DAS VERSTECK AUS FELS UND STEIN

Der Bug des Bootes setzte knirschend auf dem steinigen Strand auf, und Kiesel stöhnten und kratzten an der Unterseite. Zwei der Ruderer sprangen in die wogende Brandung und zogen das Boot noch ein wenig weiter ans Ufer, und kaum dass es dort festsaß, sprangen sie wieder hinein, als ob ihnen das Wasser große Schmerzen bereitete. Jezal konnte es ihnen nicht verübeln. Die Insel am Rand der Welt, das Ziel ihrer Reise, dieser Ort namens Schabulyan, wirkte in der Tat so, als sei er verbotenes Land.

Es war ein großer Buckel aus ödem, nacktem Fels, und die kalten Wellen griffen nach seinen scharfkantigen Ausläufern und nagten an den kahlen Stränden. Über ihnen erhoben sich zackige Klippen und Abhänge voll trügerischem Geröll, die sich steil zu einem bedrohlichen Berg aufschwangen, der sich drohend schwarz vor dem dunklen Himmel abhob.

»Möchtet Ihr mit an Land kommen?«, fragte Bayaz die Seeleute.

Die vier Ruderer blieben bewegungslos sitzen, und ihr Kapitän schüttelte langsam den Kopf. »Wir haben von dieser Insel schlimme Dinge gehört«, knurrte er in der Gemeinen Sprache, wenn auch mit so starkem Akzent, dass man ihn kaum verstand. »Sie sagen, es sei verflucht. Wir werden hier auf Euch warten.«

»Es könnte eine Weile dauern.«

»Wir warten.«

Bayaz zuckte die Achseln. »Dann wartet.« Er schwang sich aus dem Boot und watete durch die kniehohe Dünung. Langsam und ein wenig zögerlich folgte ihm der Rest der Gruppe durch die eisige See an den Strand.

Es war ein düsterer, verfluchter Ort, ein Ort, der nur zu Steinen und kaltem Wasser passte. Wasser schäumte gierig an seine Ufer und strömte eifersüchtig wieder durch die Kiesel zurück. Ein gnadenloser Wind fegte über diese Wüstenei und fuhr durch den Stoff von Jezals Hosen, schlug ihm das Haar ins Gesicht und ließ ihn bis ins Mark erschauern. Er riss jedes Gefühl der Aufregung mit sich fort, das Jezal hier am Ziel hätte verspüren mögen, und er fand Risse und Löcher in den Felsblöcken und ließ sie in traurigem Chor singen, seufzen und heulen.

Die Insel war kaum bewachsen. Es gab ein wenig farbloses Gras, vom Salz verdorben, und ein paar dornige Büsche, mehr tot als lebendig. Ein paar zusammengekauerte, verkümmerte Bäume krallten sich etwas weiter vom Ufer in den unnachgiebigen Fels, entgegen der Windrichtung geduckt und gebeugt, als ob sie jeden Augenblick ausgerissen werden könnten. Jezal fühlte ihren Schmerz.

»Ein reizender Ort!«, brüllte er, und der Wind riss ihm die Worte vom Mund, kaum dass sie ihm über die Lippen kamen. »Wenn man Felsen mag!«

»Wo versteckt der Weise einen Stein?«, hielt Bayaz ihm entgegen. »Unter tausend anderen Steinen! Unter einer Million!«

An Steinen war hier tatsächlich mit Sicherheit kein Mangel. An großen Blöcken, Felsen, Kiesel und Schotter ebenfalls nicht. Es war der Mangel an allem anderen, der diesen Ort so unfreundlich wirken ließ. Jezal sah hastig über seine Schulter, und plötzliche Angst überfiel ihn angesichts der Vorstellung, die vier Ruderer könnten das Boot ins Meer hinausschieben und sie hier aussetzen.

Aber sie waren noch dort, wo sie gewesen waren, und ihr Nachen schaukelte sanft in der Nähe des Strandes. Weiter draußen auf dem aufgewühlten Ozean lag Cawneils schlecht gebautes, badewannenartiges Schiff vor Anker, die Segel eingerollt, der Mast ein schwarzer Strich vor dem drohenden Himmel, langsam auf den unruhigen Wellen vor und zurück schwankend.

 

»Wir müssen einen Fleck finden, an dem uns der Wind nicht so erwischt!«, bellte Logen.

»Gibt es so was hier auf dieser verdammten Insel?«, brüllte Jezal zurück.

