VIER
Schweiß lief ihm ins Gesicht und weiter auf sein pastellblaues Hemd, was es wie einen Rorschach-Test färbte. Gott, war es heiß, und doch zitterte er, und während er aufgrund der Grippe den unkontrollierbaren Zuckungen erlag, fühlte er, wie seine Hose zwischen den Beinen nass wurde.
Großartig, dachte Max Martigan. Zwei Kriege überstanden, ich bin 97 Jahre alt geworden, ohne auch nur einen Hauch von Demenz, und dann piss ich mir vor lauter Kälte in die Hose.
Er lachte in sich hinein, weshalb er zu husten begann und sein Gesicht rot anlief.
Als er sich wieder fing, tupfte Susie Bloom ihm mit einem bereits aufgeweichten Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
»Was ist los?«, fragte sie, als sie seinen plötzlichen hysterischen Anfall bemerkte. »Haben Sie sich selbst einen neuen Witz erzählt?«
Er schüttelte den Kopf, dabei musste er gegen einen weiteren Hustenanfall ankämpfen. »Ich dachte nur kurz«, fing er an. »Wissen Sie eigentlich, wie alt ich bin? Ich werde es Ihnen verraten. Ich bin alt genug, um mich an die erste Mondlandung zu erinnern, so als wäre sie gestern gewesen. Ich kann mich erinnern, dass ich mich im Keller auf der Farm meiner Mutter versteckt hatte, mit acht Jahren, nur für den Fall, dass die Nazi-Bastarde einige Bomben auf uns herabwarfen. Ich hatte mich für den nächsten Krieg gemeldet, nur um meine Zeit, die ich in dem verdammten Keller verbracht habe, zurückzubekommen – verzeihen Sie mein schlechtes Französisch. Und wissen Sie, was das Witzigste daran ist?«
Tat sie nicht. Was sie aber wusste, war, dass, was auch immer der alte Mann nun dabei war, von sich zu geben, es wohl für niemanden außer für ihn selbst witzig sein würde.
»Es mussten sich erst die Toten erheben, um mich dazu zu bringen, mir in die Hose zu pinkeln.« Auf diesen Satz folgte wieder ein unkontrollierter Lachanfall. Susie konnte nicht anders, als mitzulachen; es war einfach ansteckend, zumindest auf witzige Art. Bei Gott hoffte sie, dass er nicht auf andere Weise ansteckend war.
Gerade als beide zusammen anfingen zu lachen, kam Kelly Bloom herein und setzte sich neben Max. Kelly war Susies Tochter, und trotz ihres jungen Alters – sie war achteinhalb Jahre alt, obwohl sie den meisten Leuten immer sagte, sie sei acht dreiviertel Jahre alt –, wusste sie mehr, als die meisten Erwachsenen sich jemals zu erträumen dachten.
»Was ist so witzig?«, fragte sie lächelnd. Es war wirklich ansteckend. »Max, Sie sehen tatsächlich so aus, als sollten Sie mal Luft holen.«
Er hustete, spuckte, riss sich kurz zusammen und fing wieder an zu lachen.
»Max und ich unterhielten uns gerade«, erklärte Susie. »Er hat mir vom Krieg erzählt.«
Kelly wirkte verwirrt. »Nun, das ist nicht gerade witzig«, meinte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ihr alten Leute macht immer so seltsame Dinge.«
Max würgte sein Lachen ab und sagte: »Das tun wir! In der Tat, das tun wir, aber wie du sicherlich bemerkt hast, junge Kelly, wenn du erst einmal so alt wie ich bist, spielt nichts mehr eine Rolle. Irgendjemand wird für dich da sein und alles für dich tun, dir Dinge erzählen, an die du dich Jahrzehnte nicht mehr erinnert hast, und in der Zwischenzeit wirst du eine gigantische Leere zu füllen haben. Lass es dir von mir gesagt sein, Lachen ist vermutlich der beste Weg, diese Leere zu füllen.«
Kelly hatte keine Ahnung, was der alte Mann da von sich gab, aber für ihre Mutter, in deren Blick eine Mischung aus Faszination und Anerkennung zu erkennen war, schien es Sinn zu machen.
