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Als Hayward unmittelbar hinter D’Agosta in der Ägyptischen Halle eintraf, tauchte sie ein in ein Meer aus Licht und Farben. Voller Entsetzen registrierte sie, dass die Tür zum Grab des Senef geschlossen war und das dekorative rote Band durchtrennt am Boden lag. Die wichtigsten Gäste waren bereits im Grabmal, die anderen saßen an Cocktailtischen oder standen in Grüppchen an den Büfetttischen mit Speisen und Getränken.

»Wir müssen die Tür öffnen – sofort«, sagte Pendergast und stellte sich neben sie.

»Zum Computerkontrollraum geht’s hier entlang.«

Gefolgt von den fassungslosen Blicken einiger Besucher, rannten sie durch die Halle und stürmten durch eine Tür am hinteren Ende.

Der Computerkontrollraum für das Grab des Senef war klein. An der einen Wand befand sich ein langer Tisch, auf dem mehrere Computermonitore und Tastaturen standen. Zu beiden Seiten erhoben sich Regale mit Festplatten, Controllern, Synthesizern, Videogeräten. Ein Fernseher mit abgestelltem Ton war auf den New Yorker Kanal von PBS eingestellt und übertrug live die Eröffnung. An dem Tisch saßen zwei Techniker und blickten auf zwei Monitore, die Bilder aus dem Inneren des Grabes lieferten, und einen dritten, auf dem eine lange Zahlenreihe ablief. Überrascht von dem plötzlichen Tumult, drehten sie sich um.

»Wie ist der Status der Sound-and-Light-Show?«, fragte Hayward.

»Läuft alles wie am Schnürchen«, antwortete einer der Techniker. »Wieso?«

»Brechen Sie die Show ab«, befahl Hayward. »Entriegeln Sie die Tür zum Grab.«

Der Techniker nahm seine Ohrstöpsel aus den Ohren. »Das darf ich nicht ohne Genehmigung.«

Hayward hielt ihm ihre Dienstmarke unter die Nase. »Captain Hayward. Mordkommission New Yorker Polizei. Wie wär’s damit?«

Der Techniker starrte auf die Dienstmarke und zögerte. Schließlich wandte er sich achselzuckend zu seinem Kollegen um. »Larry, starte mal bitte die Türöffnungssequenz.«

Als Hayward sich den zweiten Techniker ansah, stellte sie fest, dass es sich um Larry Enderby handelte, einen Museumsmitarbeiter, den sie wegen des Mordversuchs an Margo Green und dann noch einmal, wegen des Diamantenraubs, vernommen hatte. Der Mann war in letzter Zeit ziemlich oft zur falschen Zeit am falschen Ort.

»Wenn du meinst«, entgegnete Enderby ein wenig zweifelnd. Er hatte gerade zu tippen angefangen, als Manetti mit hochrotem Kopf in Begleitung zweier Wachleute hereingestürmt kam.

»Was geht hier vor?«

»Wir haben ein Problem«, erklärte Hayward. »Wir müssen die Show stoppen.«

»Sie stoppen gar nichts – es sei denn, Sie haben einen verdammt guten Grund dafür.«

»Ich habe keine Zeit, Ihnen das zu erklären.«

Enderby hatte zu tippen aufgehört. Seine Finger verharrten über der Tastatur. Er blickte von Hayward zu Manetti und zurück.

»Ich bin Ihnen so weit entgegengekommen, wie ich nur konnte, Captain Hayward«, konterte Manetti. »Aber jetzt gehen Sie zu weit. Die Ausstellungseröffnung ist für das Museum von größter Bedeutung. Alle, die etwas zu sagen haben, sind gekommen, außerdem ist ein Millionenpublikum live zugeschaltet. Ausgeschlossen, dass ich aus einem nichtigen Grund irgendwem gestatte, die Übertragung zu unterbrechen.«

»Treten Sie beiseite, Manetti«, sagte Hayward knapp. »Ich übernehme die volle Verantwortung. Irgendwas wird hier gleich ganz furchtbar schieflaufen.«

»Ich bleibe, Captain«, antwortete Manetti brüsk und deutete auf die Monitore. »Sehen Sie doch selbst. Alles in Ordnung.« Hayward wandte sich wieder Enderby zu. »Entriegeln Sie die Tür – sofort!«

Er streckte die Hand aus und stellte den Ton an.

Im fünften Jahr der Herrschaft des Pharao Thutmosis IV. … »Führen Sie die Anweisung nicht aus, Enderby«, sagte Manetti.

Die Hände des Technikers, die noch immer über der Tastatur verharrten, begannen zu zittern.

Manetti schaute an Hayward vorbei und erhaschte einen Blick auf Pendergast. »Was zum Teufel? Wieso sitzen Sie nicht im Gefängnis?«

»Öffnen Sie die Tür, habe ich gesagt«, brüllte Hayward.

»Irgendetwas stimmt hier nicht.« Manetti fingerte nach seinem Funkgerät.

Pendergast trat vor. Er wandte sein zerschundenes Gesicht Manetti zu und sagte ausgesucht höflich: »Meine aufrichtigste Entschuldigung.«

»Wofür?«

Der Schlag traf ihn blitzschnell; Manetti krümmte sich aufstöhnend zusammen. Mit einer geschmeidigen, schnellen Bewegung riss Pendergast Manettis Waffe aus dem Holster und richtete sie auf die Wachleute.

»Waffen, Schlagstöcke, Pfefferspray, Funkgeräte auf den Boden.«

Die beiden Wachleute gehorchten.

Pendergast griff sich eine ihrer Waffen und reichte sie D’Agosta.

»Passen Sie auf die beiden auf.«

»Klar.«

Dann schnappte er sich die Waffe des zweiten Wachmanns und steckte sie sich als Ersatz in den Hosenbund. Danach drehte er sich wieder zu Manetti um, der auf den Knien hockte, sich die Seite hielt und nach Luft rang.

»Es tut mir aufrichtig leid – aber es ist ein Verbrechen im Gange; sämtliche Leute im Grabmal sollen getötet werden. Wir werden versuchen, es zu verhindern, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Also: Wo ist Hugo Menzies?«

»Du steckst in großen Schwierigkeiten, Freundchen«, keuchte Manetti. »In noch größeren, als du ohnehin schon warst.« Er richtete sich schwankend auf.

D’Agosta hob drohend die Waffe. Manetti erstarrte. »Menzies ist mit den anderen im Grab«, sagte er schließlich.

Pendergast wandte sich den Technikern zu. In eisigem, drohendem Tonfall sagte er: »Mr. Enderby? Sie haben den Befehl gehört: Öffnen Sie die Tür.«

Der Techniker nickte verängstigt und hämmerte auf der Tastatur herum. »Kein Problem, Sir. Die hab ich im Handumdrehen auf.«

Kurzes Schweigen.

Noch ein Stakkato von Tastenanschlägen, dann noch eine Pause. Enderby runzelte die Stirn. »Scheint so, als hätten wir da ein Problem …«