VERBÜNDETE
An Erzlektor Sult, Leiter der Inquisition Seiner
Majestät
Euer Eminenz,
die Arbeit an den Verteidigungsanlagen der Stadt hat
begonnen. Die berühmte Landmauer ist zwar noch immer ein mächtiges
Bauwerk, aber in beschämendem Zustand, und ich habe energische
Schritte zum Ausbau der Befestigungen eingeleitet. Zu diesem Zweck
habe ich zusätzliche Vorräte, Rüstungen und Waffen bestellt, die
unbedingt nötig sind, um eine zeitlich unbefristete Belagerung zu
überstehen.
Angesichts der Größe der Verteidigungsanlagen handelt es sich
hier bedauerlicherweise um eine äußerst umfangreiche Aufgabe. Dabei
habe ich die ersten Arbeiten auf Kredit veranlasst, aber ich werde
nur eine begrenzte Zeit so verfahren können. Daher möchte ich Eure
Eminenz in aller Bescheidenheit darum bitten, mich mit weiteren
Mitteln auszustatten, um meine Arbeit fortführen zu können. Ohne
finanzielle Unterstützung sind all meine Bemühungen zum Scheitern
verurteilt, und die Stadt wird verloren gehen.
Die Union verfügt hier nur über wenige Streitkräfte, und die
Moral ist nicht beklagenswert. In der Stadt sind auch zahlreiche
Söldner, und ich habe angeordnet, dass weitere rekrutiert werden,
aber auf ihre Treue kann man nicht unbedingt zählen, vor allem,
wenn man sie nicht bezahlt. Ich bitte daher um die Entsendung
weiterer Soldaten des Königs. Schon eine einzige Kompanie könnte
sehr viel bewirken.
Sie werden bald wieder von mir hören. Ich verbleibe Ihr
gehorsamer Diener,
Sand dan Glokta,
Superior von Dagoska
»Hier ist es«, sagte Glokta.
»Uh«, machte Frost.
Es war ein unverputztes, einstöckiges Gebäude, nachlässig aus Lehmziegeln gebaut und kaum größer als ein durchschnittlicher Holzschuppen. Kleine Lichtstreifen leuchteten rund um die schlecht eingepasste Tür und die schlecht eingepassten Läden des einzigen Fensters in die Nacht hinaus. Die Hütte unterschied sich kaum von den anderen in der Straße, wenn man denn überhaupt von einer Straße sprechen konnte. Den Wohnsitz eines Mitglieds des Regierungsrats der Stadt hätte man hier jedenfalls nicht vermutet. Aber Kahdia ist in vieler Hinsicht anders als die anderen. Der Anführer der Einheimischen. Der Priester ohne Tempel. Vielleicht derjenige, der am wenigsten zu verlieren hat?
Die Tür öffnete sich, noch bevor Glokta hatte anklopfen können. Kahdia stand vor ihm, hoch aufragend, schlank und in ein weißes Gewand gehüllt. »Wieso kommen Sie nicht herein?« Der Haddisch wandte sich um, ging zum einzigen Stuhl und setzte sich.
»Warten Sie hier«, sagte Glokta.
»Uh.«
Von innen wirkte die Hütte genauso wenig einladend wie von außen. Sauber, ordentlich und fürchterlich arm. Die Decke war so niedrig, dass Glokta gerade noch aufrecht stehen konnte, der Boden bestand aus festgestampfter Erde. Vor einer der Wände lag eine Strohmatratze auf leeren Kisten, daneben stand ein kleiner Stuhl. Unter dem Fenster befand sich ein niedriges Schränkchen, auf dem ein paar Bücher lagen, von einer blakenden Kerze bewacht. Offenbar waren sie Kahdias einziger weltlicher Besitz, sah man von einem zerbeulten Eimer ab, der wohl für die menschlichen Bedürfnisse genutzt wurde. Auch hier kein Anzeichen für den versteckten Leichnam eines Superiors der Inquisition, aber man weiß ja nie. Man kann eine Leiche durchaus gut verbergen, wenn man sie in ausreichend kleine Stücke schneidet …
»Sie sollten nicht hier in den Elendsvierteln hausen.« Glokta zog die Tür hinter sich zu, die in ihren Angeln kreischte, hinkte zum Bett hinüber und ließ sich schwer auf die Matratze sinken.
»Einheimische haben keinen Zutritt zur Oberstadt, oder haben Sie das noch gar nicht mitbekommen?«
»Ich bin sicher, dass man in Ihrem Fall eine Ausnahme erwirken könnte. Sie könnten ein Quartier in der Zitadelle bekommen. Dann müsste ich nicht den weiten Weg bis hierher humpeln, um mit Ihnen zu reden.«
»Ein Quartier in der Zitadelle? Während meine Mitbürger hier unten im Dreck verfaulen? Ein Anführer kann zumindest das Leid seines Volkes teilen – das ist das Wenigste, was er tun kann. Anderen Trost kann ich ihnen schließlich kaum geben.« Es war erstickend heiß hier in der Unterstadt, aber Kahdia schien das nichts auszumachen. Sein Blick war fest, seine Augen bohrten sich in Gloktas, dunkel und kühl wie ein tiefer See. »Sind Sie anderer Meinung?«
Glokta rieb sich den schmerzenden Hals. »Nicht im Geringsten. Die Märtyrerrolle steht Ihnen, aber Sie müssen mir verzeihen, dass ich es Ihnen nicht gleichtue.« Er leckte über sein leeres Zahnfleisch. »Ich habe meine Opfer bereits gebracht.«
»Vielleicht noch nicht alle. Fragen Sie, was Sie wissen wollen.« Aha, wir kommen gleich zur Sache. Nichts zu verbergen also? Oder nur nichts zu verlieren?
