NARBEN

Geschickt zog Ferro die Fäden, einen nach dem anderen, indem sie mit der schimmernden Spitze ihres Messers darunterglitt und sie vorsichtig aus Luthars Haut löste. Ihre dunklen Fingerspitzen bewegten sich schnell und sicher, die gelben Augen waren konzentriert zusammengekniffen. Logen sah ihr zu und schüttelte angesichts von so viel Fingerfertigkeit gemächlich den Kopf. Er hatte schon oft bei dieser Arbeit zugesehen, aber noch nie erlebt, dass sie so gut ausgeführt wurde. Luthar schien kaum etwas zu spüren, obwohl er in letzter Zeit sonst immer so aussah, als ob ihm irgendetwas wehtat.

»Müssen wir einen neuen Verband anlegen?«

»Nein. Wir lassen die Wunde atmen.« Der letzte Faden kam heraus, und Ferro warf die blutigen Stückchen weg und wippte ein wenig auf den Knien zurück, um ihr Werk zu betrachten.

»Das ist ziemlich gut«, sagte Logen mit gedämpfter Stimme. Er hätte nie gedacht, dass die Verletzung auch nur halb so ansehnlich wieder zusammenwachsen würde. Luthars Kinn sah im Feuerschein ein wenig eingedellt aus, als ob er eine Seite des Kiefers zusammenbiss. Seine Lippe zierte eine tiefe Kerbe, und eine gegabelte Narbe zog sich von dort aus bis zur Spitze seines Kinns, mit rosa Pünktchen an den Seiten, wo die Nadel rein und raus gegangen war; dort war die Haut noch ein wenig gedehnt. Sonst war nichts mehr zu sehen, außer einer leichten Schwellung, die bald abklingen würde. »Das nenne ich verdammt gut genäht. So habe ich es noch nie gesehen. Wo hast du das Heilen gelernt?«

»Hat mir ein Kerl namens Aruf beigebracht.«

»Offenbar ziemlich gut, das muss ich sagen. Ist eine seltene Gabe. Da haben wir wirklich Glück gehabt, dass er das getan hat.«

»Ich musste ihn zunächst mal ficken.«

»Ah.« Das warf ein etwas anderes Licht auf die ganze Sache.

Ferro zuckte die Achseln. »Hat mir nichts ausgemacht. Er war ein guter Mann, jedenfalls so einigermaßen, und er hat mir noch dazu gezeigt, wie man tötet. Ich habe wesentlich schlechtere Kerle für wesentlich weniger gefickt.« Sie warf einen finsteren Blick auf Luthars Kinn, drückte mit ihren Daumen daran herum und befühlte das Fleisch rund um die Wunde. »Für wesentlich weniger.«

»Verstehe«, brummte Logen. Er und Luthar tauschten einen besorgten Blick. Die Unterhaltung führte in eine ganz andere Richtung, als der Nordmann es sich vorgestellt hatte. Vielleicht war das bei Ferro einfach so. Da versuchte er dauernd, ein paar Worte aus ihr rauszuquetschen, und wenn sie dann mal was erzählte, hatte er keine Ahnung, was er damit anfangen sollte.

»Ist verheilt«, knurrte sie, nachdem sie Luthars Gesicht schweigend abgetastet hatte.

»Danke.« Er ergriff ihre Hand, als sie aufstehen wollte. »Wirklich. Ich weiß nicht, was ich …«

Sie machte ein Gesicht, als ob er sie geohrfeigt hätte, und zog ruckartig ihre Finger weg. »Ist in Ordnung! Aber wenn du dir den Schädel wieder einschlagen lässt, kannst du dich das nächste Mal selber nähen.« Damit stand sie auf und stolzierte davon. Sie suchte sich einen Platz abseits in den fließenden Schatten, so weit von den anderen entfernt, wie sie konnte, ohne den Schutz der alten Mauerreste zu verlassen. Dank schien sie sogar noch weniger zu mögen als jede andere Art von Unterhaltung, aber Luthar war zu glücklich, endlich die Verbände los zu sein, dass er nicht allzu lange darüber nachdachte.

»Wie sieht es aus?«, fragte er und versuchte zu seinem Kinn herunterzuschielen, während er es mit besorgtem Gesichtsausdruck vorsichtig betastete.

»Gut«, sagte Logen. »Du hast Glück gehabt. Vielleicht siehst du jetzt nicht mehr ganz so hübsch aus wie früher, aber doch immer noch wesentlich besser als ich.«

»Natürlich«, sagte Luthar und leckte mit halbem Lächeln an der Kerbe in seiner Lippe. »Diese Kerle haben mir ja nicht gleich den ganzen Kopf abgeschnitten.«

Logen grinste, kniete sich vor den kleinen Kessel und rührte darin um. Inzwischen kam er mit Luthar recht gut zurecht. Der Junge hatte eine harte Lektion erfahren, aber das zerschlagene Gesicht hatte ihm wirklich einen guten Dienst erwiesen. Die Wunde hatte ihn Respekt gelehrt, noch dazu wesentlich schneller, als das mit Reden allein möglich gewesen wäre. Es hatte ihm gezeigt, dass man realistisch sein musste, und auch das war eine gute Sache. Kleine Gesten und Zeit. Damit konnte man die Leute fast immer erobern. Dann fiel Logens Blick auf Ferro, die ihn aus den Schatten heraus finster ansah, und er fühlte, wie ihm das Grinsen gefror. Bei manchen Leuten dauert es länger als bei anderen, und ein paar kommen nie wirklich soweit. Der Schwarze Dow war so einer gewesen. Einer von denen, die dazu bestimmt sind, allein durchs Leben zu ziehen, hätte Logens Vater dazu gesagt.

