Kapitel 21

Die Pferde wieherten angstvoll, als Wasser über den Floßrand spritzte und ihre Hufe traf, aber Croy hatte keine Zeit, sie zu beruhigen. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich gegen einen Felsen von der Größe eines Hauses zu stemmen, der in der Mitte des Strow aufragte. Malden warf sich gegen seine Stange und wandte seine ganze Kraft auf. Gemeinsam bekamen sie das Floß vom Felsen frei.

»Slag, bist du sicher, dass das Ding hält?«, fragte Cythera. Vor Furcht klang ihre Stimme schrill.

»Ja, ich bin mir sicher, verflucht noch mal!«, rief der Zwerg zurück. Er griff nach einem der straff gespannten Seile, die am Mast befestigt waren, als die Strömung sie herumstieß.

Croy hatte ein herkömmliches Floß bauen wollen, eine rechteckige Plattform aus zusammengeschnürten Baumstämmen, doch der Zwerg hatte sich mit einem angeblich besseren Einfall durchgesetzt. Das Gefährt, das er gebaut hatte, ähnelte eher einem Spinnennetz. Von einem hohen Mast in der Mitte gingen strahlenförmig Baumstämme aus. Vom Mast gespannte Seile hielten alle Stämme und ließen ihnen große Bewegungsfreiheit, sie wippten sogar im Wasser.

»Dort kommt wieder ein Felsen auf uns zu!«, rief Cythera.

Croy stach seine Stange in das steinige Flussbett und hielt dagegen. Auf der anderen Seite heulte Mörget einen Barbarenschlachtruf und beugte sich über das Wasser, stieß das Floß mit der Kraft seiner Arme weiter. Es wirbelte um seinen Mast wie ein Wagenrad um die Achse, und Himmel und Erde blitzten um Croy herum auf, bis ihm schwindelig wurde. Aber plötzlich lachte Cythera, und der Zwerg sprang auf und nieder und deutete auf das andere Ufer. Es war nur noch einige Armlängen entfernt. Croy sprang mit einem Seil ins Wasser und vertäute das Floß an einem Felsen; in seinen Adern rauschte das Blut. Er zog an dem Seil, und das Floß schob sich auf das Ufer aus Kieselsteinen und schütterem Gras. Cythera machte die Pferde los, und sie sprangen dankbar auf trockenes Land.

Sobald alle sicher am Ufer waren, schleppte Croy die Vorräte vom Floß, dann ließen sie sich alle ins Gras fallen und starrten eine Weile in den Himmel, froh, noch am Leben zu sein. »Ich hätte nicht gedacht, dass wir es schaffen«, sagte er, als er wieder genügend Kraft hatte, um sich aufzusetzen.

Er rieb sich das nasse Gesicht und sah sich um. Sie befanden sich auf einer Anhöhe, die von hohen Bäumen umgeben war. Die Sonne war gerade aufgegangen – aus irgendeinem Grund hatten sowohl Malden als auch Mörget früh aufbrechen wollen, und sie hatten den Fluss im ersten Licht der Morgendämmerung überquert. Unter den Baumwipfeln herrschte womöglich immer noch Nacht.

»Ich bin bis auf die Haut durchnässt«, sagte Cythera und griff nach einer Pferdedecke. »Wir sollten Feuer machen und unsere Kleidung trocknen. Croy, wärst du so nett?«

»Hm?«

»Ich ziehe mich aus«, sagte sie und schüttelte die Decke aus.

»Ja, und?«, fragte er mit unschuldiger Miene.

»Du könntest mir wenigstens den Rücken zukehren«, sagte sie.

»Nachdem wir verlobt sind, könntest du mir doch erlauben …« Er konnte sich nicht überwinden, den Satz zu vollenden. Vor allem nicht unter dem Blick, mit dem sie ihn bedachte.

»Hör auf, mich als deine Frau zu betrachten!«, zischte sie. »Zumindest nicht bis zu unserer Rückkehr nach Ness. Ich werde dir keinen Anlass geben, mich nach Hause zu schicken, ganz gewiss nicht. Wenn du dich als mein Herr aufspielst, glaubst du auch, mich herumkommandieren zu können. Und nun dreh dich um!«

Croy gehorchte. Welche Wahl hatte er? Es war offensichtlich, dass Cythera bei diesem Abenteuer keinen Rückzieher machen würde, ganz gleich, wie er sich dabei fühlen mochte. Ihre Blicke schienen ihn von hinten zu durchbohren. Als sie mit dem Umkleiden fertig war und ihm erlaubte, sich ihr wieder zuzuwenden, sah er, dass sie völlig in die Decke eingehüllt war und dass nur die Füße hervorsahen.

Es waren hübsche Füße.

Er stand auf, um nach den Pferden zu sehen. Die Tiere schienen froh zu sein, wieder auf festem Boden zu stehen, aber sie wieherten und stiegen auf die Hinterbeine, als Croy sich ihnen näherte. Malden folgte ihm, blieb aber ebenfalls zurück, als habe er Angst, getreten zu werden.