»Das muss es geben! Wir brauchen ein Feuer!«

Langfuß wies zu den Klippen. »Dort oben finden wir vielleicht eine Höhle oder eine geschützte Stelle. Ich werde euch führen!«

Sie kletterten den Strand hinauf, rutschten zunächst über Kiesel, dann sprangen sie von Fels zu Fels. Der Rand der Welt schien als Reiseziel die Mühen kaum zu lohnen. Kalten Stein und kaltes Wasser hätten sie auch schon im Norden reichlich finden können. Logen hatte ein schlechtes Gefühl, was diesen öden Ort anging, aber es hatte keinen Zweck, das auszusprechen. Er hatte seit zehn Jahren ein schlechtes Gefühl. Jetzt nur schnell diesen Geist rufen, den Samen finden, und dann nichts wie weg. Aber was dann? Zurück in den Norden? Zurück zu Bethod, seinen Söhnen, reihenweise offenen Rechnungen und Strömen bösen Bluts? Logen verzog das Gesicht. Nichts davon war besonders verlockend. Besser man brachte es hinter sich, als dass man sich lange davor fürchtete, hätte sein Vater gesagt, aber sein Vater hatte alles Mögliche gesagt, und viele seiner Sprüche waren von geringem Nutzen.

Er sah zu Ferro hinüber, und sie erwiderte seinen Blick. Es war kein finsterer Blick, aber auch kein Lächeln. Er hatte Frauen nie besonders gut verstanden, das stimmte, aber Ferro war für ihn ein ganz neues Rätsel. Tagsüber verhielt sie sich ihm gegenüber so kalt und abweisend, wie sie es von Anfang an getan hatte, aber dennoch fand sie in den meisten Nächten den Weg unter seine Decke. Er verstand es nicht, und er wagte nicht zu fragen. Die traurige Tatsache war die, dass sie das Beste war, das es seit langer Zeit in seinem Leben gegeben hatte. Er blies die Wangen auf und kratzte sich am Kopf. Das warf ein ziemlich düsteres Licht auf sein Leben, wenn er jetzt so darüber nachdachte.

Am Fuß der Klippen fanden sie eine Art Höhle. Es war mehr eine Senke im Windschatten zweier großer Felsen, wo der Wind nicht ganz so sehr wütete. Für ein Gespräch mit den Geistern war es noch immer kein besonders guter Ort, aber die Insel war eine einzige Ödnis, und es bestand wenig Aussicht darauf, etwas Besseres zu finden. Da musste man realistisch sein.

Ferro schlug mit dem Schwert von einem verkrüppelten Baum in der Nähe ein paar Äste ab, und bald hatten sie genug Kleinholz, um ein Flämmchen in Gang zu bringen. Logen beugte sich vor und holte mit tauben Fingern die Zunderbüchse hervor. Ein kalter Hauch wehte um die Felsen, und das Holz war feucht, aber nach vielem Fluchen und Herumhantieren mit den Feuersteinen hatte er es geschafft, ein Feuer anzuzünden, das für ihre Zwecke reichen musste. Sie alle drängten sich nun um das knisternde Holz.

»Holt die Kiste«, sagte Bayaz, und Logen zog das schwere Ding aus seinem Rucksack und setzte es schnaufend neben Ferro ab. Bayaz tastete mit den Fingerspitzen unter den Vorsprung der Oberseite, fand einen verborgenen Haken, und der Deckel schwang geräuschlos auf. Darunter zeigte sich eine Reihe von Metallspiralen, die von allen Seiten nach innen ragten und einen kleinen Raum freiließen, etwa so groß wie Logens Faust.

»Wozu sind die?«, fragte er.

»Um das, was darinnen ist, sicher und gut geschützt festzuhalten.«

»Es muss geschützt werden?«

»Kanedias ging davon aus.« Diese Antwort trug nicht dazu bei, dass Logen sich besser fühlte. »Verstaue es dort drin, sobald du kannst«, sagte der Magus nun zu Ferro. »Wir wollen ihm nicht länger ausgesetzt sein, als unbedingt nötig ist. Am besten haltet ihr alle Abstand.« Er bedeutete den anderen mit ausgestreckten Handflächen, weiter zurückzutreten. Luthar und Langfuß fielen beinahe übereinander, so eilig hatten sie es, von der Kiste wegzukommen, aber Quais Augen waren fest auf die Vorbereitungen gerichtet, und er rührte sich kaum.