Er sah wieder in den Kessel, aber auch der bot keinen besonders ermunternden Anblick. Ein bisschen Hafergrütze mit ein paar Streifen Schinken und ein paar gehackten Wurzeln. Es gab hier draußen nichts zu jagen. Das Tote Land machte seinem Namen alle Ehre. Das Gras der Ebene war braunen Büscheln und grauem Staub gewichen. Logen blickte sich in den Ruinen des alten Hauses um, in denen sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Der Feuerschein zuckte über brüchige Mauern, bröseligen Putz und uraltes, zersplittertes Holz. Kein Farn wurzelte in den Rissen, keine jungen Bäume schossen von der Erde auf, nicht einmal ein Fleckchen Moos zeigte sich auf den Steinen. Auf Logen wirkte es, als ob sie die ersten wären, die seit Jahrhunderten einen Fuß in diese Gegend setzten. Vielleicht war das auch so.

Und es war ruhig. Kaum Wind an diesem Abend. Nur das leise Knacken des Feuers und Bayaz’ murmelnde Stimme, wie er seinem Lehrling irgendwelche Vorträge hielt. Logen war wirklich glücklich darüber, dass der Erste der Magi wieder erwacht war, auch wenn er jetzt noch älter aussah und noch grimmiger daherkam als zuvor. Aber so war es zumindest nicht mehr Logen, der die Entscheidungen treffen musste. Die seinen hatten sich für alle Beteiligten stets nie als besonders gut herausgestellt.

»Endlich einmal ein klarer Abend!«, säuselte Bruder Langfuß, der sich unter dem Türsturz hindurchduckte und dann mit größter Selbstzufriedenheit nach oben deutete. »Ein perfekter Himmel zur Wegbestimmung! Zum ersten Mal seit zehn Tagen sind die Sterne klar zu sehen, und ich erkläre hiermit, dass wir nicht einen Schritt von unserem geplanten Weg abgewichen sind! Nicht einen Fußbreit! Ich habe uns nicht in die Irre geführt, meine Freunde. Nein! Das wäre auch gar nicht meine Art gewesen! Vierzig Meilen noch bis Aulcus nach meiner Berechnung, ganz wie ich Euch sagte!« Keinerlei Beglückwünschungen folgten auf seine Rede. Bayaz und Quai waren ganz in ihre übellaunige Unterhaltung versunken. Luthar hielt die Klinge seines Degens hoch und versuchte einen Winkel zu finden, sodass er sein Spiegelbild darin erkennen konnte. Ferro saß maulend in ihrer Ecke. Langfuß seufzte und ließ sich neben dem Feuer nieder. »Schon wieder Hafergrütze?«, brummte er naserümpfend nach einem Blick in den Topf.

»Sieht leider so aus.«

»Na schön. Die harten Prüfungen des Lebens unterwegs, nicht wahr, mein Freund? Ohne diese Härten wäre kein Ruhm mit dem Reisen zu gewinnen.«

»Hm«, sagte Logen. Er wäre durchaus mit etwas weniger Ruhm ausgekommen, wenn es stattdessen ein vernünftiges Abendessen gegeben hätte. Wenig begeistert stocherte er mit einem Löffel in der blubbernden Masse herum.

Langfuß beugte sich vor, um ihm etwas zuzuflüstern. »Es sieht so aus, als hätte unser erhabener Dienstherr wieder Ärger mit seinem Lehrling.« Bayaz’ Vortrag wurde immer lauter, und nach dem Ton zu urteilen, war er inzwischen äußerst schlecht gelaunt.

»… es mag durchaus sehr schön sein, wenn man so gut mit einer Bratpfanne umgehen kann, aber Eure erste Berufung ist ja wohl immer noch die Ausübung der Magie. In letzter Zeit habe ich feststellen müssen, dass sich Eure Einstellung gravierend geändert hat. Eine gewisse Wachsamkeit und die Neigung zum Ungehorsam sind deutlich spürbar. Allmählich vermute ich, dass Ihr Euch als Schüler tatsächlich als eine Enttäuschung erweisen werdet.«

»Und Ihr wart immer ein perfekter Lehrling?« Auf Quais Gesicht lag der Hauch eines spöttischen Lächelns. »Euer Meister war nie von Euch enttäuscht?«

»Doch, das war er, und die Folgen waren äußerst schwer wiegend. Wir machen alle Fehler. Es ist die Aufgabe des Meisters, dafür zu sorgen, dass seine Studenten nicht dieselben begehen, die er einst selbst machte.«

»Dann solltet Ihr mir Eure Fehler genau schildern. Vielleicht würde mir das dabei helfen, ein besserer Schüler zu werden.«

