Die anderen waren wie betäubt. Mit ausdruckslosen Gesichtern blickten sie einander an. Es war einfach nicht zu fassen! Und doch war es auch schon früher einmal geschehen. Sie alle verdankten ihre Kenntnis von der Existenz des Parkes der Kröte, die ihn entdeckt und den größten Teil des Jahres damit zugebracht hatte, über Land zu wandern und den belagerten Tieren des Farthing-Waldes die gute Nachricht zu bringen. Damals war sie in ihre alte Heimat — den Farthing-Wald — zurückgekehrt, nur um festzustellen, daß es ihn so gut wie nicht mehr gab; die Menschen hatten ihn zerstört.
»Aber jetzt ist doch dies ihre Heimat!« rief das Eichhörnchen. »Sie hat uns hierhergeführt. Ihre alte Heimat gibt es doch nicht mehr. Wie kann sie das alles nur vergessen haben?«
»Ich glaube, sie kann nicht anders«, erklärte der Turmfalke. »Es ist ihr Heimatinstinkt. Im Frühling zieht es die Kröte und alle Tiere von ihrer Art unwiderstehlich zurück an ihren Geburtsplatz, um sich zu vermehren. Und der Geburtsplatz der Kröte ist nun einmal der Teich im Farthing-Wald.«
»Richtig!« fügte der Waldkauz hinzu. »Keiner von uns hat noch vergessen, wie die Kröte auf unserer Reise hierher einmal im Kreis gegangen ist, weil ihr Heimatinstinkt so stark war.«
»Also, weit kann sie noch nicht sein«, sagte der Fuchs. »Nicht in zwei Tagen. Wir müssen sie finden und vernünftig mit ihr reden.«
»Dann aber schnell«, rief der Dachs. »Vielleicht ist sie sogar noch im Hirschpark.«
»Ich schaue mal, ob ich etwas von ihr sehe«, erbot sich der Turmfalke. »Aber sie tarnt sich so gut, daß es schwierig werden kann.«
»Wir müssen nicht alle suchen«, sagte der Fuchs. »Das "würde die Sache nur in die Länge ziehen. Es gehen der Dachs und ich mit der Füchsin, und du, Pfeifer, hilfst vielleicht dem Turmfalken bei der Suche.«
»Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht«, sagte der Reiher, schlug mit den Flügeln und produzierte dabei den wohlbekannten Pfeifton.
»Wir kommen wieder, Kreuzotter«, verabschiedete sich der Fuchs von der immer noch regungslosen Schlange. »Ich hoffe, dann sind wir vollzählig.«
»Du kannst kommen, wann du willst«, erwiderte die Kreuzotter. »Aber ich kann nicht dafür einstehen, daß ich dann noch hier bin. Schließlich habe ich mehr zu tun, als bloß hier herumzuliegen und auf deine Rückkehr zu warten.«
»Noch genau so unliebenswürdig wie früher«, sagte der Waldkauz ganz laut, aber die Kreuzotter war an derartige Bemerkungen schon so gewöhnt, daß sie nur geringschätzig mit ihrer gespaltenen Zunge züngelte.
Während die anderen Tiere sich in alle Richtungen zerstreuten, trotteten die beiden Füchse und der Dachs in die Richtung des Tiefen Grundes. Hier hatten sie alle ihre erste Nacht nach der Ankunft im Hirschpark verbracht, und hier war auch ganz in der Nähe das Loch im Zaun, durch das sie beim ersten Mal geschlüpft waren. Der Fuchs und die Füchsin umkreisten den Tiefen Grund, während der Dachs ihn durchkämmte. Sie wollten sichergehen, daß die Kröte nicht dort auf ihre Freunde wartete. Aber da war sie nicht, und als sie die Grenze des Parkes erreichten, stießen sie auf den wartenden Turmfalken. Er hockte auf demselben Zaunpfahl wie damals, als seine Freunde zum ersten Mal durch die Lücke gekrochen waren.
»Bislang noch nichts«, verkündete er. »Ich glaube, sie ist schon draußen.«
»Sie ist wirklich eine Plage«, sagte der Dachs. »Jetzt riskieren wir alle ihretwegen Kopf und Kragen.«
»Außerhalb des Parkes können wir nicht zusammen bleiben«, meinte der Fuchs. »Das wäre viel zu auffällig. Weit kann sie bei ihrer Reisegeschwindigkeit noch nicht gekommen sein. Turmfalke, du durchsuchst das Gelände hier ein bißchen. Vielleicht ist sie nur ein paar Schritte entfernt.«
Aber als der Turmfalke sich wieder in die Luft schwang, blieb seine Antwort die gleiche. Auch der Pfeifer hatte kein Glück. »In dieser Gegend scheint ein besonders großer Mangel an Kröten zu herrschen«, informierte er sie in seiner drolligen Art.
