III
Besser hätte Zischler nicht vorlegen können, blöder hat selten jemand im Vorstand der Deutschen Bank geredet. Hombach musste nur noch vollstrecken, aber schon während der einleitenden Sätze, die er sagte, war Bauers Blick skeptisch geworden, weil Hombach so übertrieben selbstsicher auftrat. Nicht falsche Ideen sind das Problem im Management, sondern richtige, die denen, die sie denken, überzogene Selbstgewissheitsgefühle eingeben. Hombach war sich seiner Sache so sicher, dass er seinen Vorschlag ganz unverklausuliert vorbrachte: Der Vorstand möge beschließen, dass der Vorstand entmachtet, verkleinert, nach London verlegt und faktisch abgeschafft werde. Alle bisherige Macht des Vorstands gehe auf den künftigen Vorsitzenden des Vorstands, auf ihn, Hombach, über, Punkt. Derart offen mit der Aufforderung zur Selbstabschaffung konfrontiert, kamen sogar den unbedingtesten Anhängern Hombachs, die sich bei Hombach im Lager des Fortschritts auf der richtigen Seite sahen, doch noch einmal die berühmten zweiten Gedanken. Was, wenn der hier per Ermächtigungsbeschluss zur Rettung der Bank berufene Diktator Hombach eventuell durchdreht? Hombachs Begründung für seinen Vorschlag wirkte beunruhigend, weil sie inexistent war, es wurde nichts begründet, nur das Selbstverständlichste gesagt. Einsparungen, Verkäufe, Kerngeschäft. Konzentration, Ausbau, Erträge. Die virtuelle Kasse klingelte. Auf den Stühlen an der Wand, bei den Assistenten der Vorstände, kamen die Ankündigungen Hombachs, die so leer waren wie jedes beliebige Politparteienprogramm, besonders wenig gut an. Alles wird verbessert, für alle, und zwar sofort, wenn er, Hombach, erst einmal herrschen würde. Das war die Kernaussage von Hombachs Rede. Das war bisschen wenig. Das hatte Hombach in verschiedenen Interviews der Öffentlichkeit auch schon angekündigt. Da hatte man hier jetzt mehr erwartet. War Hombach schlecht vorbereitet? Oder war er jetzt schon größenwahnsinnig geworden? Inzwischen redete Hombach über Formalien des Aktiengesetzes und Feinheiten der gegenseitigen Beschränkung der ineinander verschränkten Verantwortlichkeiten von Vorstand und Aufsichtsrat. Es ging dabei implizit darum, dass der hier zur Selbstabschaffung aufgeforderte Vorstand sowieso nur ein Vorschlagsrecht dem in solchen Satzungsfragen final entscheidungsverantwortlichen Aufsichtsrat gegenüber habe, gerade deshalb aber der angeregte Beschluss alternativlos sei, wieso deshalb?, dachte da jeder, und jetzt gefasst werden müsse. Sofort. Da bat Hombach plötzlich, unter Nennung verschiedener Ziffern und Verweis auf die Unterlagen, ganz unvermittelt um das Handzeichen der Zustimmung. Dabei hob er selber seine rechte Hand und schaute die Kollegen an. Ein Zaudern war spürbar. Die Leute schauten weg von Hombach und schauten sich auch gegenseitig möglichst wenig an. Das ging allen jetzt zu schnell. Und das Warten, Atmen, Wegschauen der Aufgerufenen wirkte bald schon mehr als nur zögerlich. Fast im selben Moment war das Ergebnis auch schon da, Hombachs Vorschlag war abgelehnt. Hombachs Kollegen waren kollektiv nicht überzeugt, der Siegertyp Hombach hatte seine Leuchtkraft in dieser Situation überschätzt, sichtlich zur Freude von Bauer.
Bauer saß zurückgelehnt da und machte nichts und strahlte Heiterkeit aus. Es war eine Heiterkeit aus Schadenfreude. Die Art, wie Hombach, seit er zu Bauers Nachfolger nominiert worden war, immer wieder deutlich gemacht hatte, wie extrem wenig er von Bauers Führungsstil, von Bauers Strategie zur Ausrichtung der Bank und am Ende zuletzt ja einfach von Bauer insgesamt als Typ und Mensch hielt, war im Kern genauso stillos und scheußlich wie Zischlers nur noch etwas penetrantere Cowboystiefelallüren. Aber so war die neue Zeit. Die alte BRD und ihre alten Herren mit den halb korrupten Netzwerken der alten Deutschland AG waren in den letzten Jahren des alten Jahrhunderts, auch mit Kohls Spendenaffäre, wirklich endgültig untergegangen. Jetzt kamen die Neuen, auch eine neue Art Chef. Der Jung-68er Hombach, Jahrgang 48, war genau so ein Typ, der exzessiv von sich selbst eingenommene, innerlich enthemmte Ichidiot, egoman verkrüppelt. Aber: allen gefiel das, überall kam der neue Egostil gut an, bei der Bild-Zeitung genauso wie bei der Taz. Die Phantasie an die Macht, hatte es eben erst geheißen, jetzt waren die Protagonisten dieser einstigen Aufstandsparolenjugend real an die Macht gekommen, noch in Bonn waren Schröder und Fischer, der Turnschuh-Fischer, der blitzschnell zum Dreireiher- und Siegelring-Fischer mutierte Suppenkasper-Fischer, als neue Chefs der rotgrünen Regierung vereidigt worden, und wie war der Stil ihres Auftretens von Anfang an gewesen: unsympathisch, angeberhaft, grobianisch. Und vor allem: mega-autoritär. Die generationengegebene Ablehnung von Autorität hatte zu einer in der Praxis grotesken, an Blindheit grenzenden Unfähigkeit zur Einsicht in alle komplizierter austarierten Selbsteinschränkungsmechanismen realer Macht- und Herrschaftsausübung geführt, der Basta-Kanzler-Stil regierte, selbstgefällig dröhnend, die Politik, die Wirtschaft, die Chefs.
Aber noch regierte Hombach in der Deutschen Bank ja eben gerade nicht. Noch war er wacher Geist, dem das Zaudern der Kollegen, das Hämische von Bauers Abwarten nicht entgangen war. Er wollte die Stille nicht überlang werden lassen, den Moment nicht so überdehnen, dass eine Abstimmungsniederlage unvermeidlich zu konstatieren gewesen wäre. »Ja«, sagte er und lachte, »die Begeisterung ist allseits groß. Ich sehe und verstehe, wir sind noch nicht so weit, diese Fragen, die ja sowieso eher technischer Natur sind, jetzt schon final zu entscheiden. Das muss auch gar nicht sein. Vertagen wir.« Und mit Blick zu Bauer: »Sonst noch was?«