Am nächsten Morgen schneite es nicht mehr, und zwei ganz verschiedene Tiere, denen es bestimmt war, an diesem Tag aufeinanderzutreffen, machten sich an den entgegengesetzten Enden des Parks auf den Weg, um dem Dachs zu helfen.

Nachdem die Rote dem Dachs auf Wiedersehen gesagt hatte, verließ sie die Hütte des Wildhüters. Sie sprang über den Zaun und betrachtete mit bösen Vorahnungen die große, weiße Fläche vor ihr, die sie nun durchqueren mußte. Sie prüfte zögernd den Schnee und fand ihn an der Oberfläche recht fest. Das war ermutigend. Aber sie wußte, bis zu den Freunden des Dachses würde es ein langer Weg unter schwierigen Bedingungen werden.

Inzwischen hatte der Maulwurf im Bau des Dachses den Entschluß gefaßt, daß nun er suchen würde. Es war ihm der Gedanke gekommen, daß der Dachs sich irgendwo unter der Erde verirrt oder verletzt haben mußte, weil man ihn nirgends über der Erde gefunden hatte. Und war er, der Maulwurf, nicht der beste Sucher unter der Erde? Wer anders als er könnte hier nach ihm Ausschau halten? Erst einmal prüfte er alle Ausgänge und Tunnels des Dachsbaus, denn der Dachs hätte ja auch beim Graben in der Nähe seines Baus einen Unfall gehabt haben können. Natürlich fand er nichts. Als nächstes suchte er über der Erde alle anderen Löcher in der Nachbarschaft ab. Die Mühe war vergeblich. Doch der Maulwurf versuchte es immer wieder, sein tapferes kleines Herz verwand jede neue Enttäuschung. Immer wenn er sich in den kahlen, gefrorenen Boden eingrub, hoffte er, daß er vielleicht diesmal seinen armen Freund finden würde, und dieser Gedanke gab ihm neue Kräfte.

Die Rote lief leichtfüßig durch den Schnee und näherte sich langsam, aber stetig ihrem Ziel. Sie fror erbärmlich und sehnte sich nach dem warmen Kamin in der Hütte, vor dem sie sich in Gesellschaft ihres menschlichen Freundes wohlig ausstrecken konnte. Je weiter der Morgen fortschritt, desto mehr fror sie und bedauerte schon ihr tollkühnes Unternehmen. Was bedeutete ihr schließlich ein verletzter Dachs? Trotz aller schönen Worte über diesen wunderbaren Eid war sie hier ein Außenseiter, ein Einzelgänger. Sie gehörte nicht dazu. Was kümmerte es sie, ob der Fuchs oder der Maulwurf oder das Wiesel oder irgendeiner der kostbaren Freunde des Dachses seinetwegen sterben mußten. Für die Rote waren sie alle Fremde. Auch wenn sie vor dem Dachs geprahlt hatte, war sie doch kein wildes Tier wie er, das gezwungen war, sich so gut wie möglich über die Zeiten zu bringen, sich durch Sonne, Wind, Regen, Schnee durchzuschlagen. Sie hatte einen Ausweg — sie konnte es den ganzen Tag warm und gemütlich haben, wenn ihr der Sinn danach stand; konnte satt vor einem brennenden Feuer schlafen und die tobenden Elemente vergessen. Nur ihr Stolz hatte sie zu dieser verrückten Reise verleitet. Wie sie fror! Während die Katze mit sich haderte, näherte sie sich der Heimat des Dachses. Sie kam am Tiefen Grund vorbei, ohne etwas von seiner Bedeutung zu ahnen, und dann plötzlich waren all ihre Instinkte wach, als sie vor sich Bewegung entdeckte. Sie verdoppelte ihre Geschwindigkeit und sah ein kleines schwarzes Tier mit langer Schnauze aus einem Loch kriechen. Es war natürlich der Maulwurf.

