NICHT GUT FÜREINANDER

Ferro kämpfte sich gegen die Strömung voran. Sie stand bis zum Bauch im schnell dahinfließenden Wasser, hatte die Zähne wegen der beißenden Kälte fest zusammengebissen, und Neunfinger planschte und keuchte hinter ihr her. Sie konnte vor sich einen Torbogen erahnen, hinter dem schwaches Licht auf dem Wasser schimmerte. Er war mit einem eisernen Gitter gesichert, aber als sie nahe genug herangewatet war, entdeckte sie, dass die dünnen Stäbe verrostet waren und bereits abblätterten. Sie warf sich mit aller Macht dagegen. Dahinter war der Bach zu sehen, der zwischen felsigen und schlammigen Ufern auf sie zufloss, und darüber hing der Abendhimmel, an dem die ersten Sterne leuchteten.

Freiheit.

Ferro machte sich an dem alten Eisen zu schaffen und stieß scharf die Luft zwischen den Zähnen hervor. Ihre Finger waren langsam und schwach von der Kälte. Neunfinger schob sich nun neben sie und setzte ebenfalls die Hände an – vier Hände nebeneinander, zwei dunkle und zwei blasse, die mit aller Kraft um die Stäbe geschlossen waren. Auf dem engen Raum drängten sie sich aneinander, und sie hörte ihn vor Anstrengung keuchen, hörte ihren eigenen Atem, fühlte, wie das uralte Metall mit leisem Quietschen nachgab.

Weit genug, damit sie hindurchschlüpfen konnte.

Zuerst schob sie ihren Bogen, den Köcher und das Schwert hindurch und hielt sie in einer Hand fest. Vorsichtig bog sie ihren Kopf an den Stäben vorbei, drehte sich zur Seite, zog den Bauch ein und hielt den Atem an, wand ihre Schultern, dann die Brust, dann die Hüften durch die enge Lücke und spürte, wie das raue Metall durch die nasse Kleidung hindurch über ihre Haut schrammte.

Auf der anderen Seite angekommen, warf sie die Waffen auf die Uferböschung. Sie stemmte sich mit den Schultern gegen den Torbogen, setzte den Stiefel gegen die vorderste Stange und spannte jeden Muskel an, während Neunfinger von der anderen Seite zog. Das Eisen gab unerwartet nach, brach in der Mitte durch und ließ einen kleinen Schauer Rost in den Bach rieseln, während Ferro auf den Rücken fiel und auch mit dem Kopf tief im eiskalten Wasser untertauchte.

Neunfinger schob sich nun hindurch, das Gesicht vor Anstrengung verzerrt. Ferro kam wieder an die Oberfläche, japste vor Kälte, packte ihn unter den Armen und begann zu ziehen, fühlte dabei, wie seine Hände sich auf ihren Rücken legten. Sie schnaufte und kämpfte und schaffte es schließlich, ihn herauszuziehen. Sie fielen beide auf das schlammige Ufer und blieben eine Weile nebeneinander liegen. Ferro sah zu den verfallenden Mauern der zerstörten Stadt hinauf, die über ihr in der grauen Dämmerung aufragten, atmete schwer und hörte, dass Neunfinger dasselbe tat. Sie hatte nicht erwartet, diesen Ort lebend zu verlassen.

Aber noch hatten sie es auch nicht ganz geschafft.

Keuchend rollte sie sich auf den Bauch, kletterte die Böschung hinauf und versuchte mit dem Zittern aufzuhören. Sie fragte sich, ob ihr je in ihrem Leben schon einmal so kalt gewesen war.

»Das war’s«, hörte sie Neunfinger murmeln. »Bei den verdammten Toten, das war’s. Ich bin fertig. Ich gehe keinen Schritt weiter.«

Ferro schüttelte den Kopf. »Wir müssen weg von der Stadt, solange wir noch genug Licht haben.« Sie hob ihre Waffen auf.

»Das nennst du Licht? Bist du völlig durchgedreht, Weib?«

»Das weißt du doch. Los, Rosig, auf geht’s.« Dabei stupste sie ihn mit ihrem nassen Stiefel in die Rippen.

»In Ordnung, verdammt! In Ordnung!« Schwankend richtete er sich auf, und sie lief bereits im Zwielicht am Ufer entlang, weg von den Mauern.

