Stromer und die Schöne setzten ihre nächtlichen Treffen fort, aber nichts darüber drang zu den Ohren des Fuchses oder der Füchsin, und nur der Friedfertige hatte sie einmal gesehen, als er heimlich den Spuren seiner Schwester gefolgt war. Er hielt sein sich gegebenes Versprechen und verriet nichts. Die Schöne hatte keine Ahnung, daß er ihr gefolgt war. Dann bat der Fuchs eines Tages sie, die Nachtwache zu übernehmen.

Bis jetzt hatte er sich geweigert, die Schöne daran zu beteiligen, obwohl die Füchsin ihn dazu gedrängt hatte. Nun war es ein paar Tage ruhig gewesen, also meinte er, daß heute wohl kaum die Gefahr eines Angriffs drohe. Möglich, daß der Narbige noch keinen Beweis für einen Zusammenhang zwischen dem Schlangenbiß und den Farthing-Wald-Tieren gefunden hat.

Die Schöne schluckte erst einmal vor Schreck, als ihr Vater sie zur Wache einteilte. Sie hatte nichts dagegen, Wache zu halten, aber sie wußte, daß sie Stromer nicht benachrichtigen konnte, daß sie zu ihrer Verabredung nicht kommen würde.

»Könnte ich vielleicht morgen wachen?« fragte sie zögernd.

»Morgen bin ich an der Reihe«, sagte der Fuchs, »und deine Mutter und ich wollen heute nacht jagen. Macht das irgendeinen Unterschied?«

Die Schöne wollte sich nicht mit einer Weigerung verdächtig machen, also gab sie nach. »Gar keinen, Vater«, sagte sie leise.

Der Friedfertige hatte die Unterhaltung mit angehört und fragte sich, ob er Stromer treffen und ihm die Abwesenheit der Schwester erklären solle. Aber damit hätte er zugegeben, daß er von der Affäre wußte, und das konnte wiederum einiges nach sich ziehen. So entschied er sich dagegen.

Die Schöne machte es sich also diese Nacht an einem günstigen Aussichtspunkt bequem und fragte sich, was Stromer wohl denken mochte. In der Dunkelheit dehnte sich jede Minute zur Ewigkeit. Der Familienbau hinter ihr war leer. Der Fuchs und die Füchsin waren zusammen auf Jagd, und ihre beiden Brüder streiften auch irgendwo herum. Sie sehnte sich nach dem Morgen, dann war wenigstens jemand zur Unterhaltung da. Nirgendwo eine Bewegung, nur die Blätter raschelten müde in der Nachtluft. Die Wache zog sich in die Länge. Dann sah sie, wie der Waldkauz sich auf einem nahen Baum niederließ. Sie rief ihn an.

»Ach, du bist es, Schöne. Einen guten Abend wünsche ich«, sagte er in seiner etwas steifen Art. »Es sieht so aus, als ob du heute nacht unser Beschützer wärst.«

»Ja, zum ersten Mal«, erwiderte sie. »Aber es gibt keinen Anlaß, Alarm zu schlagen.«

»Ja, das ist auch langweilig, so herumzuhocken und auf etwas zu warten, was nie passiert«, meinte der Vogel. »Ich sehe nicht ein, warum diese Nachtwachen immer noch sein müssen.«

»Mein Vater glaubt, daß der Narbige nur darauf wartet, daß wir sie einstellen.«

»Aber er kann damit doch nicht bis in alle Ewigkeit weitermachen«, beharrte der Waldkauz. »Wir verlieren ja ganz unsere Freiheit.«

»Ich glaube, er steht auf dem Standpunkt, daß das besser ist, als das Leben zu verlieren«, sagte die Schöne.

»Hm, jaja«, murmelte der Kauz. »Aber ich finde, manchmal ist der Fuchs einfach zu vorsichtig.«

»Was würdest du denn tun?« fragte die junge Füchsin. »Ich? O ja, also ich würde mich einmal mit unserem Freund, dem Narbigen, unterhalten und versuchen, zu einer Übereinkunft zu kommen.«

»Klar, wir Füchse haben es auch nicht so gut, daß wir uns auf einen hohen Ast schwingen und von dort aus reden können«, sagte die Schöne spitz. »Wir müssen die Sache auf der Erde austragen.«

»Ehem — ja, ganz richtig!« sagte der Waldkauz kurz. »Aber ich bin immer bereit, bin immer bereit.« Und er stolzierte mit gefalteten Flügeln gravitätisch auf und ab.