Meister und Zauberlehrling starrten einander über das Feuer hinweg an. Logen gefiel die finstere Miene nicht, die auf Bayaz’ Gesicht zu lesen war. Er hatte den Ersten der Magi schon öfter so dreinblicken sehen, und das hatte nie gut geendet. Er verstand nicht, wieso Quai innerhalb von nur wenigen Wochen von kriecherischem Gehorsam zu stiller Opposition übergegangen war, aber es machte für sie alle das Leben nicht leichter. Logen widmete sich nun mit scheinbar größtem Interesse der Hafergrütze und erwartete derweil beinahe, jeden Augenblick von einem ohrenbetäubenden Knall und hoch auflodernden Flammen erschreckt zu werden. Aber das nächste Geräusch, das ertönte, war nur Bayaz’ Stimme, die noch dazu recht sanft erklang.

»Nun gut, Meister Quai, diese Bitte ist zur Abwechslung gar nicht mal so unsinnig. Lasst uns von meinen Fehlern sprechen. In der Tat ein sehr ausuferndes Thema. Wo fange ich an?«

»Am Anfang?«, schlug der Zauberlehrling vor. »Wo sonst sollte ein Mann wohl je beginnen?«

Der Magus stieß ein verärgertes Brummen aus. »Hm. Nun gut, es war einmal in der Alten Zeit.« Einen Augenblick hielt er inne und sah in die Flammen, und das Licht zuckte über sein eingefallenes Gesicht. »Ich war Juvens’ erster Lehrling. Aber schon bald nach dem Beginn meiner Ausbildung nahm mein Meister einen zweiten Schüler an. Einen Jungen aus dem Süden. Sein Name war Khalul.« Ferro sah plötzlich auf und blickte finster aus den Schatten herüber. »Von Anfang an kamen wir nicht gut miteinander zurecht. Wir waren beide viel zu stolz, eifersüchtig auf die Talente des anderen und neidisch auf jede Gunstbezeigung, die sich der jeweils andere von unserem Meister erwarb. Wir blieben Rivalen, auch als die Jahre vergingen und Juvens weitere Lehrlinge annahm, insgesamt zwölf an der Zahl. Zu Beginn forderte uns das dazu heraus, als Schüler immer besser zu werden: fleißiger, ergebener. Aber nach dem schrecklichen Krieg mit Glustrod änderte sich vieles.«

Logen sammelte die Schüsseln ein und schöpfte den dampfenden Brei hinein, während er mit einem Ohr weiter Bayaz’ Erzählung verfolgte. »Aus unserer Rivalität wurde eine Fehde, und aus der Fehde schließlich Hass. Wir kämpften, erst mit Worten, dann mit den Händen, dann mit Magie. Wären wir uns selbst überlassen geblieben, vielleicht hätten wir einander getötet. Vielleicht gäbe es mehr Glück und Frieden auf der Welt, wenn es so gekommen wäre, aber Juvens ging dazwischen. Er schickte mich in den hohen Norden und Khalul nach Süden, in zwei der großen Bibliotheken, die er schon lange Jahre zuvor erbaut hatte. Er sandte uns aus, damit wir uns weiterbildeten, einzeln und allein, bis unsere Gemüter sich abgekühlt hatten. Er dachte, die hohen Berge und das weite Meer und die ganze Breite des Weltenkreises würden unserer Fehde ein Ende machen, aber er hatte uns falsch eingeschätzt. Wir beide siedeten in unserem Exil vor uns hin, machten den anderen für unsere Lage verantwortlich und planten unsere kleingeistige Rache.«

Logen teilte das karge Essen aus, während Bayaz Quai unter seinen dichten Brauen anstarrte. »Wenn ich nur so vernünftig gewesen wäre und damals auf meinen Meister gehört hätte. Aber ich war jung, ich war störrisch und voller Stolz. Ich brannte darauf, Khalul an Macht zu übertreffen. Und närrisch wie ich war, beschloss ich, mir einen anderen Meister zu suchen, wenn Juvens mir nichts weiter beibringen wollte.«

»Schon wieder dieses Schlabberzeug, was, Rosig?«, knurrte Ferro und riss Logen die Schale beinahe aus der Hand.

»Dafür musst du dich nicht bei mir bedanken.« Er warf ihr einen Löffel zu, und sie fing ihn geschickt auf. »Einen anderen Meister? Welchen anderen Meister gab es denn?«

»Nur einen«, brummte Bayaz. »Kanedias. Den Meisterschöpfer.« Er drehte seinen Löffel gedankenverloren in der Hand hin und her. »Ich kam zu seinem Haus, ich kniete vor ihm nieder und bat darum, zu seinen Füßen lernen zu dürfen. Er wies mich natürlich zurück, wie er es mit jedem tat … zuerst. Aber ich war stur, und schließlich gab er nach und willigte ein, mich als Schüler anzunehmen.«

»Und dann lebtet Ihr im Haus des Schöpfers«, murmelte Quai. Logen, der sich über seine Schüssel gebeugt hatte, erschauerte. Die Erinnerung an den einen kurzen Besuch in diesem Gemäuer verursachte ihm immer noch Albträume.