»Wissen Sie, was aus meinem Vorgänger geworden ist, Superior Davoust?«
»Es ist meine große Hoffnung, dass er unter größten Schmerzen starb.« Gloktas Augenbrauen schossen unwillkürlich in die Höhe. Das ist nun das Letzte, was ich erwartet hätte – eine ehrliche Antwort. Vielleicht die erste ehrliche Antwort, die ich auf diese Frage bisher erhalten habe, aber kaum eine, die ihn von jeglichem Verdacht freispricht.
»Unter größten Schmerzen, sagen Sie?«
»Unter den allergrößten. Und ich werde Ihnen keine Träne nachweinen, wenn Sie denselben Weg gehen sollten.«
Glokta lächelte. »Mir fällt auch sonst niemand ein, der das täte, aber im Augenblick geht es um Davoust. Waren Ihre Leute an seinem Verschwinden beteiligt?«
»Das ist gut möglich. Davoust hat uns Gründe genug dazu gegeben. Viele Familien klagen um ihre Ehemänner, ihre Väter oder ihre Töchter, die seinen Säuberungsaktionen, seinen Prüfungen auf untertänige Treue und den Exempeln, die er statuierte, zum Opfer fielen. Mein Volk zählt viele tausend Köpfe, und ich kann sie nicht alle überwachen. Ich kann Ihnen lediglich sagen, dass ich selbst nichts von seinem Verschwinden weiß. Wenn ein Teufel stürzt, dann wird nur wenig später ein neuer geschickt – und hier sind Sie ja auch schon. Mein Volk hat dadurch nichts gewonnen.«
»Außer Davousts Schweigen. Vielleicht hatte er entdeckt, dass Sie sich mit den Gurkhisen verschworen haben. Vielleicht war der Beitritt zur Union nicht das, worauf Ihr Volk gehofft hat.«
Kahdia schnaubte. »Sie haben überhaupt keine Ahnung. Kein Dagoskaner würde je mit den Gurkhisen gemeinsame Sache machen.«
»Für einen Außenstehenden haben Ihre beiden Völker recht viel gemeinsam.«
»Für einen unwissenden Außenstehenden mag das so sein. Wir haben beide dunkle Haut, und wir beten beide zu Gott, aber damit hört die Ähnlichkeit auch schon auf. Wir Dagoskaner waren nie ein kriegerisches Volk. Wir lebten hier auf unserer Halbinsel und wähnten uns aufgrund unserer guten Befestigungsanlagen sicher geschützt, während sich das gurkhisische Imperium wie ein Krebsgeschwür über den ganzen kantesischen Kontinent ausbreitete. Wir dachten, ihre Eroberungen gingen uns nichts an. Das war unser Fehler. Es kamen Gesandte an unsere Tore, die verlangten, dass wir vor dem gurkhisischen Imperator niederknien und anerkennen sollten, dass der Prophet Khalul mit Gottes Stimme spricht. Wir waren zu beidem nicht bereit, und Khalul schwor, uns zu vernichten. Nun sieht es so aus, als würde es ihm endlich gelingen. Der ganze Süden wird unter seiner Herrschaft sein.« Ein Umstand, der dem Erzlektor überhaupt nicht gefallen würde.
»Wer weiß? Vielleicht wird Gott Ihnen beistehen.«
»Gott hilft denen, die ihre Probleme selbst lösen.«
»Vielleicht können wir einige dieser Probleme gemeinsam in den Griff bekommen.«
»Ich habe kein Interesse daran, Ihnen zu helfen.«
»Auch dann nicht, wenn Sie gleichzeitig sich selbst helfen? Ich beabsichtige, ein Dekret zu erlassen, nach dem die Tore der Oberstadt geöffnet werden und Ihr Volk das Recht erhält, sich in seiner eigenen Stadt nach Gutdünken zu bewegen. Die Gewürzhändler werden des Großen Tempels verwiesen, der dann wieder Ihre heilige Stätte sein wird. Die Dagoskaner werden Waffen tragen dürfen; mehr noch, wir werden Sie mit Waffen aus unseren eigenen Rüstkammern versorgen. Die Einheimischen werden als vollwertige Bürger der Union behandelt werden, so wie es ihnen zusteht.«
»Soso.« Kahdia verschränkte die Hände und lehnte sich auf seinem ächzenden Stuhl zurück. »Nun, da die Gurkhisen vor den Toren stehen, kommen Sie nach Dagoska, präsentieren Ihre kleine Schriftrolle, als enthielte sie das Wort Gottes, und beschließen, das Rechte zu tun. Sie sind nicht wie all die anderen. Sie sind ein guter Mensch, ein rechtschaffener, ja, ein gerechter Mensch. Erwarten Sie, dass ich das glaube?«
»Soll ich ehrlich sein? Mir ist scheißegal, was Sie glauben, und noch weniger interessiert mich, ob ich das Rechte tue oder nicht – was das Recht ist, hängt stets davon ab, wen man fragt. Und ob ich ein guter Mensch bin – das Schiff hat schon lange abgelegt, und ich war nicht einmal am Kai, um zum Abschied zu winken. Mein Interesse ist es allein, Dagoska zu halten. Das und sonst gar nichts.«
»Und Sie wissen, dass Sie Dagoska ohne unsere Hilfe nicht halten können.«
»Wir sind beide keine Narren, Kahdia, also beleidigen Sie mich nicht, indem Sie sich wie einer verhalten. Wir können miteinander streiten, bis die gurkhisische Flut über die Landmauer schwappt, oder wir können zusammenarbeiten. Wer weiß, vielleicht können wir sie sogar schlagen. Ihre Leute helfen uns, den Graben auszuheben, die Mauern auszubessern und die Tore wieder zu stärken. Sie werden tausend Mann für die Verteidigung der Stadt abstellen, jedenfalls zu Anfang, später dann noch mehr.«
»Werde ich das? Tatsächlich? Und wenn dann mit unserer Hilfe die Stadt gehalten werden kann? Hält unsere Vereinbarung dann auch noch?«
Wenn die Stadt gehalten werden kann, werde ich nicht mehr hier sein. Höchstwahrscheinlich übernehmen Vurms und die anderen wieder die Regierung, und unsere Vereinbarung ist dann nichts mehr wert. »Wenn die Stadt gehalten werden kann, haben Sie mein Wort, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht.«
»Alles, was in Ihrer Macht steht. Nichts also.« Ich sehe, Sie verstehen.
