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Vincent D’Agosta und Laura Hayward spurteten zwischen den Samtkordeln entlang, dann die Vordertreppe des Museums hinunter und über den Museum Drive. Der Eingang zur U-Bahn, ein schäbiges kioskartiges Gebäude mit einem Kupferdach, lag direkt an der Ecke 81st Street. Geparkt in der Nähe, unmittelbar hinter einer Menge Schaulustiger, erspähte D’Agosta den Übertragungswagen von PBS; Kabel schlängelten sich daraus, über den Rasen und durch ein Fenster ins Museum. Oben auf dem Fahrzeug war eine weiße Satellitenschüssel angebracht.

»Da drüben!« D’Agosta, die Axt immer noch fest in den Händen, drängelte sich durch die Menge auf den Übertragungswagen zu. Hayward war an seiner Seite und hielt ihre Dienstmarke hoch in die Luft.

»New Yorker Polizei!«, rief sie. »Bitte machen Sie Platz.«

Als sich die Menge nur widerwillig teilte, hob D’Agosta die Axt mit beiden Händen über den Kopf und schwenkte sie ein paarmal hoch und runter. Eine schmale Gasse bis zum Übertragungswagen entstand.

Sie liefen zur Rückseite des Fahrzeugs. Während Hayward die Leute in Schach hielt, kletterte D’Agosta auf die Stoßstange, packte das Gestell auf dem Übertragungswagen und zog sich aufs Wagendach.

Ein Mann sprang aus dem Übertragungswagen. »Was machen Sie da?«, rief er. »Wir sind auf Sendung.«

»Mordkommission New York«, antwortete Hayward und postierte sich zwischen dem Mann und der Stoßstange. D’Agosta hatte oben auf dem Übertragungswagen Halt gefunden und stellte sich breitbeinig hin. Dann hob er erneut die Axt über den Kopf.

»Hey! Das können Sie nicht machen!«

»Das denken auch nur Sie!« Mit enormem Schwung hieb D’Agosta gegen die Metallstützen, so dass die Nieten absprangen. Dann schwang er das flache Ende der Axt gegen die Schüssel: einmal, zweimal. Knarrend stürzte die metallene Satellitenschüssel über die Kante des Wagendachs und schlug auf der Straße auf.

»Sind Sie verrückt …?«

D’Agosta ignorierte den Mann, sprang vom Übertragungswagen und warf die Axt beiseite; dann drängelten er und Hayward sich durch die Menschenmenge und liefen zum U-Bahn-Eingang.

D’Agosta war sich vage bewusst, dass Laura Hayward an seiner Seite war. Seine Laura, die ihn erst vor ein paar Tagen aus ihrem Büro geworfen hatte. Er hatte geglaubt, sie unwiederbringlich verloren zu haben – und doch hatte sie ihn aufgesucht.

Sie hat mich aufgesucht. Ein köstlicher Gedanke. Er nahm sich vor, sich später daran zu erinnern – wenn er denn diesen Abend überlebte.

Nachdem sie den Eingang zur U-Bahn erreicht hatten, liefen sie die Treppe hinunter und spurteten zum Fahrkartenhäuschen. Hayward zeigte der Frau, die darin saß, ihre Dienstmarke.

»Captain Hayward, Mordkommission New York. Im Museum herrscht eine Gefahrenlage, wir müssen deshalb diese Station räumen. Rufen Sie die Leitstelle an, man soll dort die Anweisung geben, dass die Station durchfahren wird. Ich möchte nicht, dass hier irgendwelche Züge anhalten. Verstanden?«

»Ja, Ma’am.«

Sie sprangen über das Drehkreuz, liefen über den Gang und betraten die eigentliche U-Bahn-Station. Es war noch früh – kaum neun –, und mehrere Dutzend Fahrgäste warteten auf den Zug. Hayward joggte über den Bahnsteig, D’Agosta hinterher. Am anderen Ende zweigte ein Korridor ab, mit einem großen, gekachelten Hinweisschild darüber.