»Was habe ich getan?« Sie drehte sich um und sah ihn an, wie er dastand und ihm das nasse Haar um den Kopf hing. »Was habe ich da vorhin getan?«

»Du hast uns durchgebracht.«

»Ich meinte …«

»Du hast uns durchgebracht. Das ist alles.« Und sie stapfte am Ufer entlang. Nach einer Weile hörte sie, wie Neunfinger ihr folgte.

 

Es war so dunkel, und Logen war so müde, dass er die Ruine beinahe erst sah, als sie direkt davorstanden. Wahrscheinlich war es einmal eine Mühle gewesen, vermutete er. Zwar hatte man sie direkt neben dem Bach erbaut, aber das Mühlrad fehlte wohl schon seit ein paar hundert Jahren, wenn nicht länger.

»Wir rasten hier«, zischte Ferro und duckte sich unter dem abbröckelnden Türsturz hindurch. Logen war so müde, dass er nur nicken und ihr folgen konnte. Dünnes Mondlicht rann über die einsamen Grundmauern, die noch standen, ließ die Kanten der Steine scharf hervortreten, die Umrisse alter Fenster, den festgetrampelten Untergrund. Er stolperte bis zur nächsten Wand und ließ sich langsam daran herunterrutschen, bis sein Hintern auf dem Boden aufkam.

»Noch am Leben«, murmelte er geräuschlos und grinste in sich hinein. Hundert Schnitte und Kratzer und Prellungen verlangten pochend nach Aufmerksamkeit, aber er war immer noch am Leben. Eine Weile saß er bewegungslos da – nass, voll dumpfem Schmerz und völlig entkräftet, ließ die Augen zufallen und genoss das Gefühl, sich nicht bewegen zu müssen.

Stirnrunzelnd sah er wieder auf. In der Dunkelheit erklang ein seltsames Geräusch, das sogar das Rauschen des Bachs übertönte. Ein klackendes, ratterndes Geräusch. Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, was es war. Ferros Zähne. Er zog den Mantel von den Schultern, verzog das Gesicht, als er den abgeschürften Ellenbogen durch den Ärmel bugsierte, und hielt ihr das Kleidungsstück im Dunkeln hin.

»Was ist das?«

»Ein Mantel.«

»Das seh ich. Was soll ich damit?«

Verdammt, sie war aber auch stur. Logen hätte beinahe laut gelacht. »Vielleicht sehe ich nicht so gut wie du, aber ich kann immerhin hören, dass deine Zähne klappern.« Wieder streckte er ihr den Mantel hin. »Ich wünschte, ich könnte dir mehr anbieten, aber das ist alles, was ich habe. Du brauchst ihn mehr als ich, deswegen. Ist doch keine Schande. Nimm ihn.«

Eine Weile rührte sie sich nicht, dann wurde der Mantel ruppig aus seiner Hand gezogen, und er hörte, dass sie sich darin einwickelte. »Danke«, knurrte sie.

Er hob die Augenbrauen und fragte sich, ob er sich gerade verhört hatte. Aber offenbar gab es bei allem ein erstes Mal. »Kein Problem. Ich sag auch danke.«

»Hm?«

»Für die Hilfe. Unter der Stadt und auf dem Hügel bei den Steinen und oben auf den Dächern, und auch sonst.« Er dachte kurz nach. »Das ist verdammt viel Hilfe. Wahrscheinlich mehr, als ich verdiene, aber was soll’s, ich bin auf alle Fälle wirklich dankbar.« Er erwartete eine Antwort, aber es kam keine. Nur der Bach war zu hören, wie er unter den Mauern des Gebäudes dahingluckerte, der Wind, wie er durch die leeren Fenster pfiff, sein eigener abgehackter Atem. »Du bist in Ordnung«, fügte er hinzu. »Mehr kann ich nicht sagen. Egal, wie hart du dich auch geben magst, du bist in Ordnung.«

Noch mehr Schweigen. Er konnte ihren Umriss im Mondlicht sehen, wie sie gegen die Mauer gelehnt dasaß, den Mantel um die Schultern geschlungen, das nasse Haar stachlig vom Kopf abstehend, und vielleicht sah er auch das kurze Aufblitzen eines gelben Auges, das ihn beobachtete. Er fluchte unterdrückt. Reden war nicht seine Stärke, war es nie gewesen. Wahrscheinlich bedeutete ihr das alles überhaupt nichts. Immerhin, er hatte es versucht.

»Willst du ficken?«

Er hob den Kopf, die Kinnlade klappte ihm herunter, und er war sich nicht sicher, ob er gerade richtig gehört hatte »Hä?«

»Was ist los, Rosig, bist du jetzt taub oder was?«

»Bin ich was?«

»Schon gut! Vergiss es!« Sie drehte sich weg und zog sich den Mantel zornig um die angespannten Schultern.

