Der tief gekränkte Waldkauz hatte sich so weit von seinen Freunden im Park entfernt, wie er konnte, ohne sein Revier zu verlassen. Sein Stolz war arg verletzt, mißmutig kaute er auf seinem Abendessen herum, und mit jedem Bissen wuchs sein Zorn.

»Geschieht ihnen ganz recht, wenn sie mich nicht Wiedersehen«, knurrte er. »Das ist denen ja doch egal.« Dann kauerte er sich auf einem Ahornast zusammen und brütete finster vor sich hin. Mit jeder Minute fühlte er sich überflüssiger. Er hatte sich selbst furchtbar bestraft, indem er sich von allen seinen Freunden getrennt hatte. Denn so allein konnte er seinen Zorn immer nur in sich selbst hineinfressen; ein paar aufmunternde Worte hätten ihn seine gekränkten Gefühle viel schneller vergessen lassen. Aber niemand war da, er mußte nicht den Schein wahren, war auch nicht in Gefahr, an Ansehen zu verlieren. Nach einiger Zeit fing er an, sich zu fragen, ob er nicht doch zu heftig reagiert hatte. So hockte er da und dachte nach.

Es stimmte ja nicht, daß sie alle unter einer Decke gesteckt hatten. Der Fuchs, da war er ganz sicher, hatte sich an solch einem Scherz nicht beteiligt. Auch der Dachs nicht, obwohl er sich über ihn lustig gemacht hatte. Je mehr er an den Fuchs dachte, den er wirklich gern hatte, desto schuldiger fühlte er sich. Was könne ihm und der Füchsin nicht alles zugestoßen sein, weil er sie nicht vor den Wilddieben gewarnt hatte? Er rutschte auf seinem Ast hin und her und wurde immer unruhiger und nervöser. Wenn etwas passiert war, würde er sich das nie verzeihen. Schließlich hielt er es nicht länger aus. Er schwang sich in die Luft und flog in die Achtung zurück, aus der er zuerst die Männer hatte kommen sehen.

Der Morgen dämmerte schon, als er den Park überflog, und er erspähte die Wilddiebe, als sie eben über den Zaun zurückkletterten und dann über den Graben sprangen. Sehr gut! Sie gingen, aber was mochten sie angerichtet haben? Etwas weiter entfernt sah er etwas, was ihm den Magen umdrehte. Im Schnee lag ein Fuchs, sein Blut färbte das Weiß rot. Daran war allein er schuld! Schwankend erreichte er den nächsten Baum und ließ sich darauf nieder, er konnte vor Schwäche nicht weiterfliegen. Stumpf und wie betäubt dachte er über seine Selbstsucht nach. Es dauerte lange, bis er es wagte, sich dem Körper zu nähern. Schließlich raffte er sich auf, mit bleiernen Flügeln flog er näher. Als er ganz nahe war, erkannte er, daß es weder Fuchs noch Füchsin war. Seine Erleichterung dauerte nur ein paar Minuten. Denn nicht weit davon entfernt lag ein zweiter toter Fuchs. Dieses Mal untersuchte er ihn sofort. Und ein zweites Mal verspürte er Erleichterung. Doch jetzt mußte er sich fragen, wie viele tote Füchse es wohl geben mochte. War sein Freund doch darunter? Wieder flog er weiter und durchsuchte das ganze Revier, hin und zurück, nach rechts und links. Er erwartete jeden Augenblick das Schreckliche zu sehen, das er so fürchtete. Keines der anderen Nachttiere bemerkte seine Verzweiflung. Sie hatten sich alle versteckt. Als die Sonne aufging, fiel der Waldkauz vor Erschöpfung zur Erde. Und da, hoch oben im blassen Blau des Winterhimmels, schwebte der Turmfalke und sah ihn fallen.

Später an diesem Tag erkannte der Maulwurf, dem selbst die steinhart gefrorene Erde nie die Freude am Tunnelbau hatte nehmen können, daß die guten Zeiten angebrochen waren.

Da, wo kein Schnee mehr lag, war die Erde nach dem Wegtauen des Nachtfrostes wieder weich. Der Maulwurf hatte einen neuen Gang steil nach oben gegraben und steckte den Kopf ins Freie, seine rosa Schnauze zitterte vor Aufregung. Fast hätte ihn der Alte Hirsch, der gerade des Wegs kam, mit seinen Hufen zerquetscht.