»Das tat ich«, sagte Bayaz, »und ich lernte, wie es aufgebaut war. Meine Kenntnisse in den Hohen Künsten machten mich für meinen neuen Meister sehr nützlich. Aber Kanedias bewachte seine Geheimnisse noch eifersüchtiger, als Juvens es getan hatte, und brachte mir nur das bisschen bei, das ich brauchte, um ihm zu dienen. Das ließ mich bitter werden, und als der Schöpfer schließlich einmal fortging, um neues Material für seine Arbeiten zu besorgen, trieben mich meine Neugier, mein Ehrgeiz und mein Wissensdurst dazu, Bereiche des Hauses zu betreten, die er mir verboten hatte. Und dort entdeckte ich sein bestgehütetes Geheimnis.« Er hielt inne.

»Was war es?«, drängte Langfuß, der den Löffel halb zum Mund geführt hatte und nun gespannt verharrte.

»Seine Tochter.«

»Tolomei«, flüsterte Quai fast unhörbar zischend.

Bayaz nickte, und eine Seite seines Mundes hob sich, als ob er sich an etwas Gutes erinnerte. »Sie war anders als alle anderen. Sie hatte das Haus des Schöpfers nie verlassen und nie mit jemand anderem als mit ihrem Vater je gesprochen. Sie hatte ihm, wie ich erfuhr, bei bestimmten Aufgaben geholfen. Sie hatte … Umgang mit bestimmten Materialien … die nur sein eigen Blut berühren konnte. Wie ich vermute, war das der Grund, weshalb er sie überhaupt gezeugt hatte. Sie war schön über alles bekannte Maß hinaus.« In Bayaz’ Gesicht zuckte ein Muskel, und er sah mit einem bitteren Lächeln zu Boden. »Oder so erscheint sie mir heute in der Erinnerung.«

»Das war gut«, sagte Luthar, der sich die Finger leckte, als er die Schüssel absetzte. In letzter Zeit war er wesentlich weniger eigen, was das Essen betraf. Wie Logen vermutete, hatte das damit zu tun, dass er ein paar Wochen lang nicht hatte kauen können. »Ist noch was da?«, fragte Luthar hoffnungsvoll.

»Ihr könnt meinen Brei haben«, zischte Quai und hielt dem Hauptmann ruckartig seine Schüssel hin. Sein Gesicht war tödlich kalt, die Augen zwei Lichtpunkte in den Schatten, die er auf seinen Meister gerichtet hatte. »Erzählt weiter.«

Bayaz sah auf. »Tolomei faszinierte mich – und ich sie. Heute erscheint es seltsam, das zu sagen, aber ich war damals jung und voller Feuer, und ich hatte noch genauso volles und schönes Haar wie Hauptmann Luthar.« Er fuhr sich mit der Handfläche über den kahlen Schädel, sodass ein leise zischendes Geräusch erklang, dann zuckte er die Achseln. »Wir verliebten uns ineinander.« Er sah seine Reisegefährten nacheinander alle an, als erwarte er voll Zorn, dass einer von ihnen lachte, aber Logen war zu sehr damit beschäftigt, sich den salzigen Haferbrei aus den Zahnzwischenräumen zu saugen, und von den anderen lächelte nicht mal jemand.

»Sie erzählte mir von den Aufgaben, die ihr Vater ihr übertragen hatte, und ich begann zögernd zu begreifen. Er hatte von überallher Überbleibsel von Materialien aus der Unterwelt gesammelt, die aus jener Zeit stammten, als die Dämonen noch auf der Erde wandelten. Er versuchte, die Kraft anzuzapfen, die diesen Bruchstücken innewohnte, und sie in seine Maschinen einzubauen. Er spielte mit jenen Kräften, die das Erste Gebot ihm versagte, und hatte bereits Erfolge damit.« Logen rührte sich voller Unbehagen. Er erinnerte sich an das Ding, das er im Haus des Schöpfers gesehen hatte, das von Nässe umgeben auf dem Block aus weißem Stein gelegen hatte, seltsam und faszinierend. Den Trenner, so hatte Bayaz es genannt. Zwei Klingen, eine hier, die andere auf der Anderen Seite. Er hatte nun keinen Appetit mehr und setzte seine halbvolle Schüssel neben dem Feuer ab.

»Ich war entsetzt«, fuhr Bayaz fort. »Ich hatte gesehen, welches Elend Glustrod über die Welt gebracht hatte, und ich war fest entschlossen, zu Juvens zu gehen und ihm alles zu erzählen. Aber ich hatte Angst, Tolomei allein zurückzulassen, und sie wollte das einzige Leben, das sie je kennen gelernt hatte, nicht verlassen. Daher zögerte ich, und Kanedias kehrte unerwartet zurück und fand uns beisammen. Sein Zorn war …«, und Bayaz zuckte beim Gedanken daran zusammen, »… unmöglich zu beschreiben. Sein ganzes Haus wurde davon erschüttert, hallte davon wider, brannte davon. Ich hatte Glück, dass ich mit dem Leben davonkam, und ich floh, um bei meinem alten Meister Zuflucht zu suchen.«

