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Simon Blaine folgte Hauptmann Gurulé in das Labor auf Ebene 4. Er war merkwürdig ruhig, fast gelassen. Es war die reine Freude, wie schön alles funktioniert hatte, wie alles klar wurde, wie alle bis zur Perfektion ihre Rolle in dem Drama gespielt hatten – die Politiker, die Presseleute, sogar die Öffentlichkeit. Ein Rädchen hatte ins andere gegriffen, aber natürlich handelte es sich um das Ergebnis jahrelanger gewissenhafter Planungen. Die richtigen Leute finden und vorsichtig anwerben, ein Szenario nach dem anderen durchspielen, Ersatzpläne und untergeordnete Ersatzpläne entwickeln, jeden möglichen Schritt bis zum Endspiel durchspielen und dann die beste Vorgehensweise auswählen. All die harte Arbeit, all die Zeit und all das Geld machten sich nun bezahlt.

Die einzige Unbekannte war dieser Bursche Gideon Crew gewesen – verflucht sei er! –, der Blaine zutiefst schockiert hatte, und zwar nicht nur, weil er schon so früh in den Ermittlungen Fragen gestellt hatte, sondern auch noch seine leicht zu beeindruckende Tochter verführt und auf höchst unglückliche Weise in die Sache hineingezogen hatte. Trotzdem: Alida wusste sich – so wie Blaine selbst – zu helfen und würde alles überstehen. Und sobald er die Pockenviren in Händen hielt und der Plan ausgeführt war, würde sie alles verstehen. Sie würde Verständnis haben und ihm zur Seite stehen, so wie sie es immer getan hatte. Immer. Sie beide verband eine unverbrüchliche Vater-Tochter-Beziehung, etwas Seltenes in dieser Welt.

»Sir?« Der Hauptmann hielt Blaine einen Luftschlauch hin, der von der Decke herabbaumelte und den er an seinem Anzug befestigen sollte. »Er rastet durch eine Drehung im Uhrzeigersinn ein.« Er demonstrierte die Bewegung am eigenen Anzug.

»Vielen Dank, Hauptmann.«

Während Blaine den Schlauch befestigte, ertönte ein leises Zischen von Luft, das mit einem frischen Duft, vermischt mit dem Geruch nach Plastik und Latex, einherging.

»Wer war eigentlich der Mann dort hinten?«, fragte er den Hauptmann, dessen Stimme wegen der Plastikhaube gedämpft klang.

»Ich konnte ihn nicht genau erkennen. Keine Sorge, es war keiner der Wissenschaftler mit Zutritt zur Hochsicherheitskammer.«

Blaine nickte. Er hatte enorm viel Vertrauen in den Hauptmann gesetzt, und er hatte sich nicht getäuscht. Hauptmann Gurulé war der herausragende Mikrobiologe, Vakzinologe und Bioabwehrforscher des USAMRIID, einer der wenigen Menschen mit einer Zutrittsgenehmigung zu den Pockenviren. Ein brillanter Kopf, der an der Penn University sowohl in Medizin als auch Geisteswissenschaften promoviert hatte, mit kompromisslosen politischen Ansichten, kompetent, außerordentlich effizient – der perfekte Verbündete. Ihn anzuwerben war ein sehr langwieriger und mühevoller Prozess gewesen, aber der Hauptmann war für seinen Plan absolut entscheidend.

Das Labor war menschenleer, was sie genau so erwartet hatten. Sicher, jede ihrer Bewegungen wurde auf Video aufgenommen, aber bis sich jemand diese Videos ansah, würde schon die ganze Welt erfahren haben, was sie getan hatten. Die Drohung mit einem nuklearen Terrorangriff hatte ihre Wirkung entfaltet.

In wenigen Minuten hatten sie den rückwärtigen Teil des Labors erreicht, wo die Variola in kryogener Suspensionslösung aufbewahrt wurden, verschlossen in einem Biosafe in einer begehbaren Kammer. Die Tür zu der Kammer war aus Edelstahl und entsprach der eines Bankdepots. Die Kammer wurde, wie Hauptmann Gurulé erläutert hatte, zur Aufbewahrung gefährlicher, exotischer, geheimer sowie genetisch hergestellter Krankheitserreger genutzt.

An der Kammertür tippte Hauptmann Gurulé einen weiteren Code ein, zog seine Karte durchs Lesegerät und drehte eine Zuhaltung. Die Tür öffnete sich mittels elektronisch gesteuerter Angeln, und Blaine und Gurulé betraten die Kammer. Eine Kondensationswolke – es herrschten minus vierzig Grad Celsius hier drinnen – ließ ihre Hauben beschlagen. Blaine spürte schon jetzt, wie ihm die Kälte in die Knochen kroch. Auf einem Ständer neben der Tür hingen dicke Mäntel, aber der Hauptmann bedeutete ihm mit einer Armbewegung weiterzugehen. »Wir sind gleich wieder draußen.«

Mit tiefem Bumm! und dem Klicken von Riegeln schloss sich die Tür automatisch hinter ihnen. Blaine blieb einen Augenblick stehen und wartete, bis das Sichtfenster seiner Haube nicht mehr beschlagen war. Dann schaute er sich um.

