SCHULDEN UND VERPFLICHTUNGEN
An Sand dan Glokta, Superior von Dagoska, und für ihn
allein
Mit äußerster Besorgnis muss ich feststellen, dass Sie
offenbar glauben, es mangele Ihnen sowohl an Truppen als auch an
Geld.
Was die Soldaten betrifft, müssen Sie mit dem auskommen, was
Sie haben oder für Ihre Dienste gewinnen können. Wie Sie sehr wohl
wissen, kämpft die große Mehrzahl unserer Einheiten in Angland.
Bedauerlicherweise erfordern kleine Anflüge von Rebellion unter den
Bauern von Midderland den Einsatz aller übrigen Truppen, die uns
noch verbleiben.
Hinsichtlich des Finanziellen fürchte ich, dass Ihnen keine
weiteren Gelder zur Verfügung gestellt werden können. Fragen Sie
deswegen nicht noch einmal an. Ich rate Ihnen vielmehr, pressen Sie
aus den Gewürzhändlern, den Einheimischen oder allen erdenklichen
anderen Quellen alles heraus, was möglich ist. Borgen Sie sich Geld
und mogeln Sie sich durch, Glokta. Beweisen Sie die Findigkeit,
durch die Sie im kantesischen Krieg so berühmt wurden.
Ich vertraue darauf, dass Sie mich nicht enttäuschen
werden.
Sult
Erzlektor der Inquisition Seiner Majestät
»Die Dinge gehen mit großer Geschwindigkeit voran, Herr Superior, wenn ich das sagen darf. Seit die Tore zur Oberstadt geöffnet wurden, hat sich die Arbeitsleistung der Einheimischen verdreifacht. Der Graben wurde auf ganzer Breite der Halbinsel bis unter die Höhe des Meeresspiegels ausgehoben und wird jeden Tag tiefer! Das Meerwasser wird auf beiden Seiten nur durch schmale Dämme zurückgehalten, und auf Ihren Befehl hin können wir das Ganze sofort fluten!« Vissbruck lehnte sich zurück und lächelte zufrieden. Gerade so, als sei das alles seine Idee gewesen.
Unter ihnen begannen in der Oberstadt die morgendlichen Gesänge. Ein seltsames Heulen, das von den Türmchen des Großen Tempels über ganz Dagoska in jedes Gebäude drang, selbst hierher, in den Audienzsaal der Zitadelle. Kahdia ruft sein Volk zum Gebet.
Vurms verzog bei diesem Laut verächtlich den Mund. »Ist es schon wieder so weit? Diese verdammten Einheimischen mit ihrem idiotischen Aberglauben! Wir hätten sie gar nicht erst wieder in ihren Tempel hineinlassen sollen! Von diesen verdammten Gesängen bekomme ich Kopfschmerzen!«
Schon allein dafür war es die Sache wert. Glokta grinste. »Wenn es Kahdia glücklich macht, dann nehme zumindest ich Ihre Kopfschmerzen gern in Kauf. Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht, wir brauchen die Einheimischen, und die Einheimischen mögen ihre Gesänge nun einmal. Ich kann Ihnen nur raten, gewöhnen Sie sich daran. Oder wickeln Sie sich eine Decke um den Kopf.«
Vissbruck lehnte sich zurück und hörte zu, während Vurms beleidigt die Lippen schürzte. »Ich muss zugeben, dass diese Klänge auf mich ganz beruhigend wirken, und wir können nicht leugnen, dass die Zugeständnisse des Superiors sehr positive Auswirkungen auf die Haltung der Einheimischen haben. Mit ihrer Hilfe haben wir die Landmauer repariert, die Tore erneuert, und die Gerüste werden bereits wieder abgebaut. Es wurden auch schon Steine für eine neue Brustwehr angeliefert, aber, und hier liegt das Problem, meine Maurer weigern sich, auch nur einen weiteren Tag zu arbeiten, wenn sie nicht endlich bezahlt werden. Meine Soldaten sind gegenwärtig auf Viertelsold, und die Moral ist sehr schlecht. Die Schulden sind ein Problem, Herr Superior.«
»Das kann man wohl sagen«, pflichtete ihm Vurms schlecht gelaunt bei. »Die Kornkammern sind fast bis an ihre Grenzen gefüllt, und zwei neue Brunnen wurden in der Unterstadt für viel Geld gegraben, aber mein Kredit ist damit völlig ausgereizt. Die Kornhändler fordern mein Blut!« Wahrscheinlich weniger entschlossen als alle Kaufleute der Stadt das meinige, würde ich sagen. »Wegen ihrer Klagen kann ich mich kaum noch irgendwo zeigen. Mein guter Ruf ist in Gefahr, Herr Superior!«
Als ob ich keine anderen Sorgen hätte als den Ruf dieses Vollidioten. »Wie viel Schulden haben wir?«
Vurms runzelte die Stirn. »Für Vorräte, Wasser und Ausrüstung allgemein nicht weniger als hunderttausend.« Hunderttausend? Die Gewürzhändler lieben es, Geld zu verdienen, und hassen es, welches auszugeben. Eider wird nicht einmal halb so viel aufbringen können, selbst wenn sie es versuchen wollte.