Ferro schnaubte. »Er war dann einer von denen, die leicht vergeben, was?«

»Zu meinem Glück, ja. Juvens wies mir nicht die Tür, trotz meines Verrats. Schon gar nicht mehr, nachdem ich ihm von den Versuchen seines Bruders berichtet hatte, das Erste Gebot zu brechen. Der Schöpfer folgte mir in größtem Zorn und verlangte Gerechtigkeit für die Entehrung seiner Tochter und den Raub seiner Geheimnisse. Juvens trat ihm entgegen. Er verlangte zu wissen, an welchen Experimenten sich Kanedias versucht habe. Die Brüder kämpften miteinander, und ich floh. Der Himmel war von ihrem wütenden Kampf erleuchtet. Als ich zurückkehrte, war mein Meister tot, sein Bruder verschwunden. Ich schwor Rache. Ich holte die Magi aus der ganzen Welt zusammen, und wir zogen wider den Schöpfer. Wir alle. Außer Khalul.«

»Wieso nicht auch er?«, knurrte Ferro.

»Er sagte, dass man mir nicht vertrauen könne. Dass meine Narrheit den Krieg ausgelöst hätte.«

»Was aber wohl auch stimmte?«, fragte Quai leise.

»Vielleicht, auf gewisse Weise. Aber er äußerte noch schlimmere Anschuldigungen. Er und sein verfluchter Lehrling, Mamun. Lügen«, zischte Bayaz dem Feuer entgegen. »Alles Lügen. Die anderen Magi ließen sich nicht davon beirren. Und so verließ Khalul den Orden, kehrte in den Süden zurück und suchte an anderer Stelle nach Macht. Und er fand sie. Indem er tat, was Glustrod getan hatte, und indem er sich selbst der Verdammnis anheim gab. Indem er das Zweite Gebot brach und das Fleisch von Menschen verzehrte. Nur elf von uns zogen daher gegen Kanedias, und nur neun von uns kehrten zurück.«

Bayaz nahm einen langen Atemzug und seufzte tief. »Da habt Ihr es, Meister Quai. Das ist die Schilderung meiner Fehler, alle offen dargelegt. Man könnte sagen, dass sie es waren, die zum Tod meines Meisters und zur Spaltung des Ordens der Magi führten. Man könnte sagen, dass diese Fehler auch der Grund sind, weswegen wir jetzt westwärts reisen, in die Ruinen der Vergangenheit. Man könnte sagen, sie seien der Grund, weswegen Hauptmann Luthars Kiefer zerschmettert wurde.«

»Die Samen der Vergangenheit tragen in der Gegenwart Früchte«, murmelte Logen vor sich hin.

»Das tun sie«, sagte Bayaz, »das tun sie. Und wirklich bittere Früchte. Werdet Ihr aus meinen Fehlern lernen, Meister Quai, so wie ich es getan habe, und ein wenig auf Euren Meister hören?«

»Natürlich«, sagte der Lehrling, obwohl Logen sich fragte, ob in seiner Stimme nicht ein Hauch von Ironie mitschwang. »Ich werde in jeder Hinsicht gehorchen.«

»Das wäre auch weise. Hätte ich Juvens gehorcht, dann hätte ich dies hier vielleicht nicht.« Bayaz öffnete die ersten beiden Knöpfe seines Hemds und zog den Kragen zu einer Seite. Der Feuerschein beleuchtete flackernd eine verblasste Narbe, die von der Halswurzel des alten Mannes bis zu seiner Schulter reichte. »Der Schöpfer selbst hat sie mir beigebracht. Noch ein Zoll weiter, und es wäre mein Tod gewesen.« Er rieb die Stelle mit bitterem Gesicht. »So lange ist es jetzt schon her, und es tut noch immer weh, von Zeit zu Zeit. Die Schmerzen, die sie mir über die langen Jahre bereitet hat … Ihr seht also, Hauptmann Luthar, obwohl Ihr nun gezeichnet seid, könnte es wesentlich schlimmer sein.«

Langfuß räusperte sich. »Das ist natürlich schon eine heftige Verletzung, aber ich glaube, dass ich sie noch übertreffen kann.« Er nahm sein dreckiges Hosenbein und rollte es bis zu seinem Schritt hoch, dann hielt er seinen sehnigen Oberschenkel ins Licht des Feuers. Beinahe ganz um sein Bein herum zog sich eine hässliche, wulstige graue Narbe. Selbst Logen musste zugeben, dass er beeindruckt war.

»Was, zur Hölle, war das?«, fragte Luthar, der aussah, als ob ihm ein wenig übel wurde.

Langfuß lächelte. »Vor vielen Jahren, als ich noch ein junger Mann war, erlebte ich während eines Sturms vor der Küste von Suljuk einen Schiffbruch. Insgesamt neunmal hat es Gott gefallen, mich bei schlechtem Wetter in diesen kalten Ozean zu werfen. Glücklicherweise war ich schon immer ein äußerst talentierter Schwimmer. Bei dieser Gelegenheit jedoch wurde ich leider von einer Art großem Fisch als nächstes Mahl auserkoren.«

»Von einem Fisch?«, fragte Ferro leise.