Der nun erblickte ein großes, unbekanntes Tier, das auf ihn zukam, und wollte gleich wieder in die Erde schlüpfen. »Geh nicht fort!« rief ihm die Katze in das Loch nach. »Vielleicht bist du der, den ich suche. Ich bringe Nachrichten vom Dachs.«

Sofort tauchte der Maulwurf wieder auf. »Vom Dachs? Wo ist er? Geht es ihm gut? Und wer bist du?«

»Er hat sich verletzt«, sagte die Rote. »Der Mensch, den ihr den Tierfreund nennt, hat ihn gerettet und pflegt ihn jetzt. Mach dir keine Sorgen, bald ist er wieder gesund.«

Der Maulwurf tanzte vor Freude. »Gott sei Dank, er lebt!« rief er freudig erregt. »Aber jetzt sag mir, wer du bist?«

Die Rote erklärte es. »Dann bist du also der Maulwurf?« fragte sie. »Der Dachs hat mir erzählt, daß du unter der Erde wohnst.«

Der Maulwurf nickte. »Wir haben uns alle solche Sorgen gemacht«, sagte er. »Seit drei Tagen kein Zeichen von ihm. Aber du bist uns ein lieber Freund. Du bist sehr tapfer gewesen.«

»Der Dachs hat mir von eurer langen Reise aus eurer alten Heimat erzählt.«

»Willst du mitkommen und die anderen kennenlernen?« fragte der Maulwurf entzückt. »Wie werden sie dir dankbar sein!«

»Nein, ich muß leider ablehnen. Ich möchte noch vor dem Dunkelwerden zu Hause sein, und der Weg ist lang.«

»Kann ich verstehen. Sag mir noch, wann wird der Dachs wohl zu uns zurückkommen?«

»Ach, der Dachs würde schon jetzt kommen, wenn er nur könnte«, lächelte die Katze. »Aber meiner Meinung nach wäre es nur klug, wenn er die Entscheidung dem Menschen überließe. Dann kann er sicher sein, daß er wieder ganz gesund ist.«

Der Maulwurf merkte, dies war eine Huldigung an die menschliche Rasse, und erkannte, daß die Katze eine andere Beziehung zu ihr hatte. »Bestelle ihm, daß es uns gut geht«, sagte er. »Oder besser, sag ihm, daß wir zurechtkommen und daß wir ihn schrecklich vermissen.«

»Klar, mache ich. Vielleicht treffen wir uns irgendwann wieder einmal«, sagte die Rote höflich.

»Vielen Dank im Namen aller Tiere aus dem Farthing-Wald«, sagte der Maulwurf in bedeutungsvollem Ton. »Du bist hier immer herzlich willkommen.«

Die Rote machte sich auf den Heimweg. Der Maulwurf sah ihr nach. Er fragte sich, ob er als Vertreter der Farthing-Wald-Gemeinde die Sache wohl richtig angefaßt hatte. Dann schoß es ihm durch den Kopf, daß er der Katze gar nichts zu fressen angeboten hatte. Sie hatte einen langen Weg hinter sich und noch einen genauso langen vor sich. In seinem Vorratslager gab es reichlich Würmer. Er rief ihr nach. Die Katze hörte das Geschrei und drehte sich um. Sie verstand die Worte des Maulwurfs nicht, denn er war ein kleines Tier und hatte keine sehr laute Stimme. Der Maulwurf rief wieder, aber die Rote verstand immer noch nichts und wollte weiterlaufen.

In diesem Augenblick erspähte der Turmfalke, der den ganzen Tag aus der Luft den Park nach einem Lebenszeichen vom Dachs abgesucht hatte, die beiden Tiere am Boden. Er sah, wie eine große Katze auf seinen Freund, den Maulwurf, zulief, und hielt das natürlich für einen Angriff. Er flog einen Bogen, stieß nach unten und griff wie der Blitz die Rote an, seine Krallen gruben sich tief in ihren Körper.

Sie jaulte laut auf und schlug mit ihren Pfoten nach dem Vogel, aber der Turmfalke ließ sich bereits zu einem neuen Angriff herabfallen.

»Halt, Turmfalke, halt!« rief der Maulwurf verzweifelt. »Sie ist ein Freund!«

Aber der Falke war zu hoch oben, um ihn zu hören, und wollte erneut zustoßen.

»Schnell, ins Loch!« rief der Maulwurf aufgeregt, als die Katze instinktiv ihren Körper flach gegen den Boden drückte. Die Rote hörte es, aber es war zu spät. Der Turmfalke war bereits heran. Der Maulwurf warf sich auf den Körper der Katze. Das irritierte den Turmfalken so, daß er seinen ganzen Angriffsschwung verlor. Jetzt hörte er endlich die Bitten des Maulwurfs: »Nein, nein, geh weg, Turmfalke! Sie ist ein Freund — ein Freund!«

Der Turmfalke landete und blickte den Maulwurf fragend aus durchdringenden Augen an. Die Rote machte einen großen Buckel und fauchte wild.