»Und bei Ihnen, Herr General?«
»Die Kosten für das Anwerben von Söldnern, das Ausheben des Grabens, die Ausbesserung der Mauern, für zusätzliche Waffen, Rüstungen, Munition …« Vissbruck blies die Backen auf. »Insgesamt kommen wir auf fast vierhunderttausend Mark.«
Nur mit Mühe konnte Glokta sich beherrschen, um nicht an seiner eigenen Zunge zu ersticken. Eine halbe Million? Damit könnte man einen König auslösen, und mehr. Wahrscheinlich könnte Sult nicht einmal die Hälfte davon aufbringen, selbst wenn er wollte, und er will nicht. Schon für Schulden, die nur einen Bruchteil dieser Summe betragen, sterben immer wieder Menschen. »Fahren Sie mit der Arbeit fort, so gut Sie können. Versprechen Sie, was immer Ihnen einfällt. Das Geld ist auf dem Weg, das versichere ich Ihnen.«
Der General schob bereits seine Notizen zusammen. »Ich tue, was ich kann, aber die Leute beginnen daran zu zweifeln, dass sie überhaupt je bezahlt werden.«
Vurms drückte sich unverblümter aus. »Niemand vertraut uns mehr. Ohne Geld können wir überhaupt nichts mehr tun.«
»Nichts«, knurrte Severard. Frost schüttelte langsam den Kopf.
Glokta rieb seine geröteten Augen. »Ein Superior der Inquisition verschwindet, ohne auch nur den Hauch einer Spur zu hinterlassen. Er zieht sich des Nächtens in seine Gemächer zurück, die Tür ist verschlossen. Am nächsten Morgen antwortet er nicht. Die Tür wird aufgebrochen und man findet …« Nichts. »Das Bett ist benutzt, aber sein Körper ist verschwunden. Es gibt nicht einmal das geringste Zeichen für einen Kampf.«
»Nichts«, brummte Severard.
»Was also wissen wir? Davoust hatte den Verdacht, dass es in der Stadt einen Verräter gab, der Dagoska an die Gurkhisen ausliefern wollte. Er glaubte, dass ein Mitglied des Regierungsrats dahintersteckte. Es ist wahrscheinlich, dass er herausfand, um wen es sich handelte, und dann irgendwie zum Schweigen gebracht wurde.«
»Aber von wem?«
Wir müssen die Frage auf den Kopf stellen. »Wenn wir unsere Verräter nicht finden können, müssen wir sie zu uns kommen lassen. Wenn sie daran arbeiten, die Gurkhisen in die Stadt zu lassen, müssen wir nur daran festhalten, den Truppen des Imperators weiter die Tore zu versperren. Früher oder später werden sie sich zu erkennen geben.«
»Riffkant«, stieß Frost hervor. Tatsächlich riskant, vor allem für den derzeitigen Superior der Inquisition in Dagoska, aber wir haben keine Wahl.
»Wir warten also ab?«, fragte Severard.
