Als der Maulwurf in den Dachsbau stolperte, fand er zu seinem Erstaunen fast alle seine Freunde hier versammelt. Schnell wurde ihm auch klar, warum. Er beschrieb seine Begegnung mit dem Narbigen, und der Dachs sprang auf und untersuchte die Wunden des Kleinen. Wegen der Dunkelheit mußte er dies mit der Nase tun. Der Maulwurf meinte: »So schlimm ist es nicht.«
»Wie viele sind es?« wollte der Fuchs wissen.
»Zeit zum Zählen hatte ich nicht«, antwortete der Maulwurf. »Aber sie waren sicher eine stattliche Horde.«
Der Fuchs sah sehr besorgt drein, aber zum Glück konnte das in der Dunkelheit niemand sehen.
»Wir bleiben erst einmal hier«, befahl er. »Jedenfalls so lange, bis ich weiß, was draußen los ist. Kennt der Narbige deinen Bau, Dachs?«
»Wahrscheinlich. Der kennt doch fast alles«, war die Antwort. »Wir sind hier leicht anzugreifen«, fügte er dann noch hinzu. »Wir haben nichts zu essen — niemand von uns — , und nichts kann den Narbigen daran hindern, genau wie du in den Bau hineinzuspazieren.«
»Einen Vorteil haben wir«, meinte der Fuchs. »Unsere Feinde können nur einzeln durch den Tunnel kommen. So können wir einen nach dem anderen erledigen.«
»Aber der Dachs hat doch mehr als einen Eingang zu seinem Bau«, bemerkte das Wiesel. »Was ist damit, Fuchs?«
»Dann müssen wir alle bis auf einen verbarrikadieren«, entgegnete der Fuchs.
»Nein«, sagte der Dachs bestimmt. »Wenn wir nur einen Ausgang für uns lassen, dann sitzen wir in der Falle.«
Der Fuchs dachte nach. »Besser, du führst mich einmal
herum«, sagte er zum Dachs. »Dann weiß ich, woran wir sind.«
Der Dachs nickte und ging mit dem Fuchs aus der Höhlenkammer. Als sie allein waren, fragte der Fuchs: »Was hältst du von unseren Chancen, diesen Platz zu verteidigen?«
»Wenig«, sagte der Dachs geradeheraus. »Wir können an jedem Eingang eines der stärkeren Tiere aufstellen.«
»Und wie viele Eingänge hast du?«
»Vier.«
Der Fuchs überlegte. »So ganz schlecht sieht es nicht aus«, meinte er müde. »Als Kämpfer kommen sechs von uns in Frage: die Füchsin und ich, der Kühne, der Friedfertige, die Schöne und du. Das Wiesel ist zu klein. Und was die anderen anbetrifft, nun ja, sie haben ihr Herz auf dem rechten Fleck, das ist aber auch alles.«
»Warum der Narbige wohl bei Tage gekommen ist?«
»Er hat ganz sicher von unseren Nachtwachen gehört«, erwiderte der Fuchs. »Und ich glaube, ich weiß auch, wer uns verraten hat.« Dabei dachte er an Stromer.
Erschrocken sah der Dachs ihn an. »Aber unter uns gibt es doch wohl keinen Verräter?« flüsterte er.
»Das gerade nicht«, sagte der Fuchs. »Aber wenn das Herz spricht, dann vergißt man seine Pflichten.« Und jetzt mußte er natürlich von der Schönen Freundschaft mit dem Sohn des Narbigen berichten.
»Ach du liebe Zeit!« entfuhr es dem Dachs. »Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.«
»Ungefähr das gleiche hat auch die Füchsin gesagt. Natürlich vertraut die Schöne ihrem neuen Freund völlig.« Er verzog das Gesicht. »Als ob wir nicht schon genug Probleme hätten.«
»Vielleicht hat sie aber doch recht«, meinte der Dachs. »Ich glaube, wir sollten den Narbigen nicht mit den anderen Füchsen in einen Topf werfen.«
»Das hat was für sich«, seufzte der Fuchs. »Möglich, daß ich Stromer schlechter mache, als er ist. Aber dieser Angriff kommt doch nicht zufällig.«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte der Dachs. »Der Junge muß ja seinem Vater die Treue halten.«
»Anders als meine Tochter«, sagte der Fuchs bitter.