»Ich brauche Ihre Hilfe, also biete ich Ihnen das, was ich habe. Ich würde Ihnen gern mehr anbieten, aber mehr habe ich nicht. Sie können hier in den Elendsvierteln weiter vor sich hin brüten, während die Fliegen Sie umspielen, und darauf warten, dass der Imperator kommt. Vielleicht wird Ihnen der große Uthman-ul-Dosht ein besseres Angebot machen.« Glokta sah Kahdia für einen Moment in die Augen. »Aber wir wissen doch beide, dass er das nicht tun wird.«
Der Priester schürzte die Lippen, strich sich über den Bart und stieß dann einen tiefen Seufzer aus. »Es heißt, ein Mann, der sich in der Wüste verirrt, muss das Wasser annehmen, das er angeboten bekommt, ganz gleich, wer es ihm gibt. Ich nehme Ihr Angebot an. Sobald uns der Tempel wieder offen steht, werden wir Ihre Löcher graben und Ihre Steine schleppen und Ihre Degen tragen. Eine Kleinigkeit ist besser als nichts, und wie Sie schon sagen, vielleicht können wir die Gurkhisen gemeinsam sogar schlagen. Wunder gibt es immer wieder.«
»Das habe ich auch gehört«, sagte Glokta, als er sich auf seinen Stock stützte und schwer atmend wieder aufstand, wobei ihm das Hemd am schweißnassen Rücken klebte. »Das habe ich auch gehört.« Aber gesehen habe ich es noch nie.
Glokta streckte sich in seinen Gemächern auf den Kissen aus, den Kopf zurückgelegt, den Mund leicht geöffnet, und gönnte seinem schmerzenden Körper ein wenig Ruhe. Dieselben Gemächer bewohnte einst auch mein illustrer Vorgänger, Superior Davoust. Die Räumlichkeiten waren weitläufig, luftig und hübsch möbliert. Vielleicht hatten sie einmal einem dagoskanischen Prinzen gehört, einem intriganten Wesir oder einer verruchten Konkubine, bevor die Einheimischen in die staubige Unterstadt gedrängt wurden. Jedenfalls sind sie wesentlich schöner als mein winziges Loch im Agriont, sieht man von der Kleinigkeit ab, dass hier durchaus ein Superior der Inquisition verloren gehen kann.
Eine Fensterfront wandte sich nach Norden, zum Meer, an der steilsten Seite des Felsens, die andere blickte über die vor Hitze flimmernde Stadt. Beide waren mit schweren Läden versehen. Unter ihnen war nichts als eine glatte Felswand, und in großer Tiefe lauerten zackige Felsen und wütend schäumendes Salzwasser. Die Tür war sechs Finger dick, eisenbeschlagen, mit einem schweren Schloss und vier starken Riegeln versehen. Davoust war ein vorsichtiger Mensch – wie man gesehen hat, aus gutem Grund. Wie ist also unser Meuchelmörder hier hineingekommen, und wie hat er, nachdem er einmal drin war, den Leichnam entsorgt?
Er spürte, wie sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen. Wie werden sie den meinen entsorgen, wenn sie kommen? Meine Feinde beziehen bereits Stellung – der hochfahrende Vurms, der kleinkrämerische Vissbruck, die Kaufleute, deren Profite ich bedrohe, die Praktikalen, die Harker und Davoust dienten, die Einheimischen, die aus gutem Grund jeden hassen, der in Schwarz gekleidet ist, dann natürlich noch meine alten Feinde, die Gurkhisen, aber sie alle werden natürlich nur zum Zuge kommen, falls Seine Eminenz nicht angesichts meiner mangelnden Fortschritte ungeduldig wird und beschließt, mich vorzeitig zu ersetzen. Ob dann wohl jemand kommt, der nach meiner zusammengekrümmten Leiche suchen wird?
»Herr Superior.«
Es kostete ihn große Mühe, die Augen zu öffnen und den Kopf zu heben. Sein ganzer Körper schmerzte nach den Anstrengungen der letzten Tage. In seinem Hals knackte es bei jeder Bewegung, als zerbreche ein Zweig, sein Rücken war steif und brüchig wie Spiegelglas, und sein Bein schwankte zwischen nagendem Schmerz und zitternder Taubheit.
Schickel stand mit gesenktem Kopf in der Tür. Die Verletzungen und Schwellungen, die ihr dunkles Gesicht bedeckt hatten, waren verheilt. Äußerlich gab es kein Zeichen der Qualen mehr, die sie in den Zellen unten in der Zitadelle durchlitten hatte. Sie sah ihm jedoch nie in die Augen, stets auf den Boden. Manche Wunden heilen nur langsam, manche nie. Das sollte ich wissen.
»Was gibt es, Schickel?«
»Magisterin Eider hat Ihnen eine Einladung zum Essen geschickt.«
»Ach, tatsächlich?«
Das Mädchen nickte.
»Dann teile ihr mit, dass ich mich sehr geehrt fühle und die Einladung annehme.«
Glokta sah ihr nach, als sie den Raum mit gesenktem Kopf verließ, dann sank er auf die Kissen zurück. Wenn ich morgen verschwinde, habe ich wenigstens einen Menschen gerettet. Vielleicht ist mein Leben damit doch nicht völlig verschwendet gewesen. Sand dan Glokta, der Beschützer der Hilflosen. Ist es jemals zu spät … ein guter Mensch zu sein?