Durchgang zum
New York Museum of Natural History
Zutritt nur während der Öffnungszeiten

Das metallene Schutzgitter, das den Durchgang versperrte, war mit einem massiven Vorhängeschloss versehen.

»Besser, wir reden mit den Fahrgästen«, murmelte Hayward, zog ihre Waffe und richtete sie auf das Schloss.

D’Agosta nickte. Er ging auf den Bahnsteig zurück, wedelte mit seiner Dienstmarke. »Polizei! Bitte räumen Sie die Station! Alle raus!«

Die Leute sahen ihn desinteressiert an.

»Raus! Polizeieinsatz, räumen Sie die Station!«

Zwei Schüsse donnerten über den Bahnsteig und rissen die Fahrgäste aus ihrer Lethargie. Plötzlich beunruhigt, fingen sie an, auf die Ausgänge zuzusteuern, während D’Agosta die Wörter Terrorist und Bombe aus dem Stimmengewirr herauszuhören glaubte.

»Bitte verlassen Sie die Station auf ruhige, geordnete Weise!«, rief er den Fahrgästen nach.

Als der dritte Schuss verklang, war die Station völlig leer geräumt. D’Agosta lief zurück und sah, wie sich Hayward mit dem Schutzgitter abmühte. Er half ihr, es zurückzuschieben, und nacheinander zwängten sie sich hindurch.

Vor ihnen erstreckte sich der Korridor hundert Meter, dann beschrieb er eine scharfe Kehre in Richtung des U-Bahn-Eingangs des Museums. Mosaike an den Wänden zeigten Bilder von Säugetier- und Dinosaurier-Skeletten, außerdem waren da gerahmte Werbeplakate, die kommende Museumsausstellungen ankündigten, darunter auch mehrere für die Ausstellung

Das Große Grab des Senef. Hayward zog einen kleinen Stapel Bauzeichnungen aus der Tasche und rollte sie auf dem Zementboden aus. Die Pläne waren voller gekritzelter Anmerkungen – für D’Agosta sah es aus, als hätte Hayward die Zeichnungen mehrmals durchgesehen.

»Hier ist das Grab«, sagte sie und zeigte auf die Karte. »Und dort, das ist der U-Bahn-Tunnel. Und sieh mal – genau dort drüben, da trennen das Grab und diesen Tunnelgang nur etwa sechzig Zentimeter Beton.«

D’Agosta hockte sich hin und studierte den Gebäudeplan. »Ich sehe keine genauen Abmessungen auf der U-Bahn-Seite.«

»Da sind auch keine. Man hat nur das Grab vermessen, der Rest wurde geschätzt.«

D’Agosta runzelte die Stirn. »Der Maßstab ist 1:120. Das ist nicht sehr genau.«

»Nein.«

Hayward betrachtete den Gebäudeplan noch ein wenig länger, dann hob sie ihn vom Boden auf und ging etwa dreißig Meter den Korridor entlang, bis sie stehenblieb. »Ich nehme an, hier ist die dünne Stelle, genau hier.«

Das Geratter eines U-Bahn-Zuges ertönte, gefolgt von einem Dröhnen, dann fuhr er, ohne anzuhalten, durch die Station.

»Du warst in dem Grab?«, fragte D’Agosta.

»Vinnie, ich habe praktisch in dem Grab gewohnt.«

»Und man kann da drin die U-Bahn hören?«

»Ständig. Die sind den Lärm einfach nicht losgeworden.«

D’Agosta hielt das Ohr an die gekachelte Wand. »Wenn man von drinnen nach draußen hören kann, müsste man auch von draußen nach drinnen hören können.«

»Dazu müssten die Leute da drin eine Menge Lärm machen.« Er richtete sich auf und schaute Hayward an. »Das tun sie auch.«

Dann hielt er das Ohr wieder an die Wand.