»Wir warten ab und stärken unsere Verteidigung. Und davon abgesehen versuchen wir, Geld aufzutreiben. Haben Sie ein bisschen Kleingeld übrig, Severard?«
»Ich hatte welches, aber das habe ich einem Mädchen unten in den Elendsvierteln gegeben.«
»Ah. Schade.«
»Kann man nicht sagen, sie fickt wie eine Wilde. Ich kann sie wärmstens empfehlen, wenn Sie Interesse haben.«
Glokta zuckte zusammen, als es in seinem Knie knackte. »Was für eine nette, herzerwärmende Geschichte, Severard, ich hätte gar nicht gedacht, dass in Ihnen ein Romantiker steckt. Ich würde eine Ballade für Sie singen, wenn ich nicht so pleite wäre.«
»Ich könnte ja mal rumfragen. Von wie viel Geld reden wir denn?«
»Och, nicht viel. Eine halbe Million Mark vielleicht?«
Eine der Augenbrauen des Praktikals fuhr in die Höhe. Er griff in seine Tasche, wühlte ein wenig darin herum, zog die Hand wieder hervor und öffnete sie. Ein paar Kupfermünzen lagen auf seiner Handfläche.
»Zwölf Bruch«, sagte er. »Zwölf Bruch, mehr kann ich nicht anbieten.«
»Zwölftausend, mehr kann ich Ihnen nicht anbieten«, sagte Magisterin Eider. Das ist ja gerade ein Tropfen auf den heißen Stein. »Meine Gilde ist sehr nervös, die Geschäfte liefen nicht gut, und der Großteil ihres Vermögens ist in den verschiedensten Unternehmungen gebunden. Ich selbst habe auch nur wenig Bargeld zur Hand.«
Ich würde stark vermuten, dass Sie mehr haben als zwölftausend, aber was würde das ändern? Selbst Sie haben wohl kaum irgendwo eine halbe Million versteckt. Vermutlich gibt es in der ganzen Stadt nicht so viel Geld. »Man könnte beinahe meinen, die Gilde würde mich nicht mögen.«
Sie schnaubte. »Nachdem Sie unsere Leute aus dem Tempel gejagt und dann noch die Einheimischen mit Waffen ausgerüstet haben? Um danach um Geld zu bitten? Man könnte wohl mit Fug und Recht sagen, dass Sie in der Beliebtheitsliste nicht an erster Stelle stehen.«
»Könnte man sagen, sie forderten mein Blut?« Jede Menge davon, nehme ich an.
»Vielleicht schon, aber für den Augenblick zumindest ist es mir gelungen, sie davon zu überzeugen, dass Sie für die Stadt gut sind.« Sie blickte ihm geradewegs in die Augen. »Sie sind doch gut für die Stadt, oder nicht?«
»Wenn es Ihr Hauptanliegen ist, die Gurkhisen an der Eroberung zu hindern.« Das ist doch Ihr Hauptanliegen, oder nicht? »Etwas mehr Geld würde allerdings nicht schaden.«
»Mehr Geld schadet nie, aber das ist eben das Problem mit Kaufleuten. Sie verdienen es lieber, als es auszugeben, selbst wenn das ganz und gar zu ihrem Besten wäre.« Sie stieß einen langen Seufzer aus, trommelte mit den Fingernägeln auf die Tischplatte und sah auf ihre Hand. Kurz schien sie zu überlegen, dann zog sie sich die Ringe von den Fingern. Als sie alle vor sich liegen hatte, warf sie die Schmuckstücke in die Schatulle zu den Geldstücken.
Glokta runzelte die Stirn. »Eine großzügige Geste, Frau Magisterin, aber ich kann unmöglich …«
»Ich bestehe darauf«, sagte sie, nahm ihre schwere Halskette ab und legte sie ebenfalls dazu. »Ich kann mir ja immer wieder neue Sachen kaufen, nachdem Sie die Stadt gerettet haben. Sie werden mir ja auch nichts nützen, wenn die Gurkhisen sie eines Tages von meinem Leichnam reißen, oder?« Sie schob sich die schweren Armreifen über die Handgelenke, gelbes Gold mit grünen Edelsteinen. Sie fielen klappernd zwischen die übrigen Juwelen. »Nehmen Sie den Schmuck, bevor ich es mir anders überlege. Ein Mann, der sich in der Wüste verirrt, sollte alles Wasser annehmen …«
»Das man ihm anbietet, ganz gleich, wer es ihm gibt. Kahdia hat mir dasselbe gesagt.«
»Kahdia ist ein sehr kluger Mann.«
»Das stimmt. Ich danke Ihnen für Ihre Großzügigkeit, Frau Magisterin.« Glokta schloss den Deckel der Schatulle mit einem Klicken.