»Bitte!«, kreischte Harker. »Bitte! Ich weiß nichts!« Er war fest an seinen Stuhl gebunden und konnte kaum ein Glied rühren. Aber das machte er mit seinen Augen wieder wett. Sie zuckten beständig über Gloktas Instrumente, die glänzend im harten Lampenlicht auf dem vernarbten Tisch lagen. O ja, Sie wissen besser als die meisten anderen, wie man sie einsetzt. Wissen ist oft ein gutes Mittel gegen die Angst. Aber nicht hier. Nicht jetzt. »Ich weiß gar nichts!«
»Was Sie wissen oder nicht, das werde ich beurteilen.« Glokta wischte sich ein paar Schweißtropfen vom Gesicht. Der Raum war so heiß wie eine geschäftige Schmiede, und die Glut in der Kohlenpfanne machte die Sache nicht besser. »Wenn jemand wie ein Lügner riecht und die Farbe eines Lügners hat, dann ist er aller Wahrscheinlichkeit nach auch ein Lügner, meinen Sie nicht?«
»Bitte! Wir stehen doch alle auf derselben Seite!« Tun wir das? Tun wir das wirklich? »Ich habe Ihnen nur die Wahrheit gesagt!«
»Vielleicht, aber nicht so viel, wie ich davon brauche.«
»Bitte! Wir sind doch alle Freunde!«
»Freunde? Meiner Erfahrung nach ist ein Freund lediglich ein Bekannter, der einen bisher noch nicht verraten hat. Sind Sie so etwas, Harker?«
»Nein!«
Gloktas Miene verfinsterte sich. »Dann sind Sie unser Feind?«
»Was? Nein! Ich wollte nur … ich wollte nur … ich wollte wissen, was passiert ist! Das ist alles! Ich wollte nie … bitte!« Bitte, bitte, bitte. So allmählich geht es mir auf die Nerven. »Sie müssen mir glauben!«
»Ich muss nur eines, nämlich Antworten von Ihnen bekommen.«
»Stellen Sie doch Ihre Fragen, Herr Superior, ich bitte Sie! Geben Sie mir die Möglichkeit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten!« Ah, offenbar ist eine feste Hand plötzlich doch keine so gute Idee mehr, wie? »Stellen Sie doch bitte Ihre Fragen, ich werde mein Bestes tun, sie zu beantworten!«
»Gut.« Glokta stützte sich direkt neben seinem gefesselten Gefangenen auf die Tischkante und sah zu ihm hinunter. »Hervorragend.« Harkers Hände waren dunkelbraun gebrannt, ebenso wie seine Augen, aber der Rest seines Körpers war weiß wie der eines Molchs, nur stellenweise mit dichtem, dunklem Haar bewachsen. Kein besonders ansprechendes Äußeres. Könnte aber schlimmer sein. »Dann beantworten Sie mir doch bitte diese Frage. Wieso haben Männer Brustwarzen?«
Harkers Augenlider flatterten. Er schluckte. Dann sah er zu Frost auf, aber das half ihm nicht weiter. Der Albino sah mit starrem Blick und ohne Lidschlag zurück, die weiße Haut rund um seine Maske war von Schweiß überzogen, und die Augen waren hart wie rosafarbene Edelsteine. »Ich … ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie richtig verstanden habe, Herr Superior.«
»Ist das keine ganz einfache Frage? Brustwarzen, Harker, bei Männern. Was haben sie für einen Zweck? Haben Sie sich das nicht auch schön öfter gefragt?«
»Ich … ich …«
Glokta seufzte. »Sie werden wund und tun weh, wenn man länger der Nässe ausgesetzt ist. Sie trocknen aus und schmerzen in der Hitze. Es gibt wohl Frauen, die im Bett aus Gründen, die sich mir bisher nie erschlossen haben, gern mit ihnen herumspielen, obwohl uns das in der Regel nur verärgert.« Glokta streckte eine Hand aus, und während Harkers weit aufgerissene Augen jeder seiner Bewegungen folgten, senkte sie sich schließlich auf den Tisch und umfasste die Griffe einer Pinzette. Er nahm das Werkzeug auf und betrachtete die gut geschärften Enden, die im hellen Lampenschein glänzten. »Die Brustwarzen eines Mannes«, brummte er, »sind ihm doch nur im Wege. Wissen Sie was? Mal abgesehen von den unschönen Narben vermisse ich meine nicht im Geringsten.«
Er packte die Spitze von Harkers Brustwarze und zog ruppig daran. »Ah!«, kreischte der ehemalige Inquisitor, und sein Stuhl ächzte, als er verzweifelt versuchte, sich wegzudrehen. »Nein!«
»Ach, Sie meinen, das täte weh? Dann wird Ihnen vermutlich gar nicht gefallen, was noch kommen wird.« Und Glokta umschloss mit der Pinzette die lang gezogene Brustwarze und drückte sie zusammen.
»Ah! Ah! Bitte! Herr Superior, ich flehe Sie an!«
»Ihr Flehen bringt mich nicht weiter. Was ich von Ihnen brauche, sind Antworten. Was geschah mit Davoust?«
»Ich schwöre bei meinem Leben, ich weiß es nicht!«
»Das reicht nicht.« Glokta drückte fester zu, und die Metallenden bissen allmählich in das Fleisch.
