VIERZEHN

Von allen Rastmöglichkeiten, an denen sie vorbeigefahren waren, hielten sie an der heruntergekommensten an. Es war sprichwörtlich ein Klotz mitten im Nirgendwo. Shane war unschlüssig, ob dieser Fleck überhaupt als Toilette gedacht war. Vielleicht wurde er einfach nur als solcher genutzt, da er sowieso unansehnlich und gottverlassen war. Es gab auch nirgendwo etwas anderes, das dazu verwendet werden konnte.

Sie beschlossen, abwechselnd zu gehen; es schien die beste Idee zu sein. Sollte etwas passieren – würde eine Horde aus dem Nichts erscheinen, würden sie es zu spät bemerken –, so könnte derjenige am Steuer sofort hupen.

Marla war die Erste. Nicht nur, weil sie kurz davor stand zu platzen, sondern weil sie auch ein paar ›weibliche Bedürfnisse‹ hatte, auf die sie Rücksicht nehmen mussten, obwohl sie diese der Gruppe nicht unbedingt preisgeben wollte.

Das Innere des Toilettenklotzes ließ das Äußere im Vergleich dazu wie das Weiße Haus erscheinen. Überall lagen Porzellanscherben auf dem Boden verteilt, vermutlich, weil jemand gegen die Toilettenschüssel getreten hatte, in der Kabine stand das Wasser etwa zwei Zentimeter hoch; in ihm schwammen Zigarettenstummel und Tampons.

Marla balancierte durch den Raum und verbarrikadierte sich in der dritten Kabine. Nachdem sie den Sitz mehrmals mit WC-Papier abgewischt hatte – sie war überrascht, dass es so etwas in dieser Jauchengrube überhaupt gab – zog sie ihre Jeans herunter und setzte sich.

Die darauffolgende Erleichterung war kaum zu beschreiben. Sie seufzte und schloss die Augen, ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln.

Das Wasser weichte langsam ihre Stiefel auf; sie konnte die Kälte spüren, die langsam von ihren Zehen aufwärts kroch und sie erschauderte.

Was würde sie nicht alles für eine warme Dusche geben; sich mit Seife einzureiben und Kokos Conditioner zu verwenden. Sie stellte sich das warme Wasser vor, es war cremig, floss über ihren Körper, perlte ab und hinterließ dabei warme Spuren. Wie im Himmel – zumindest wäre es das gewesen –, aber sie saß auf einer dreckigen Toilette mitten im Nirgendwo, eiskaltes Wasser brachte ihren ganzen Körper zum Zittern.

Sie öffnete ihre Augen und versuchte die Tatsache zu vergessen, dass sie für lange Zeit auf eine warme Dusche verzichten musste, wie auch auf eine langfristige Beziehung; die Apokalypse hatte einen großen Teil der Menschheit ausgerottet.

Nachdem sie fertig war, griff sie nach dem Toilettenpapier.

Und dann sah sie es, ihr Herz schien ihre Kehle hochzuspringen.

Durch ein kleines Loch in der Wand entdeckte sie ein blutunterlaufenes Auge. Beinahe rutschte sie von der Toilette in das eiskalte Wasser.

Das Auge verschwand, was aber nicht alles war. Dessen Besitzer tauchte am Boden auf. Es – sie – versuchte sich irgendwie von unten in die Kabine zu quetschen. Sie spritzte herum, knurrte und schnappte nach Marlas Füßen. Schwarzer Sabber tropfte ihr aus dem Mund, landete im Wasser und wurde dort verdünnt.

Marla schrie, in der Hoffnung, dass man sie vom Snatch aus hören konnte. Sie sprang vom Sitz hoch und versuchte, sich so weit es ging von dem höllischen Ding fernzuhalten. Es war nicht einfach mit halb heruntergelassener Jeanshose, dann landete sie auf dem Boden neben der Muschel und trat auf die Untote ein.

Dieses Ding war offensichtlich schon die ganze Zeit da gewesen; wenn es nach Marla hereingekommen wäre, hätten die Jungs beim Jeep schon längst gehupt.

Wie lange? Hat es gewartet, hatte es in einem Versteck gesessen, wo es darauf wartete, dass das Futter zu ihm kam?

Marla trat mit ihrem linken Bein aus, dabei traf sie das Ding so fest mitten ins Gesicht, dass dessen Nase gebrochen wurde und dunkler Schleim in alle Richtungen spritzte. Das Nasenbein ragte heraus, und diesen sichtbaren Knorpel wollte Marla wieder zurückquetschen.