Logen saß im Schneidersitz vor dem flackernden Feuer und fühlte, wie sich schwere Besorgnis immer weiter in seinem Magen ausbreitete. Er bedauerte es inzwischen sehr, sich überhaupt je auf diese Unternehmung eingelassen zu haben, aber nun war es ein wenig zu spät, um es sich anders zu überlegen. »Es würde helfen, wenn wir ihnen etwas anbieten«, sagte er und sah sich um. Bayaz hielt ihm bereits eine Feldflasche aus Metall hin. Logen schraubte den Deckel ab und schnupperte. Der Geruch starken Branntweins grüßte seine Nase wie eine lang vermisste Geliebte. »Hattet Ihr das die ganze Zeit bei Euch?«

Bayaz nickte. »Für eben diesen Zweck.«

»Das hätte ich mal wissen sollen. Ich hätte mehr als einmal gute Verwendung dafür gehabt.«

»Ihr könnt es jetzt zu einer guten Verwendung bringen.«

»Das ist nicht ganz dasselbe.« Logen setzte die Flasche an den Mund und nahm einen Schluck, widerstand dem mächtigen Drang, ihn auch hinunterzuschlucken, blies die Backen auf und spuckte die Flüssigkeit in feinem Nebel über das Feuer, sodass es hoch aufflammte.

»Und jetzt?«, fragte Bayaz.

»Jetzt warten wir. Wir warten, bis …«

»Ich bin hier, Neunfinger.« Eine Stimme, wie der Wind, der durch die Felsen seufzte, wie Steine, die von Klippen fielen, wie die See, die durch die Kiesel zurückebbte. Der Geist beugte sich über die Gruppe in ihrer Senke zwischen den Steinen, ein beweglicher, zwei Mann hoher, grauer Fels, der keinen Schatten warf.

Logen hob die Augenbrauen. Die Geister antworteten nie sofort, wenn sie es denn überhaupt taten. »Das war aber schnell.«

»Ich habe gewartet.«

»Schon eine ziemlich lange Zeit, nehme ich an.« Der Geist nickte. »Nun, äh, wir sind gekommen, um …«

»Um jenes Ding zu holen, das mir die Söhne des Euz anvertrauten. Es muss in der Welt der Menschen verzweifelt zugehen, wenn ihr nach ihm sucht.«

Logen schluckte. »Wann ist das einmal nicht so?«

»Seht Ihr was?«, flüsterte Jezal hinter ihm.

»Nichts«, antwortete Langfuß. »Es ist in der Tat eine höchst bemerkenswerte …«

»Haltet die Klappe!«, fauchte Bayaz ihnen über die Schulter gewandt zu.

Der Geist beugte sich weiter zu ihnen hinunter. »Dies ist der Erste der Magi?«

»Das ist er«, sagte Logen, ohne weiter abzuschweifen.

»Er ist kleiner als Juvens. Mir gefällt sein Anblick nicht.«

»Was sagt er?«, wollte Bayaz ungeduldig wissen und starrte weit links neben dem Geist in die Luft.

Logen kratzte sich am Kinn. »Er sagt, Juvens sei groß gewesen.«

»Groß? Ja und? Holt, weswegen wir gekommen sind, und dann lasst uns verschwinden!«

»Er ist ungeduldig«, grollte der Geist.

»Wir haben einen langen Weg hinter uns. Er hat Juvens’ Stab.«

Der Geist nickte. »Der tote Ast ist mir bekannt. Ich bin froh. Ich habe dieses Ding lange Winter verwahrt, und es war eine schwere Last. Jetzt werde ich schlafen.«

»Gute Idee. Könntest du …«

»Ich werde ihn der Frau geben.«

Der Geist grub seine Hand in den felsigen Bauch, und Logen trat beunruhigt zurück. Die Faust kam wieder zum Vorschein, und etwas steckte darin. Logen zitterte, als er es sah.

»Streck die Hände aus«, sagte er zu Ferro.