»Ganz und gar nicht«, entgegnete der Dachs. »Du siehst das ein bißchen sehr schwarz, lieber Freund.«
Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte der Fuchs: »Wenn ich nur wüßte, was da draußen vor sich geht.«
»Warum bitten wir nicht den Maulwurf, den Weg, den er gekommen ist, noch einmal zurückzugehen und nachzuschauen?«
»O nein, wirklich nicht. Ich möchte ihn nicht noch einmal dieser wilden Bestie aussetzen«, antwortete der Fuchs. »Und dann sieht er ja auch so schlecht. Er würde nicht viel entdecken.«
»Dann gehe ich«, bot sich der Dachs an. »Ich werde sehr vorsichtig sein, und ich weiß nach dem Geruch, wie nahe sie sind. Ich brauche dazu überhaupt nicht ins Freie zu gehen.«
»Danke, mein Lieber«, sagte der Fuchs. »In der Zwischenzeit werde ich an allen Eingängen Wachen aufstellen.«
Der Dachs watschelte durch den Tunnel und stand dicht bei seinem Haupteingang ganz still. Er machte Gebrauch von seinem scharfen Geruchssinn, drehte seinen gestreiften Kopf in alle Richtungen und versuchte den verräterischen Geruch der Füchse zu wittern. Dann lief er zurück in die Höhle.
»Sie sind nur ganz schwach zu riechen«, verkündete er. »Also können sie nicht sehr nahe sein.«
»Gut«, gab der Fuchs zurück. »Was er wohl vorhat?«
»Darüber werden wir sicher bald mehr wissen«, meinte das Wiesel.
»Ich mache mir Sorgen um den Hasen und die Kaninchen«, gestand der Fuchs. »Die haben doch keine Ahnung, was vor sich geht, und wir wissen, wie ängstlich Kaninchen sind. Wenn der Hase sie nicht beruhigen kann, drehen sie in ihren Nestern durch, kommen heraus und hüpfen wie irr in der Gegend umher. Der Narbige und sein Clan brauchen dann nur noch die Parade abzunehmen.«
»Sicher kommt einer der Vögel und berichtet über seine Absichten, oder?« quäkte die quengelige Oberste Wühlmaus. »Die sind doch nicht in Gefahr. Denken sie denn gar nicht an uns?«
Der Fuchs nickte. »Der Turmfalke kommt ganz bestimmt«, meinte er beruhigend. »Und vergeßt nicht, wir müssen ihm dankbar sein, daß er uns zu Anfang soviel Zeitgewinn verschafft hat.«
Der Tag quälte sich dahin, und gerade als der Fuchs anfing, sich zu fragen, ob er dem Falken nicht zuviel zugetraut hatte, hörte er ihn draußen rufen. Die Füchsin, die gerade den Haupteingang bewachte, antwortete ihm.
»Der Narbige rückt näher«, rief der Falke. »Ich glaube, er weiß jetzt, wo ihr euch alle versteckt. Sag dem Fuchs Bescheid.«
Aber der Fuchs tauchte schon im Tunnel auf. »Turmfalke«, rief er. »Sieh doch bitte nach, wie es den Kaninchen geht. Sie müssen weiter in Deckung bleiben.«
Der Falke schwang sich in die Luft, und der Fuchs und die Füchsin lugten beide durch das Eingangsloch. Jetzt konnten sie den Narbigen sehen, wie er seine Truppe zum Dachsbau führte. Unter ihnen erkannten sie auch Stromer.