»Der liebe alte Kauz. Hat immer so viele gute Ratschläge, aber führt keinen je aus«, sagte die Schöne zu sich selbst. Sie lächelte. Und laut fragte sie: »Soll ich Vater von deiner Idee erzählen? Aber das kannst du doch auch selbst tun, wenn du möchtest? Er ist sicher bald zurück.«

Der Waldkauz unterbrach seine Wanderung. »Ehem — nein, nein«, sagte er schnell. »Nicht nötig. Ich muß weiter. Er weiß ja, daß er immer auf mich zählen kann. Ehem — gute Nacht, mein Kind.« Er schwang sich in die Luft und war verschwunden.

Die Schöne mußte lachen. Ich hätte ihn nicht so ärgern dürfen, dachte sie. Er ist doch ein treuer Freund.

Das Lächeln erstarb ihr auf den Lippen, als sie in der Ferne eine wohlbekannte Gestalt erblickte, die nach allen Richtungen witterte. Es war Stromer, der sie suchte. Ihr Herz fing an zu hämmern, als ihr die Gefahr bewußt wurde, die ihm drohte, falls der Kühne oder ihre Eltern zurückkehren sollten. Sie mußte ihn warnen. Aber sie wagte auch nicht, ihren Posten zu verlassen.

Zögernd kam der junge Fuchs heran, hielt und witterte und schnüffelte dann wieder mit der Schnauze am Boden. Er hatte offenbar ihre Spur gefunden. Schließlich erhob sie sich, und Stromer erkannte sie. Schnell war er bei ihr.

»Wo bist du gewesen?« fragte er sofort. »Ich habe gewartet und gewartet. Dann habe ich mir Sorgen gemacht und deshalb...«

»Schsch!« unterbrach sie ihn. »Du darfst nicht hier bleiben. Du bist in Gefahr. Mein Vater und meine Brüder sind zur Jagd und können jeden Augenblick zurücksein. Du mußt weg.«

Ganz verwirrt sah Stromer sie an. »Aber warum bist du nicht gekommen?« fragte er. »Ich dachte, daß dir etwas zugestoßen ist.«

»Das kann ich dir jetzt nicht erklären«, sagte sie schnell. »Morgen, bitte, bitte — geh!«

»Ich habe den Kühnen doch schon getroffen«, protestierte er. »Der ist nicht böse. Wir verstehen uns...«

»Gar nichts verstehst du!« unterbrach sie ihn heftig. »Wenn er dich hier sieht, dann stehe ich für nichts ein. Du bist nicht in deinem Revier und...« Als sie dies sagte, sah sie den Kühnen nur noch eine kurze Strecke entfernt auf den Bau zutraben. »Geh! Geh!« bettelte sie.

Stromer drehte sich um und folgte ihrem Blick. Aber es war zu spät. Der Kühne hatte ihn gesehen. Er raste heran und stellte sich sofort schützend vor seiner Schwester auf.

»Ich sehe schon, ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen«, fauchte er. »Diesmal bist du zu weit gegangen.« Stromer trat einen Schritt zurück, machte aber keine weitere Bewegung. »Bitte versteh mich recht. Ich will nichts Böses. Aber ich kann mich auch verteidigen.«

»Das werden wir ja sehen«, flüsterte der Kühne drohend und umkreiste dabei den fremden Fuchs. »Schöne, geh zurück in den Bau.«

»Nein, nein«, rief sie. »Laß ihn gehen, Kühner. Er kam als Freund.«

Ihr Bruder stand still. »Was ist das? Wie kannst du von Freundschaft mit einem Feind reden? Was geht hier vor?«

»Nichts geht hier vor«, sagte Stromer schnell. »Du hörst dich genauso an wie mein Vater. Warum bist du so böse auf mich? Ich habe doch niemandem von euch etwas getan. Ich wollte mich nur friedlich mit der Schönen unterhalten.« Der Kühne wandte sich an seine Schwester. Seine Augen funkelten. »Du lädst also den Feind in unser Lager ein?« fuhr er sie an. »Bewachst du so deine Freunde?«

»Sie hat mich nicht eingeladen, Kühner«, sagte Stromer gelassen. »Deine Schwester wußte nicht, daß ich kommen wollte.«

»Dann hast du also geschlafen?« wollte der Kühne wissen. »Wie hätte sonst ein fremder Fuchs unbeobachtet fast bis an unseren Bau kommen können?«

»Nein, ich war wach«, gab sie zurück. »Ich habe ihn kommen sehen.«

»Du hast ihn gesehen und hast keinen Alarm geschlagen!« bellte der Kühne. »Du bist ein feiner Wachposten!«

»Ich wußte, daß Stromer nichts Böses im Sinn hatte«, erklärte sie ruhig.