»Es ist das Mindeste, was ich tun kann.« Sie erhob sich von ihrem Stuhl und ging zur Tür; ihre Sandalen glitten mit zischendem Geräusch über den Teppich. »Ich werde mich bald wieder an Sie wenden.«
»Er sagt, er muss sofort mit Ihnen sprechen.«
»Wie heißt er, Schickel?«
»Mauthis. Er ist Bankier.«
Noch ein Geldgeber, der lauthals eine Rückzahlung verlangt. Früher oder später werde ich das ganze Pack verhaften lassen müssen. Das wäre dann zwar das Ende meiner kleinen Verschwendungsarie, aber sicherlich die Sache wert – schon allein, um ihre Gesichter zu sehen. Glokta zuckte resigniert die Achseln. »Bitte ihn herein.«
Es war ein hoch gewachsener Mann in den Fünfzigern, so hager, hohlwangig und tiefäugig, dass er fast krank wirkte. Seine Bewegungen hatten etwas Strenges und Genaues an sich, und sein Blick war fest und kalt. Als ob er alles, was er sieht, auf seinen Wert in Silbermark abschätzt, mich eingeschlossen.
»Mein Name ist Mauthis.«
»Das hat man mir gesagt, aber ich fürchte, dass ich im Moment nicht über Mittel für eine Rückzahlung verfüge.« Es sei denn, wir wollten Severards zwölf Bruch bemühen. »Ganz gleich, welche Schulden die Stadt bei Ihrer Bank haben mag, Sie werden sich gedulden müssen. Es wird nicht mehr lange dauern, das kann ich Ihnen versichern.« Nur so lange, bis das Meer austrocknet, der Himmel einbricht und die Teufel über die Erde strömen.
Mauthis lächelte ein wenig. Wenn man es denn so nennen kann. Ein ordentliches, präzises und völlig freudloses Heben der Mundwinkel. »Sie missverstehen mich, Superior Glokta. Ich bin nicht hier, um Schulden einzutreiben. Seit sieben Jahren habe ich das Privileg, in Dagoska als Hauptvertreter für das Bankhaus Valint und Balk zu agieren.«
Glokta hielt inne und versuchte dann, möglichst unbefangen zu klingen. »Valint und Balk, sagen Sie? Ihre Bank hat die Tuchhändlergilde finanziert, wenn ich mich nicht irre.«
»Wir hatten einige Geschäfte mit dieser Gilde, bevor sie auf so unglückliche Weise in Ungnade fiel.« Das kann man wohl so sagen. Ihnen gehörte doch die ganze Gilde vom dünnsten Faden bis zum dicksten Tuchballen. »Aber wir hatten Geschäfte mit vielen Gilden und Unternehmen, auch mit anderen Banken, mit Privatpersonen, großen und kleinen Kunden. Heute ist mir an einem Geschäft mit Ihnen gelegen.«
»Ein Geschäft welcher Art?«
Mauthis wandte sich zur Tür und schnippte mit den Fingern. Zwei muskelbepackte Einheimische traten ein, die unter dem Gewicht einer großen Kiste keuchten und schnauften: eine Kiste aus poliertem schwarzem Holz, die mit Bändern aus hellem Stahl beschlagen und mit einem schweren Schloss gesichert war. Sie setzten sie vorsichtig auf dem schönen Teppich ab, wischten sich den Schweiß von der Stirn und gingen schwerfällig wieder hinaus, während Glokta ihnen grübelnd hinterhersah. Was ist das? Mauthis zog einen Schlüssel aus der Tasche und drehte ihn im Schloss. Er beugte sich vor und hob den Deckel der Kiste. Dann ging er zur Seite, bedächtig und kontrolliert, sodass Glokta den Inhalt sehen konnte.
»Einhundertundfünfzigtausend Mark in Silber.«
Glokta blinzelte. Tatsächlich. Die Münzen schimmerten und glitzerten im Abendlicht. Flache, runde, silberne Fünfmarkstücke. Nicht wild durcheinandergehäuft wie in einem Barbarenschatz, sondern in sauberen, ordentlichen Reihen, die in einem Holzeinsatz mit rillenartigen Vertiefungen ruhten. So sauber und ordentlich wie dieser Mauthis selbst.
Die zwei Träger kehrten nun schnaufend ins Zimmer zurück und trugen eine zweite Kiste, nur wenig kleiner als die erste. Sie stellten sie auf dem Boden ab und marschierten hinaus, ohne auch nur einen Blick auf das Vermögen zu werfen, das für aller Augen offen dalag.
