Kapitel 6
Ein gefüllter Bierkrug flog auf Croys Kopf zu, als er die Stufen hinunterpolterte. Er duckte sich und ließ ihn krachend an der Wand zerbersten. Die letzten Stufen überwand er mit einem Sprung und bahnte sich seinen Weg zwischen den Gästen im Schankraum hindurch, die verzweifelt zu entkommen versuchten. Einige eilten die Treppe hinauf, andere wollten zur Tür oder stürzten in Richtung Küche. Einen Augenblick lang hatte sogar Croy Schwierigkeiten, gegen den Strom der entsetzten Menge anzukommen – aber plötzlich war der Raum leer, und er stand ganz allein da.
Allein, abgesehen von einem Barbaren in einem Wolfspelzumhang und den sechs Schlägern, die geblieben waren, um gegen ihn zu kämpfen.
Die Schläger gehörten zur üblichen Sorte, wie man sie in jeder Schenke der Stadt antraf, Bürger von Ness, die gut mit einer Klinge und einer Keule umzugehen wussten, sonst aber kein Handwerk beherrschten. Wenn sie Arbeit fanden, dann nur als Leibwächter oder angeheuerte Knochenbrecher. Den größten Teil ihrer Zeit verbrachten sie jedoch mit Trinken, Spielen und Huren. Sie kleideten sich in Lederwämser, die man in kochendes Wasser getaucht hatte, um sie widerstandsfähiger zu machen, oder in schwarze Umhänge und traten nur bewaffnet auf. Die sechs Männer, die dem Barbaren gegenüberstanden, trugen Messer von der Länge ihrer Unterarme. Natürlich gesetzeswidrig, aber mühelos zu verbergen. Einer von ihnen – offensichtlich der Klügste des Haufens – hatte einen Faustschild an das linke Handgelenk geschnallt. Sie hatten sich im Halbkreis um den Barbaren geschart und schlichen hin und her in dem Versuch, ihm in den Rücken zu fallen.
Ihr Gegner war bedeutend größer als jeder von ihnen. Sein Kopf war bis auf ein paar Stoppeln kahl rasiert, und die untere Gesichtshälfte war rot angemalt, als hätte er Blut getrunken. Große, weiße Zähne spalteten die Farbe, denn er lächelte. Strahlte sogar. Er war entweder sehr betrunken oder sehr selbstsicher.
Croy sah sich um und versuchte sich ein Bild von dem Geschehen zu machen. Hinter dem Barbaren kauerte ein Mann an einer gesplitterten Holzsäule. Das erklärte das gewaltige Dröhnen, das Croy gehört und die Schenke wie ein Erdbeben erschüttert hatte. Er war sich sicher, dass die Säule bei seinem Eintreffen noch keinen Sprung gezeigt hatte.
Der Barbar schnallte seinen Umhang auf. Er schob ihn über die Schultern zurück und entblößte schwellende Muskeln – und ein kleines Waffenarsenal. Vom Gürtel hing ein Schwert, das ihm beinahe bis zum Knöchel reichte. An der anderen Seite baumelte eine Axt mit einer bösartig aussehenden Schneide. An die Oberarme waren Messer geschnallt, an seiner Hüfte baumelte an einem Riemen eine Keule. Er griff nach der Axt.
Einer der Schläger tänzelte vorwärts und hieb das Messer von unten nach oben. Ein guter Stich, fehlerlos ausgeführt. Der Barbar hob einen gewaltigen Unterarm und wehrte den Angriff mit dem Handrücken ab. Blut floss auf seinen Ellbogen zu. Bevor der Mann treffen konnte, flog die Axt mit einem mächtigen Schwung herum, zertrennte den ledernen Schulterpanzer des Schlägers und schnitt ihm den halben Oberarmmuskel weg. Er heulte auf und taumelte aus dem Weg.
Einer seiner Kameraden versuchte die Axt zu unterlaufen und seine Messerspitze in den Rippen des Barbaren zu versenken, doch der trat im richtigen Augenblick zur Seite. Die Klinge verfehlte ihn vollständig. Die Axt vollendete ihren Kreis, und ihr Knauf traf hart genug, um dem Angreifer den Schädel zu brechen. Nachdem der Schläger zu Boden gekracht war, trat der Barbar den gefühllosen Körper zur Seite wie ein lästiges Hindernis.
