ZEHN
Mit dem Sonnenaufgang kam die Hoffnung auf Tauwetter. Es hatte zwar nur wenige Stunden geschneit, den Boden bedeckte jedoch eine zentimeterdicke Schicht. Der Snatch war für jegliches Terrain konstruiert worden, dennoch drehten die Reifen auf dem Schnee durch, worauf jedes Mal Panik folgte.
»Jesus Christ!«, entwich es Marla, die sich an der Halterung vor ihr festkrallte. »Fühlt sich nicht gerade sicher an.«
»Alles in Ordnung«, versuchte Shane zu beruhigen. »Liegt an der Eisschicht unter dem Schnee. Vermutlich die schlechteste Kombination. Ich denke, auf dem Highway wird’s besser werden.«
»Glaubst du, dass dort keine Autos sind?«, fragte Marla ihn. Neben ihr hob Jared seine Augenbrauen. »Hast du etwa angenommen, dass sich unsere Reisezeit durch dieses gottverdammte Wetter auch noch verkürzt hat?«
»Scheint so«, bestätigte Shane. »Doch das macht nicht den geringsten Unterschied. Unser Vorhaben ist es, dort anzukommen, wo wir hin sollen, und das in einem Stück. Ich werde mit etwa zehn Stundenkilometern fahren, was bedeutet, dass wir mit all unseren Gliedmaßen in Jackson ankommen werden.«
»Die Untoten sind aber schnell«, flüsterte Marla. »Lass uns nur hoffen, dass wir denen nicht in die Quere kommen. Derzeit sind wir Essen auf Rädern.«
Der Wagen schlitterte ein paar Zentimeter nach rechts; Shane packte das Lenkrad fester und stabilisierte die Lage, dabei versuchte er, möglichst ruhig zu bleiben und so auszusehen, als ob er alles unter Kontrolle hätte.
»Ein verdammt beschissener Trip«, schimpfte Marla, die sich wieder in ihrem Sitz zurücklehnte. Als sie bemerkte, dass Jared sie ansah, sagte sie: »Ach, mach dir keine Sorgen. Alles ist unter Kontrolle. Gut, zumindest alles, bis auf den verdammten Jeep.«
Jared zwang ein Lächeln hervor. »Scheint so«, sagte er. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mir in die Hosen geschissen habe.«
Marla verzog angewidert ihr Gesicht. »Ihhh. Denk doch mal nach, bevor du zu reden anfängst.« Sie lachte, und wurde durch ein unangenehmes Schlittern nach links unterbrochen.
»Wir sind okay«, beruhigte Shane von vorne. »Musste nur einer Leiche auf der Straße ausweichen.«
»Was?«, fragte Jared, jetzt noch ängstlicher.
»Es ist okay«, fügte Terrys Stimme an. »Es war kein Untoter; nur ein armer Hurensohn, der nicht schnell genug war. Gott möge seiner Seele gnädig sein.«
Jared entspannte sich. »Ich kann nicht glauben, dass wir die Baracken verlassen haben«. Zu Marla sagte er: »Ist es möglich, dass man vom einfachen Sitzen einen Herzinfarkt bekommen kann?«
Sie nickte.
»Gut zu wissen«, sagte er. »Das werde ich auf meine Liste der zu merkenden Dinge setzen.«
Marla wollte gerade antworten, als der Jeep langsamer wurde. Bis er unerwartet anhielt, oder zumindest fühlte es sich so an. Soweit sie sehen konnte, gab es allerdings keinen wirklichen Anlass dafür. Würde die Ampel auf Rot stehen, würden sie nie und nimmer für diese Übertretung einen Strafzettel bekommen, also könnten sie auch einfach weiterfahren.
Sie hämmerte mit ihrer Hand laut gegen das Gitter, welches daraufhin klapperte. »Ich sagte doch, wir würden ewig dorthin brauchen. Und dabei waren noch keine zwischenzeitlichen Stopps mit einberechnet.«
»Marla, halt doch einfach die Klappe«, schnappte Terry. Die Angst in seiner Stimme war hörbar. »Wir haben ein kleines Problem.«
Der Motor starb ab. Marla wusste nicht, ob es ein Problem mit dem Jeep gab, oder Shane ihn abgewürgt hatte. Sie hoffte auf Letzteres, was auch seine Schattenseiten hatte.
