WIEDER ZU SCHLAMM

Hundsmann und Dow, Tul und Grimm, West und Pike. Diese sechs standen im Kreis und sahen auf zwei Haufen kalter Erde hinunter. Unten im Tal waren die Unionisten damit beschäftigt, ihre eigenen Toten zu begraben; der Hundsmann hatte es gesehen. Hunderte waren es, immer in Gruben zu einem Dutzend. Es war ein schlechter Tag für die Menschen, insgesamt gesehen, und ein guter für den Boden. So war es immer nach einer Schlacht. Nur die Erde gewann.

Espe und seine Carls waren auf der anderen Seite des Gebüschs und begruben mit gesenkten Köpfen ihre eigenen Leute. Zwölf lagen bereits in der Erde, drei weitere waren so schlimm verwundet, dass sie ihnen vermutlich noch vor Wochenfrist folgen würden, und noch einer hatte seine Hand verloren – er mochte überleben, vielleicht aber auch nicht, je nachdem, wie viel Glück er hatte. Glück hatte es in letzter Zeit nicht allzu viel gegeben. Ein einziger Tag hatte fast der Hälfte ihrer Männer den Tod gebracht. Es war mutig, dass sie auch danach noch bei ihnen bleiben wollten. Hundsmann hörte ihre Worte. Traurige Worte und stolze, für die Gefallenen. Dass sie gute Männer gewesen waren, dass sie gut gekämpft hatten, dass man sie vermissen würde und so weiter. Wie es eben immer war, nach einer Schlacht. Worte für die Toten.

Hundsmann schluckte und sah zu der frisch aufgeworfenen Erde zu seinen Füßen. Das Graben war schwer gewesen bei der Kälte und dem gefrorenen Boden. Dennoch war man besser dran, wenn man graben musste, als wenn man selbst unter die Erde kam, hätte Logen gesagt, und Hundsmann nahm an, dass er da wohl recht hatte. Zwei Menschen hatte er gerade begraben, und zwei Teile von sich selbst gleich mit. Cathil so tief unten unter der aufgetürmten Erde, weiß und kalt ausgestreckt. Sie würde nie wieder warm sein. Dreibaum nicht weit von ihr, den geborstenen Schild über den Knien und das Schwert in der Faust. Zwei Hoffnungen, die Hundsmann dem Schlamm überantwortet hatte – Hoffnungen für die Zukunft, Hoffnungen aus der Vergangenheit. Alle jetzt vergangen, alle vorbei. Sie hinterließen eine schmerzende Lücke in ihm. So war es immer nach einer Schlacht. Hoffnungen wurden zu Schlamm.

»Beerdigt, wo sie starben«, sagte Tul sanft. »Das passt. Das ist gut.«

»Gut?«, bellte Dow und sah mit brennendem Blick zu West. »Gut, ja? Der sicherste Ort in der ganzen Schlacht? Hast du nicht gesagt, der sicherste Ort?« West schluckte und sah zu Boden, offenbar schuldbewusst.

»Ist schon gut, Dow«, sagte Tul. »Du weißt, dass du ihm nicht die Schuld dafür geben kannst, weder ihm noch sonst jemandem. Es war eine Schlacht. Da sterben Menschen. Dreibaum wusste das, besser als alle anderen.«

»Wir hätten irgendwo anders sein können«, grollte Dow.

»Hätten wir«, sagte Hundsmann, »aber das waren wir nicht, das ist nun mal so. Man kann es nicht mehr ändern, oder? Dreibaum ist tot, das Mädchen ist tot, und das ist für alle schwer genug. Da musst du die Last nicht noch schwerer machen.«

Dow ballte die Fäuste und holte tief Luft, als ob er laut brüllen wollte. Dann stieß er die Luft wieder aus, ließ die Schultern hängen und senkte den Kopf. »Hast recht. Jetzt kann man nichts mehr ändern.«

Hundsmann berührte Pike am Arm. »Willst du für sie sprechen?« Der Brandnarbige sah ihn an und schüttelte dann den Kopf. Er war keiner, der viel redete, nahm der Hundsmann an, und das konnte er ihm nicht verübeln. Es sah auch nicht so aus, als ob West etwas sagen wollte, also räusperte sich der Hundsmann, spürte den scharfen Schmerz in seinen Rippen, und versuchte es selbst. Irgendjemand musste es ja tun.