Der Mann war schnell und überaus stark, das sah Croy sofort. Wenn man ihn nicht aufhielt, würde er seine sechs Angreifer im Handumdrehen vernichten. Mit erhobenen Händen eilte Croy auf die Schläger zu. »Freunde!«, rief er. »Ihr guten Männer, hört auf damit, lasst uns miteinander reden und sehen …«
Seine Worte gingen im Lärm der Barbarenkeule unter, die, von der sonst schwächeren linken Hand gehalten, den dritten Schläger im Leib traf und quer durch den Raum schleuderte. Mit einem schrecklichen Laut, der darauf schließen ließ, dass die Hälfte seiner Eingeweide gerade geplatzt waren, schrie der Getroffene auf.
Mit erhobenen Messern warfen sich die letzten drei Männer gemeinsam auf den Barbaren. Der Bursche mit dem Faustschild fing einen Keulenschlag geschickt mit dem kleinen Schild ab und stieß ihn in das Gesicht des Barbaren zurück. Überrascht vom Widerstand, trat der Barbar einen Schritt zurück – die erste echte Herausforderung, die sich ihm bot –, und ein anderer Schläger nutzte die Gelegenheit, um mit seinem Messer die Brust des Gegners zu treffen. Der Barbar heulte auf und schlug mit der Axt zu, hackte die Wange des Angreifers ab. Blutverschmiert wirbelte die Schneide in der Hand ihres Meisters herum. Der Barbar holte weit hinter dem Rücken aus und vergrub sie tief in dem Faustschild, spaltete das Holz und das darunter befindliche Handgelenk. Zwei weitere Körper stürzten zu Boden.
Das blutige Schauspiel flößte Croy keine Angst ein. Im Verlauf vieler Jahre hatte er sich beigebracht, das Schwindelgefühl abzustreifen, das ihn an Ort und Stelle zu bannen drohte. Er tat einen weiteren Schritt nach vorn und hob abermals die Hände, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Schluss damit. Sofort!«, rief er.
»Gleich«, erwiderte der Barbar. Dann schwang er auf einem Fuß herum und ließ die Keule durch die Luft pfeifen. Der letzte Schläger hatte sich hinter ihn geschoben und war im Begriff, ihm das Messer in den Rücken zu rammen. Stattdessen zerschmetterte ihm die Keule den Unterarm, und er ließ die Waffe fallen. Einen Augenblick lang starrte er seine Hand an, die vom Ende des verwundeten Arms herabhing, dann brüllte er auf vor Schmerz.
Kein anderes Geräusch war zu hören. Die Luft im Raum erschien völlig still, als hätte sie sich in Glas verwandelt und hielte jeden Gegenstand fest. Croy fühlte sich an Ort und Stelle gebannt, unfähig, auch nur einen Finger zu rühren.
Aber es war kein magischer Zauber, der Croy lähmte, sondern er war lediglich von dem Kampf gefesselt, der sich vor ihm abspielte. Es war offensichtlich, dass sich dieser Barbar nicht kampflos ergeben würde. Aber das war keinesfalls überraschend, wenn sich Croy in Erinnerung rief, was er über dessen Volk wusste. Die Barbaren der Oststeppe waren geborene Krieger – sie verbrachten ihr ganzes Leben mit Jagen und Kämpfen, und sie waren berühmt für ihren sturen Mut. Lediglich eine schmale Bergkette trennte ihr Gebiet vom Königreich Skrae, aber diese Laune der Geografie war ein wahrer Segen. Sollten die Barbaren jemals nach Skrae einfallen, konnte ihnen das Königreich nicht lange Widerstand leisten.
Nun stand er einem furchterregenden Vertreter dieser Kriegerkultur gegenüber und wusste nicht, ob er ihm standzuhalten vermochte.
»Ich glaube, du wolltest etwas sagen«, sagte der Barbar. Seine Lippen verzogen sich und konnten möglicherweise als freundliches Grinsen gedeutet werden – hätten seine Haltung und seine angespannten Muskeln nicht vermittelt, dass er gleich zu einem tödlichen Angriff überzugehen gedachte.
