holzgattern standen die Zuschauer zu leicht bekleidet in der eisigkalten Sylter Luft, die Reiter des Teams von VW trugen knallrote Trikots, das wenigstens ergab für Momente eine schöne Farbwirkung. Im Wind knatterten die Fahnen der Sponsoren, von VW und Rewe, von Henkell, Möbel Höffner und Saturn. Es schaute traurig aus. Die ganze Szenerie schrie: GEIZ IST GEIL. Sylt kam Holtrop schlimmer als Krölpa vor, eine Kloake für die Deppen und Dümmsten des Nordens. Vom Spielfeld her hörte man das Getrampel der galoppierenden Pferde und das Schnauben und Rotzen ihrer Nüstern. Der Wind jagte den Zuschauern mit seinen Böen den Sand in die Augen. Holtrop war von Baron Solling gerade der kurz zuvor wegen Geldproblemen bei VW ausgeschiedene Hartz-IV-Erfinder Prof. Dr. Peter Hartz vorgestellt worden, und Graf Sittl hatte den beiden gerade ein neues Glas Billigsekt gebracht, da hörte man Schreie vom Spielfeldrand und sah eines der Pferde erschreckt hochsteigen und wild mit den Vorderbeinen in den diesig verhangenen Himmel hineinschlagen. Der Reiter hatte Mühe, das Pferd zu halten, es war ein wunderschöner Rappe, der laut brüllte und scheute und immer neu hochstieg und den Reiter abzuwerfen versuchte. Gegen die herbeigeeilten Helfer wehrte sich das Pferd mit seinen fellbeschweiften, eisern beschlagenen Hufen und schlug auf die Leute, die das Pferd vergeblich zu bändigen und zu halten versuchten, immer wieder wütend ein. Schreie der Leute, brüllendes Wiehern des Pferdes, war das schon Babylon, die große Klage, das Kommen des letzten oder ersten Gerichts? Danach wollte Holtrop weg aus Hornum, weg von Sylt und nicht mehr so schnell dorthin.