»Von einem Fisch. Einem riesenhaften und angriffslustigen Fisch, mit einem Maul so groß wie ein Scheunentor und Zähnen wie Messern. Glücklicherweise konnte ich ihm einen harten Schlag auf die Nase versetzen«, er machte eine entsprechende Handbewegung, »und ihn damit dazu bringen, mich wieder loszulassen. Eine glückliche Strömung warf mich an Land. Ich war dann doppelt gesegnet, weil ich bei den Eingeborenen eine mildtätige Dame kennen lernte, die es mir gestattete, mich in ihrer Unterkunft zu erholen, und das, obwohl die Menschen in Suljuk normalerweise Fremden gegenüber höchst misstrauisch sind.« Er seufzte glücklich. »So erlernte ich schließlich auch ihre Sprache. Ein höchst spirituelles Volk. Gott hat mich wirklich gesegnet. Wirklich.«

»Ich wette, du kannst das übertreffen.« Luthar grinste zu Logen hinüber.

»Ich wurde mal von einem fiesen Schaf gebissen, aber das hat kaum Spuren hinterlassen.«

»Und was ist mit dem Finger?«

»Der hier?« Logen sah auf den vertrauten Stumpf und wackelte ihn vor und zurück. »Was soll damit sein?«

»Wie hast du ihn verloren?«

Logens Gesicht verdüsterte sich. Er war sich nicht sicher, ob ihm die Richtung gefiel, die das Gespräch nun nahm. Es war eine Sache, von Bayaz’ Fehlern zu hören, aber er war weniger scharf darauf, seine eigenen ins Licht zu zerren. Aber er musste irgendetwas sagen. »Ich habe ihn in einer Schlacht verloren. Bei einem Ort namens Carleon. Damals war ich noch jung und voller Feuer. Und ich hatte die blöde Angewohnheit, mich jedes Mal mitten ins Kampfgetümmel zu stürzen. Als ich damals dort wieder herauskam, war der Finger weg.«

»In der Hitze des Gefechts abhanden gekommen, was?«, fragte Bayaz.

»Sozusagen.« Logen verzog das Gesicht und rieb sich sanft den Stumpf. »Ist schon komisch. Noch lange, nachdem er nicht mehr da war, hatte ich das Gefühl, dass er juckt, direkt an der Spitze. Hat mich verrückt gemacht. Wie kratzt man sich an einem Körperteil, das nicht mehr da ist?«

»Hat es wehgetan?«, fragte Luthar.

»Wie verrückt am Anfang, aber nicht halb so schlimm wie andere Verletzungen, die ich mir eingefangen habe.«

»Welche denn zum Beispiel?«

Darüber musste Logen einen Augenblick nachdenken. Er kratzte sich am Kinn und ließ die Stunden und Tage und Wochen an sich vorüber ziehen, die er verletzt, blutend und schreiend zugebracht hatte. In denen er herumgehumpelt war oder versucht hatte, sich mit verbundenen Händen sein Fleisch zu schneiden. »Ich habe mal einen ziemlich üblen Schwertstreich quer übers Gesicht bekommen«, sagte er und tastete nach der Kerbe, die Tul Duru in sein Ohr geschlagen hatte. »Hat geblutet wie Sau. Dann hab ich mir fast mal das Auge mit einem Pfeil ausgestochen.« Er rieb sich die halbrunde Narbe unter der Augenbraue. »Hat Stunden gedauert, bis sie die ganzen Splitter raushatten. Und bei der Belagerung von Uffrith ist ein richtig großer Felsbrocken auf mich gestürzt. Gleich am ersten Tag.« Er fuhr sich mit der Hand über den Hinterkopf und spürte die wulstigen, vernarbten Stellen unter seinem Haar. »Hab mir dabei den Schädel gebrochen und auch die Schulter.«

»Böse Sache«, sagte Bayaz.

»Meine eigene Schuld. So etwas passiert halt, wenn man versucht, eine Stadtmauer mit bloßen Händen einzureißen.« Luthar starrte ihn an, und er zuckte die Achseln. »Hat nicht geklappt. Aber wie gesagt, ich war in meiner Jugend ein ziemlicher Hitzkopf.«

»Mich überrascht nur, dass Ihr nicht versucht habt, Euch durchzubeißen.«

»Vielleicht hätte ich das als Nächstes probiert. War vielleicht ganz gut, dass sie mir den Steinbrocken aufs Hirn geschmissen haben. Immerhin habe ich noch immer all meine Zähne. Zwei Monate lang lag ich danach schreiend auf dem Rücken, während die anderen die Stadt belagerten. Ich wurde gerade rechtzeitig gesund für den Zweikampf mit Dreibaum, danach war ich wieder völlig zerschunden, sogar mehr als vorher.« Logen verzog schmerzerfüllt das Gesicht, presste die Finger seiner rechten Hand zusammen und streckte sie wieder aus, als er sich an den Schmerz erinnerte, der damals über ihn hereingebrochen war. »Das hat wirklich wehgetan. Aber nicht so sehr wie das.« Damit steckte er die Hand in den Gürtel und zog sein Hemd hoch. Die anderen spähten über das Feuer, um zu sehen, worauf er zeigte. Eine kleine Narbe, ein kleines Stück unterhalb der untersten Rippe, in der kleinen Mulde neben seinem Magen.