»Also nichts. Wir müssen doch durch den Zaun. Dann trennen wir uns und nehmen uns jeder ein Gebiet vor.«
»Wäre es nicht klüger, bis zum Einbruch der Nacht zu warten?« schlug der Turmfalke vor.
»Sicherer gewiß, aber auch schwieriger. Die Kröte ist klein und im Dunkeln nur schwer auszumachen.«
»Dann wollen wir für euch alle die Augen offenhalten«, sagte der Turmfalke. »Und wir warnen euch, wenn nötig.«
»Danke«, sagte der Fuchs. »Also los, Füchsin und Dachs! Wollen wir gehen?«
Nacheinander schlüpften sie durch das Loch im Zaun, und der Fuchs wies jedem von ihnen sein Gebiet zu. »Wenn ihr sie gefunden habt«, sagte er, »gebt den Vögeln Nachricht, die können dann uns andere auftreiben.«
So ging jeder seines Weges und machte sich mit Augen und Nase auf die Suche.
Es war die Füchsin, die endlich ihre verlorene Freundin fand. Etwa einen halben Kilometer vom Loch im Parkzaun entfernt floß ein schmaler, normalerweise seichter Bach durch die Wiesen. An seinem Ufer saßen zwei kleine Jungen und beobachteten, wie das Wasser — jetzt durch die Schneeschmelze angeschwollen — an ihnen vorbeirauschte. Von Zeit zu Zeit tauchten sie ihre Netze in den Strom, sie fischten nach Stichlingen und Wasserflöhen und allem, was so an ihnen vorbeitrieb. Neben ihnen auf dem Ufer standen ein paar große Gläser voller Wasser, in die sie ihre Netze leerten, wenn sie etwas gefangen hatten. All das sah die Füchsin, denn sie schlich sich so nahe wie möglich heran, bis es nicht mehr ging und sie sich im Ginstergebüsch verbergen mußte. Von diesem sicheren Aussichtsplatz aus konnte sie alles beobachten. Was sie aber in einem der Gläser erblickte, ließ ihr Herz einen Schlag lang aussetzen. Es war eine Kröte, und sie war sich ziemlich sicher, daß es ihre Kröte war. Aber dann war sie wieder nicht so sicher, denn in einem anderen Glas befand sich noch eine Kröte, und die war viel größer als die andere.
Die beiden armen eingeschlossenen Wesen hüpften im Wasser auf und ab, stießen mit ihren stumpfen Nasen gegen das Glas und versuchten alles, um herauszukommen. Aber die Gläser waren fest mit einem Metalldeckel verschlossen. Jetzt war die Füchsin ratlos, denn sie konnte nichts zur Befreiung der Kröten tun. Und doch war klar, daß sie die Jungen daran hindern mußte, die Gläser mitzunehmen, bevor sie wußte, ob einer der Gefangenen ihre Freundin war. Hier mußte der Fuchs Rat wissen, und das so schnell wie möglich, denn die Jungen konnten jede Minute aufbrechen.
Aus der Geborgenheit des Ginstergestrüpps bellte sie, in der Hoffnung, die Vögel wären in der Nähe. Sie sah die Jungen bei dem Geräusch aufblicken und sich umdrehen. Weil sie aber nichts und niemanden sehen konnten, wandten sie ihre Aufmerksamkeit bald wieder dem Bach zu. Weder der Turmfalke noch der Pfeifer hatten den Ruf der Füchsin gehört, aber der Pfeifer hatte den Bach und die Jungen beim überfliegen erspäht und suchte nun nach den drei anderen, um sie vor den Menschen zu warnen. Glücklicherweise fand er die Füchsin, die ja am nächsten war, zuerst.
»Ich habe die Jungen gesehen«, deutete sie in die Richtung des Baches, als er sich unbeholfen neben ihr niederließ. »Und ich glaube, ich habe auch die Kröte gefunden.«
»Hervorragend!« rief der Reiher. »Dann können wir sie holen und uns schnell zurückziehen.«
»So einfach ist das nicht, Pfeifer«, war ihre Antwort, und sie erklärte ihm, warum.
»Entsetzlich! Was sollen wir nur tun?« schrie er.
»Das weiß ich auch nicht. Du mußt den Fuchs holen. Dem fällt schon etwas ein. Und sag es auch dem Dachs.«
»Wird gemacht.« Der Reiher schlug geräuschvoll mit den Flügeln und schwang sich in die Luft. Die Füchsin erschauerte, als der riesige Vogel sich über ihr erhob, und sah auch sofort, wie zwei faszinierte kleine Menschen auf ihn zeigten und aufgeregt riefen. Gott sei Dank blieben sie dabei am Bach sitzen.
Der Fuchs und der Dachs gesellten sich schließlich leise zur Füchsin in ihrem stachligen Versteck und hörten sich ihren Bericht an.
