Der Dachs war glücklich, daß der Fuchs wieder als einfallsreicher Anführer ihrer aller Geschick lenkte, und der Pfeifer verschwieg bescheiden, daß die Idee, die toten Hühner zu stehlen, von ihm stammte.

»Auch ich habe etwas Interessantes entdeckt«, verkündete nun der Dachs.

»Ach ja, deine Entdeckung«, murmelte der Turmfalke. »Was ist es denn?«

»Ich hoffe, es ist von Wert für unsere kleineren Freunde«, sagte der Fuchs. »Wir dürfen nicht vergessen, daß wir für sie immer noch nichts haben. Darum habe ich auch nicht die Richtung zum Park eingeschlagen.«

»Los, kommt mit und seht euch das an!« rief der Dachs ganz aufgeregt. »Da liegt alles, was wir brauchen.«

»Wie weit ist es?« wollte der Fuchs wissen. »Ich bin ziemlich erschöpft.«

»Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie oft du über den Zaun gesprungen bist — ganz zu schweigen von dem Weg hierher. Aber es ist nur ein kleines Stück die Straße hinunter. Den größten Teil der Strecke haben wir schon geschafft.«

»Nimm du doch die anderen mit und zeige ihnen, was sie nehmen sollen«, schlug der Fuchs vor. »Ich warte hier, verschnaufe und passe auf die Hühner auf.«

Also ging der Dachs, begleitet von den drei Vögeln, weiter die Straße hinunter, wo sich ein kleiner Laden befand. Auf der Rückseite des Ladens lagen in einem Hinterhof Kartons, Schachteln und viel weggeworfene Sachen. Darunter war genug Grünfutter für alle Hasen und Kaninchen, Tüten mit Nüssen, die von Weihnachten übriggeblieben waren, und sogar Hirsebüschel als Vogelfutter. Der Dachs wollte diese den Wühlmäusen und den Feldmäusen übergeben, — während sich die Eichhörnchen, wie er annahm, sicher über die Nüsse freuen würden.

Wie erstaunt wären wohl die Menschen gewesen, wenn sie zu dieser Stunde nicht geschlafen, sondern die kleine Prozession der Vögel gesehen hätten: einen Falken, einen Kauz und einen Reiher, die in den Schnäbeln ihre Gaben zum Naturschutzgebiet zurückflogen. Der Turmfalke führte mit den Hirsezweigen in seinem gebogenen Schnabel die Truppe an, dann folgte der Waldkauz, ein bißchen überladen, mit den Nußtüten — eine in seinem Schnabel, die anderen in den Klauen — , und den Schluß machte der Pfeifer, der in seinem riesigen Schnabel Kohlblätter und anderes Grünzeug schleppte.

Der Dachs schickte sie auf den Weg und kehrte dann zum Fuchs zurück. »Ich dachte, du hättest dir inzwischen ein paar Bissen gegönnt«, sagte er und meinte die Hühner. »Nur, um bei Kräften zu bleiben.«

»Nein«, erwiderte der Fuchs. »Wir verspeisen sie genüßlich, wenn wir im Park sind. Du und ich, die Füchslein und das Wiesel. Und natürlich der Kauz und der Falke, obwohl ich glaube, daß der Pfeifer lieber Fisch mag. Zuerst aber müssen wir den weiten Weg hinter uns bringen.«

Es fing schon an zu dämmern, als sie auf der Straße zurücktrotteten. Jetzt trug der Fuchs das größere Huhn im Maul. Sie kamen am Garten und dann an den beiden toten Füchsen vorbei, deren steifgefrorene Körper an der Stelle im Schnee lagen, wo sie umgefallen waren. Der Schnee war von ihrem Blut gerötet.

»Rechtmäßig gehören diese Hühner ihnen«, murmelte der Fuchs und blieb stehen. »Es hätte die Füchsin und mich treffen können.« Dann setzten sie ihren Weg fort, übersprangen den Graben und kehrten in den Park zurück.

Der Morgen war nah, als sie nach vielen Aufenthalten — sie mußten die Beute öfters ablegen und sich ausruhen - den Dachsbau erreichten.

»Willst du bei mir essen, oder soll ich zu dir und der Füchsin kommen?« fragte der Dachs.

»Wie du möchtest«, sagte der Fuchs erschöpft.

»Dann schlage ich meinen Bau vor«, sagte der Dachs, der wußte, daß es bei ihm viel gemütlicher war als im spartanischen Heim der Füchse.

»Zuerst muß ich noch ein Nickerchen machen«, erklärte der Fuchs kategorisch. »Ich helfe dir, die Beute hineinzutragen, und komme später mit der Füchsin zurück.«

»Ich bin auch müde«, meinte der Dachs, als sie die Hühner an einen sicheren Platz gebracht hatten. »Aber es war doch der Mühe wert.«

»Ganz ohne Zweifel«, stimmte der Fuchs zu.

