Kapitel 3
Zwischen dem Goldenen Hügel und dem Aschehaufen lag eine beträchtliche Entfernung. Malden hatte einen kleinen Wagen und einen alten Klepper, und die Fahrt den steilen Hügel hinunter trug ihn von den Häusern der Reichen in den Qualmbezirk, wo sich Werkstätten und Manufakturen aneinanderreihten. Von dort gelangte er in das enge Straßenlabyrinth, das weiter hügelabwärts in das Stinkviertel führte, wo die Armen hausten. Gerade rumpelte er auf die Ansammlung schlichter Lehmhütten zu, wo man die Straßen kaum von den Gassen unterscheiden konnte, die sie voneinander trennten, da erklang hinter ihm das erste Stöhnen.
Heu türmte sich auf der Ladefläche. Hätte man Malden angehalten, hätte er vorgegeben, einen der Kneipenställe zu beliefern – die Morgendämmerung war so nahe, dass dies einleuchtend geklungen hätte. Aber hätte ein Stadtwächter ein Geräusch aus dem Heu wahrgenommen, hätte er möglicherweise Fragen gestellt, auf die Malden nur schwer eine Antwort gefunden hätte. Also lenkte er den Gaul in eine sehr dunkle, sehr verlassene Gasse und beugte sich über seine Ladung. Er rammte den Ahlengriff hart gegen die Wagenseite und wartete, bis er das nächste Grunzen vernahm. »Ich weiß, dass ihr mich verstehen könnt«, sagte er zu dem Heu. Die drei darin verborgenen Männer, die Diebe aus Dorals Haus, erwachten gerade erst aus ihrer Betäubung. Sie würden noch eine Weile keine Gewalt über ihre Gliedmaßen haben, aber ihre Ohren hatten den Dienst bereits wieder aufgenommen. Das Betäubungsmittel, mit dem Malden seine Pfeile präpariert hatte, war sorgfältig bemessen gewesen, und er kannte die Wirkung genau – tatsächlich hatte er sie an sich selbst erprobt, um sich seiner Nützlichkeit zu vergewissern. Er hegte keinen Zweifel daran, dass sich die Männer, benommen und antriebslos, wie sie waren, nicht verteidigen konnten.
Dennoch raschelte das Heu, als sie zu entkommen versuchten. Malden seufzte. »Wenn ich euch befehle, ruhig zu sein, dann werdet ihr zweifellos herumbrüllen. Das würde ich an eurer Stelle jedenfalls versuchen. Erlaubt mir aber, euch auf einen Umstand hinzuweisen. Hätte ich euch umbringen wollen, hätte ich das mühelos vor Stunden erledigen können. Stattdessen erwies ich euch einen großen Gefallen. Ich rettete euch vor dem Henker. Ich will euch noch weiter entgegenkommen, aber das ist nur möglich, wenn ich ohne Zwischenfall an mein Ziel gelange. Also verhaltet euch still und unterlasst das Stöhnen. Oder ich sorge dafür, dass ihr keine Luft zum Stöhnen mehr habt, solange ihr noch zu schwach seid, um euch zu verteidigen. Verstanden? Einmal Stöhnen für ja, zweimal, wenn ihr sterben wollt.«
»Ohhh!«, stöhnte einer von ihnen.
»Bi…bi…bitte!«, flehte der Zweite.
»Gaaah«, ächzte der Dritte. Das musste der sein, den er in die Zunge getroffen hatte.
»Sehr gut. Bleibt also still liegen, dann lebt ihr noch etwas länger.« Malden trieb das Pferd wieder an und fuhr weiter in Richtung Aschehaufen.