»Warte mal, warte.« Allmählich dämmerte es ihm. »Ich meine … ich hatte nur nicht erwartet, dass du so was fragst, das ist alles. Ich sage nicht nein … denk ich … wenn du Lust hast.« Er schluckte. Sein Mund war trocken. »Hast du Lust?«

Er sah, wie sie wieder den Kopf wandte. »Sagst du nicht nein oder sagst du ja?«

»Also, äh …« Er blies im Dunkeln die Backen auf und versuchte, den Kopf klar zu bekommen. Nie hätte er erwartet, diese Frage überhaupt je wieder gestellt zu bekommen, und von ihr schon gar nicht. Jetzt, da sie gefragt hatte, fürchtete er sich zu antworten. Er konnte nicht leugnen, dass es eine ziemlich einschüchternde Vorstellung war, aber es war besser, eine Sache gleich anzugehen, als sich lange davor zu fürchten. Viel besser. »Dann ja. Glaub ich. Ich meine, ich bin sicher. Wieso auch nicht? Ich sage ja.«

»Ah.« In der Dunkelheit sah er, wie sie finster zu Boden blickte, die dünnen Lippen zusammengepresst, als ob sie auf eine andere Antwort gehofft hatte und jetzt nicht wusste, was sie mit der anfangen sollte, die sie bekommen hatte. Er war ebenso unsicher, genauso benommen. »Wie sollen wir’s machen?« Ganz nüchtern, als ob es eine Arbeit sei, die sie gemeinsam erledigen mussten, wie einen Baum fällen oder ein Loch graben.

»Äh … na ja, du müsstest ein bisschen näher kommen, würde ich sagen. Ich meine, ich hoffe, dass dich das jetzt nicht enttäuscht, aber mein Schwanz reicht nicht bis da hinten.« Er lächelte ein wenig, ärgerte sich dann aber schon wieder über sich selbst, als sie mit keinem Mundwinkel zuckte. Er wusste ja, dass sie nicht viel für Witze übrig hatte.

»Na gut.« Sie kam so schnell und geschäftsmäßig zu ihm herüber, dass er beinahe zurückwich und sie dadurch ins Straucheln kam.

»Entschuldige«, sagte er. »Ich hab das schon lange nicht mehr gemacht.«

»Nein.« Sie setzte sich neben ihn, hob den Arm und hielt dann inne, als ob sie sich fragte, was sie nun damit tun sollte. »Ich auch nicht.« Er fühlte ihre Fingerspitzen auf seinem Handrücken – sanft, vorsichtig. Beinahe kitzelte es, so leicht war die Berührung. Ihr Daumen rieb den Stummel seines Mittelfingers, und er sah ihr dabei zu, graue Gestalten, die sich in den Schatten bewegten, so ungelenk wie ein Paar, das noch nie zuvor einen anderen Menschen berührt hat. Ein seltsames Gefühl, eine Frau so nahe zu haben. Erinnerte an so viele lang vergangene Dinge.

Logen streckte langsam die Hand aus, und ihm war, als lege er sie gleich ins Feuer, als er Ferros Gesicht berührte. Es brannte nicht. Ihre Haut war so glatt und kühl, wie es bei jedem anderen Menschen auch der Fall gewesen wäre. Er grub die Finger in ihr Haar, fühlte, wie ihre Härchen an der Haut zwischen seinen Fingern kitzelten. Mit der Daumenspitze erkundete er die Narbe auf ihrer Stirn, verfolgte sie die Wange hinunter bis zum Mundwinkel, zupfte an ihrer Lippe, und seine Haut strich rau über ihre.

Ihr Gesicht hatte einen seltsamen Ausdruck angenommen, das sah er selbst bei dem geringen Licht. Einen Ausdruck, den er bei ihr zuvor noch nie gesehen hatte, aber es gab keinen Zweifel. Er spürte, wie sich die Muskeln unter ihrer Haut anspannten, sah das Mondlicht auf den Sehnen an ihrem dünnen Hals. Sie hatte Angst. Sie mochte lachen, während sie einen Mann ins Gesicht trat, sie mochte lächeln über Schwertwunden und Schläge und einen Pfeil im eigenen Fleisch achselzuckend abtun, aber offenbar löste eine sanfte Berührung Angst in ihr aus. Logen wäre das sehr komisch vorgekommen, hätte er nicht selbst so eine Scheißangst gehabt. Angst und Erregung, zur gleichen Zeit.