Es bedeutete, dass etwas wirklich Schlimmes geschehen war.
Und das war es auch.
Marla richtete sich auf und sah durch das Gitter. Sofort wünschte sie sich, es nicht getan zu haben.
Da waren acht von denen, die durch den Schnee auf sie zu schlurften. Marla spürte die Galle ihre Kehle hochkommen und eine Panik in sich aufkeimen, die sich wie eine Tonne Ziegelsteine anfühlte. Es war gut, dass Jared nicht das sehen konnte, was sie soeben sah; denn dann hätte er sich wirklich in die Hosen geschissen. Stattdessen saß er ruhig da, ihm war durchaus bewusst, dass etwas Schreckliches passieren würde, aber er hatte zu viel Angst danach zu fragen.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Marla, dabei versuchte sie, so leise wie möglich zu klingen. »Shane?«
Er schüttelte seinen Kopf und zog eine Pistole aus der Ablage in der Seitentür. Terry hielt mit beiden Händen die Flinte, beide von ihnen schienen keine Eile zu haben.
»Wir warten«, sagte Shane. »Setz dich zurück und bleib still.«
»Wa–«
»Wenn sie uns hören, werden sie direkt auf uns zusteuern. Wir müssen das Ganze auf unsere Weise durchziehen«, erklärte er. »Wir müssen uns tot stellen.«
Marla gefiel der Plan – oder der Nichtplan – kein bisschen. Durch sie hindurchzufahren, wäre für sie die bessere Option gewesen, was aber einige Gefahren mit sich gebracht hätte. Zuerst war da der Schnee; einmal rutschen und alles könnte außer Kontrolle geraten. Dann wären sie ein leichtes Ziel für die Kreaturen, kaum dass der Jeep zum Stehen gekommen wäre. Zweitens waren es acht von denen, und sie waren zu verstreut, was einen Gegenschlag ziemlich erschwerte. Natürlich würden drei oder vier von ihnen fallen, aber die seitlich von ihnen – die Problemfälle – würden mit allen Mitteln versuchen, in den Jeep zu gelangen. Somit war dies ganz und gar keine Option.
»Das ist eine schlechte Idee«, flüsterte Marla, die sich mittlerweile im Fußraum des Wagens ganz klein gemacht hatte. Jared gesellte sich wie gelähmt zu ihr.
»Was zum Teufel ist da draußen?«, flüsterte er, seine Stimme krächzte und klang so, als ob er gleich anfangen würde zu heulen.
»Vertrau mir«, sagte Marla, dann hob sie beide Hände über ihren Kopf, als ob sie sich so besser verstecken könnte. »Es ist wesentlich besser, wenn du es nicht weißt.«
Scheiße, dachte Jared. Mehr brauchte er nicht zu wissen.
Drei von den Dingern hatten den Wagen erreicht. Mit ihren blutverschmierten Händen tapsten sie auf der Motorhaube herum. Shane beobachtete mit einem halb offenen Auge, wie eines von den Dingern versuchte, den Jeep von der einen Seite auf die andere zu kippen.
Zum Glück sind die Fenster zu, dachte Shane.
Als eine Kreatur – ein fetter Mann, der nichts als eine Bundhose und ein Unterhemd trug – mit ihren fettigen Wurstfingern seitlich am Wagen schabte, bereitete sich Terry auf das Unvorstellbarste vor. Mit der einen Hand hielt er den Lauf der Flinte, mit der anderen blieb er am Abzug. Sollte irgendetwas versuchen hier hereinzukommen, könnte er sofort darauf losballern und es, egal was es war, ins Jenseits befördern. Über die Konsequenzen würde er sich nachher den Kopf zerbrechen. Überleben schien im Moment das Wichtigste zu sein.