Das uralte Viertel der Freien Stadt Ness war nach dem Unglück benannt, das sich lange vor Maldens Geburt ereignet hatte, das Feuer der Sieben Tage, das die halbe Stadt verschlungen hatte. Inzwischen waren nur noch wenige Spuren davon zu sehen, abgesehen von einem kleinen Bezirk, dessen Häuser schon vor dem Feuer so hinfällig und dessen Bewohner so verzweifelt arm gewesen waren, dass man die Gebäude nie wieder aufgebaut hatte. Der Aschehaufen war ein erbärmliches Viertel geworden, denn hier wollte nie wieder jemand leben. Ein grimmiger Ort aus verkohlten Ruinen, der am Tag fast vollständig vom Schatten der riesigen Stadtmauer verschluckt wurde. Ein Ort, an den sich kein anständiger Bürger verirrte – selbst die Stadtwache nicht.
Mittlerweile kannte sich Malden in dieser Gegend bestens aus. Mühelos fand er sich in dem Labyrinth aus leer stehenden Grundstücken, Trümmerhaufen und unkrautüberwucherten Straßenzügen mit rußgeschwärzten Pflastersteinen zurecht, in dem das Mondlicht alles grau färbte. Er wusste genau, wo er abbiegen und – was noch viel wichtiger war – wo er innehalten musste.
Er ließ das Pferd mitten auf der Straße stehen bleiben und beugte sich vor. Der Gaul schnaubte in der kalten Luft; Nebelwolken dampften aus seinen Nüstern hervor.
Malden brauchte nicht lange zu warten. Eine flüchtige Bewegung bei dem Haus zu seiner Linken, dann trat ein Junge auf die Straße, der kaum älter als sieben sein mochte. Er lehnte sich gegen einen Türrahmen, den Flammen und Zeit verbogen hatten. Er trug ein Wams aus zusammengenähten Fetzen, sein Gesicht war mit Asche verschmiert. In der Hand hielt er einen Stock, kaum länger als sein dürrer Unterarm, durch dessen Ende ein Nagel getrieben war. Ein Augenauskratzer, die primitive Waffe der Straßenkinder. Malden hegte nicht den geringsten Zweifel, dass der Junge ausgezeichnet damit umgehen konnte. Er gehörte zu einem kleinen Heer von Waisenkindern, die kein Zuhause hatten und für Maldens Herrn arbeiteten. Diese Kinder sorgten dafür, dass niemand ungesehen den Aschehaufen betrat. Und war jemand unerwünscht, sorgten sie dafür, dass er ihn nicht wieder verließ.
Malden nickte dem Jungen zu und machte eine Folge schneller Gesten. Der Junge nickte ebenfalls, trat in die Dunkelheit zurück und verschwand.
Der Nachrichtenaustausch dauerte kaum fünf Herzschläge lang und erfolgte nach einem komplizierten und vieldeutigen Zeichensystem. Die Botschaft war klar: Malden kam in Begleitung von drei neuen Rekruten. Niemand war ihm gefolgt. Er musste mit dem Meister sprechen. Der Junge hatte verstanden und würde die nötigen Vorbereitungen treffen.
Malden sprang vom Kutschbock und ging nach hinten. Er schob das Heu zur Seite und befahl den Männern, sich aufzusetzen. Während sie sich die tauben Gesichter rieben und die bleiernen Beine ausschüttelten, musterte er sie sorgfältig. Es waren hagere, eher kurz geratene Männer in schmutziger Kleidung. Sie machten nicht sonderlich viel her. Malden kannte diese Leute nur zu gut. Männer, die die Armut gebrochen hatte, bis sie lieber das Wagnis eingingen, gehängt zu werden, statt auch nur noch einen Tag in Not zu erdulden. Männer, die sich mit niederen Diensten durchschlugen, wenn sie Arbeit fanden, oder auf ihre Familien und deren wenige Kupferstücke angewiesen waren, um nicht zu verhungern, wenn es nichts zu tun gab. Männer, die jeden Tag die Häuser der reichen Kaufleute vor Augen hatten und sich fragten, warum ihnen das Schicksal diesen Wohlstand verwehrte. Einer von ihnen war der Vetter von Doral Knackersons Diener, das wusste Malden. Es war sein zündender Einfall gewesen, die restliche Dienerschaft zu bestechen und in das Haus des reichen Mannes einzubrechen. Der Plan hatte ihnen gewiss als narrensicher eingeleuchtet.