Plötzlich begannen sie, an den Kleidern des anderen zu zerren, als hätte jemand zum Angriff geblasen, und sie wollten die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Mit zitternden Händen und nervös an der Unterlippe kauend, fummelte Logen an den Knöpfen ihres Hemds, so ungeschickt, als ob er Handschuhe trüge. Er hatte noch keinen einzigen aufgeknöpft, als sie mit seinen bereits komplett fertig war.

»Scheiße«, zischte er. Sie schlug seine Hände weg und öffnete ihr Hemd selbst, zog es aus und warf es neben sich. Viel konnte er im Mondlicht nicht erkennen, nur das Schimmern ihrer Augen, die dunklen Umrisse ihrer knochigen Schultern und ihrer schmalen Hüften. Spuren schwachen Lichts lagen auf ihren Rippen und der Rundung einer Brust, vielleicht deutete sich etwas von der unebenen Haut einer Brustwarze an.

Er fühlte, wie sie seinen Gürtel öffnete, wie ihre kühlen Finger in seine Hosen glitten, fühlte …

»Ah! Scheiße! Du musst mich ja nicht gleich dran hochheben!«

»In Ordnung …«

»Ah.«

»Besser?«

»Ah.« Er zog an ihrem Gürtel und öffnete ihn ungeschickt, schob seine Hand hinein. Das war zwar nicht besonders einfallsreich, aber Einfallsreichtum war noch nie seine große Stärke gewesen. Seine Fingerspitzen arbeiteten sich vor, bis sie fast schon ihr Haar erfühlen konnten, dann steckte sein Handgelenk fest. Er bekam die Finger einfach nicht weiter voran, so sehr er sich auch mühte.

»Scheiße«, brummte er, merkte dann, wie Ferro an ihren Zähnen saugte, sich bewegte und sich mit der freien Hand die Hose über den Hintern zog. Das war besser. Er ließ seine Hand über ihren nackten Schenkel gleiten. Gut, dass er wenigstens noch einen Mittelfinger hatte. Die waren doch ganz nützlich.

Sie verharrten eine Weile so, beide auf der Erde kniend, und es bewegte sich nichts außer ihren beiden Händen, die vor und zurück glitten, rein und raus, wobei sie nach langsamem und sanftem Beginn immer schneller wurden. Es war kaum etwas zu hören, außer Ferros Atem, der durch ihre Zähne pfiff, und Logens, der in seiner Kehle rasselte, dem ruhigen Saugen und Schmatzen von feuchter Haut, die sich bewegte.

Sie drängte sich gegen ihn, arbeitete sich ganz aus ihren Hosen, schob ihn gegen die Mauer. Er räusperte sich, plötzlich heiser. »Soll ich …«

»Ssss.« Sie stützte sich auf einen Fuß und ein Knie, hockte sich mit weit geöffneten Beinen über ihn, spuckte in die hohle Hand und ergriff damit seinen Schwanz. Leise murmelte sie etwas, verlagerte ihr Gewicht, ließ sich auf ihn gleiten und stöhnte leise. »Urrrr.«

»Ah.« Er zog sie näher an sich, drückte mit einer Hand ihren Schenkel, fühlte die Muskeln, wie sie sich zusammenzogen und bewegten, mit der anderen fasste er in ihr fettiges Haar und zog ihren Kopf zu sich herunter. Seine Hosen hatten sich um seine Knöchel gewickelt. Er versuchte sie abzustreifen, verwickelte sich aber nur noch mehr darin, aber er dachte gar nicht daran, sie wegen so einer Kleinigkeit ums Aufhören zu bitten.

»Urrrr«, flüsterte sie mit offenem Mund, die Lippen fuhren warm und weich über seine Wange, ihr Atem heiß und bitter in seinen Mund, ihre Haut rieb gegen seine, blieb daran kleben, löste sich wieder.

»Ah«, stöhnte er im Gegenzug, und sie bewegte ihre Hüften ihm entgegen, vor und zurück, vor und zurück.

»Urrrr.« Eine ihrer Hände hatte sein Kinn gepackt, den Daumen in seinem Mund, die andere lag zwischen ihren Beinen, glitt auf und nieder, und er fühlte, wie sich ihre nassen Finger um seine Nüsse schlossen, mehr als nur ein bisschen schmerzhaft, mehr als nur ein bisschen erregend.