Die Kammer war überraschend geräumig, in der Mitte standen mehrere Edelstahltische. Sie gingen an Biotresoren und Schränken vorbei und dann durch eine abgeschlossene Tür in den inneren Käfig der Kammer. Vor der gegenüberliegenden Wand stand, in ein winkliges Eisengestell eingelassen, ein kleiner Biosafe abseits von den anderen, hellgelb angestrichen und mit Biogefahr-Symbolen übersät.

»Bitte bleiben Sie zurück, Sir«, sagte der Hauptmann.

Blaine blieb stehen und wartete.

Der Hauptmann ging zum Safe hinüber, tippte wieder einen Code ein und schob dann einen speziellen Schlüssel in einen Schlitz an der Vorderseite. Als er den Schlüssel drehte, begann eine gelbe Lampe in der Decke der Kammer zu blinken, und ein Alarm ertönte, nicht laut, aber eindringlich.

»Was ist das?«, fragte Blaine beunruhigt.

»Ganz normal«, sagte der Hauptmann. »Der Alarm hält so lange an, wie der Biosafe geöffnet ist. Es gibt niemanden am anderen Ende, der losgeht und nachsehen kommt.«

Auf Regalfächern im Safe sah Blaine kurz die sogenannten »Pucks« – die weißen, kryogen versiegelten Zylinder –, die die tiefgefrorenen, kristallinen Variola enthielten. Er schauderte einen Moment, als er an den tödlichen Cocktail dachte, den jeder Puck enthielt, das ungeheure Ausmaß an Schmerz, Leid und Tod, das in jedem dieser kleinen zylindrischen Behälter eingeschlossen war.

Behutsam zog der Hauptmann einen Puck vom Regal und inspizierte die Ziffer, die auf der Seite eingraviert war. Er nickte bei sich, nahm dann einen weiteren, identischen Puck aus der Tasche seines Schutzanzugs und legte ihn an den leeren Platz auf dem Regal.

Ein Puck, mehr war nicht erforderlich. Die Pucks waren so beschaffen, dass sie das Virus mindestens 72 Stunden in tiefgefrorenem Zustand versiegelt hielten – was ihnen mehr als genug Zeit gab, ihr Ziel zu erreichen.

Der Hauptmann schloss den Safe, arretierte das Schloss, und das Piepen hörte auf. Er ging mit dem Puck zu einem der Edelstahltische. Blaine wusste, was er als Nächstes zu tun hatte, und hielt im Voraus die Luft an. Es würde eine heikle Operation werden.

Nachdem der Hauptmann den Puck auf den Objektträger des Stereozoom-Mikroskops gelegt hatte, untersuchte er mindestens fünf Minuten die Oberfläche des Behältnisses, bevor er es mit einer kleinen Markierung versah. Dann holte er ein Skalpell aus der Tasche seines Bioanzugs und schnitt mit chirurgischer Sorgfalt ein kleines Rechteck aus weißem Plastik aus dem Puck. In diesem winzigen Stück Plastik befand sich, wie Blaine wusste, ein Tracking-Mikrochip.

Der Hauptmann schnippte das Plastikstückchen auf den Boden und schob es mit dem Schuh unter den gelben Biosafe.

Wieder schauderte Blaine. Er hatte wegen der Eiseskälte bereits kalte Finger. Der Hauptmann schien unempfindlich dagegen zu sein.

»Den nehme ich, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Blaine und deutete auf den Puck.

Der Hauptmann reichte ihn ihm. »Gehen Sie sehr, sehr vorsichtig damit um, Sir. Wenn Sie ihn fallen lassen, endet die Welt, wie wir sie kennen.«

Kurz darauf verließen sie die Kältekammer und waren gezwungen, wieder zu warten, bis ihre Sichtfenster nicht mehr beschlagen waren. Diesmal dauerte das länger. Wie auch immer, alles lief wie am Schnürchen.

Sie bahnten sich den Weg zurück durch das Labor, bis sie die Dekontaminationsduschen und die Luftschleuse erreicht hatten. Die Dusche bot nur einer Person Platz, der Hauptmann betrat sie als Erster. Die automatische Tür schloss sich mit einem Rumpeln; Blaine hörte das zischende Geräusch der chemischen Dekontaminationsmittel, die auf den Hauptmann herabsprühten. Die Geräusche hörten auf; die äußere Tür öffnete sich mit einem Zischen der Druckluftschleuse. Einen Augenblick später öffnete sich die innere Tür, so dass er die Dusche betreten konnte. Er trat ein, und sogleich hüllte ein Sprühstoß von Chemikalien ihn ein, während eine blecherne Stimme ihn anwies, die Arme zu heben und sich umzudrehen. Dann öffnete sich die Tür, er betrat den Vorraum – und stellte fest, dass der Lauf einer Waffe auf das Sichtfenster seiner Haube gedrückt wurde.

»Geben Sie mir die Pockenviren«, sagte eine Stimme, die Blaine als die von Gideon Crew erkannte.

Gideon Crew 02 - Countdown - Jede Sekunde zählt
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