Das Ding schnappte nach ihrem tretenden Bein und zog sich daran nach vorne, wenige Zentimeter. Marla schrie, in der Hoffnung – bitte Gott, verflucht, hilf mir –, dass ihre Retter genau jetzt kommen würden, so wie sie das in Filmen auch immer taten.

Die Kreatur hatte es schon halb geschafft. Der Oberkörper war schon komplett durchgekommen und das Ding versuchte, Marlas wirbelnde Beine zu erwischen, um sie daran zu sich zu ziehen.

»Verdammte Schlampe!«, schrie Marla und rammte der Kreatur ihr Knie ins Gesicht. Die Nase, die bereits zerschmettert war, war nun völlig weg und stattdessen war da nun ein riesiges Loch. Dicker schwarzer Schleim quoll daraus heraus. Die Kreatur bemerkte es nicht – oder kümmerte sich nicht darum – und schwang ihren Arm über Marlas Bein. Es gelang ihr, an der Jeans Halt zu finden. An der Hose, die immer noch um Marlas Arsch hing, zog sie Marla näher an sich heran.

Marla schlug mit beiden Fäusten um sich und schaffte es, den Kopf des Dings zur Seite zu schlagen, wodurch es nicht mehr nach ihrem nackten Fleisch schnappen konnte. Es verschaffte ihr die nötige Zeit, in der sie nach ihrer einzigen Waffe greifen konnte.

Sie stieß sich mit ihren Beinen am Kopf der Kreatur ab, dorthin, wo sie hin wollte. Dann griff sie hinüber und hob den Deckel des Spülkastens an. Er fühlte sich schwer und gefährlich in ihrer Hand an.

Ihre Füße rutschten im Wasser aus, sie landete hart und schmerzhaft auf der Toilette. Später würde ihr Steißbein sicherlich wund sein.

Die Kreatur schrie, ihr Gesicht verzog sich noch grauenhafter, als es bereits der Fall war. Mit ihren Klauenhänden kratzte sie um sich, und irgendwie wurde dem Ding bewusst, dass das Futter verschwand, wenn es gekratzt wurde.

Marla hob das Porzellan hoch über ihren Kopf und schrie, lauter als das untote Ding, lauter als sie es selbst erwartet hatte. Sie ließ es herunterschnellen und traf damit mit voller Wucht den Schädel. Ein Auge ploppte aus dem Kopf und schwamm jetzt im trüben Eiswasser.

Marla hob den Spülkastendeckel noch mal an und schlug damit nochmals zu, leiser diesmal. Fleischfetzen flogen umher, als der Deckel in der Stille auf das Ding traf.

Die Kreatur sackte mit dem Gesicht voran in das Wasser, wo es regungslos liegenblieb. Gehirnmasse lief gallartig aus.

Marla versuchte zu atmen. Tränen brannten in ihren Augen, als sie mit dem Deckel ein letztes Mal auf den Kopf einschlug. Sie setzte sich einen Moment, sammelte ihre Gedanken und versuchte zu ergründen, was gerade geschehen war.

Stehend zog sie ihre Hose hoch; sich abzuwischen, schien nun sinnlos zu sein und wäre nur eine Macht der Gewohnheit gewesen.

Als sie nach draußen ging, traf die sie Kälte mit voller Wucht, sie kämpfte gegen ihre verräterischen Tränen an.

Der Jeep parkte immer noch an derselben Stelle wie zuvor; Shane beugte sich lächelnd aus dem Fenster.

Marla hätte ihm am liebsten eine verpasst. Einfach direkt auf ihn zugehen und ihm einen Schlag mitten auf die Nase geben, so wie sie es auch mit der Kreatur gemacht hatte.

»Besser?«, fragte Shane und stieg aus dem Jeep. Als ihm auffiel, dass sie von oben bis unten nass war, machte sich ein verwirrter Ausdruck in seinem Gesicht breit.

Marla schüttelte ihren Kopf. »Du solltest lieber die Toiletten überprüfen, bevor du pinkeln gehst«, sagte sie den Tränen erneut nahe. »Und, ich weiß zwar nicht, wie es bei den Männern aussieht, doch bei den Frauen ist alles überschwemmt.«

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, kletterte sie in den Jeep.

Ohne Tränen.

Diesmal nicht.