»Ah.«

»Urrrr.«

»Ah.«

»Urrrr.«

»Ah …«

»Was?«

»Äh …«

»Du machst wohl Witze!«

»Na ja …«

»Ich kam gerade erst in Schwung!«

»Ich hab ja gesagt, es ist ziemlich lange her …«

»Ein paar Jahre offenbar!« Sie rutschte von seinem erschlaffenden Schwanz, wischte sich mit einer Hand ab und schmierte das Zeug zornig an die Mauer, warf sich dann auf die Seite, sodass sie ihm den Rücken zudrehte, schnappte sich seinen Mantel und deckte sich damit zu.

Eine wirklich peinliche Sache, so viel war mal klar.

Logen fluchte stumm vor sich hin. Die ganze lange Wartezeit, und dann hatte er es nicht geschafft, die Milch noch ein bisschen im Eimer zu behalten. Er kratzte sich betrübt im Gesicht, rieb sich das schorfige Kinn. Eins konnte man nämlich eigentlich über Neunfinger-Logen sagen, er war ein recht guter Liebhaber.

Vorsichtig warf er einen Seitenblick auf Ferro, deren Umriss er in der Dunkelheit erkennen konnte. Struppiges Haar, der lange Hals gereckt, kantige Schulter, den langen Arm gegen die Seite gedrückt. Selbst unter dem Mantel erahnte er die Rundung ihrer Hüfte. Er betrachtete ihre Haut, von der er jetzt wusste, wie sie sich anfühlte – weich, glatt, kühl. Er konnte sie atmen hören. Sanften, ruhigen, warmen Atem …

Augenblick.

Da rührte sich doch wieder etwas unterhalb seiner Körpermitte. Es war zwar wund, wurde aber deutlich steifer. Einen einzigen Vorteil gab es, wenn man so lange verzichtet hatte – der Eimer füllte sich auch schnell wieder. Logen fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Es wäre eine Schande gewesen, die Möglichkeit nur aus Schüchternheit verstreichen zu lassen. Er rutschte neben Ferro, kuschelte sich ein wenig an sie an und räusperte sich.

»Was?« Ihre Stimme klang hart, aber nicht hart genug, um ihn abzuschrecken.

»Na ja, weißt du, wenn du mir ein bisschen Zeit gibst, dann würde vielleicht …« Er hob den Mantel ein wenig und strich mit der Hand über ihre Hüfte, Haut an Haut, leise raschelnd, schön langsam, damit sie gegebenenfalls genug Zeit hatte, ihn wegzuschubsen. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn sie sich umgedreht und ihn in die Nüsse getreten hätte. Aber das tat sie nicht.

Sie drängte sich gegen ihn, ihr nackter Hintern schob sich gegen seinen Bauch, und hob ein Knie. »Wieso sollte ich dir eine zweite Gelegenheit geben?«

»Ich weiß nicht«, raunte er, und ein Grinsen zog über sein Gesicht. Er strich sanft über ihre Brust, ihren Bauch, schob die Hand zwischen ihre Beine. »Aus dem gleichen Grund wie beim ersten Mal?«

 

Ferro erwachte mit einem Ruck, wusste nicht, wo sie sich befand, merkte nur, dass sie gefangen war. Sie fauchte und schlug um sich, rammte den Ellenbogen zur Seite, kämpfte sich den Weg frei und kroch davon, die Zähne zusammengebissen und die Fäuste kampfbereit geballt. Aber es waren keine Feinde zu sehen. Nur die nackte Erde und der triste Stein im bleichen, grauen Morgenlicht.

Und der große Rosig.

Neunfinger richtete sich verwirrt auf, knurrte und spuckte und sah sich wütend um. Als er keine Plattköpfe entdecken konnte, die ihn umbringen wollten, wandte er sich langsam mit schlafverklebten Augen Ferro zu. »Ah …« Er verzog das Gesicht und fuhr sich mit den Fingerspitzen behutsam an den blutigen Mund. Sie starrten einander einen Augenblick an, beide splitterfasernackt und still in den kalten Ruinen der alten Mühle, und der Mantel, unter dem sie beide geschlafen hatten, lag zerknüllt zwischen ihnen auf dem Boden.

Und in diesem Augenblick erkannte Ferro, dass sie drei böse Fehler gemacht hatte.