Das riesige Tier blickte den winzigen samtenen kleinen Gesellen zu seinen Füßen an. »Oh, Entschuldigung«, sagte er. »Ich habe dich gar nicht gesehen. Ich suche nach deinem Freund, dem Fuchs. Ich habe gehört, daß gestern nacht die Menschen wieder im Park gewesen sind.«

»Ja, der Dachs hat es mir erzählt«, sagte der Maulwurf. »Und wir alle dachten, sie wären auf Nimmerwiedersehen

verschwunden.«

»Euer Anführer ist sehr tapfer, aber er denkt nicht genug an sich selbst. Es scheint, daß seine Bemühungen um uns ihn in Schwierigkeiten gebracht haben. Jetzt sind wir an der Reihe, ihm zu helfen. Daher mein Besuch.«

Der Maulwurf zeigte dem Alten Hirsch den Weg zum Fuchsbau und eilte, dem Dachs von seiner Begegnung zu erzählen.

Der Fuchs und die Füchsin waren nicht im Bau. Sie suchten nach Futter, denn nachts konnten sie ihren Unterschlupf nicht mehr verlassen. Also graste der Alte Hirsch, nachdem er sich von ihrer Abwesenheit überzeugt hatte, und vertrieb sich damit die Zeit bis zu ihrer Ankunft. Er hatte gerade das Maul voller Moos, als er sie kommen sah. »Ich grüße euch«, sagte er. »Ich bin gekommen, euch zu sagen, daß das ganze Rudel der Weißen Hirsche hinter euch steht, wenn ihr uns für eure neue Auseinandersetzung mit den Mordmenschen braucht.«

Der Fuchs hörte wohl den Unterton von Ironie heraus. »Leider ist daran nichts Neues«, entgegnete er. »Für mich sind sie immer eure wie auch meine Feinde gewesen.«

»Hast du dir schon überlegt, was du machen willst, falls sie zurückkommen sollten?«

»Oh, die kommen!« sagte der Fuchs. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie mit dem, was sie angerichtet haben, zufrieden sind. Der Turmfalke hat mir berichtet, daß zwei Füchse tot sind. Die Männer wissen genau, daß es noch viel mehr lebendige gibt.«

»Mein Vorschlag ist, jede Nacht in Deckung zu bleiben, bis sie es satt haben und nicht mehr kommen«, sagte die Füchsin. »Aber der Fuchs will ja nicht auf mich hören.«

»Einfach deshalb, weil wir dann nichts über ihre Absichten wissen«, erklärte dieser. »Wie lange würde es wohl dauern, bis sie uns bis in unseren Bau verfolgen? Und dann gäbe es kein Entkommen mehr.«

»Dann hast du also einen Plan?« fragte der Alte Hirsch. »Nur einen ganz armseligen, aber ich hoffe, er gelingt.«

»Ich bin ganz Ohr.«

»Um die Wahrheit zu sagen«, begann der Fuchs, »es ist gar kein richtiger Plan. Ich habe mir nur überlegt, wo im Hirschpark der sicherste Platz ist, zu dem man sich flüchten könnte. Da ist mir eingefallen, daß es einen Ort gibt, den diese Wilddiebe vielleicht meiden, und das ist der Garten des Wildhüters. Wenn wir uns da ansiedelten, könnten wir ihnen vielleicht entgehen.«

»Hmmm«, machte der Alte Hirsch und dachte nach. »Und was wird aus den anderen Füchsen im Park?«

»Im Augenblick gilt meine erste Sorge meiner Gefährtin und meinen Freunden«, erwiderte der Fuchs. »Aber man könnte ihnen natürlich Nachricht zukommen lassen, falls sie sich uns anschließen möchten.«

»Ich sehe da einige Probleme«, warnte der Alte Hirsch. »Die anderen Füchse denken nicht so wie du und deine Freunde. Ich könnte mir vorstellen, daß sie die Mäuse und Kaninchen eurer Gruppe als Frischfleischvorrat ansehen würden.«

»Die Wühlmäuse und Feldmäuse brauchen ihre Heimat ja nicht zu verlassen«, antwortete der Fuchs. »So kleine Happen wie die interessieren die Menschen nicht. Was aber die Kaninchen angeht, muß uns noch etwas einfallen.«

»Ich habe da eine Idee, die deinen Plan vielleicht überflüssig macht«, sagte der Alte Hirsch. »Nur wenn du willst, natürlich. Ein ganz einfacher Plan. Wenn die Menschen wiederkommen, um zu töten, dann befehle ich meinen Genossen, sich alle gemeinsam auf sie zu stürzen. Wenn diese geballte Streitmacht auf sie losgeht, glaube ich nicht, daß man sie noch lange überreden muß zu gehen.«

»Was ist, wenn sie mit ihren Pistolen auf die Hirsche schießen?« fragte der Fuchs.