Eine weibliche Untote, vermutlich hat es sie beim Radfahren erwischt, was auf ihr Sporttrikot zurückzuführen war, versuchte auf die Motorhaube zu klettern, aber ihre Körperfunktionen hatten schon lange ausgesetzt, weswegen sie abrutschte und mit einem dumpfen Schlag neben dem Fahrzeug landete.
Im hinteren Teil des Jeeps fing jemand an zu wimmern. Shane glaubte nicht, dass es Marla war.
Kurz ruckelte der Snatch nach links, begleitet von einem frustrierten Grunzen des dicken Mannes. Als es wieder ruhig wurde, spürte Terry, wie sein Finger sich dem Abzug näherte.
Es schneite jetzt stärker als wenige Minuten zuvor. Die Untoten waren nun fast vollständig getarnt, so bleich waren sie. Shane hatte fünf von ihnen aus den Augen verloren, aber er wusste, dass sie nah waren. Vermutlich überlegten sie gerade, was sie als Nächstes tun sollten. Den fetten Mann konnte er noch erkennen, die Radfahrerin auch; die war gerade dabei, irgendwie an Terrys Seite des Wagens zu gelangen. Der Dritte, ein nichtssagendes Monster, abgesehen von der Tatsache, dass er ein Rotschopf war, schlug unaufhörlich auf die vordere Stoßstange ein.
Marla flüsterte Jared zu, er solle sich verdammt noch mal beruhigen.
Shane sah mit einem geöffneten Auge, dass die Radfahrerin sich vom Fahrzeug entfernte und zu der Horde gesellte. Der fette Mann sah hinüber, grunzte zweimal, bevor er beschloss, dass in dem Wagen nichts für ihn zu holen war. Der Rotschopf-Zombie starrte in den Himmel; Schneeflocken sammelten sich auf seinem bleichen Gesicht. Einzelne Flocken landeten in seinem Mund, und sollte er sie schmecken können, so zeigte er es nicht.
Nach wenigen Sekunden schleifte er sich selbst irgendwie um den Jeep herum und ging zu seiner Horde, die nun etwa fünf Meter entfernt war.
Shane atmete erleichtert aus, dabei löste er den Griff um seine Pistole.
Im Rückspiegel sah er die Horde kleiner werden, und obwohl sie schon fast außer Sichtweite war, war ihr Stöhnen immer noch zu hören.
»Ich denke nicht, dass ich das noch einmal schaffe«, sagte Terry schließlich. Seine Atmung ging schnell. Keuchend teilte er mit, wie schwer es für ihn gewesen war, stillzuhalten. »Ihre Verbissenheit hat wohl nicht gereicht.«
»Ist es vorbei?«, fragte Marla aus dem Fußraum des Wagens. »Ich schwöre bei Gott, das nächste Mal ist es besser, wenn du einfach durch sie hindurchfährst.«
»Hat doch geklappt, oder etwa nicht?«, fragte Shane über die Schulter blickend. Dabei sah er hinaus in den Schnee, nach Anzeichen irgendeiner Kreatur Ausschau haltend, nur um sicherzugehen.
»Wer jammert denn hier?«, fragte Terry, während er die Remington zwischen seine Knie stellte. »Scheiße, das hätte ins Auge gehen können.«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Jared. »Ich wusste ja nicht, wie viele von denen da draußen waren; niemand hat mir von der Scheiße erzählt.«
»Aus gutem Grund«, sagte Marla. »Egal, spielt keine Rolle mehr. Wir sind okay, und diese beschissenen Dinger haben es nicht geschafft, hier hereinzukommen. Du sagtest doch, dieses Ding hier ist gepanzert?«
Shane nickte. »Sehr gut sogar«, bestätigte er. »Doch wenn sie es wirklich versucht hätten, hätten sie nicht so schnell lockergelassen. Zum Glück waren sie nicht in der Stimmung.«
»Können wir jetzt raus?«, fragte Terry auf seinem Sitz herumrutschend. »Ich denke, ich brauche einen Boxenstopp an der nächsten Kreuzung.«
Das, dachte Shane, könnte eine gute Idee sein.
Er drehte den Schlüssel im Zündschloss herum.