Sie hatte es sich gestattet, einfach einzuschlafen, und noch nie war etwas Gutes passiert, wenn sie das getan hatte. Dann hatte sie Neunfinger den Ellenbogen ins Gesicht geschlagen. Und was noch viel, viel schlimmer war, so dämlich, dass sie fast eine Grimasse zog, als sie daran dachte: Sie hatte ihn in der Nacht zuvor gefickt. Wenn sie ihn jetzt im harten Tageslicht ansah, wie sein Haar gegen eine Seite seines narbigen und blutigen Gesichts geklatscht war und ein großer Dreckfleck seine bleiche Hüfte zierte, dort, wo er im Schlamm gelegen hatte, dann wusste sie eigentlich nicht mehr, wieso. Aus irgendeinem Grund, kalt und müde im Dunkeln, hatte sie jemanden anfassen und für kurze Zeit warm sein wollen, und sie hatte sich erlaubt zu denken, wem würde es schaden?

Das war Irrsinn.

Ihnen beiden würde es schaden, das war offensichtlich. Wo früher klare Fronten bestanden, würde es nun garantiert schwierig werden. Wo sie zuvor eine gewisse Übereinkunft gehabt hatten, würde von nun an Verwirrung herrschen. Sie war jetzt schon verwirrt, und er sah verletzt und wütend aus. Das war wohl auch keine Überraschung. Niemand lässt sich gern einen Ellenbogen ins Gesicht hauen, wenn er schläft. Sie öffnete den Mund, um sich zu entschuldigen, und dann fiel es ihr auf: Sie kannte nicht einmal das Wort. Sie wusste es nur in Kantesisch zu sagen, aber sie war so böse auf sich selbst, dass sie es ihm wie eine Beleidigung entgegenschleuderte.

Er jedenfalls nahm es so auf. Seine Augen verengten sich, und er zischte ihr etwas in seiner eigenen Sprache entgegen, riss seine Hosen an sich und schob ein Bein hinein, während er weiter zornig vor sich hin murmelte.

»Scheiß-Rosig«, fauchte sie zurück, die Fäuste in einem Anfall von Zorn geballt. Sie schnappte sich ihr zerrissenes Hemd und wandte ihm den Rücken zu. Offenbar hatte sie es auf einem nassen Fleck liegen lassen. Das zerlumpte Tuch umschlang ihre fröstelnde Haut wie eine Schicht kalten Schlamms, als sie es sich überwarf.

Verdammtes Hemd. Verdammter Rosig.

Voll hilflosem Zorn knirschte sie mit den Zähnen, während sie ihren Gürtel zuzog. Verdammter Gürtel. Wieso hatte sie ihn bloß nicht geschlossen gehalten. Es war immer dasselbe. Der Umgang mit Menschen war an sich schon schwierig, aber sie konnte sich darauf verlassen, dass sie sich selbst die Dinge immer schwerer machte, als sie von Natur aus waren. Einen Augenblick hielt sie inne, senkte den Kopf und wandte sich ihm dann halb zu.

Beinahe hätte sie ihm erklärt, dass sie ihm nicht auf den Mund hatte schlagen wollen, dass aber nie etwas Gutes geschah, wenn sie es sich erlaubte einzuschlafen. Beinahe hätte sie ihm gesagt, dass sie einen Fehler gemacht hatte, dass sie nur ein bisschen Wärme gesucht hatte. Beinahe hätte sie ihn gebeten zu warten.

Aber er stürmte bereits aus der verfallenen Tür, seine restlichen Kleidungsstücke unter den Arm geklemmt.

»Fick mich doch«, zischte sie, als sie sich setzte und sich ihre Stiefel anzog.

Aber das genau war ja das Problem.

 

Jezal saß auf den abbröckelnden Stufen des Tempels, zupfte trübsinnig an den ausgefransten Stichen der ausgerissenen Schulter seines Mantels und starrte über die endlose schlammige Weite zu den Ruinen von Aulcus hinüber. Ohne nach etwas Bestimmtem Ausschau zu halten.

Bayaz lag aufgestützt hinten im Karren, das Gesicht knochig und leichenblass. Um seine eingesunkenen Augen quollen die Adern hervor, und harte Falten hatten sich finster um seine farblosen Lippen eingegraben. »Wie lange warten wir denn noch?«, fragte Jezal schon wieder.

»So lange, wie es sein muss«, gab der Magus kurz angebunden zurück, ohne ihn auch nur anzusehen. »Wir brauchen sie.«

Bruder Langfuß stand, die Arme vor der Brust verkreuzt, etwas erhöht auf den Stufen und warf Jezal einen besorgten Blick zu. »Ihr seid natürlich mein Dienstherr, und es steht mir nicht an, Euch zu widersprechen …«

»Dann lasst es«, knurrte Bayaz.