Mauthis öffnete die zweite Truhe mit dem gleichen Schlüssel, hob den Deckel und trat beiseite. »Dreihundertundfünfzigtausend Mark in Gold.«
Glokta wusste, dass ihm der Mund offen stand, aber es gelang ihm nicht, ihn zu schließen. Helles, sauberes Gold, gelb glänzend. Beinahe schien der ganze Reichtum Wärme abzustrahlen wie ein großes Feuer. Es zog an ihm, es zerrte an ihm, es riss ihn nach vorn. Tatsächlich machte er einen zögernden Schritt, bevor er sich selbst Einhalt gebot. Große, schwere, goldene Fünfzigmarkstücke. In sauberen, gleichmäßigen Reihen, genau wie das Silber. Die meisten Leute bekommen solche Münzen ihr ganzes Leben nicht zu Gesicht. Und in dieser Menge schon gar nicht.
Mauthis griff in seinen Mantel und zog eine flache Lederhülle hervor. Er legte sie bedächtig auf den Tisch und faltete sie auf: einmal, zweimal, dreimal.
»Eine halbe Million Mark in geschliffenen Edelsteinen.«
Da lagen sie auf dem weichen schwarzen Leder und auf der harten braunen Tischplatte und brannten in allen Farben unter der Sonne. Vielleicht zwei große Hand voll vielfarbiger, schimmernder Kiesel. Glokta starrte sie wie betäubt an und lutschte an seinem Zahnfleisch. Magister Eiders Juwelen nehmen sich plötzlich sehr bescheiden aus.
»Insgesamt haben meine Vorgesetzen mir den Auftrag erteilt, Ihnen, Sand dan Glokta, Superior von Dagoska, die Summe von genau einer Million Mark zur Verfügung zu stellen.« Mauthis rollte ein Dokument aus schwerem Papier auseinander. »Bitte unterschreiben Sie hier.«
Glokta sah von einer Truhe zur anderen und wieder zurück. Sein linkes Auge begann wild zu zucken. »Weshalb?«
»Um zu bestätigen, dass Sie das Geld erhalten haben.«
Glokta hätte beinahe gelacht. »Das meine ich nicht! Wieso das ganze Geld?« Er wies mit einer ausholenden Handbewegung auf die Kisten. »Weshalb das alles?«
»Offenbar ist meinen Dienstherren genau wie Ihnen daran gelegen, dass Dagoska nicht in die Hände der Gurkhisen fällt. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Können oder wollen Sie nicht?«
»Kann ich nicht. Und will ich nicht.«
Glokta betrachtete mit düsterem Gesicht die Juwelen, das Silber und das Gold. Sein Bein pochte dumpf. Alles, was ich wollte, und sogar noch viel mehr. Aber der Erfolg einer Bank gründet sich nicht darauf, dass sie Geld einfach so weggibt. »Wenn dies ein Kredit ist, wie lautet der Zinssatz?«
Mauthis zeigte erneut sein eisiges Lächeln. »Meine Dienstherren würden lieber von einem Beitrag zur Verteidigung der Stadt sprechen. Es gibt jedoch tatsächlich eine Bedingung.«
»Und die lautet?«
»Möglicherweise wird irgendwann einmal ein Vertreter des Bankhauses Valint und Balk bei Ihnen erscheinen und Sie … um einen Gefallen bitten. Es ist die große Hoffnung meiner Dienstherren, dass sie von Ihnen dann, falls diese Zeit tatsächlich einmal kommen sollte, nicht enttäuscht werden.«
Ein Gefallen im Wert von einer Million Mark. Und ich gebe mich in die Hände eines höchst fragwürdigen Unternehmens. Eines Unternehmens, dessen Motive ich noch nicht einmal ansatzweise durchschaue. Eines Unternehmens, gegen das ich bis vor kurzem noch wegen Hochverrats ermitteln lassen wollte. Aber welche Möglichkeiten bleiben mir? Ohne Geld ist die Stadt verloren, und dann bin ich erledigt. Ich brauche ein Wunder, und hier ist es und funkelt vor meinen Augen. Ein Mann, der sich in der Wüste verirrt, sollte alles Wasser annehmen, das man ihm anbietet …
Mauthis schob das Dokument über den Tisch. Mehrere Absätze in sauberer Schrift und eine leere Stelle für einen Namen. Für meinen Namen. Beinahe ein wenig wie ein Geständnis. Und Gefangene unterschreiben ihre Geständnisse immer. Sie bekommen sie nur dann vorgelegt, wenn sie keine Wahl mehr haben.