Croy runzelte die Stirn und zog das Schwert. Er war ebenfalls für den Kampf ausgebildet worden. Er hatte studiert, wie man einen solchen Gegner bezwang. In den wenigen Augenblicken, die ihm vor dem Angriff noch blieben, überdachte er seine Strategie. Die Axt konnte er mit einem waagrechten Hieb parieren, aber diese Keule war zu schwer und der Arm, der sie führte, zu kräftig, um sie wirkungsvoll parieren zu können. Er würde sich unter ihrem Schlag hinwegducken und gleichzeitig einen Ausfall machen müssen, sein Schwert zu einem Stich herumreißen …
»Ghostcutter«, sagte der Barbar, als würde er einen alten Freund begrüßen. Er deutete mit dem Kopf auf das Schwert in Croys Hand. Dann breitete er die Arme aus und ließ Axt und Keule fallen.
Croy runzelte die Stirn. »Du kennst meine Klinge?« Natürlich war das Schwert, das er trug – die einzige Waffe, die er zur Unterzeichnung seines Eheversprechens mitgebracht hatte, und das auch nur als Zierrat –, in gewissen Kreisen berühmt. Es war eine der Ancient Blades, eines der sieben Schwerter, die man in der Dämmerung der Zeit geschmiedet hatte, um keine geringeren Gegner als Dämonen zu bekämpfen. Ghostcutter war aus kalt geschmiedetem Eisen gefertigt, und die eine Schneide war mit Silber überzogen. Geschmolzene Silbertropfen flossen quer durch die Hohlkehle. Die Waffe war erschaffen worden, um magische Kreaturen, Flüche und Auswüchse widerwärtiger Zauberei zu bekämpfen. Davon abgesehen, ließ sie sich auch verdammt gut zum Zerschneiden von ganz gewöhnlichem Fleisch verwenden.
»Ich erkenne sie überall«, sagte der Barbar. Er zog sein Schwert aus der Scheide und warf sich mit einer blitzschnellen Bewegung, welche die Verteidigung eines weniger disziplinierten Kriegers durchbrochen hätte, auf den Ritter.
Die beiden Schwerter stießen mit einem glockenhellen Laut aneinander. Wenn zwei meisterlich hergestellte Schwerter auf diese Weise aufeinandertrafen, nannte man das eine Unterhaltung – wegen des wiederholten Klirrens, wenn sie einander berührten und erprobten. Diese Unterhaltung würde sehr kurz ausfallen, das war Croy klar. Holte er den Barbaren nicht in den nächsten Sekunden von den Beinen, würde die Kraft des Mannes den Kampf beenden, bevor er überhaupt vernünftig beginnen konnte. Der erste Zusammenstoß überwältigte ihn beinahe. Er musste darum kämpfen, die hinter dem Schlag liegende Kraft zu parieren. Seine Blicke richteten sich auf die Stelle, wo das obere Drittel der Barbarenklinge das untere Drittel seiner Waffe traf. Der schwächste Teil des feindlichen Schwertes gegen den größten Widerstand, den er zu leisten imstande war, und er hielt ihm kaum stand. Eisen kratzte gegen Eisen – das schreckliche Knirschen würde beide Klingen stumpf machen.
Dann flammte das Barbarenschwert hell auf.
Es war nicht die Spiegelung einer Kerzenflamme, sondern das Licht der Sonne, und es drang aus dem Metall selbst hervor. Croy war geblendet. Fluchend sprang er zurück und ging in die Hocke. In hoffnungsloser Abwehr riss er Ghostcutter nach oben. Wenn er den nächsten Angriff des Barbaren nicht sah, konnte er ihn auch nicht erwidern. Der Mann vermochte ihn ohne Gegenwehr auf hundert verschiedene Arten zu töten.
Aber als Croy die hellen Flecken vor seinen Augen wegblinzelte, war da keine Schwertspitze, die auf sein Gesicht zielte, sondern eine gewaltige Hand, die ihm wieder auf die Füße helfen wollte.
»Dawnbringer«, sagte Croy mit der nötigen Andacht. »Du trägst Dawnbringer.«
»Ja. Willst du meine Hand ergreifen«, fragte der Barbar, »und mich Bruder nennen?«
Dankbar umfasste Croy das Handgelenk des Barbaren und ließ sich auf die Füße ziehen. Dawnbringer steckte bereits wieder in seiner Scheide. Croy steckte Ghostcutter ebenfalls weg und wandte sich zu einer herzlichen Umarmung um.