»Mussten wir den Wagen wirklich verkaufen? Mit Slags Verbesserungen war er vermutlich das wertvollste Gefährt in ganz Skrae«, meinte Malden. »Bist du sicher, dass wir den angemessenen Gegenwert bekommen haben?«

Croy lachte und nickte. In der Gegend, die sie aufsuchten, gab es keine befestigten Straßen, und sie hätten mehr Zeit damit verbracht, den Wagen aus dem Schlamm zu ziehen oder über Baumwurzeln zu hieven, als zu reisen. »Für Slag habe ich dieses Pony gefunden«, sagte er und deutete auf ein geschecktes Hengstfohlen. »Ein kräftiges Schlachtross für Cythera. Und für dich die kleine Stute.«

Malden näherte sich dem Tier und musterte es furchterfüllt. Es erwiderte seinen Blick grenzenlos gelangweilt. Malden streckte zögernd eine Hand aus, um die Stirnlocke zu berühren, als die Grauschimmelstute aber schnaubte, riss der Dieb die Hand zurück. »Du hast mir ein Pferd besorgt«, sagte er. »Croy, ich sage es nur ungern, aber ich wollte niemals reiten lernen.«

»Das dachte ich mir, also wählte ich das sanfteste, freundlichste Tier aus, das ich finden konnte. Keine Angst. Die Stute wird die ganze Arbeit erledigen. Du brauchst dich einfach nur festzuhalten.«

Malden trat einen Schritt zurück. »Ich versuche mein Bestes.«

»Ich habe noch etwas anderes für dich«, sagte Croy mit durchtriebenem Grinsen. Er hatte lange auf diesen Augenblick gewartet.

Er ging zu der Stelle, an der ihre Ausrüstung zu einem Haufen aufgeschichtet lag, und zog einen langen, in Öltuch eingewickelten Gegenstand hervor. »Als wir uns noch in gesitteten Gegenden aufhielten, brauchtest du es nicht. Da wir nun aber in die Wildnis ziehen, sollst du es haben.« Er wickelte das Tuch ab und enthüllte ein Schwert in einer schweren Scheide. Er bot es Malden auf beiden Händen dar.

»Ah«, machte Malden. »Ein Schwert. Ich glaube nicht, dass ich ein …«

»Kein gewöhnliches Schwert«, widersprach Croy. »Ich glaube, du kennst es.« Er zog die Waffe vorsichtig aus der mit Glas ausgekleideten Scheide. Im Feuerlicht wirkte sie schäbig und eingekerbt, und als das Licht über die Klinge flackerte, enthüllte es nur ein zerfressenes, pockennarbiges Stück Eisen mit abgenutzter Spitze. Aber sobald das Schwert der Luft ausgesetzt war, traten auf seiner ganzen Länge funkelnde Tropfen einer schäumenden Flüssigkeit hervor, die an dampfenden Schweiß erinnerten.

»Acidtongue«, flüsterte Malden.

Er sagte es immerhin laut genug, um Mörgets Aufmerksamkeit zu erregen. Der Barbar hatte Feuerholz gehackt. Nun stürmte er auf Malden und Croy zu. Mit unverhohlener Lust betrachtete er das säurezerfressene Schwert.

»Es gehört zu den sieben Ancient Blades!«, schrie er. »Eine weitere Alte Klinge! Du hast sie die ganze Zeit besessen, Croy, und nie etwas erwähnt!«

»Ich habe nicht das Recht, für dieses Schwert zu sprechen«, erklärte Croy. »Sein vorheriger Träger, Bikker, war mein Lehrer. Ich war gezwungen, ihn in einem Ehrenduell zu töten. Jetzt suche ich einen würdigen Nachfolger, einen Mann, den ich in seiner Anwendung unterrichten kann. Ich denke da schon lange an Malden.«

»Ich?«, fragte Malden. »Aber … warum? Ich bin kein Ritter. Ich bin kaum ein freier Mann, sofern es das Gesetz betrifft. Und ich habe in meinem ganzen Leben noch nie mit einem Schwert herumgefuchtelt.«

Croy nickte ernst. Ihm war klar gewesen, dass Malden Zweifel an sich selbst hegen würde. Demut war eine vornehme Tugend, eine der schwersten Herausforderungen für jeden Ritter. Seine niedrige Geburt würde sich für Malden in diesem Fall als Vorteil erweisen. »Traditionellerweise tragen nur Ritter Schwerter. Das ist auch vernünftig – Ritter sind in der Handhabung dieser Waffen ausgebildet, oft von Geburt an, genau wie ich. Mein erstes Spielzeug war ein Holzschwert, hast du das gewusst? Du, Malden, du wurdest in einen anderen Stand hineingeboren. Du wurdest nie als Kämpfer ausgebildet. Aber du irrst, wenn du glaubst, du hättest noch nie mit einem Schwert herumgefuchtelt, wie du es ausdrückst. Du hast es schon einmal getan – mit eben jener Klinge.«

Der Dieb wurde blass, nickte dann aber. »Das ist wohl wahr.«

»Dieser Knirps?«, fragte Mörget. »Konnte er das Schwert überhaupt heben? Das halte ich für unwahrscheinlich.«

