Der Dachs rechnete so sehr mit der Gerissenheit des Fuchses, daß er auf dem Weg immer zuversichtlicher wurde. Für ihn bestand kein Zweifel, daß der Fuchs seine Gegner, wenn er nur die Chance dazu hatte, überlisten würde. Der Dachs konnte sich einfach nicht vorstellen, daß der scheußliche Narbige es schaffen würde, seinen Clan dazu zu bringen, den Fuchs kaltblütig zu ermorden. Er ging normalerweise hinterlistiger vor — ein überraschender Angriff auf das nichtsahnende Opfer. Er erinnerte sich, wie er und der Waldkauz vor dem Bau des Fuchses die Pläne des Narbigen vereitelt und sich dabei sicherlich dessen ewige Feindschaft zugezogen hatten. Aber Angst hatte er nicht. Wie alle Tiere aus dem Farthing-Wald war der Dachs daran gewöhnt, auf der Hut zu sein — das war in der alten Heimat, wo weitaus größere Gefahren gedroht hatten, lebenswichtig gewesen. Daher überraschte ihn die Szene, die er vorfand.

Unter einer allein stehenden Kiefer, auf der der Waldkauz und der Turmfalke hockten, saß ein äußerst gelassen wirkender Fuchs. Etwa zwei Meter entfernt ihm gegenüber befanden sich der Narbige und all seine Anhänger. Sie standen bewegungslos. Und in der Mitte zwischen den beiden Gruppen stand niemand anderer als der Alte Hirsch, der Anführer des Hirschrudels, nach dem man das Naturschutzgebiet benannt hatte. Er schien seine Worte an beide Parteien zu richten. Niemand bemerkte die Ankunft des Dachses, also setzte der sich in einiger Entfernung nieder, jedoch nahe genug, daß er hören konnte, was der Alte Hirsch sagte...

»Ich meine, alle Bewohner des Naturschutzgebietes schulden den Tieren aus dem Farthing-Wald Dank. Im vergangenen Winter stellten die Wilddiebe, die Mitglieder meines Rudels getötet haben, eine Gefahr für alle Tiere dar, nicht nur für uns Hirsche, und wir verdanken es dem Fuchs und seiner Tapferkeit und Schläue, daß der Park schließlich von ihnen befreit wurde.«

»Aber einige Mitglieder meines Clans wurden getötet«, knurrte der Narbige.

»Auch wir haben Verluste erlitten«, erinnerte ihn der Alte Hirsch. »Und der Blutzoll wäre noch viel höher gewesen, wenn man diesen Menschen nicht Einhalt geboten hätte.« Der Narbige schwieg. Kein Tier durfte es wagen, dem Alten Hirsch zu widersprechen. Nachdenklich saßen die anderen Füchse da, so als ob sie das Gehörte erst verdauen müßten. Der Dachs lief zu seinen Freunden unter der Kiefer.

»Hm — ich glaube, wir sollten am besten das Feld räumen«, flüsterte er dem Fuchs zu und begrüßte dann den Alten Hirsch. Der Fuchs nickte, und die beiden setzten sich ohne ein weiteres Wort in Marsch. Die beiden Vögel warteten noch ein wenig, bevor sie ihnen folgten. Der Alte Hirsch hielt nun ebenfalls die Zeit für gekommen, die Bühne zu verlassen.

Der Dachs drehte sich nur einmal um, als er und der Fuchs schweigend ihren Weg entlangliefen. Der Narbige hatte sich nicht vom Fleck gerührt, sein Gesicht trug einen fast verwunderten Ausdruck. Er schien zu wissen, daß man ihn irgendwie überlistet hatte, ohne jedoch zu begreifen, wie ihm das hatte passieren können. Alle seine Anhänger beobachteten ihn neugierig und schienen auf eine Reaktion von ihm zu warten. Inzwischen hatten der Dachs und der Fuchs einen sicheren Abstand zwischen sich und die anderen gelegt.

»Uff«, sagte der Dachs schließlich, »der Alte Hirsch ist der Held des Tages. Wieso hat er sich eigentlich eingemischt?«

»Das war mehr Glück als Verstand«, sagte der Fuchs. »Es war geradezu unheimlich, wie er so plötzlich aus dem Nichts auftauchte.«

»Hat ihn vielleicht der Turmfalke geholt?«

»Nein. Die Vögel schienen von seinem Auftauchen genauso überrascht wie alle anderen.«

»Dahinter muß mehr stecken«, meinte der Dachs und setzte nachdenklich seinen Weg fort. Eine ganze Weile wurde zu diesem Thema nichts mehr gesagt.