Harker stieß einen verzweifelten Schrei aus. »Halt! Warten Sie! Ich habe Geld genommen! Ich gebe es zu! Ich habe Geld genommen!«
»Geld?« Glokta verringerte den Druck ein wenig. Ein Blutstropfen rann von der Pinzette und tropfte auf Harkers haariges, weißes Bein. »Was für Geld?«
»Geld, das Davoust den Einheimischen abgepresst hat! Nach der Rebellion! Er ließ mich alle verhaften, die ich für vermögend hielt, und ließ sie mit den Übrigen aufhängen. Dann haben wir alles, was sie hatten, beschlagnahmt und zwischen uns aufgeteilt! Er bewahrte seinen Anteil in einer Truhe in seinen Gemächern auf, und als er verschwand … habe ich es genommen!«
»Wo ist dieses Geld jetzt?«
»Weg! Ich habe es verprasst! Für Frauen … und für Wein, für alles Mögliche!«
Glokta schnalzte mit der Zunge. »Tss tss.« Gier, Verschwörung, Ungerechtigkeit, Betrug, Raub und Mord. Alle Zutaten, die eine Geschichte braucht, die die Massen begeistern soll. Pikant, aber leider nicht von Bedeutung für unseren Fall. Er umfasste wieder die Pinzette. »Mich interessiert der Superior selbst, nicht sein Geld. Sie können mir glauben, allmählich macht es mich müde, immer wieder dieselbe Frage zu stellen. Was ist mit Davoust geschehen?«
»Ich … ich … ich weiß es nicht!«
Vielleicht stimmt das. Aber es ist nicht die Antwort, die ich brauche. »Das reicht nicht.« Glokta drückte zu, die Metallklauen durchtrennten das Fleisch mühelos und sauber und trafen sich in der Mitte mit sanftem Klick. Harker brüllte laut, bäumte sich auf und schrie vor Schmerz, während Blut von der roten, viereckigen Stelle tropfte, wo einmal seine Brustwarze gewesen war, und dunkel seinen Bauch hinunterrann. Glokta zuckte zusammen, als sich etwas in seinem Hals verkrampfte, und er bewegte den Kopf, bis er das vertraute Klicken hörte. Seltsam, dass mit der Zeit selbst das schrecklichste Leid anderer nur noch … ermüdend sein kann. »Praktikal Frost, der Herr Inquisitor blutet! Seien Sie so gut!«
»Ffuldigung.« Das Eisen machte ein kratzendes Geräusch, als Frost es rot glühend aus der Kohlenpfanne zog. Glokta fühlte selbst auf seinem Platz noch die Hitze, die von ihm ausging. Ah, ein heißes Eisen. Es verbirgt keine Geheimnisse und erzählt keine Lügen.
»Nein! Nein! Ich …« Harkers Worte endeten in einem wilden Schrei, als Frost das Brandeisen auf die Wunde senkte und sich der Raum allmählich mit dem salzigen Aroma gebratenen Fleisches füllte. Ein Geruch, der zu Gloktas eigenem Ekel dazu führte, dass sein leerer Magen knurrte. Wie lange ist es her, dass ich ein gutes Stück Fleisch gehabt habe? Er wischte sich mit der freien Hand den frischen Schweißfilm vom Gesicht und bewegte unter dem Mantel seine verspannten Schultern.
Ein hässliches Geschäft, bei dem wir uns hier wieder finden. Wieso tue ich das? Die einzige Antwort war das weiche Knirschen, als Frost das Eisen vorsichtig wieder ins Kohlebecken legte und ein Wirbel orangefarbener Funken aufstieg. Harker wimmerte, wand und schüttelte sich mit hervorquellenden Augen, während noch immer ein dünner Rauchfaden vom geschwärzten Fleisch auf seiner Brust aufstieg. Ein hässliches Geschäft, sicher. Zweifelsohne hat er es verdient, aber das ändert gar nichts. Wahrscheinlich hat er wirklich keine Ahnung, was mit Davoust passiert ist, aber auch das ändert nichts. Die Fragen müssen trotzdem gestellt werden, und zwar genau so, als ob er die Antworten kennte.
»Wieso hören Sie nicht auf, sich mir zu widersetzen, Harker? Könnte es vielleicht sein … dass Sie davon ausgehen … dass mir dann, wenn ich mit Ihren Brustwarzen fertig bin, nichts mehr einfällt? Glauben Sie das vielleicht? Dass ich bei Ihren Brustwarzen aufhören werde?«
Harker starrten ihn an, kleine Speichelblasen bildeten sich und platzten auf seinen Lippen. Glokta beugte sich näher zu ihm heran. »O nein, o nein. Das ist nur der Anfang. Das ist noch vor dem Anfang. Und wir haben mitleidslos viel Zeit vor uns. Tage, Wochen oder sogar Monate, wenn es sein muss. Glauben Sie ernsthaft, dass Sie Ihre Geheimnisse lange vor mir werden bewahren können? Sie gehören jetzt mir. Mir, und diesem Raum. Das alles wird nicht aufhören, bevor ich weiß, was ich wissen muss.« Er streckte die Hand aus und packte Harkers verbliebene Brustwarze mit Daumen und Zeigefinger. Dann nahm er die Pinzette auf und spreizte ihre blutigen Greifer. »Das kann doch nicht so schwer zu begreifen sein?«
Magisterin Eiders Speisezimmer bot einen überwältigenden Anblick. Tücher in Silber und Karmesinrot, Gold und Purpur, Grün und Blau und Sonnengelb bewegten sich sanft in der zarten Brise, die durch die schmalen Fenster hineinwehte. Filigrane Marmorflächen schmückten die Wände, große, mannshohe Gefäße standen in den Ecken. Berge schmuckvoller Kissen lagen über den ganzen Boden verteilt, als wollten sie jene, die zufällig vorbeikamen, dazu einladen, sich in dekadenter Gemütlichkeit auszustrecken. Farbige Kerzen brannten in hohen Glasgefäßen, warfen warmes Licht bis in alle Ecken und füllten die Luft mit angenehmem Duft. An einer Seite des Marmorsaals tröpfelte Wasser sanft in ein sternförmiges Bassin. Die ganze Szenerie vermittelte mehr als nur einen Hauch Theatralik. Wie das Boudoir einer Königin aus einer kantesischen Legende.