 

Jezal zog unwillkürlich scharf die Luft ein und stolperte zur Seite, als das Ding in Ferros wartende Hände fiel. Er hob einen Arm, um sein Gesicht zu schützen, und der Mund stand ihm vor Entsetzen offen. Bayaz sah es mit geweiteten Augen an. Quai reckte sich neugierig nach vorn. Langfuß war schon fast aus der Höhle hinausgeklettert. Einen langen Augenblick starrten alle sechs auf das dunkle Ding in Ferros Händen, und niemand bewegte sich, niemand sprach, und nichts war zu hören außer dem schneidenden Wind. Da war es, direkt vor ihnen. Dieses Ding, weswegen sie so weit gereist waren, dessentwegen sie so viele Gefahren überwunden hatten. Das Ding, das Glustrod vor so vielen langen Jahren aus der Tiefe ausgegraben hatte. Das Ding, das die größte Stadt der Welt in eine verfluchte Ruine verwandelt hatte.

Der Samen. Die Andere Seite, fleischgeworden. Magie in ihrer reinsten Form.

Dann runzelte Ferro die Stirn. »Das ist es?«, fragte sie zweifelnd. »Dies ist das Ding, das Schaffa zu Staub zerfallen lassen wird?«

Tatsächlich sah es – nun, da Jezal den Schreck überwunden hatte, den ihm das plötzliche Auftauchen eingejagt hatte – wirklich nur aus wie ein Stein. Ein unauffälliges Stück grauer Fels, etwa so groß wie eine Faust. Es vermittelte kein Gefühl überirdischer Gefahr. Keine tödliche Macht war zu spüren. Keine zerstörerischen Strahlen oder Lichtblitze gingen von ihm aus. Dem Anschein nach war es tatsächlich nichts weiter als ein Stein.

Bayaz blinzelte. Er schob sich auf allen vieren näher heran. Er sah auf das Ding in Ferros Händen. Dann fuhr er sich über die Lippen, hob ganz langsam die Hand, während Jezal ihm gespannt zusah und ihm das Blut in den Ohren pochte. Bayaz berührte den Stein mit der Spitze seines kleinen Fingers und zuckte sofort wieder zurück. Und er verdorrte nicht, er wurde nicht zu Staub. Nun stupste er das Ding noch einmal an. Es gab keine donnernde Explosion. Er drückte die Handfläche dagegen. Er schloss seine Finger darum. Er hob es hoch. Und immer noch sah es so aus, als sei es nichts weiter als ein Stein.

Der Erste der Magi starrte auf das Ding in seiner Hand, und seine Augen weiteten sich immer mehr. »Das ist es nicht«, hauchte er mit bebenden Lippen. »Es ist nur ein Stein!«

Es herrschte verblüfftes Schweigen. Jezal starrte Logen an, und der Nordmann blickte zurück; sein vernarbtes Gesicht trug einen verwirrten Ausdruck. Jezal starrte Langfuß an, der Wegkundige zuckte nur mit den knochigen Schultern. Jezal starrte Ferro an und sah, wie sich ihr Gesicht immer mehr verfinsterte. »Nur ein Stein?«, machte sie.

»Das ist es nicht?«, zischte Quai.

»Dann …« Allmählich dämmerte Jezal die Bedeutung von Bayaz’ Worten. »Ich habe den ganzen Weg … für nichts zurückgelegt?« Eine plötzliche Bö blies das mickrige Feuer aus und schleuderte ihm grobkörnigen Sand ins Gesicht.

»Vielleicht war es ein Irrtum«, schlug Langfuß vor. »Vielleicht gibt es noch einen anderen Geist, der ein anderes …«

»Nein, das war kein Irrtum«, sagte Logen und schüttelte zur Bekräftigung den Kopf.

»Aber …« Quai traten die Augen aus dem aschgrauen Gesicht hervor. »Aber … wie?«

Bayaz achtete nicht auf ihn. Seine Kiefermuskeln mahlten. »Kanedias. Da hat er die Hand im Spiel gehabt. Er muss einen Weg gefunden haben, seine Brüder zu überlisten, dieses Nichts gegen den Samen auszutauschen und ihn für sich zu behalten! Selbst im Tod trotzt mir der Meisterschöpfer!«

»Bloß ein Stein?«, knurrte Ferro.

»Ich habe die Möglichkeit aufgegeben, für mein Land zu kämpfen«, murmelte Jezal, und Empörung machte sich in seiner Brust breit, »und ich bin Hunderte von Meilen durch ödes Land gereist, wurde geschlagen und gezeichnet … für nichts?«

»Der Samen.« Quai bleckte die Zähne, und der Atem fuhr ihm hastig durch die Nase. »Wo ist er? Wo?«

»Wenn ich das wüsste«, bellte sein Meister, »glaubt Ihr, dass wir hier dann noch auf dieser verlassenen Insel herumsäßen und mit Geistern um einen wertlosen Stein handelten?« Damit erhob er den Arm und schleuderte den Stein wütend auf den Boden. Er zerbrach in viele kleine Stücke, und sie sprangen und rollten und klapperten zu den vielen hundert anderen, den tausend anderen, den Millionen anderen, die genauso aussahen.