Glokta griff nach der Feder, tauchte sie in die Tinte und schrieb seinen Namen an den dafür vorgesehenen Ort.
»Damit wäre unser Geschäft besiegelt.« Mauthis rollte das Papier ordentlich und sauber zusammen, dann schob er es bedächtig in seinen Mantel. »Meine Kollegen und ich werden Dagoska heute Abend verlassen.« Da wird ja sehr viel Geld in ein Unternehmen investiert, in das man gleichzeitig offenbar nur wenig Vertrauen setzt. »Valint und Balk schließen ihr Kontor in der Stadt, aber vielleicht werden wir uns in Adua wieder sehen, wenn diese unangenehme Sache mit den Gurkhisen bereinigt ist.« Der Bankier zeigte noch einmal sein mechanisches Lächeln. »Geben Sie nicht alles auf einmal aus.« Damit wandte er sich auf dem Absatz um und verließ den Raum. Glokta blieb mit dem überwältigenden Vermögen zurück, das ihm so unerwartet zugefallen war.
Er schlurfte schwer atmend zu den Truhen und sah auf sie hinab. Das viele Geld hatte etwas Unanständiges an sich. Etwas Ekliges. Und beinahe etwas Beängstigendes. Er ließ die Deckel zufallen und schloss mit zitternden Händen ab. Dann schob er den Schlüssel in seine Innentasche. Mit den Fingerspitzen strich er über die Metallbänder der beiden Kisten. Seine Handflächen waren schweißnass. Ich bin reich.
Er nahm einen durchsichtigen, geschliffenen Stein von der Größe einer Eichel zur Hand und hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger dem Fenster entgegen. Das schwache Licht funkelte in vielen Facetten zurück, in Tausenden von leuchtenden Feuerfunken – blau, grün, rot, weiß. Glokta wusste nicht viel über Edelsteine, aber er war sich einigermaßen sicher, dass es sich hier um einen Diamanten handelte. Ich bin sehr, sehr reich.
Er sah auf die übrigen Steine, die auf dem flachen Leder funkelten. Einige von ihnen waren klein, aber durchaus nicht alle. Es waren Steine darunter, die größer waren als jener, den er in seiner Hand hielt. Ich bin unermesslich, sagenhaft reich. Man stelle sich nur vor, was man mit so viel Geld alles tun könnte. Man stelle sich nur vor, was man damit alles steuern könnte … vielleicht kann ich mit dieser Summe wirklich die Stadt retten. Bessere Stadtmauern, mehr Vorräte, mehr Waffen und Ausrüstung, mehr Söldner, und wir schlagen die Gurkhisen zurück und zwingen sie zum Abzug. Eine herbe Schlappe für den Imperator von Gurkhul. Wer hätte das gedacht? Sand dan Glokta, erneut als Held gefeiert.
Er rollte die schimmernden kleinen Steinchen mit der Fingerspitze gedankenverloren hin und her. Aber wenn man so viel Geld in so kurzer Zeit ausgibt, könnte das Verdacht erregen. Meine treue Dienerin Vitari würde misstrauisch, und sie würde meinen edlen Meister, den Erzlektor, ebenfalls misstrauisch machen. Erst bettele ich um Geld, und dann schöpfe ich plötzlich aus dem Vollen? Ich habe mir eben Geld geborgt, Euer Eminenz. Tatsächlich? Wie viel? Nur eine kleine Million Mark. Ach ja? Und wer würde eine solche Summe zur Verfügung stellen? Tja, unsere alten Freunde vom Bankhaus Valint und Balk, Euer Eminenz, die im Gegenzug bisher einen nicht näher bezeichneten Gefallen verlangen, den sie zu jeder Zeit einfordern können. Meine Loyalität bleibt davon selbstverständlich völlig unberührt. Das verstehen Sie doch, nicht wahr? Ich meine, es ist doch nur ein kleines Vermögen in Edelsteinen. Wasserleiche unten am Kai gefunden …
Er grub die Finger geistesabwesend in die kalten, harten, glänzenden Steinchen, und sie kitzelten die Haut seiner Finger auf angenehme Weise. Angenehm, aber gefährlich. Wir müssen immer noch sehr vorsichtig vorgehen. Vorsichtiger denn je …