»Aber Neunfinger und diese Maljinn«, fuhr der Wegkundige unbeirrt fort, »sind mit größter Sicherheit tot. Meister Luthar sah sie ganz deutlich in den Abgrund stürzen. Einen Abgrund von großer Tiefe. Meine Trauer kennt keine Grenzen, und nur wenige Menschen sind geduldiger als ich, Geduld zählt zu meinen bemerkenswerten Fähigkeiten … aber … nun ja … auch wenn wir bis ans Ende aller Zeiten warteten, ich fürchte doch, es würde keinen …«

»So lange …«, grantelte der Erste der Magi, »wie es sein muss.«

Jezal holte tief Luft, blickte dem Wind trotzend vom Hügel zur Stadt, und seine Augen glitten über das weite, flache Nichts. Die Landschaft war von kleinen Rinnen durchzogen, in denen Bäche verliefen, und der graue Streifen einer verfallenen Straße kroch von den weit entfernten Stadtmauern auf sie zu. Dazwischen erhoben sich die Umrisse verfallener Gebäude: Gasthäuser, Bauernhöfe, Dörfer, alle längst zerstört.

»Sie sind da unten«, ertönte plötzlich Quais leidenschaftslose Stimme.

Jezal stand auf, verlagerte das Gewicht auf sein gesundes Bein, beschattete sein Gesicht mit der Hand und sah in die Richtung, in die der Zauberlehrling zeigte. Nun entdeckte er sie auch, zwei winzige braune Gestalten auf der braunen Einöde, ganz nahe am Sockel des Felsens.

»Was habe ich Euch gesagt?«, krächzte Bayaz.

Langfuß schüttelte voller Erstaunen den Kopf. »Wie in Gottes Namen konnten sie das überleben?«

»Sie sind zwei, die sich zu helfen wissen, das kann man nicht anders sagen.« Jezal grinste über das ganze Gesicht. Noch vor einem Monat hätte er sich nicht träumen lassen, dass er sich je so freuen würde, Logen wieder zu sehen, Ferro schon gar nicht, aber hier saß er und grinste von einem Ohr zum anderen, einfach nur, weil sie noch lebten. Irgendwie hatte sich zwischen ihnen hier draußen in der Wildnis, da sie gemeinsam gegen Tod und andere Widrigkeiten gekämpft hatten, eine tiefe Verbundenheit entwickelt. Eine Verbundenheit, die sich schnell verstärkt hatte, trotz der vielen Unterschiede zwischen ihnen. Eine Verbundenheit, die seine alten Freundschaften vergleichsweise schwach, blass und leidenschaftslos wirken ließ.

Jezal beobachtete, wie die Gestalten näher kamen, auf einem überwachsenen Pfad, der den steilen Hügel hinauf zum Tempel führte, und sie hielten untereinander so viel Abstand, dass man hätte glauben können, sie seien einzeln unterwegs. Als sie noch näher kamen, sahen sie schließlich aus wie zwei Gefangene, die der Hölle entkommen waren. Ihre Kleidung war zerrissen, zerfetzt und völlig verdreckt, ihre verschmierten Gesichter waren so hart, als seien sie aus Stein. Ferro hatte eine verschorfte Wunde auf der Stirn. Logens Kinn war rundum abgeschürft, und rund um seine Augen lagen blaue Flecke.

Jezal kam ihnen humpelnden Schrittes entgegen. »Was ist passiert? Wie habt ihr …«

»Nichts ist passiert!«, bellte Ferro.

»Überhaupt nichts«, knurrte Neunfinger, und die zwei fletschten sich zornig an. Offenbar hatten sie Fürchterliches durchgemacht, über das sie beide nicht reden wollten. Ferro ging ohne den Hauch eines Grußes hinten an den Karren und wühlte dort herum. Logen stand die Hände in die Hüften gestemmt da und sah ihr grimmig hinterher.

»Ja dann«, murmelte Jezal, der nicht so recht wusste, was er sagen sollte, »dann geht es euch gut?«

Logens Augen glitten zu ihm herüber. »O ja, mir geht es bestens«, sagte er voller Ironie. »Mir ging’s nie besser. Wie, zur Hölle, habt ihr den Karren aus der Stadt bekommen?«

Der Zauberlehrling zuckte die Achseln. »Die Pferde haben ihn gezogen.«

»Meister Quai neigt zur Tiefstapelei«, kicherte Langfuß nervös. »Es war ein höchst aufregender Ritt zum Südtor der Stadt …«

»Ihr musstet euch wohl durchkämpfen, was?«

»Na ja, ich natürlich nicht, Kämpfen gehört nicht zu meinen …«

»Hatte ich auch nicht erwartet.« Logen beugte sich vor und spuckte bitter auf den Boden.