Magisterin Eider, die Oberste der Gewürzhändlergilde, bildete selbst die Krönung dieser Szenerie. Die wahre Königin der Kaufleute. Sie saß an der Stirnseite des Tisches in einem makellosen weißen Gewand aus schimmernder Seide, die nur ganz eben, aber umso faszinierender eine gewisse Durchsichtigkeit andeutete. Ein kleines Vermögen in Edelsteinen leuchtete an jedem Zoll ihrer gebräunten Haut, ihr Haar war aufgesteckt und wurde von Elfenbeinkämmen gehalten, wobei gekonnt einige Strähnen ausgelassen worden waren, die sich nun kunstvoll um ihr Gesicht lockten. All das vermittelte den Eindruck, als habe sie den ganzen Tag damit verbracht, sich auf den Abend vorzubereiten. Und kein Augenblick davon war verschwendet.
Glokta, der am entgegengesetzten Ende der Tafel zusammengesunken auf einem Stuhl saß und eine Schüssel Suppe vor sich hatte, hatte das Gefühl, in den Seiten eines Romans zu blättern. Eine schwüle Romanze, die im exotischen Süden spielt, mit Magisterin Eider als Heldin und mir selbst als dem ekelhaften, verkrüppelten Schurken mit dem schwarzen Herzen. Wie wird diese Fabel wohl ausgehen? »Sagen Sie mir, Frau Magisterin, welchem Umstand verdanke ich diese Ehre?«
»Ich habe erfahren, dass Sie sich mit den anderen Mitgliedern des Regierungsrats unterhalten haben. Es hat mich überrascht und auch ein wenig verletzt, dass Sie noch nicht um eine Audienz bei mir nachgesucht haben.«
»Es tut mir leid, wenn Sie sich deswegen ausgeschlossen fühlten. Es erschien mir nur passend, dass ich mir die Mächtigste für den Schluss aufhob.«
Sie sah ihn mit einem Ausdruck verletzter Unschuld an. Der wirklich hervorragend gespielt ist. »Mächtig? Ich? Vurms kontrolliert den Haushalt, erlässt die Dekrete, Vissbruck befehligt die Truppen und organisiert die Verteidigung. Kahdia spricht für den Großteil der Bevölkerung. Da spiele ich doch kaum eine Rolle.«
»Kommen Sie.« Glokta grinste auf seine zahnlose Art. »Sie sind zwar eine strahlende Schönheit, aber so geblendet bin ich dann doch nicht. Vurms’ Haushalt ist bloß ein Taschengeld verglichen mit dem Gewinn der Gewürzhändler. Kahdias Volk hat man beinahe hilflos gemacht. Mittels Ihres branntweinseligen Freundes Cosca befehligen Sie mehr als doppelt so viele Truppen wie Vissbruck. Und ohnehin ist der einzige Grund, aus dem sich die Union überhaupt für diesen ausgedörrten Felsen interessiert, der Handel, den Ihre Gilde beherrscht.«
»Nun, ich prahle nicht gern.« Die Magisterin zuckte betont gleichmütig die Achseln. »Aber schön, ich habe wohl schon ein wenig Einfluss in der Stadt. Sie haben sich umgehört, wie ich erfahren habe.«
»Das ist nun einmal meine Aufgabe.« Glokta hob den Löffel zum Mund und gab sich alle Mühe, um mit seinen verbliebenen Zähnen nicht zu schlürfen. »Die Suppe ist übrigens ausgesprochen schmackhaft.« Und hoffentlich auch nicht tödlich.
»Ich dachte mir, Sie wüssten sie vielleicht zu schätzen. Wissen Sie, ich habe mich ebenfalls umgehört.«
Das Wasser rieselte und tröpfelte in das Bassin, die Stoffe raschelten an den Wänden, und das Silberbesteck schlug mit sanftem Klingen gegen die fein getöpferten Schüsseln. Ich würde sagen, die erste Runde geht unentschieden aus. Carlot dan Eider war die Erste, die das Schweigen brach.
»Mir ist natürlich bewusst, dass Sie vom Erzlektor höchstpersönlich mit einem Auftrag betraut wurden. Eine Mission von höchster Wichtigkeit. Wie ich nun gemerkt habe, sind Sie niemand, der aus seinem Herzen eine Mördergrube macht, aber vielleicht wäre es doch besser, wenn Sie vorsichtigere Schritte machen würden.«
»Ich gebe gern zu, dass mein Gang ein wenig ungeschickt ist. Eine Kriegsverletzung, die mir während zwei Jahren Folter zugefügt wurde. Es ist ein Wunder, dass ich das Bein heute überhaupt noch habe.«
Sie lächelte breit und zeigte dabei zwei Reihen perfekter Zähne. »Ich fühle mich sehr geschmeichelt, aber meine Kollegen fanden Sie etwas weniger unterhaltsam. Vurms und Vissbruck haben beide eine starke Abneigung gegen Sie entwickelt. Selbstherrlich, so haben sie Sie bezeichnet, glaube ich, von anderen Ausdrücken abgesehen, die ich besser nicht wiederhole.«
Glokta zuckte die Achseln. »Ich bin nicht hier, um neue Freundschaften zu schließen.« Er leerte sein Glas, das erwartungsgemäß hervorragenden Wein enthielt.