»Die Frau, die wir hier begraben, hieß Cathil. Kann nicht behaupten, dass ich sie besonders lang gekannt hätte oder so, aber das, was ich von ihr kennen lernte, mochte ich … falls das eine Rolle spielt. Wahrscheinlich keine. Keine große. Aber sie hatte Mumm in den Knochen, das haben wir auf dem Weg nach Norden wohl alle gesehen. Hat die Kälte und den Hunger und alles andere ertragen und sich nie beklagt. Ich wünschte, ich hätte sie besser gekannt. Ich hätte es gehofft, aber, na ja, es ist ja oft so, dass man nicht das bekommt, worauf man hofft. Sie war eigentlich keine von uns, aber sie starb mit uns, und deswegen denke ich, können wir stolz sein, dass sie neben den unseren in der Erde liegt.«

»Joh«, sagte Dow. »Wir können stolz sein.«

»Das stimmt«, sagte Tul. »Die Erde nimmt sie alle gleichermaßen auf.«

Hundsmann nickte, atmete in zitternden Stößen ein und wieder aus. »Möchte jemand für Dreibaum sprechen?«

Dow sah schnell auf seine Stiefel und bewegte verlegen die Füße. Tul sah zum Himmel empor und machte den Eindruck, als hätte er ein bisschen Feuchtigkeit in den Augenwinkeln. Hundsmann selbst stand ebenfalls kurz davor, in Tränen auszubrechen. Wenn er auch nur noch ein Wort sprach, würde er losheulen wie ein Kind, das war ihm klar. Dreibaum hätte gewusst, was hier zu sagen war, aber das war ja das Problem, er war nicht mehr da. Dann trat Grimm einen Schritt vor.

»Rudd Dreibaum«, sagte er und sah in die Runde. »Den Fels von Uffrith nannten sie ihn. Keinen größeren Namen gab es im ganzen Norden. Ein großer Kämpfer. Ein großer Anführer. Ein großer Freund. Hat sein Leben lang Schlachten geschlagen. Stand dem Blutigen Neuner erst von Angesicht zu Angesicht gegenüber, später dann Schulter an Schulter neben ihm. Wählte nie den leichten Weg, wenn er glaubte, dass es der falsche war. Ging nie einem Kampf aus dem Weg, wenn er glaubte, dass er nötig war. Ich stand ihm bei, ich ging mit ihm, ich kämpfte mit ihm, zehn Jahre lang, überall im Norden.« Ein Lächeln zog über sein Gesicht. »Ich kann mich nicht beklagen.«

»Gute Worte, Grimm«, sagte Dow und sah auf die kalte Erde. »Gute Worte.«

»So einen wie Dreibaum gibt es nicht wieder«, murmelte Tul, der sich das Auge rieb, als hätte er etwas hineinbekommen.

»Joh«, sagte der Hundsmann. Mehr brachte er nicht heraus.

West wandte sich ab und ging durch die Bäume davon, die Schultern angespannt, ohne ein Wort zu sagen. Hundsmann sah, wie seine Kiefermuskeln arbeiteten. Er gab sich wahrscheinlich selbst die Schuld. Das machten viele Menschen, wenn jemand starb, jedenfalls nach Hundsmanns Erfahrung, und West schien einer von denen zu sein. Pike folgte ihm, und die beiden begegneten Espe, der ihnen gerade entgegenkam.

Espe blieb vor den Gräbern stehen, sah finster auf sie herab, und das Haar hing ihm ins Gesicht. Dann blickte er die Nordmänner an. »Ich will jetzt nicht den nötigen Respekt vermissen lassen. Überhaupt nicht. Aber wir brauchen einen neuen Häuptling.«

»Wir haben gerade erst die Erde über ihm geschlossen«, zischte Dow mit bösem Blick.

Espe hob die Hände. »Dann ist doch die beste Zeit, sich darüber zu unterhalten, würde ich sagen. Dann gibt es kein Durcheinander. Meine Jungs sind ein bisschen nervös, wenn ich ehrlich bin. Sie haben Freunde verloren, und sie haben Dreibaum verloren und brauchen jemanden, zu dem sie aufsehen können. Ist nun mal so. Wer wird das sein?«

Hundsmann rieb sich das Kinn. Darüber hatte er noch überhaupt nicht nachgedacht, und jetzt, da er es tat, wusste er nicht, was er denken sollte. Tul Duru Donnerkopf und der Schwarze Dow waren zwei große, harte Namen, und sie beide hatten früher schon Männer angeführt, noch dazu sehr gut. Hundsmann sah sie an, wie sie dastanden und einander finster musterten. »Mir ist egal, wer von euch beiden es macht«, sagte er. »Ich folge jedem von euch. Aber das ist mal klar, es muss einer von euch sein.«

Tul sah mit brennendem Blick auf Dow hinunter, und Dow sah ebenso zu ihm herauf. »Ich kann ihm nicht folgen«, grollte Tul, »und er mir auch nicht.«

»Das ist Tatsache«, zischte Dow. »Wir haben schon darüber gesprochen. Das würde nicht klappen.«

Tul schüttelte den Kopf. »Deswegen kann es keiner von uns beiden sein.«

»Nein«, sagte Dow. »Von uns kann es keiner sein.« Er saugte an seinen Zähnen, zog die Nase geräuschvoll hoch und spuckte den Rotz in den Dreck. »Deswegen musst du es werden, Hundsmann.«

»Deswegen muss ich was?«, fragte Hundsmann mit ungläubig aufgerissenen Augen.