»Er ist nicht hier.« Logen schüttelte traurig den Kopf. »Eins kann man aber wirklich sagen …«

»Nur ein Stein?«, gurgelte Ferro, und ihre Augen huschten von den kleinen geborstenen Bruchstücken zu Bayaz hinüber. »Du verdammter alter Lügner!« Sie sprang auf, die Fäuste geballt. »Du hast mir meine Rache versprochen!«

Bayaz drehte sich zu ihm um, das Gesicht vor Wut verzerrt. »Meinst du, ich hätte jetzt keine anderen Sorgen als deine Rache!«, brüllte er, und kleine Speicheltröpfchen flogen von seinen Lippen in den rauschenden Sturmwind. »Oder Eure Enttäuschung?«, brüllte er Quai ins Gesicht, während die Adern an seinem Hals hervortraten. »Oder Euer verdammtes Aussehen?« Jezal schluckte, zog sich weiter an den Rand der Senke zurück und versuchte sich so klein zu machen, wie es ging. Sein eigener Zorn war von Bayaz’ überbordender Wut ausgelöscht worden wie das kleine Feuerchen, das der Wind kurz zuvor ausgeblasen hatte. »Getäuscht!«, fauchte der Erste der Magi, und seine Hände ballten sich zu Fäusten in ziellosem Zorn. »Womit kann ich nun Khalul bekämpfen?«

Jezal zuckte zusammen und duckte sich. Er war sicher, dass im nächsten Augenblick jemand aus ihrer Gruppe zerfetzt, durch die Luft gewirbelt und gegen die Felsen geschleudert oder in gleißenden Flammen aufgehen würde, möglicherweise sogar er selbst.

Bruder Langfuß wählte keinen guten Augenblick, um die Lage beruhigen zu wollen. »Wir sollten uns nicht entmutigen lassen, Kameraden! Die Reise an sich birgt schon reichen Lohn …«

»Wenn du das noch einmal sagst, du geschorener Volltrottel«, zischte Bayaz, »nur noch einmal, dann verwandle ich dich in Asche!« Der Wegkundige schrak zitternd zurück, und der Magus nahm seinen Stab und marschierte davon, zum Strand; sein Mantel flatterte im scharfen Wind hinter ihm her. Seine Wut war so schrecklich, dass es für einen Augenblick wünschenswerter erschien, auf der Insel zu bleiben, als wieder mit ihm in ein Boot zu steigen.

Dieser Zornesausbruch, so nahm Jezal an, besiegelte die Tatsache, dass ihre Fahrt gescheitert war.

»Nun gut«, raunte Logen, nachdem sie alle noch eine Weile im Wind gesessen hatten, »das war’s dann wohl.« Er klappte die leere Kiste des Meisterschöpfers zu. »Hat keinen Zweck, deswegen rumzuheulen. Da muss man …«

»Halt deine verdammte Klappe, du Idiot!«, fuhr Ferro ihn an. »Sag mir nicht, was ich zu sein habe!« Und damit verließ sie die Senke und schritt auf die brandende See zu.

Logen verzog das Gesicht, während er die Kiste wieder in seinem Gepäck verstaute, und er seufzte, als er sich den Rucksack auf den Rücken schwang. »Realistisch«, brummte er und ging ihr nach. Dann folgten Langfuß und Quai, dem noch immer mürrischer Zorn und stille Enttäuschung ins Gesicht geschrieben standen. Jezal kam als Letzter, sprang von einem zerklüfteten Stein zum anderen, die Augen aus Schutz vor dem Wind fast zusammengekniffen, während ihm die ganze Geschichte noch einmal im Kopf herumging. So fürchterlich schlecht die Stimmung jetzt vielleicht sein mochte, als er den Weg zum Boot zurück suchte, stellte er zu seiner Überraschung fest, dass es ihm nicht gelingen wollte, ein Lächeln zu unterdrücken. Im Grunde genommen war es ihm von Anfang an egal gewesen, ob diese verrückte Fahrt von Erfolg gekrönt war oder scheiterte. Wichtig war nur, dass er jetzt wieder auf dem Weg nach Hause war.