»Sieht gar nicht so schlimm aus«, sagte Luthar.

Logen drehte sich um und zeigte ihnen seinen Rücken. »Da ist der Rest«, meinte er und wies mit dem Daumen dorthin, wo, wie er wusste, eine wesentlich größere Narbe neben seiner Wirbelsäule war. Es herrschte ein langes Schweigen, während die anderen diese Tatsache auf sich wirken ließen.

»Durch bis auf die andere Seite?«, murmelte Langfuß.

»Einmal ganz hindurch, mit einem Speer. Das passierte in einem Duell mit einem Mann namens Harding Grimm. Hatte verdammtes Glück, dass ich das überlebt habe, das steht mal fest.«

»Wenn das bei einem Duell bis auf den Tod passiert ist«, raunte Bayaz, »wie seid Ihr lebendig aus dieser Sache herausgekommen?«

Logen fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. In seinem Mund war ein bitterer Geschmack. »Ich habe ihn besiegt.«

»Mit einem Speer im Bauch?«

»Das habe ich erst später mitbekommen.«

Langfuß und Luthar sahen einander mit gerunzelten Brauen an. »So ein Speer mitten im Körper ist aber doch wohl schwer zu übersehen«, wandte der Wegkundige ein.

»Sollte man meinen.« Logen zögerte und versuchte sich eine gute Ausrede einfallen zu lassen, aber dafür hatte er nun einmal keine. »Es gibt Zeiten, in denen ich … na ja … in denen ich nicht recht weiß, was ich tue.«

Eine lange Pause folgte. »Was meint Ihr damit?«, fragte Bayaz, und Logen verzog das Gesicht. Das zarte Vertrauen, das er in den letzten Wochen aufgebaut hatte, war nun in Gefahr, rund um ihn herum zusammenzubrechen, aber er sah keinen anderen Ausweg. Er war nie ein guter Lügner gewesen.

»Als ich vierzehn war oder so, stritt ich mich mit einem Freund. Ich weiß nicht einmal mehr worüber. Aber ich weiß noch, dass ich zornig war, und ich weiß, dass er mich schlug. Dann sah ich auf meine Hände.« Und er blickte auch jetzt auf sie hinunter, bleich in der Dunkelheit. »Ich hatte ihn erwürgt. Er war mausetot. Ich erinnerte mich nicht, es getan zu haben, aber außer mir war niemand da, und ich hatte sein Blut unter meinen Nägeln. Ich schleppte ihn einen Felsen hinauf und warf ihn so hinunter, dass er auf den Kopf prallte, und anschließend sagte ich, er sei von einem Baum gefallen. Alle glaubten mir. Seine Mutter weinte natürlich und so, aber was konnte ich tun? Das war das erste Mal, dass es geschah.«

Logen fühlte, dass die Blicke der ganzen Gruppe nun auf ihn gerichtet waren. »Ein paar Jahre später tötete ich beinahe meinen Vater. Hab auf ihn eingestochen, als wir beim Essen saßen. Keine Ahnung, wieso. Überhaupt keine Ahnung. Er wurde glücklicherweise wieder gesund.«

Er merkte, dass Langfuß beunruhigt von ihm abrückte, und konnte es ihm nicht verdenken. »Das war zu der Zeit, als die Schanka immer öfter über uns herfielen. Daher sandte mich mein Vater nach Süden, über die Berge, damit ich Hilfe holen sollte. Ich stieß auf Bethod, und er bot mir Unterstützung an, wenn ich als Dank für ihn kämpfen würde. Das tat ich nur zu gern, dumm wie ich war, aber die Kämpfe gingen immer weiter und weiter. In diesen Kriegen tat ich Dinge, die … von denen man mir später sagte, dass ich sie getan hatte.« Er holte tief Luft. »Nun ja. Ich hatte bereits Freunde getötet. Ihr hättet sehen sollen, was ich meinen Feinden antat. Zu Anfang genoss ich es. Ich saß nur zu gern weit oben am Feuer, sah die Männer an und weidete mich an ihrer Angst, an der Tatsache, dass sich niemand traute, mir in die Augen zu blicken, aber es wurde immer schlimmer. Und schlimmer. Schließlich kam ein Winter, in dem ich die meiste Zeit nicht mehr wusste, wer ich war oder was ich tat. Manchmal sah ich es vorherkommen, aber ich konnte es nicht ändern. Niemand wusste, wen ich als Nächstes umbringen würde. Sie machten sich alle in die Hosen, selbst Bethod, und niemand hatte mehr Angst vor mir als ich selbst.«

Sie alle saßen eine Weile in angespanntem Schweigen da. Die Mauerreste waren ihnen zunächst als eine Art Zuflucht erschienen, die sie vor der toten, leeren Weite der Ebene schützte, aber jetzt fühlte es sich anders an. Die leeren Fenster gähnten wie Wunden. Die leeren Türen gähnten wie Gräber. Die Stille dehnte sich immer weiter aus, bis sich schließlich Langfuß räusperte. »Wäre es dann also – rein theoretisch gefragt – möglich, dass Ihr, ohne es wirklich zu beabsichtigen, einen von uns töten könntet?«

»Es wäre wahrscheinlicher, dass ich alle töten würde, nicht nur einen.«

Bayaz’ Gesicht hatte sich verdunkelt. »Verzeiht, wenn mich das jetzt nicht unbedingt beruhigt.«

»Ich wünschte, dass Ihr das zumindest vorher schon einmal erwähnt hättet!«, stieß Langfuß hervor. »Das ist doch wohl eine Information, die man unter Reisegefährten austauscht! Ich glaube kaum, dass …«

»Lass ihn in Ruhe«, knurrte Ferro.