Ihre Freunde hatten alle das frühere Versteck verlassen, und da sich der Fuchs natürlich immer noch Sorgen um seine Familie machte, flogen der Waldkauz und der Turmfalke zur Füchsin, um zu berichten, daß er in Sicherheit sei. Fuchs und Dachs durchschwammen wieder den Bach, und erst auf der anderen Seite fühlten sie Erleichterung. Auf ihrem Weg durch das lange Gras richtete sich vor ihnen eine wohlbekannte Gestalt auf. Es war die Kreuzotter.

Sie trug eine selbstzufriedene Miene zur Schau, was der mit sich selbst zu sehr beschäftigte Fuchs gar nicht wahrnahm. Nur dem Dachs fiel es auf. »Aha«, sagte er, »hier finde ich wohl das fehlende Glied in der Kette der Ereignisse?«

Der Fuchs war noch immer nicht im Bilde, als die Schlange ihren bekannt boshaften Blick auf den Dachs richtete. »Wie nett, euch beide zu sehen«, zischelte sie ausdruckslos. »Das entwickelt sich ja zu einer richtigen Parade. An mir ist inzwischen fast die gesamte Farthing-Wald-Gruppe vorbeigezogen.«

»Ach, wirklich?« meinte der Dachs. »Mir ist bekannt, daß die Hirsche oft oben am Bach zur Tränke gehen. Hast du sie vielleicht heute ganz zufällig getroffen?«

»So ist das also!« rief der Fuchs, dem langsam ein Licht aufging. »Du bist dafür verantwortlich, Kreuzotter!«

»Ich? Ich bin ganz unschuldig«, meinte die Schlange mit gespielter Gleichgültigkeit. »Ich habe oft den Eindruck, daß wir Schlangen ganz unverdient in dem Geruch stehen, zu wenig gerissen zu sein.«

»Nein, lieber Freund, bei dir gibt es kein Zuwenig«, meinte der Fuchs, »außer daß auch du dich natürlich den Gegebenheiten anpassen mußt.«

Bei der Anspielung mußte der Dachs lachen, während die Kreuzotter nur noch stärker zischelte.

»Ich stehe wieder einmal in deiner Schuld«, sagte der Fuchs. »Aus meiner letzten Begegnung wird sich leider ergeben, daß wir alle in Zukunft noch vorsichtiger sein müssen.«

»Ich glaube, ein junger Fuchs hat heute jedenfalls seine Lektion gelernt«, warf der Dachs ein.

»Das hat er sicher«, stimmte der Fuchs zu. »Wenn ich ihn sehe, brauche ich dieses Thema wohl kaum noch zu berühren.«

Die Kreuzotter wollte sich davonschlängeln.

»Bevor du gehst, Kreuzotter«, rief ihr der Fuchs nach, »sag, wo wir dich finden können, wenn wir dich noch einmal brauchen?«

»Ich bin immer in Reichweite«, war die etwas rätselhafte Antwort. Und der Fuchs wußte, mehr würde er nicht aus ihr herausbekommen.

»Also hat sie den Alten Hirsch getroffen und ihn in das Revier des Narbigen geschickt«, sagte der Dachs, als sie ihren Weg fortsetzten.

»Ja. Sie mag es nun einmal nicht, wenn man sie für zuverlässig hält. Aber genau das ist sie!«

Es dauerte nun nicht mehr lange, und die Tiere hatten ihr Zuhause erreicht. Der Dachs zog sich in seinen Bau zurück, der Fuchs gesellte sich zu seiner Familie. Der äußerst geknickte Kühne begrüßte ihn zuerst. Der Fuchs sagte nur einen Satz:

»Ein bißchen zuviel und zu früh, junger Herr.«

 

Was die Tiere im Park erlebten
titlepage.xhtml
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_000.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_001.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_002.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_003.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_004.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_005.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_006.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_007.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_008.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_009.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_010.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_011.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_012.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_013.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_014.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_015.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_016.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_017.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_018.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_019.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_020.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_021.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_022.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_023.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_024.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_025.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_026.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_027.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_028.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_029.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_030.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_031.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_032.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_033.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_034.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_035.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_036.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_037.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_038.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_039.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_040.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_041.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_042.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_043.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_044.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_045.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_046.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_047.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_048.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_049.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_050.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_051.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_052.html
Was_die_Tiere_im_Park_erlebten_split_053.html