»Aber Freunde können sehr nützlich sein. Jeder Freund ist schon einmal ein Feind weniger, wenn auch sonst nichts. Davoust hat darauf beharrt, jeden zu verprellen, und das endete nicht besonders glücklich für ihn.«
»Davoust hatte nicht die Unterstützung des Geschlossenen Rats.«
»Das ist wahr. Aber ein Schriftstück wird kein geworfenes Messer abwehren.«
»Ist das eine Drohung?«
Carlot dan Eider lachte. Es war ein leichtes, offenes, freundliches Lachen. Man konnte sich kaum vorstellen, dass jemand, der ein solches Geräusch von sich gab, ein Verräter oder eine Bedrohung sein konnte, nicht einmal, dass er überhaupt etwas anderes war als ein perfekter, bezaubernder Gastgeber. Dennoch bin ich nicht völlig überzeugt. »Es ist ein Ratschlag. Ein Rat, geboren aus bitterer Erfahrung. Mir wäre es lieber, wenn Sie nicht ganz so schnell verschwinden würden wie Ihr Vorgänger.«
»Tatsächlich? Ich hätte nicht gedacht, dass ich ein so angenehmer Gast bin.«
»Sie sind kurz angebunden, herausfordernd, ein wenig Furcht einflößend und legen der Menüfolge starke Beschränkungen auf, aber es ist dennoch so, dass Sie mir hier mehr nützen können«, sie beschrieb eine Geste, »als dort, wo Davoust jetzt ist, wo auch immer das sein mag. Möchten Sie noch einen Wein?«
»Sehr gern.«
Sie erhob sich und glitt zu ihm hinüber, wobei ihre Füße sanft über den Boden huschten wie die einer Tänzerin. Nackte Füße, nach der Art der Kanteser. Der leichte Wind rührte an den fließenden Gewändern um ihren Körper, und als sie sich vorbeugte, um Gloktas Glas zu füllen, strömte ihm ihr voller Duft entgegen. Genau die Art von Frau, die ich nach dem Willen meiner Mutter hätte heiraten sollen – schön, klug und so überaus reich. Genau die Art von Frau, die ich auch hätte heiraten wollen, als ich jünger war. Als ich noch ein anderer war.
Das flackernde Kerzenlicht schimmerte auf ihrem Haar, brach sich an den Edelsteinen an ihrem schlanken Hals und leuchtete rot durch den Wein, als er sich aus dem Flaschenhals ergoss. Versucht sie mich nur deswegen einzuwickeln, weil ich den Erlass des Geschlossenen Rates besitze? Ist das hier lediglich der Versuch, eine Geschäftsbeziehung aufzubauen und auf gutem Fuße mit den Mächtigen zu stehen? Oder hofft sie, mich zu narren, mich abzulenken und mich von der unangenehmen Wahrheit wegzulocken? Ihre Augen trafen für einen kurzen Augenblick die seinen, und sie verzog die Lippen zu einem winzigen, wissenden Lächeln, bevor sie sich wieder seinem Glas zuwandte. Soll ich ihr kleiner Gossenjunge sein, der sein dreckiges Gesichtchen gegen das Fenster des Bäckerladens presst und dem das Wasser im Munde zusammenläuft, wenn er an die Leckereien denkt, die er sich niemals wird leisten können? Ich denke, doch wohl nicht.
»Wohin ist Davoust verschwunden?«
Magisterin Eider hielt einen Moment inne, dann stellte sie die Flasche vorsichtig hin. Sie glitt auf den nächsten Stuhl, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und das Kinn auf die Hände und sah Glokta in die Augen. »Ich vermute, dass er von einem Verräter aus der Stadt getötet wurde. Vermutlich von einem Spitzel der Gurkhisen. Auf die Gefahr hin, dass ich Ihnen etwas erzähle, was Sie ohnehin schon wissen – Davoust befürchtete eine Verschwörung innerhalb des Regierungsrats der Stadt. Das vertraute er mir kurz vor seinem Verschwinden an.«
Ach, hat er das? »Eine Verschwörung innerhalb des Regierungsrats?« Glokta schüttelte in gespieltem Entsetzen den Kopf. »Wäre denn das die Möglichkeit?«
»Seien wir ehrlich miteinander, Herr Superior. Ich will dasselbe wie Sie. Wir von der Gewürzhändlergilde haben viel zu viel Zeit und Geld in diese Stadt investiert, als dass wir nun dabei zusehen wollten, wie sie in gurkhisische Hände fällt. Mit Ihnen haben wir offensichtlich eine bessere Möglichkeit, Dagoska zu halten, als mit diesen Idioten Vurms und Vissbruck. Wenn es innerhalb unserer Mauern einen Verräter gibt, dann will ich, dass er gefunden wird.«
»Er … oder sie.«
Magister Eider hob eine sorgsam gezupfte Augenbraue. »Es wird Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, dass ich die einzige Frau im Rat bin.«
»Das ist es tatsächlich nicht.« Glokta schlürfte laut von seinem Löffel. »Aber vergeben Sie mir, wenn ich Sie noch nicht ganz von der Liste der Verdächtigen streiche. Um mich von der Unschuld eines Menschen zu überzeugen, braucht es mehr als eine leckere Suppe und eine angenehme Unterhaltung.« Obwohl das schon wesentlich mehr ist, als mir alle anderen angeboten haben.