»Kelly, warum gehst du nicht zu Sam und spielst mit ihm?«, fragte ihre Mutter, als sie Schweiß von Maxs Gesicht wischte.
»Mo-om«, jammerte Kelly. »Ich weiß, dass er so alt wie ich ist, was aber noch lange nicht bedeutet, dass wir die besten Freunde sind.
»Niemand verlangt von dir, dass du ihn heiraten sollst«, kicherte Susie. »Geh einfach und unterhalte dich mit ihm, während Mami hier fertigmacht.«
Kelly seufzte schwer, was sowohl gewollt als auch übertrieben wirkte. »Okay«, sie gab schließlich nach. »Aber ich tue das nur, weil du mich so nett darum gebeten hast, und wenn er mich ärgert, werde ich ihm sagen, was er für ein Idiot ist.«
Max lachte, und das so laut, dass seine Augäpfel drohten herauszufallen. »Sag ihm«, setzte er an. »Sag ihm, dass Mama keine Tölpel möchte.«
Kelly lachte, obwohl sie keine Ahnung hatte, warum. Sie stand auf, winkte mit ihrer kleinen Hand Max Martigan zu, küsste ihre Mutter auf die Wange und tanzte hinaus in den Gang, als ob sie sich um die Welt nicht die geringsten Sorgen machte.
»Sie ist ein Engel«, meinte Max. »Sie sind sehr gut zu ihr.«
Susie schüttelte den Kopf. »Ab und zu kann sie auch normal sein. Das Blöde an der Sache mit der Erziehung eines klugen Kindes ist, dass man sehr bald herausfindet, wie klug es ist.« Sie griff zu Maxs Hemd, als ob sie ihn für seinen ersten Schultag vorbereiten wollte; er lächelte dabei. »Sobald sie herausgefunden haben, dass sie etwas schlauer als die Durchschnittsknirpse sind, ist es ein Kampf der Intellekte.«
Max schob sich mit den Ellbogen nach vorne. Zu lange hatte er auf dem kalten, harten Boden verbracht, weswegen sein Arsch bereits schonungslos taub war. »Nun«, sagte er. »Sie ist sehr nett, trotz dieser Kleinigkeiten.«
Susie gefiel es ganz und gar nicht, den alten Mann in diesem Zustand sehen zu müssen, aber es war zu erwarten. Ein 97 Jahre alter Mann, von der Grippe geplagt, konnte sich nur eine Zeit lang widersetzen. Max Martigan stand kurz vor seinem Ende.
Und das wusste er; besser als jeder andere.
Vielleicht lag es an der Tatsache, dass der Planet dabei war, zur Hölle zu gehen, was ihm die Angst vor dem Tod nahm. Zumindest würde er nicht als einer der Infizierten zurückkehren, nicht, wenn er unter normalen Umständen starb.
Susie hatte ungefähre Vorstellungen, wie es ausgehen würde, und das beinhaltete nicht, von einer Horde fleischfressender Zombies in Stücke gerissen zu werden.
»Ich nehme nicht an, dass für einen alten Mann wie mich noch ein paar Pillen übrig sind?«, grunzte Max so, als kannte er die Antwort bereits.
Susie schüttelte verneinend den Kopf. »Sie haben keine mitgebracht«, erklärte sie. »Ich werde den Captain fragen, aber ich denke nicht, dass noch welche im Lager sind.«
Sie setzte sich wieder auf und nahm seine kalte, feuchte Hand zwischen ihre.
»Es wird schon alles gut werden«, sagte sie, dabei schenkte sie ihm ihr bestmögliches beruhigendes Lächeln, das sie aufbringen konnte.
»Irgendwie bezweifle ich das«, grinste er, seine Zähne verrieten, dass er sie in den letzten Jahren ein wenig vernachlässigt hatte, seine Koffeinsucht war sichtbar; was aber immer noch besser war als die Alkoholsucht in seinen jungen Tagen.
Sie ließ ihn alleine, um herauszufinden, ob es noch irgendwelche Tabletten gab, die den Schmerz und das Leid des alten Mannes lindern konnten.
Als sie zurückkam, war Max Martigan friedlich gestorben, zumindest friedlicher als durch die Hände einer Horde.