»Es muß ja nicht unsere Kröte sein«, meinte der Fuchs. »Aber darauf können wir uns nicht verlassen.«
»O weh, o weh«, jammerte der Dachs. »Die Armen. Genauso wurde sie im Farthing-Teich eingefangen und aus ihrer Heimat den ganzen langen Weg hierhergebracht.«
»Was sich dann doch noch als ein Glücksfall erwies«, erinnerte ihn der Fuchs. »Sonst gäbe es für uns keinen Hirschpark.«
»Ich weiß, ich weiß«, nickte der Dachs zustimmend. »Aber diesmal ist es kein Glücksfall.«
»Es gibt nur eins«, erklärte der Fuchs bestimmt. »Wir müssen beide Kröten retten.«
»Klar, aber wie?«
»Wir überraschen die Jungen. Sie sind noch klein und lassen sich leicht erschrecken. Wenn wir uns alle zusammen auf sie stürzen und bellen und fauchen, laufen sie vielleicht weg. Unsere einzige Hoffnung liegt in der Überraschung. Hallo, da ist ja auch der Turmfalke.«
Der Pfeifer hatte es auch ihm schon erzählt. Kaum hatte er die Nachricht vernommen, da flog er auch schon zum Bach, blieb hoch in der Luft stehen und prüfte den Inhalt der Gläser mit seinen unheimlich scharfsichtigen Augen.
Dann stieß er zu den drei Tieren herab. »Eine davon ist tatsächlich unsere Kröte«, flüsterte er. »Es ist die kleinere.«
»Hol den Pfeifer«, befahl der Fuchs. »Sein großer Schnabel wird benötigt.« Und schon kam der Reiher herunter und hörte sich den Plan an.
»Wenn wir angreifen, mußt du herabstoßen und das Glas mit deinem Schnabel packen. Aber paß gut auf, daß du das Glas mit der kleineren Kröte erwischst. Verstanden? Also fertig! Angriff!«
Durch das Gras stürmten der Fuchs, der Dachs und die Füchsin und machten dabei soviel Lärm, wie sie nur konnten. Die beiden Jungen sprangen auf. Was sollten sie nur tun? Während sie noch zögerten, ließ sich der Pfeifer wie ein Tiefflieger auf sie fallen. Er hatte kaum die Erde berührt, da schnappte er auch schon das Glas, konnte aber kaum wegfliegen, so schwer war es. Schnell griffen sich die Jungen die anderen Gläser, auch das mit der zweiten Kröte, und flohen am Ufer entlang. Ihre Netze hatten sie bei dem wilden Überraschungsangriff der Tiere vergessen. Dann aber hörten der Fuchs, der Dachs und die Füchsin den Turmfalken oben in der Luft den Pfeifer ankreischen: »Es ist das falsche Glas! Du hast das falsche erwischt!«
Das erschreckte den Pfeifer, dem sowieso der Schnabel von dem ungewohnten Gewicht schon wehtat, so, daß er das Glas fallen ließ, es zerbrach auf der Erde. Heraus sprang eine fremde Kröte, sie hatte vom Auf und Ab im Wasser nur einen leichten Schock. »Dankeschön! Dankeschön!« quakte sie mit heiserer Stimme und hüpfte, so schnell es ihre Beine erlaubten, davon.
Nun mußte der Pfeifer seinen Fehler wiedergutmachen. Er segelte hinter den Jungen her und stieß mit seinem spitzen Schnabel nach ihnen, damit sie das Glas fallen lassen sollten. Er stieß so fest zu, daß er schon beim ersten Mal Erfolg hatte. Schreiend ließen die Jungen alle Gläser fallen, das Krötenglas rollte auf das Ufer zu und dann mit einem Platsch in den Bach. Die Strömung erfaßte es, wirbelte es herum und trug es mit sich fort, so daß es auf den Wellen tanzte.
Drinnen im Glas hockte eine gelähmte, betäubte und verwirrte Kröte. Eben noch hatte sie am Ufer gestanden, dann war sie hochgehoben und durchgeschüttelt worden, als die Jungen mit ihr davonrannten; und jetzt fiel sie zur Erde, überkugelte sich und schwamm nun im Wasser, daß die Binsen zu beiden Seiten ihres durchsichtigen Gefängnisses nur so an ihr vorbeischossen. Sie konnte nicht wissen, daß ihre Freunde an diesen Ereignissen beteiligt waren, alles hatte sich zu schnell abgespielt. Jetzt merkte sie, daß das Glas sich an einem Widerstand im Wasser verfing. Sie sah, wie sich zwei stelzenähnliche Beine gegen das Glas preßten. Dann beugte sich ein riesiger Schnabel zu ihr, und Kröte, Glas und Wasser wurden hochgehoben, hoch und höher, immer höher bis in den Himmel.
»Nicht fallen lassen!« schrie der Fuchs. »Trag sie in den Park!«
»Alle zurück in den Park!« rief der Dachs. »Wir sind vollzählig!«