Erst ganz spät an diesem Tag wurde der steif hingestreckte Körper des Narbigen entdeckt. Seiner Gefährtin, die klug genug gewesen war, sich nie in seine Angelegenheiten einzumischen, hatte seine Abwesenheit schließlich doch zu lange gedauert. Sie suchte ihn an allen bekannten Stellen und ging endlich mit Stromer und noch einem jungen Fuchs zum Bach.

Es war Stromer, der erkannte, woran sein Vater gestorben war. Nachdem er seine Mutter, so gut er konnte, getröstet hatte, sprach er mit seinem älteren Bruder. »Das hat eine Schlange getan. Unser Vater sieht genauso aus wie unser Vetter, der durch einen Schlangenbiß sterben mußte. Ganz bestimmt war es dieselbe Schlange.«

»Du magst recht haben«, stimmte ihm der Bruder zu. »Vielleicht war unser Vater hinter ihr her?«

»Ganz bestimmt war er das«, meinte Stromer. »Vor einiger Zeit sah ich eine Schlange in seinem Revier und sagte Vater, wo er sie finden könne. Ich dachte, die wäre schon tot.«

»Du hättest sie selbst töten können«, meinte der Bruder. Stromer nickte. »Hätte ich es nur getan.« Er hatte keine Ahnung, daß von der Kreuzotter eine Verbindung zu der Schönen Eltern und deren Freunden ging. »Aber Vater war immer so eifersüchtig«, fuhr er fort. »Er würde mich nur ausgeschimpft haben, wenn ich ihm seine Arbeit weggenommen hätte.«

»Ja, so war er«, gab sein Bruder zu. »Aber was jetzt? Uns allen kann es jeden Tag ähnlich ergehen!«

»Das darf nicht passieren. Ich kämme die ganze Gegend nach der Schuldigen durch, und du gehst zurück und treibst so viele von den anderen auf, wie nur möglich. Alle zusammen werden wir sie schon finden.«

Der Bruder führte seine Mutter zum Bau zurück. Sie war zu verstört, um sich an der Suche zu beteiligen. Dann kehrte er mit acht Füchsen zum Tatort zurück.

»Keine Spur von ihr«, sagte Stromer. »Wir müssen uns beeilen, gleich wird es dunkel.«

Aber obwohl sie überall suchten, fanden sie natürlich die Kreuzotter nicht, denn die hatte das Revier schon vor Stunden verlassen. Als die Dämmerung hereinbrach, bliesen Stromer und sein Bruder die Suche ab. »Wir können morgen weitermachen«, sagte Stromer und dachte dabei schon an sein Stelldichein mit der Schönen. »Dann haben wir den ganzen Tag vor uns und fangen sie sicherlich.«

Die Füchse gingen auseinander, und Stromer machte sich auf den Weg zum gewohnten Treffpunkt.

Er betrauerte den Tod seines Vaters kaum, denn er hatte ihn nie besonders gemocht. Nur um seiner Mutter willen wollte er den Mord rächen.

Die Schöne kam, aber sie wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Für ihre Eltern und alle Tiere aus dem Farthing-Wald war die Kreuzotter eine Heldin. Und das um so mehr, weil sie um ein Haar den Tod gefunden hätte, als der Narbige ihr ans Leben wollte. Aber die Schöne wußte natürlich, daß der tote Fuchs Stromers Vater war und daß sein Sohn traurig sein mußte.

Stromer grüßte sie wie immer, bemerkte jedoch ihre Zurückhaltung. »Wahrscheinlich hast du bereits gehört, daß mein Vater tot ist«, fragte er.

Die Schöne nickte und sagte kein einziges Wort.

»Ich weiß, du hast keinen Grund, ihn zu betrauern«, sagte er. »Ich mache mir über deine Gefühle ihm gegenüber — oder über die deiner Freunde — nichts vor. Mein Vater hat sich selbst zu eurem Feind gemacht.«

»Es tut mir nur leid für dich«, sagte sie. »Was uns angeht — nun, wir sind erleichtert, daß diese immer gegenwärtige Gefahr nun gebannt ist.«

»Du bist sehr ehrlich«, sagte Stromer. »Das freut mich. Mich bekümmert nur, wie mein Vater zu Tode gekommen ist.« Verlegen blickte die Schöne zu Boden.

»Ich muß das natürlich rächen«, sagte Stromer.

Die Schöne warf ihm einen forschenden Blick zu. »Was willst du damit sagen«, stammelte sie.

»Wir müssen diese Schlange töten«, erklärte er. »Wir können doch nicht zulassen, daß sie uns einen nach dem anderen umbringt.«

»Aber der erste Tod war doch ein Unfall«, protestierte sie. Stromer blickte sie befremdet an. »Woher willst du das wissen?« fragte er.