»Sie hat Nachricht vom Dachs gebracht«, erklärte der Maulwurf bedrückt. »Den ganzen langen Weg vom Haus des Tierfreundes hat sie zurückgelegt. Sie wollte mir nichts tun.« Und er erzählte, was die Katze alles berichtet hatte. Der Turmfalke machte einen lahmen Versuch, sich zu entschuldigen, und erklärte, wie das Ganze aus der Luft gewirkt hätte. Er und der Maulwurf untersuchten den Rücken der Roten. Blut floß aus zwei Wunden, färbte das rote Fell noch röter und verklebte den Pelz.

»Ihr und euer verdammter Eid«, murmelte die Katze leise. »Hier können wir nicht bleiben«, sagte der Maulwurf. »Turmfalke, willst du den Fuchs holen? Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

Es dauerte nicht lange, da erschien der Fuchs, die Füchsin an seiner Seite. Es gelang ihnen, die Katze zu überreden, init in ihren Bau zu gehen. Sie war jetzt zu schwach, um sich mit ihnen zu streiten. Auf dem Weg unterrichtete der Maulwurf die Füchse vom Unfall des Dachses und von der Reise der Katze.

»Welch Lohn für solch gute Tat!« klagte der Fuchs.

»Aber ich hatte nur die allerbesten Absichten«, beeilte sich der Turmfalke zu erklären. »Ich habe nur an den Maulwurf gedacht. Wie hätte ich das ahnen sollen?«

»Niemand macht dir einen Vorwurf«, erwiderte der Fuchs. »Es war ein unglückseliger Zufall.«

Als sie unter der Erde waren, machte sich die Füchsin daran, die Wunden der Katze zu lecken und ihr den Pelz zu säubern. »Das sind aber häßliche Kratzer«, meinte sie. »Aber sie bluten nicht mehr. Ich hoffe doch, daß du zum Essen bleibst? Wenn es dunkel ist, gehen der Fuchs und ich nach draußen und versuchen etwas zu finden.«

Die Rote dankte herzlich, war aber überzeugt, daß ihre Schwäche mehr auf die große Erschöpfung zurückzuführen war als auf die Wunden. Dann schlief sie ein.

Der Maulwurf blieb bei ihr, als die Füchse zur Jagd aufbrachen, und bevor sie zurückkehrten, wachte die Rote ganz plötzlich auf und merkte, daß es dunkler war als vorher. »Alles in Ordnung«, sagte der Maulwurf. »Du bist nicht allein.«

Die Katze erheiterten die Bemühungen ihres kleinen Beschützers. Sie hätte den Maulwurf mit einem Pfotenschlag töten können, aber das wollte sie natürlich nicht.

»Du brauchst nicht zu bleiben, Maulwurf«, sagte sie höflich. »Nach meinem Nickerchen fühle ich mich schon viel besser. Ich kann ganz gut allein auf mein versprochenes Abendessen warten.«

»Wie du willst«, stimmte ihr der Maulwurf freudig zu. »Ich bin selbst schrecklich hungrig. Ich glaube, ich muß meinem Vorratsschrank einen Besuch abstatten.«

Sie verabschiedeten sich, und der Maulwurf verschwand. Sobald die Rote sicher war, daß der Maulwurf gegangen war, stand auch sie auf, streckte sich vorsichtig und schüttelte ihr Fell ein bißchen aus. Ein Schmerz durchzuckte ihren Rücken, nur mit Mühe konnte sie einen Schmerzens-laut unterdrücken. Aber sie wollte dennoch aufbrechen, denn sie hatte nicht die Absicht, auf die Rückkehr der Füchse zu warten. So würde sie zwar hungrig bleiben, aber wenigstens vor dem Morgen wieder in der Wärme und Geborgenheit der Hütte sein.

Es war sternenklar, als sie den Bau verließ. Sie erschauerte in der bitteren Kälte, freute sich aber, als sie feststellte, daß nicht noch mehr Schnee gefallen war. Ihre Mission war nun beendet, und es war nett gewesen, den Maulwurf, den Fuchs und die Füchsin kennenzulernen. Hoffentlich konnte sie sich einmal an dem anderen Freund des Dachses rächen, den sie auch kennengelernt hatte. Schließlich konnte sie als Katze es nicht hinnehmen, daß ein Vogel — ihre natürliche Beute — sie verwundete. Falke hin, Falke her, wenn sich die Gelegenheit ergab, würde der Turmfalke schon merken, daß er sich schwer getäuscht hatte, wenn er glaubte, er könne jemandem, der ein ebenso gerissener Jäger war wie er selber, ungestraft etwas antun.

 

Was die Tiere im Park erlebten
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