»Wir sollten zumindest eine gewisse Dankbarkeit erwägen«, raunzte Bayaz, und die Luft seufzte und krächzte beim Einatmen in seiner Kehle. »Es gibt vieles, wofür wir dankbar sein sollten. Wir alle sind noch am Leben.«

»Bist du sicher?«, gab Ferro kurz angebunden zurück. »Du siehst jedenfalls nicht so aus.« Jezal stimmte ihr insgeheim zu. Der Magus hätte nicht schlimmer aussehen können, wenn er in Aulcus tatsächlich gestorben wäre. Als ob er tot sei und allmählich verweste.

Sie riss sich den Fetzen von einem Hemd herunter, den sie trug, und schleuderte ihn wütend weg. Die Sehnen auf ihrem mageren Rücken bewegten sich. »Was glotzt du so, du Arsch!«, fauchte sie Jezal an.

»Nichts«, gab der leise zurück und senkte den Blick. Als er sich wieder aufzusehen traute, knöpfte sie sich gerade ein frisches Hemd zu. Nun ja, kein wirklich frisches. Vor einigen Tagen hatte er es getragen.

»Das ist eines von meinen …« Ferro bedachte ihn mit einem derart mörderischen Blick, dass Jezal unwillkürlich einen Schritt zurückging. »Aber natürlich kannst du es haben … bitte schön …«

»Sssss«, zischte sie und stopfte den Saum zornig unter ihren Gürtel, während sie die ganze Zeit dreinblickte, als sei sie dabei, jemanden zu erstechen. Vermutlich ihn. Insgesamt war es nicht gerade das tränenreiche Wiedersehen, das er sich vielleicht erhofft hatte, obwohl ihm jetzt tatsächlich ein wenig zum Weinen war.

»Ich hoffe, ich sehe diesen Ort nie wieder«, murmelte er wehmütig.

»Da bin ich ganz deiner Meinung«, sagte Logen. »War doch nicht so verlassen, wie wir glaubten, was? Meint Ihr, Euch fiele vielleicht ein anderer Rückweg ein?«

Bayaz runzelte die Stirn. »Das wäre in der Tat ratsam. Wir werden auf dem Fluss nach Calcis zurückkehren. Auf diesem Ufer gibt es weiter flussabwärts Wälder. Ein paar ordentliche Stämme, schön zusammengebunden, und der Aos wird uns direkt bis zum Meer tragen.«

»Oder bis in ein feuchtes Grab.« Jezal konnte sich nur zu gut an die wilde Strömung in der Schlucht des großen Flusses erinnern.

»Ich hoffe auf Besseres. Ohnehin haben wir noch viele Meilen westwärts zurückzulegen, bevor wir über die Heimreise nachdenken können.«

Langfuß nickte. »Das ist wohl wahr, und wir müssen auch noch einen Pass über eine höchst gefährliche Bergkette überwinden.«

»Wunderbar«, brummte Logen, »ich kann es kaum erwarten.«

»Ich auch nicht. Leider haben nicht all unsere Pferde überlebt.« Der Wegkundige hob die Brauen. »Wir haben zwei, um den Wagen zu ziehen, zwei zum Reiten … damit fehlen uns zwei.«

»Ich hasse die verdammten Viecher sowieso.« Logen marschierte zum Karren und kletterte Bayaz gegenüber hinein.

Es entstand eine lange Pause, in der sie die Lage überdachten. Zwei Pferde, drei Reiter. Kein besonders glückliches Verhältnis. Langfuß sprach als Erster. »Ich muss natürlich das Gelände erkunden, wenn wir uns den Bergen nähern. Das Kundschaften ist schließlich ein entscheidender Teil jeder erfolgreichen Reise. Und unglücklicherweise benötige ich dafür eines der Pferde …«

»Ich sollte wohl auch reiten«, murmelte Jezal und rührte sich unbehaglich, »wegen meinem Bein und so …«

Ferro sah zum Karren, und Jezal bemerkte, dass sich ihre und Logens Augen für einen kurzen und äußerst feindseligen Blick trafen.

»Ich laufe«, bellte sie.