 

Das Wasser schwappte gegen den Bug und ließ kalte weiße Gischt aufspritzen. Das Segeltuch blähte sich und schlug hin und her, die Planken und Seile knarrten. Der Wind peitschte Ferros Gesicht, aber sie verengte die Augen nur ein wenig und achtete nicht darauf. Bayaz war wutschnaubend unter Deck verschwunden, und einer nach dem anderen waren ihre Reisegefährten ihm gefolgt, um der Kälte zu entfliehen. Nur sie und Neunfinger waren geblieben und sahen hinaus aufs Meer.

»Was wirst du jetzt tun?«, fragte er sie.

»Irgendwo hingehen, wo ich Gurkhisen töten kann.« Sie stieß die Antwort ohne nachzudenken hervor. »Ich werde andere Waffen finden und gegen sie kämpfen, wo immer ich kann.« Dabei wusste sie gar nicht, ob das wirklich stimmte. Es war schwer, denselben Hass zu empfinden wie früher. Eigentlich erschien es gar nicht mehr von großer Bedeutung, ob die Gurkhisen ihren Geschäften nachgingen und sie ihren eigenen, aber gerade ihre Zweifel und ihre Enttäuschung ließen sie die Worte nur umso entschlossener hervorbringen. »Nichts hat sich geändert. Ich will immer noch Rache.«

Schweigen.

Sie warf Neunfinger einen Seitenblick zu und sah, wie er in den blassen Schaum auf dem dunklen Wasser sah, als sei ihre Antwort nicht das, worauf er gehofft hatte. Es wäre leicht gewesen, sie zu ändern. »Ich gehe dahin, wo du hingehst«, das hätte sie sagen können, und wem hätte sie damit geschadet? Niemandem. Ihr gewiss nicht. Aber Ferro vermochte es nicht, sich derart in seine Hand zu begeben. Jetzt, da sie auf die Probe gestellt wurden, erhob sich eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen. Eine, die sich nicht überwinden ließ.

So war es immer gewesen.

Alles, was sie stattdessen hervorbrachte, war: »Und du?« Er schien eine Weile darüber nachzudenken, mit zornigem Gesicht, und kaute auf seiner Unterlippe. »Ich sollte in den Norden zurückgehen.« Er klang unglücklich, sah sie nicht einmal an. »Dort gibt es Arbeit, die ich nie hätte im Stich lassen sollen. Dunkle Arbeit, die getan werden muss. Dort werde ich wohl hingehen. Wieder in den Norden, und meine Rechnungen begleichen.«

Sie runzelte die Stirn. Rechnungen? Hatte er ihr nicht gesagt, dass es im Leben mehr geben musste als nur Rache? Und jetzt wollte er Rechnungen begleichen? Lügnerischer Drecksack. »Rechnungen«, zischte sie. »Gut.«

Und das Wort lag bitter wie Sand auf ihrer Zunge.

Er sah ihr lange in die Augen. Dann öffnete er den Mund, als ob er etwas sagen wollte, und hielt inne, seine Lippen zu einem Wort geformt, eine Hand halb zu ihr hingestreckt.

Dann sank er plötzlich in sich zusammen, biss die Zähne zusammen, wandte ihr eine Schulter zu und lehnte sich wieder gegen die Reling. »Gut.«

Und so leicht war alles zwischen ihnen erledigt.

Ferro verzog böse das Gesicht, als sie sich abwandte. Sie ballte die Fäuste und spürte, wie sich die Nägel in ihre Handfläche bohrten, mit harter Wildheit. Sie verfluchte sich selbst aufs Bitterste. Wieso hätte sie nicht andere Worte finden können? Ein bisschen Atem und eine bestimmte Mundhaltung, und alles wäre anders geworden. Es wäre so leicht gewesen.

Aber Ferro vermochte es nicht, und sie wusste, dass sich das niemals ändern würde. Diesen Teil in ihr hatten die Gurkhisen getötet, damals, vor langer Zeit, weit weg von hier, und seitdem war sie innerlich tot. Es war idiotisch gewesen, darauf zu hoffen, dass es anders sein könnte, und tief in ihr drin hatte sie das schon die ganze Zeit gewusst.

Hoffnung ist etwas für die Schwachen.