»Darauf sind wir vorbereitet«, erwiderte der Alte Hirsch. »Das Risiko müssen wir eingehen. Wir wollen uns bei euch erkenntlich zeigen. Meiner Meinung nach stehen diese jämmerlichen Wesen nicht lange still, wenn sie uns auf sich zukommen sehen. Sie bekommen es mit einer erklecklichen Anzahl auf sie gerichteter Geweihe zu tun.«

Der Fuchs und die Füchsin mußten unwillkürlich lachen, als sie sich das Bild ausmalten. »Ich halte das für eine sehr gute und sehr großzügige Idee«, sagte die Füchsin.

»Das ist sie auch«, stimmte der Fuchs ihr zu. »Aber so etwas klappt nur einmal. Wenn sie danach immer noch weitermachen wollen, werden sie zuerst immer prüfen, wo das Rudel ist. Ihr könnt nicht den ganzen Park besetzen.«

»Dann müssen wir sichergehen, daß unser Angriff so schreckenerregend ist, daß sie nie wieder kommen möchten. Willst du es nicht wenigstens versuchen?«

»O doch.«

»Dann gehe ich jetzt und treffe meine Vorbereitungen.«

»Und ich sorge wieder für Wachen an der Parkgrenze wie schon einmal«, sagte der Fuchs. Er wandte sich an die Füchsin. »Was wohl aus dem Waldkauz geworden ist?«

Der Turmfalke wußte es. Er hatte den erschöpften Vogel auf der Erde gefunden. Der Kauz hatte nicht einmal mehr Kraft gehabt, auf einen Baum zu fliegen.

»Bin ich froh, daß du zurückgekommen bist«, sagte der Falke. »Es tut mir leid, daß es dir so schlecht geht.«

Zu schwach zum Antworten, konnte der Kauz gerade noch mit dem Kopf nicken.

»Ich muß mich bei dir entschuldigen«, fuhr der Turmfalke fort. »Der Fuchs hat darauf bestanden. Also, ich bin derjenige, der dir nicht ausgerichtet hat, daß die Flüge zum Abfallhaufen eingestellt würden. Es war ein böser Streich, und ich bedaure ihn sehr.«

Der Waldkauz zwinkerte ein paarmal und nickte. »Schon — ver — gessen«, brachte er mit Mühe heraus.

»Du brauchst etwas zu fressen, damit du wieder zu Kräften kommst«, meinte der Falke. »Ich will sehen, ob ich...«

»Nein«, entgegnete der Waldkauz. »Nur Ausruhen.«

»Aber du kannst doch nicht so auf der Erde liegenbleiben — da bist du ganz ungeschützt.«

»Kann — nicht — fliegen. Zu — schwach«, war die Antwort. »Ach so. Dann bewache ich dich, bis du dich erholt hast.« Hoch vom Himmel, wo er mühelos in den Aufwinden schwebte und unnachahmlich elegant seine Kreise zog, sah der Turmfalke den Maulwurf, den Alten Hirsch, den Fuchs und die Füchsin. Er fragte sich, was da los sein mochte. Nachdem er ein paarmal nachgesehen hatte, ob es dem Waldkauz wieder besser ging, ging er nieder, um mit dem Fuchs zu sprechen.

»Ich habe den Kauz gefunden«, sagte er. »Wo der wohl gewesen ist? Er ist vollkommen erschöpft.«

»Wo ist er?« fragte der Fuchs. »Ich brauche ihn heute abend.«

»Also ich weiß nicht, ob er im Augenblick zu etwas zu gebrauchen ist«, meinte der Turmfalke. »Was gibt es?«

Der Fuchs erläuterte ihm die Idee des Alten Hirsches. »Verstehe«, sagte dieser. »Ich bringe dich zum Waldkauz.« Der Anblick des Fuchses, der auf ihn zugelaufen kam, war für den Waldkauz die beste Medizin. Endlich wußte er, daß sein Freund lebte. Schwankend kam er auf die Füße und stand etwas wackelig da.

»Mein lieber Kauz«, sagte der Fuchs besorgt. »Was ist passiert? Du siehst fürchterlich aus.«

»Ist — schon — in Ordnung«, antwortete der Kauz. »Gott sei Dank, du lebst. Die Füchsin auch?«

»Ja, es geht ihr gut.«

»Das freut mich. Ich habe die Männer letzte Nacht gesehen — mit Pistolen. Ich wollte dich benachrichtigen — aber du weißt ja, wie ich bin, wenn man mich kränkt. Sicherlich hat dir der Dachs erzählt, daß er mich mit — ehem — also du weißt schon — fliegen gesehen hat«, kam es ein bißchen stockend.