»Also, der macht mit«, murmelte der Fuchs leise. »Komm, Liebste, zurück in die Höhle«, sagte er dann laut. »Ich hole die Kinder von den anderen Eingängen zurück. Gegen eine solche Armee können Wachen auch nichts mehr ausrichten. Unsere einzige Hoffnung liegt darin, daß wir uns absolut ruhig verhalten. Vielleicht können wir sie noch täuschen.«
Unten, in der tiefsten Höhle des Dachses, wagten die Tiere kaum noch zu atmen. Sie wußten, der schlaue Narbige hörte auch das leiseste Geräusch. Die Nerven der kleineren Tiere waren bis zum Zerreißen gespannt, aber um ihrer aller willen beherrschten sie sich, so gut es eben ging.
Nach einer ganzen Ewigkeit hörten sie ein Schlurfen, und da wußten sie, daß einer der Feinde in den Bau eingedrungen war. Näher schlurfte es, der Fuchs spannte alle Muskeln und machte sich bereit, das Tier anzuspringen.
»Ist da jemand?« flüsterte eine Stimme in der Dunkelheit. Keine Antwort.
»Schöne? Bist du da?« flüsterte die Stimme wieder.
»Vater, das ist Stromer«, wisperte die Schöne. »Vielleicht will er uns helfen?«
»Helfen?« zischte der Fuchs. »Das ist doch der Schlimmste von allen. Helfen? Ha, der hat seinem Vater geholfen und ihm gesagt, daß er bei Tage angreifen soll. Wenn er sich noch einen Schritt näher heranwagt, dann wird er niemandem mehr helfen!«
»Nein, Vater, bitte«, bettelte die Schöne. »Laß mich mit ihm reden. Auf mich hört er.«
Und bevor der Fuchs sie zurückhalten konnte, war sie schon aus der Höhlenkammer und durch den Gang hin zu Stromer gelaufen. »Hier bin ich«, sagte sie. »Ich bin’s, die Schöne.«
Der Fuchs stürzte ihr nach. »Raus, bevor ich dich töte«, schrie er.
»Begreife doch«, war die Antwort, »ich habe mich erboten, als erster in den Bau zu gehen.«
»Aber natürlich«, sagte der Fuchs. »Du willst dich mit Ruhm bekleckern, weil du uns gefunden hast.«
»Nein! Nein!« gab Stromer heftig zurück. »Ihr versteht mich ganz falsch. Ich werde meinem Vater sagen, daß der Bau leer ist.«
Aber bevor der Fuchs sich von seinem Staunen erholen konnte, rief es böse den Tunnel hinunter: »Das Spiel ist aus, mein Freund. Du und deine Genossen, ihr sitzt in der Falle. Der ganze Bau ist umstellt. Stromer, komm raus! Ich will da unten keinen Kampf haben. Wir kämpfen im Freien, wenn der Hunger sie herausgetrieben hat.«
Stromer wußte nicht, wohin sich wenden, er war zwischen der Treue zu seinem Vater und seinen Gefühlen für die Schöne hin- und hergerissen.
»Ich glaube, junger Freund, ich habe dir bitter unrecht getan«, sagte der Fuchs zu ihm. »Geh jetzt wieder nach draußen. Ich möchte nicht, daß dein Vater dir unseretwegen böse ist.«
Zögernd wandte sich Stromer um und verließ den Bau. Sein Herz wollte zerspringen. »Was auch geschieht, ihr habt einen Gegner weniger«, sagte er, »denn ich beteilige mich nicht an dem Kampf.«
Der Fuchs und die Schöne gingen zurück in die Höhlenkammer.
»Wir sind eingeschlossen«, sagte der Fuchs kurz.
»Wir müssen hier sterben! Wir müssen hier sterben!« jammerte eine der Feldmäuse.
»Nicht, wenn ich es ändern kann«, war die gelassene Antwort des Fuchses. »Ich möchte sehen, aus welchem Holz der Narbige geschnitzt ist. Er will doch nur mich töten. Nun, er kann seine Kraft an mir erproben, aber in einem fairen Streit. Ich werde ihn zum Zweikampf herausfordern.«