»Die Kreuzotter hat den falschen Fuchs gebissen. Es sollte doch...« Sie unterbrach sich, als sie merkte, daß sie sich verraten hatte.

»...mein Vater sein!« ergänzte Stromer. »Jetzt begreife ich alles. So war das also geplant. Du kennst diese Schlange?«

»Natürlich!« war die traurige Antwort. »Sie ist zusammen mit meinem Vater aus dem Farthing-Wald gekommen.«

»Und nun hat sie schon zwei aus meiner Familie getötet«, sagte Stromer kalt.

»Und dein Vater einen aus meiner Familie«, erinnerte sie ihn. »Und mehrere von meinen Freunden.«

»Mehrere?« wollte er wissen.

Und die Schöne berichtete über die Ermordung der Feldmäuse, der Wühlmäuse und der Kaninchen.

Erst sagte Stromer gar nichts, dann ganz ruhig: »Das habe ich nicht gewußt. Beide Seiten haben Fehler gemacht.«

»Du darfst auf die Kreuzotter nicht böse sein«, sagte die Schöne. »Sie hat wirklich Glück gehabt, daß dein Vater sie nicht vorher getötet hat. Aber er hat sie für immer gezeichnet.«

»Komisch, daß du dich gerade mit einer Kreuzotter angefreundet hast«, bemerkte Stromer.

»Dafür gibt es gute Gründe«, entgegnete die Schöne. »Meine Eltern schulden ihr viel. Sie hat einmal das Leben meiner Mutter gerettet.«

Stromer nickte. »Dann verstehe ich deine Gefühle«, sagte er. »Und ich weiß außerdem, daß dein Vater meinen hätte töten können, wenn er gewollt hätte.«

Lange blickten die beiden jungen Füchse einander an. Ihre Beziehung hatte einen kritischen Punkt erreicht. Dann weinte die Schöne plötzlich auf. »Wenn doch nur nicht all diese entsetzlichen Dinge geschehen wären«, schluchzte sie. »Ich glaube, das ist zu viel, damit werden wir nicht fertig.«

Stromer wollte sie trösten, leckte sie zärtlich und sagte tapfer: »Alle Wunden heilen einmal, und irgendwann werden wir alle vergessen. Wir sollten an unsere Zukunft denken.«

Voll Hoffnung blickte die Schöne ihn an. »Kannst du uns verzeihen?« flüsterte sie.

»Natürlich«, antwortete er. Dann fiel ihm wieder die Schlangenjagd ein, die er für den nächsten Tag angesetzt hatte. »Wo ist die Kreuzotter jetzt?« fragte er.

Die Schöne zögerte. »Genau kann ich das nicht sagen«, sagte sie abweisend.

Durchdringend blickte Stromer sie an. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, versicherte er ihr. »Ich versuche schon nicht, sie zu finden. Ich werde den anderen sagen, daß ich sie ganz allein erledigt habe. Die können doch eine Schlange nicht von der anderen unterscheiden.«

Erleichtert atmete sie auf und versuchte ein Lächeln. »Sie ist irgendwo bei der Kröte«, vertraute sie ihm dann an. »Wir wollen sie vergessen«, sagte Stromer. »Und alle anderen auch. Laß uns lieber Pläne für unsere Zukunft machen.«

»Ja«, sagte die Schöne. »Wir sind alt genug, daß wir unsere Entscheidungen selbst treffen können. Der Kühne und der Friedfertige sind schon von zu Hause fort. Als sie hörten — na, du weißt schon...«

Stromer nickte. »Sehen sie sich jetzt nach Gefährtinnen um?« fragte er lächelnd.

»Ich denke schon«, war die Antwort. »Auf alle Fälle der Friedfertige. Der Kühne... nun, was den betrifft, kann ich nichts sagen.«

»Möchtest du, daß wir im Park bleiben?« fragte er sie dann. »Ich möchte schon«, sagte die Schöne. »Die Welt draußen kenne ich nicht.«

»Nein, ich auch nicht.«

»Was mein Vater so erzählt, muß es dort gefährlich sein«, fuhr sie fort. »Dort muß man wirklich sehr gerissen sein, überleben ist alles.«

»Ich glaube, das einzig Positive dort ist, daß es keine Grenzen für einen gibt.«

»Aber die Menschen«, sagte die Schöne.

»Genau. Das hier ist unsere Heimat. Und wo du bist, da will auch ich sein«, setzte er hinzu.

»Sehr schmeichelhaft für mich«, sagte sie und lächelte. Stromer erwiderte das Lächeln. »Daran bist du schuld«, sagte er. »Und wo, meinst du, sollen wir unser Heim bauen?«

 

Was die Tiere im Park erlebten
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