»Aber wir müssen doch alle wissen, ob …«

»Halt die Klappe, du komischer Sternengucker. Du bist auch alles andere als vollkommen.« Sie warf Langfuß einen bösen Blick zu. »Manche hier halten nämlich gern große Volksreden, sind aber nie zur Stelle, wenn es Ärger gibt.« Jetzt traf ihr Blick Luthar. »Andere sind wesentlich weniger von Nutzen, als sie selbst glauben.« Und nun sah sie Bayaz an. »Und wiederum andere behalten jede Menge Geheimnisse für sich, fallen dann im denkbar schlechtesten Moment in Tiefschlaf und lassen die anderen inmitten des großen Nichts sitzen. Schön, er ist also ein Totschläger. Na und? Das kam euch allen ja wohl auch gelegen, als ein paar Leute totgeschlagen werden mussten.«

»Ich wollte doch nur sagen …«

»Halt die Klappe, hab ich gesagt.« Langfuß blinzelte, dann tat er, wie ihm geheißen.

Logen sah Ferro über das Feuer hinweg an. Aus dieser Richtung hatte er ja nun überhaupt kein gutes Wort erwartet. Von ihnen allen hatte nur sie schon einmal miterlebt, was er gerade beschrieben hatte. Nur sie wusste, was er wirklich gemeint hatte. Und dennoch hatte sie sich für ihn eingesetzt. Sie sah seinen Blick, verzog den Mund und sank zurück in die Schatten, aber das änderte nichts. Unwillkürlich lächelte er.

»Was ist denn dann mit dir, hm?« Bayaz sah nun auch zu Ferro hinüber, und er legte sich einen Finger auf die Lippe, als ob er nachdachte.

»Was soll mit mir sein?«

»Du sagst, du magst keine Geheimnisse. Wir haben alle von unseren Narben erzählt. Ich habe uns mit alten Geschichten gelangweilt, und der Blutige Neuner hat von sich berichtet.« Der Magus tippte gegen sein knochiges Gesicht, über das der Feuerschein harte Schatten legte. »Wie hast du deine bekommen?«

Einen Augenblick herrschte Schweigen. »Ich möchte wetten, du hast den, der dafür verantwortlich ist, richtig leiden lassen, was?«, fragte Luthar mit einem leichten Lachen in der Stimme.

Langfuß kicherte leise. »Oh, bestimmt! Ich wette, dass er ein hartes Ende fand! Ich möchte mir lieber gar nicht vorstellen, wie …«

»Ich habe es getan«, sagte Ferro.

Das wenige Gelächter erstarb, und auch das Lächeln wich von den Zügen der anderen Reisenden. »Was?«, fragte Logen.

»Bist du taub, du blöder Rosig? Ich habe sie mir selbst zugefügt.«

»Warum?«

»Ha!«, bellte sie und starrte ihn über das Feuer hinweg an. »Du weißt nicht, wie es ist, wenn man einem anderen gehört! Mit zwölf Jahren wurde ich an einen Mann verkauft, der Susman hieß.« Damit spuckte sie auf den Boden und fauchte etwas in ihrer eigenen Sprache. Logen vermutete, dass es sich dabei nicht gerade um ein Kompliment handelte. »Ihm gehörte so ein Haus, in dem Mädchen ausgebildet und dann mit Gewinn weiterverkauft wurden.«

»Wofür denn ausgebildet?«, wollte Luthar wissen.

»Zum Ficken, was denkst du denn, du Narr?«

»Ah«, krächzte er, schluckte und sah wieder zu Boden.

»Zwei Jahre war ich dort. Zwei Jahre, bevor ich ein Messer stehlen konnte. Ich wusste damals noch nicht, wie man tötet. Also schädigte ich meinen Besitzer anderweitig, auf die beste Art, die mir möglich war. Ich schnitt mich selbst ins Gesicht, bis herunter auf den Knochen. Als sie mir die Klinge endlich abnehmen konnten, hatte ich meinen Preis auf ein Viertel heruntergeschnitten.« Sie grinste mit wildem Gesicht ins Feuer, als sei dies ihr stolzester Tag gewesen. »Ihr hättet ihn quietschen hören sollen, diesen Drecksack!«

Logen sah sie entgeistert an. Langfuß stand der Mund weit offen. Selbst der Erste der Magi wirkte schockiert. »Du hast dich selbst entstellt?«

»Was ist schon dabei?« Wieder senkte sich Schweigen herab. Der Wind frischte auf und wirbelte durch die Ruine, zischte in den Ritzen zwischen den Steinen und ließ die Flammen flackern und tanzen. Niemand von ihnen wollte danach noch viel sagen.