»Ach, und das hättest du wohl auch noch gedacht, wenn hinter ihm sein Vater mit einem Dutzend anderer Füchse auf getaucht wäre!« Der Kühne war wütend. »Wir haben dir vertraut. Rechtfertige dich!«

Der Friedfertige erreichte den Platz und sah, wie die Dinge standen. »Komm einen Augenblick auf die Seite«, flüsterte er seinem Bruder zu. »Ich muß dir etwas sagen.«

Aber das, was er dem Kühnen erzählte, machte diesen nur noch ärgerlicher. Er lief zurück und sprang Stromer an. »Du läßt meine Schwester in Ruhe!« fauchte er und biß nach dem kleineren Fuchs.

Verzweifelt warf sich die Schöne zwischen sie. »Nicht kämpfen! Nicht meinetwegen!« bettelte sie.

Genau in diesem Augenblick kehrten der Fuchs und die Füchsin zurück. »Kühner! Schöne! Weg da!« befahl der Fuchs. »Was geht hier vor?«

»Deine Tochter ist eine Verräterin!« keuchte der Kühne. »Sie hilft unserem Feind gegen ihren eigenen Bruder.«

»Das stimmt nicht, Vater!« weinte die Schöne. »Ich möchte nur nicht, daß jemand meinetwegen kämpft.«

Der Fuchs und die Füchsin tauschten einen Blick. Der Friedfertige wollte vermitteln. »Die Schöne und dieser fremde Fuchs, Stromer, sind Freunde«, sagte er offen. »Der Kühne meint, das dürfen sie nicht. Ich glaube, Stromer ist ganz ungefährlich.«

Der alte Fuchs blickte jeden der jungen Füchse nachdenklich an, dann wandte er sich an Stromer. »Ich weiß, daß du einer von den Jungen des Narbigen bist. Stimmt das, was ich eben gehört habe?«

»Ja«, sagte Stromer. »Ich gebe es offen zu. Die Schöne und ich sind Freunde geworden.«

»Ich verstehe«, sagte der Fuchs kühl. Dann wandte er sich an die junge Füchsin. »Ich hatte dir die Wache übertragen. Belohnst du so mein Vertrauen?«

»Aber ich habe nichts getan«, klagte die Schöne. »Ich bin die ganze Nacht auf Posten gewesen, das kann der Waldkauz bezeugen. Stromer war so dumm und hat mich gesucht, er hat gar nicht an die Gefahr gedacht.«

Die Füchsin lächelte. »Ist ja nichts Schlimmes passiert«, sagte sie beruhigend zum Fuchs. »Ich glaube, wir sollten uns diese Geschichte von Anfang an anhören. Stromer, du gehst erst einmal zu deiner Familie zurück. Wir müssen in unserem Bau die Sache besprechen.«

»Ich gehe«, war die höfliche Antwort.

»Soll er so einfach davonkommen?« rief der Kühne. »Der geht zurück und sagt seinem Vater, daß wir jede Nacht Wache halten!«

»Ich will keinen Streit«, fuhr Stromer ihn bissig an. »Ich sage ihm gar nichts.«

Der Fuchs dachte nach. »Nun gut«, sagte er. »Ich nehme dich beim Wort, deinem Ehrenwort. Aber wenn ich herausbekomme, daß du uns hereingelegt hast, dann wehe dir.« Stromer warf der Schönen einen traurigen Blick zu und drehte sich um. Sie sahen, wie er davontrabte. Dann ging der Fuchs mit seiner Familie in den Bau.

Einige Zeit später, als die Schöne alles erzählt hatte, stieß die Füchsin mit der Schnauze zärtlich ihren Gatten an, der immer noch böse blickte. »Mein Lieber, diese Dinge passieren nun einmal«, sagte sie sanft. »Wir waren nur nicht darauf vorbereitet.«

 

Was die Tiere im Park erlebten
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