»Du warst nicht dabei«, erwiderte Croy. »Malden und ich traten gemeinsam dem mächtigsten Zauberer von Skrae entgegen. Einem Magier, der für seine Zwecke mühelos Dämonen heraufbeschwor. Eine dieser Kreaturen sollte Malden jagen und vernichten. Ich verwundete die Bestie mit Ghostcutter, aber ich war zu erschöpft und verletzt, um sie endgültig zu besiegen. Malden musste Acidtongue aufheben und das Ungeheuer erschlagen. Er tat es, ohne nachzudenken, ohne zu zögern. Solcher Mut war mir noch nie begegnet.«

»Was blieb mir übrig – das Monster hätte mich gefressen«, erklärte Malden. »Ich hatte die ganze Zeit solche Angst, dass ich befürchtete, meine Hose …«

Mörget kicherte. »Kleiner Mann, glaubst du, es gibt einen Unterschied zwischen Entsetzen und Mut? Beides gleicht dem Mond in seinen Phasen. Manchmal nimmt er ab, manchmal nimmt er zu, aber der volle Mond ist immer da. Wir können ihn bloß nicht sehen.«

»Seit diesem Tag hast du oft genug wahren Mut bewiesen«, fuhr Croy fort. »Erst kürzlich, als du dich dieser Quest angeschlossen hast. Wenn wir gegen einen Dämon antreten, wenn du einer von uns wirst und dein Leben dem Kampf gegen die Ungeheuer verschreibst, dann hast du jetzt die beste Gelegenheit, dieses Handwerk zu erlernen.«

»Du willst, dass ich ein Ancient Blade werde?«, fragte Malden. »So wie du?« Der Dieb schien seinen Ohren nicht zu trauen.

Ritter und Barbar sahen Malden erwartungsvoll an.

»Ich bin nicht zu deinem Knappen geschaffen, mein Freund«, beharrte Malden. »Und eigentlich bin ich auch kein Schwertschwinger. Bitte … ich danke dir, wirklich, aber …«

»Nimm es einfach einen Augenblick lang in die Hand. Erlebe, wie es sich anfühlt«, beharrte Croy.

Malden starrte den Ritter an. Dann spähte er zum Ufer hinüber, wo Cythera und Slag im Gras saßen. Croy fragte sich, was er sich von den beiden wohl erhoffte. Vielleicht verlieh ihm ihr Anblick Mut, denn er ergriff das Schwert. Beinahe hätte er es fallen gelassen – vermutlich hatte er nicht mit dem Gewicht gerechnet –, aber dann schwang er es durch die Luft. Tropfen verheerender Säure flogen durch die Dunkelheit und warfen im Unterholz Blasen.

Der Dieb trat auf einen nahe stehenden Baum zu und führte die Klinge in einem weit ausholenden Bogen. Angesichts Maldens erbärmlicher Körperhaltung zuckte Croy zusammen, aber er jubelte, als das Schwert mit einem Laut wie hundert wütende Schlangen in den Baumstamm biss. Malden sprang zurück, als der Baum umkippte und krachend zu Boden stürzte. Die Äste brachen ab, als sie auf dem Waldboden auftrafen.

Der Stumpf sah am Rand verbrannt aus, aber in der Mitte war der Schnitt sauber. Einen Augenblick später trat Harz zutage.

»In Sadus Namen«, keuchte Malden.

Croy hüstelte höflich. Schließlich waren die Schwerter der Göttin geweiht und nicht dem Blutgott.

»Croy, mir ist klar, dass du dies als großen Freundschaftsbeweis betrachtest«, sagte Malden. »Ich muss zugeben, ich bin … gerührt.« Der Dieb starrte zu Boden. »Aber ich fürchte, ich bin dessen nicht würdig. Es gab Augenblicke, da war ich kein so … treuer Freund, wie ich es hätte sein sollen. Es gab Augenblicke, da habe ich bewiesen, dass ich dieses Geschenk nicht verdiene.« Maldens Arm zitterte, als er sprach, und starke Gefühle drohten ihn zu übermannen. Säuretropfen regneten auf den Teppich aus Kiefernnadeln. »Ich muss dir etwas sagen. Du willst es sicherlich nicht hören …«

Croy hob die Hand und gebot Schweigen. »Lass die Vergangenheit ruhen«, verlangte er. Dies war ein geheiligter Augenblick. Die Weitergabe einer solchen Waffe war ein heiliger Ritus. »Beweise mir von diesem Augenblick an, dass du es verdienst, mich Bruder nennen zu dürfen.«

»Wenn du die Klinge nicht willst, kleiner Mann«, sagte Mörget, »übernehme ich sie gern von dir. Falls nötig mit Gewalt.«

Malden lachte, aber Croy nickte ernst. »Das ist einer unserer Eide«, sagte er. »Falls sich ein Schwertträger als unwürdig erweist, muss er herausgefordert und auf der Stelle getötet werden.«

»In diesem Fall sollte ich diese Klinge besser festhalten«, erwiderte Malden. »Für den Augenblick.«

Ancient Blades 2 -Das Grab der Elfen
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