»Ich weiß, ich weiß«, versicherte der Fuchs. »Ich frage dich auch nicht weiter aus. Niemand von uns. Aber du mußt dich jetzt gut ausruhen. Heute nacht brauche ich dich als Ausguck. Schaffst du das?«

»Bis dahin geht es mir wieder besser«, meinte der Waldkauz. »Ich glaube, ich kann schon jetzt wieder fliegen. Ich gehe nach Hause und schlafe mich richtig aus. Wo brauchst du mich?«

»An der gleichen Stelle wie letztes Mal. Unsere Freunde, die Hirsche, stellen ein kleines Empfangskomitee zusammen.«

Immer noch halb betäubt, nickte der Kauz und machte sich dann auf den Weg.

»Turmfalke«, sagte der Fuchs, »ich verlasse mich auf dich, daß alle auf ihren Plätzen am Zaun sind. Wenn es dämmert, müssen sie in Stellung sein.«

»Dein Wunsch ist mir Befehl.«

»Also gut. Heute nacht will ich zur Abwechslung einmal im Hintergrund bleiben.«

Der Fuchs hatte mit seiner Ansicht, daß die Wilddiebe weiter auf Rache sannen, nur zu recht gehabt. Dieses Mal wurden sie schon am frühen Abend ausgemacht, und die Botschaft wurde die Meldekette entlang zum Alten Hirsch weitergegeben, der schnell sein Rudel antreten ließ. Jetzt mußten sich der Fuchs, die Füchsin, der Dachs und das Wiesel vor den Männern verstecken. Zusammen mit dem Hasen und den Vögeln beschlossen sie, die Ereignisse vom Tiefen Grund aus zu verfolgen, von wo sie, wenn nötig, schnell in ihre Behausungen entkommen konnten.

Die Wilddiebe schienen sehr schlechter Laune zu sein. Bei der geringsten Bewegung knallten sie drauflos, und mit jedem Schuß erschauerten die Tiere aus dem Farthing-Wald bei dem Gedanken an das Schicksal eines der unschuldigen Nachttiere.

Schritt für Schritt durchkämmten die Männer den Park. Schritt für Schritt verringerte sich auch der Abstand zwischen ihnen und dem Hirschrudel. Aufgeregt warteten die Hirsche. Stillstehen bei herannahender Gefahr war nicht ihre Sache. Einige fraßen nervös Moos, andere warfen den Kopf zurück und wedelten mit ihren kurzen Schwänzen. Unbeweglich stand der Alte Hirsch vor ihnen.

Hinter einer Baumreihe gut verborgen, sahen sie, wie die Männer sich näherten. Der Alte Hirsch kniff die Augen zusammen und wartete auf den richtigen Augenblick. Die Männer ahnten nichts. Dann warf er seinen Kopf zurück und röhrte seinen Brunftschrei. Das Rudel brach durch die Büsche und brauste auf die Wilddiebe zu. Erschreckt blickten die Männer hoch, als die weiße Masse mit donnernden Hufen auf sie zugaloppiert kam, ein Wald von Geweihen war gesenkt und direkt auf sie gerichtet. Sie schrien auf, drehten sich um und liefen um ihr Leben. Zum Stehen und Anlegen fanden sie keine Zeit, sie konnten nur laufen, laufen, so schnell es ging, weg von der Woge weißer Leiber, die sie einzuholen drohte.

Als sie sich dem Parkzaun näherten, wurden die Hirsche langsamer und zogen im großen Kreis zurück über die Lichtung, der Alte Hirsch immer voran. Die Männer waren verschwunden.

Aus dem Tiefen Grund waren aufgeregte Stimmen zu hören.

»Hat es geklappt? Sind sie weg?« fragte der Hase.

Der Waldkauz flog auf Erkundung. »Ja, sie sind weg«, gab er Nachricht.

»Und dieses Mal für immer!« meinte der Dachs.

»Wie kannst du da so sicher sein?« wollte das Wiesel wissen. »Das haben wir alle schon einmal gedacht.«

»Sie sind nun zweimal von den Tieren besiegt worden«, sagte der Dachs. »Ob sie sich ein drittes Mal mit ihnen einlassen?«

»Nur wenn sie sicher sind, daß sie gewinnen«, meinte der Waldkauz nachdenklich.

Der Fuchs blickte ihn an. »Dafür haben wir dann ja immer noch meinen Plan in Reserve«, sagte er.

 

Was die Tiere im Park erlebten
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