Tul nickte. »Du bist der neue Häuptling. Da sind wir uns alle einig.«

»Uh«, sagte Grimm, der nicht einmal aufsah.

»Neunfinger ist nicht mehr da«, sagte Dow, »und Dreibaum auch nicht, da bleibst nur du.«

Hundsmann zuckte zusammen. Er erwartete, dass Espe nun sagen würde: »Was sagt ihr da? Der da? Häuptling?« Er erwartete, dass sie jeden Augenblick in Gelächter ausbrechen und ihm sagen würden, dass das ein Witz gewesen sei. Der Schwarze Dow und Tul Duru Donnerkopf und Harding Grimm, von den zwei Dutzend Carls gar nicht zu reden, die alle auf ihn hören würden. Die dümmste Idee, die er je gehört hatte. Aber Espe lachte nicht.

»Das ist eine gute Wahl, denke ich. Im Namen meiner Jungs wollte ich das auch vorschlagen. Ich werde ihnen Bescheid geben.« Damit wandte er sich um und verschwand wieder unter den Bäumen, und der Hundsmann glotzte ihm nach.

»Aber was ist mit den anderen?«, zischte er, als Espe außer Hörweite war, und verzog den Mund, als erneut ein Stich durch seine Rippen fuhr. »Da unten sind zwanzig verdammte Carls, und sie sind nervös! Sie brauchen einen Namen, dem sie folgen können!«

»Du hast einen Namen«, sagte Tul. »Du bist mit Neunfinger über die Berge gekommen, hast all die Jahre für Bethod gekämpft. Es gibt keinen größeren Namen als deinen. Du hast mehr Schlachten gesehen als wir alle.«

»Gesehen vielleicht, aber …«

»Du bist der Richtige«, sagte Dow, »und Schluss. Schön, du bist vielleicht nicht der größte Totschläger seit Skarling, aber was macht das? Deine Hände sind blutig genug, dass ich dir folgen werde, und es gibt keinen besseren Kundschafter als dich. Du weißt, wie man andere anführt. Du hast von den Besten lernen können. Neunfinger, Bethod, Dreibaum, du hast sie alle erlebt, aus nächster Nähe.«

»Aber ich kann doch nicht … ich meine … ich kann niemanden zum Angriff führen, so wie Dreibaum es tat …«

»Das konnte niemand«, sagte Tul und nickte zu dem Erdhügel hinüber. »Aber Dreibaum kommt nun nicht mehr infrage, so leid es mir tut. Du bist jetzt der Häuptling, und wir stehen hinter dir. Jeder, der sich deinem Wort nicht fügt, kann sich gern mit uns unterhalten.«

»Und das wird ein verdammt kurzes Gespräch«, knurrte Dow.

»Du bist der Häuptling.« Tul wandte sich ab und marschierte zu den Bäumen.

»Das ist beschlossen.« Und der Schwarze Dow folgte ihm.

»Uh«, sagte Grimm, zuckte die Achseln und ging den anderen beiden hinterher.

»Aber«, murmelte der Hundsmann. »Wartet mal …«

Sie waren weg. Also nahm er an, war er jetzt wohl Häuptling.

Er stand einen Augenblick da, blinzelte und wusste nicht, was er denken sollte. Er fühlte sich nicht anders als vorher. Er hatte nicht etwa plötzlich tolle Einfälle. Er hatte keine Ahnung, was er den Männern befehlen sollte. Er fühlte sich wie ein Idiot. Sogar noch mehr als sonst.

Er kniete sich hin, zwischen den Gräbern, und bohrte seine Hand in die frische Erde, die er kalt und nass an den Fingern spürte. »Tut mir leid, Mädel«, raunte er. »Das hattest du nicht verdient.« Dann griff er fest zu und drückte die Erde in seine Handfläche. »Alles Gute, Dreibaum. Ich werde versuchen, das zu tun, was du getan hättest. Wieder zu Schlamm geworden, Alter.«

Dann stand er auf, wischte sich die Hand an seinem Hemd ab und ging davon, zurück zu den Lebenden, und ließ die beiden in der Erde zurück.