»Ich habe eure Waffen und die paar Münzen an mich genommen, die ich in euren Taschen fand«, verkündete Malden. »Das Betäubungsmittel, das ich euch verabreichte, hat keine nachteiligen Wirkungen, aber es wird euch für den Rest der Nacht schwächen. Ich kann euch wirklich nur abraten, den Aufstand zu proben. Ihr habt eine zweite Gelegenheit erhalten, und ich hoffe, ihr ergreift sie beim Schopf. Euer Unternehmen war eine erbärmliche Leistung, schlecht geplant, ausgeführt mit wenig Geschick. Allerdings reichte es aus, die Aufmerksamkeit meines Arbeitgebers zu erregen.«
Die drei Männer starrten ihn an. Einer von ihnen formte mit den Lippen das Wort Cutbill, war aber schlau genug, den Namen nicht laut auszusprechen.
Malden nickte. »Ihr wisst vielleicht, dass er in dieser Stadt über das Verbrechen herrscht. Ihr drei habt geglaubt, auf eigene Faust arbeiten zu können. Das zeigt Entschlossenheit, aber es verrät auch Dummheit. In der Freien Stadt Ness stiehlt niemand auch nur einen Kupferpfennig, ohne seine Aufmerksamkeit zu erregen. Ihr habt euch entschieden, es trotzdem zu versuchen, und nun richtet er seinen prüfenden Blick auf euch. Nun müsst ihr eine Entscheidung treffen. Ihr könnt aufstehen und das Gebäude da drüben betreten.« Malden deutete auf die Ruine eines Futtermittelladens auf der anderen Straßenseite. Es gab kein Dach mehr, aber drei der vier Außenwände standen noch. Dort lauerte nichts als Dunkelheit. »Ein kleines Mädchen wird euch zu einem Ort bringen, an dem ihr meiner Mannschaft beitreten könnt. Oder ihr könnt diesen Hügel wieder hinaufsteigen« – er wies hinter sich – »und euch eine ehrliche Arbeit suchen. Und den Schwur leisten, es nie wieder mit Diebstahl zu versuchen.«
»Hast du überhaupt eine Ahnung, wie schwer es ist, im Augenblick eine vernünftige Anstellung zu bekommen?«, wollte einer der Diebe wissen. »Die Handelsgilden bestimmen, wer arbeiten darf, und wer verhungern muss. Und du kannst sie noch bezahlen, nur um auf der Warteliste zu stehen.«
Malden verspürte kein großes Mitleid mit den Männern. Er selbst war der Sohn einer Hure. Seinen Vater hatte er nie kennengelernt, er hatte nie eine Familie gehabt, bei der er Unterstützung gefunden hätte. Er war viel verzweifelter gewesen, als es diese Männer jemals sein würden. Trotzdem würde er ihnen die gleiche Hoffnung in Aussicht stellen, an die er sich einst geklammert hatte.
»Meine Gilde ist bereit, euch heute Nacht willkommen zu heißen«, sagte er.
Mit verzweifelten Blicken, Schulterzucken und Kopfschütteln tauschten sich die Diebe untereinander aus. Der mit der verletzten Zunge – der Vetter des Dieners – schien ihr Anführer zu sein, da sich die anderen an ihn wandten, als wollten sie ihn bitten, die Entscheidung zu treffen. Er war es auch, der die stumme Unterhaltung mit einem unwilligen Nicken beendete.
»Du wirst es nicht bereuen, mein Herr«, sagte einer der beiden anderen. Er sprang vom Wagen und rannte auf den Futtermittelladen zu.
Der dritte Mann lachte laut. »Als ich dich auf dem Bett entdeckte, glaubte ich, tot wie ein Elf zu sein«, verkündete er und folgte seinem Komplizen.
Damit blieb lediglich der Anführer übrig, dessen Zunge noch immer geschwollen war. Er starrte Malden lange Zeit unentwegt an. Deutlich brachte er zum Ausdruck, dass dieser ihm mit seinem Angebot keinen Gefallen getan hatte. Aber schließlich nahm auch er an.