Magisterin Eider lächelte und hob ihr Glas. »Wie kann ich Sie dann überzeugen?«
»Soll ich ehrlich sein? Ich brauche Geld.«
»Ah, Geld. Darauf läuft es ja immer hinaus. Geld aus meiner Gilde herauszupressen, ist so, als wolle man in der Wüste nach Wasser graben – ermüdend, schmutzig und in der Regel reine Zeitverschwendung.« Ganz ähnlich wie eine Befragung von Inquisitor Harker. »Über welche Summe reden wir?«
»Wir könnten mit, sagen wir, hunderttausend Mark anfangen.«
Eider bekam nicht wirklich ihren Wein in die falsche Kehle. Sie gibt eher ein sanftes Gurgeln von sich. Behutsam setzte sie ihr Glas ab, räusperte sich ruhig, betupfte die Mundwinkel mit der Ecke eines Tuchs und sah ihn dann mit gehobenen Augenbrauen an. »Sie wissen sehr gut, dass eine solche Summe nicht gewährt werden kann.«
»Ich nehme für den Augenblick, was immer Sie mir geben können.«
»Wir werden sehen. Beschränken sich Ihre Wünsche auf die besagten hunderttausend Mark, oder kann ich noch etwas anderes für Sie tun?«
»Da gibt es tatsächlich etwas. Ich muss die Kaufleute aus dem Tempel herausbekommen.«
Eider rieb sanft ihre Schläfen, als ob Gloktas Forderungen ihr Kopfschmerzen bereiteten. »Er will die Kaufleute heraushaben«, murmelte sie.
»Das war notwendig, um mich Kahdias Unterstützung zu versichern. Wenn er gegen uns steht, können wir nicht darauf hoffen, die Stadt lange zu halten.«
»Dasselbe habe ich den arroganten Narren seit Jahren schon gesagt, aber dennoch ist es inzwischen zu einem sehr beliebten Sport geworden, auf den Einheimischen herumzutrampeln. Schön, bis wann sollen sie verschwunden sein?«
»Bis morgen. Allerspätestens.«
»Und Sie hat man selbstherrlich genannt?« Sie schüttelte den Kopf. »Nun gut. Morgen Abend werde ich die unbeliebteste Magisterin der jüngeren Geschichte sein, wenn ich meine Stellung dann überhaupt noch innehabe, aber ich werde versuchen, es der Gilde schmackhaft zu machen.«
Glokta grinste. »Ich würde vermuten, dass Sie einem alles schmackhaft machen können.«
»Sie sind ein harter Verhandlungspartner, Herr Superior. Wenn Sie eines Tages keine Lust mehr haben, Fragen zu stellen, dann könnten Sie sicherlich eine erfolgreiche Laufbahn als Kaufmann beginnen.«
»Als Kaufmann? O nein, dazu bin ich nicht gewissenlos genug.« Glokta legte seinen Löffel in die leere Schüssel und saugte an seinem Zahnfleisch. »Ich möchte nicht respektlos klingen, aber wie kommt man als Frau auf den höchsten Posten der mächtigsten Gilde der Union?«
Eider schwieg kurz, als dächte sie darüber nach, ob sie antworten wollte oder nicht. Oder als wollte sie erwägen, wie viel Wahrheit sie preisgeben will. Sie sah auf ihr Glas und drehte es am Stiel langsam zwischen ihren Fingern. »Vor mir war mein Mann Magister. Als wir heirateten, war ich zweiundzwanzig Jahre alt und er beinahe sechzig. Mein Vater schuldete ihm sehr viel Geld und bot ihm meine Hand als Ausgleichszahlung an.« Ah, wir haben offenbar alle unsere Opfer bringen müssen. Kurz umspielte ein verächtlicher Zug ihren Mund. »Mein Mann hatte stets ein gutes Gespür für Schnäppchen. Schon bald nach unserer Hochzeit ging es mit seiner Gesundheit bergab, und ich begann immer mehr, seine Angelegenheiten für ihn zu regeln – schließlich auch die der Gilde. Als er starb, war ich im Grunde schon Magisterin, nur eben nicht offiziell, und meine Kollegen waren klug genug, um mich später in diesem Amt zu bestätigen. Den Gewürzhändlern ging es immer schon mehr um Gewinn als um Anstand.« Ihre Augen huschten zu Glokta hinüber. »Ich möchte nicht respektlos klingen, aber wie wird ein Kriegsheld zu einem Folterknecht?«
Nun war es an ihm, kurz zu schweigen. Eine gute Frage. Wie ist das geschehen? »Es gibt nur sehr wenige Karrieremöglichkeiten für einen Krüppel.«
Eider nickte langsam, ohne die Augen von Gloktas Gesicht zu nehmen. »Das muss sehr hart gewesen sein. Zurückzukehren, nach der langen Zeit in der Dunkelheit, um dann festzustellen, dass die alten Freunde keine Verwendung mehr für einen haben. Und in ihren Gesichtern nur noch Schuldgefühl, Mitleid und Ekel zu lesen. Einsam und allein zu sein.«
Gloktas Augenlid zuckte, und er rieb es sanft. Über diese Dinge hatte er nie zuvor mit jemandem gesprochen. Und hier sitze ich nun und rede mit einer Fremden darüber. »Ich bin zweifelsohne eine tragische Gestalt. Früher war ich ein verdammter Scheißkerl, heute bin ich wertlos. Suchen Sie sich aus, was Ihnen besser gefällt.«
»Ich vermute, dass es Sie krank macht, so behandelt zu werden. Sehr krank und sehr wütend.« Sie haben ja keine Ahnung. »Dennoch erscheint es mir seltsam, dass ein Gefolterter sich dazu entschließt, selbst zu foltern.«
»Im Gegenteil, das sollte doch ganz natürlich sein. Nach meiner Erfahrung tun die Menschen immer das, was ihnen selbst durch andere widerfahren ist. Sie wurden von Ihrem Vater verkauft und von Ihrem Ehemann gekauft, und dennoch haben Sie sich entschieden, auch selbst zu kaufen und zu verkaufen.«
Eider verzog das Gesicht. Gibt ihr das jetzt vielleicht etwas zum Nachdenken? »Ich dachte, Sie hätten durch den eigenen Schmerz mehr Mitleid mit anderen.«
»Mitleid? Was ist das?« Glokta zuckte leicht zusammen, während er sein schmerzendes Bein massierte. »Schmerz erzeugt leider wirklich nur eine Art von Mitleid – Selbstmitleid.«