Später an diesem Tag kamen der Fuchs, der Dachs, die Füchsin, das Wiesel, der Waldkauz und der Turmfalke im Dachsbau zusammen. Es war genug für alle da, und jeder von ihnen hatte das Gefühl, seit langer Zeit zum ersten Mal wieder eine richtige Mahlzeit zu sich genommen zu haben. Der Turmfalke erzählte, daß er, der Kauz und der Pfeifer noch ein paarmal zur Müllkippe zurückgeflogen seien und daß alle Tiere genug zu fressen bekommen hätten und nun guter Dinge wären.

»Ich glaube wirklich, daß der Genieblitz des Dachses unser aller Rettung sein könnte«, meinte der Fuchs optimistisch. Die Füchsin warf ihrem Gefährten einen liebevollen Blick zu. Sie hatte von seinem Mut und seiner Gerissenheit gehört und war noch stolzer auf ihn als zuvor.

»Es hat wirklich den Anschein, als ob der Aufenthalt des Dachses bei den Menschen ihn auf brauchbare Gedanken gebracht hat«, bemerkte der Waldkauz.

»Der Kauz und ich und der Reiher wollen jetzt regelmäßig hinfliegen und noch mehr Futter holen«, sagte der Turmfalke. »Mit ein bißchen Glück erlebt unsere zusammengeschrumpfte Mannschaft den Frühling doch noch.«

»Aber was soll aus uns anderen werden?« fragte das Wiesel. »Woher soll das Futter für die Fleischfresser kommen? Die winzigen Leiber erfrorener Vögel, die wir manchmal finden, sind doch nichts Richtiges.«

Alle schwiegen, denn mit diesem Problem hatte sich noch niemand richtig befaßt. Dem Dachs fielen die Ratten der Katze ein, aber es war wohl besser, den Mund zu halten. »Wir können nicht noch einmal den Hühnerstall überfallen«, sagte der Fuchs. »Das wäre reiner Selbstmord.«

»Gab es denn kein Fleisch unter dem weggeworfenen Fressen?« fragte die Füchsin.

»Ich gebe zu, danach habe ich mich nicht umgesehen«, antwortete der Turmfalke. »Aber das können wir leicht nachholen.«

»Kauz, würdest du das vielleicht morgen nacht überprüfen?« schlug der Fuchs vor.

»Vielleicht ja, vielleicht auch nein«, war die mürrische Antwort. »Könnte ja sein, daß ich andere Pläne habe.«

»Keine Sorge, ich gehe schon«, sagte der Turmfalke verächtlich. »Ich kann bei Tag fliegen. Niemand wird einem in der Luft schwebenden Falken Beachtung schenken.«

»Habe ich etwa gesagt, daß ich nicht will«, fuhr ihn der Waldkauz an. »Wenn du nicht so voreilig gewesen wärst, hätte ich mich schon angeboten.«

»Du kannst es ja nur nicht vertragen, wenn man etwas von dir fordert«, murmelte der Turmfalke. »Du aufgeblasener, alter...«

Ein schauerlicher Schrei vor dem Bau unterbrach ihn.

»Was um Himmels willen ist das?« rief er.

»Hast du noch nie einen Hasen schreien hören, den es erwischt hat?« fragte das Wiesel.

»Ein Hasel« riefen alle, und der Fuchs und der Dachs rasten zum Ausgang. Die anderen hinterher. Draußen rochen sie Blut, und der Fuchs hielt die Nase in die scharfe, eisige Luft. »Dorthin!« rief er. Ein Stück weiter fanden sie einen Blutfleck im Schnee und eine Blutspur. Sie gingen ihr nach, und schließlich fanden sie, was sie suchten. Unter einem Stechpalmenbusch machte sich ein Hermelin an dem schlaffen Körper eines jungen Hasen zu schaffen. Erschreckt blickte es auf, als die Gruppe sich näherte, schnappte schnell seine Beute und wollte sich davonmachen.

»Du brauchst nicht wegzulaufen«, sagte der Fuchs. »Wenn das einer unserer Freunde war, den du getötet hast, ist es sowieso zu spät. Und wenn nicht: wir brauchen kein Fressen.«

»Ich glaube, es ist ein Junghase aus unserer Hasenfamilie«, meinte das Wiesel.

»Auch ich muß fressen«, verteidigte sich das Hermelin mit unnatürlich schriller Stimme. »Ich jage, was ich bekomme. Ich wollte niemandem wehtun.«

»Das ist das Gesetz der Wildnis«, antwortete der Dachs. »Keine Angst, wir tun dir nichts.« Er wandte sich zu den anderen. »Ich habe diesen Burschen schon einmal getroffen«, erklärte er. »Auch er hat, wie wir, Mühe, am Leben zu bleiben.«

»Natürlich«, sagte der Fuchs. »Gerade wir haben keinen Grund, ihn anzuklagen.«

»Ach, es ist eine schreckliche Welt«, murmelte die Füchsin. »Unser kleiner Freund hier glaubte, er wäre in Sicherheit, und fand dann dieses Ende.«

Das Hermelin blickte von einem zum anderen, es war sich noch immer nicht sicher, was es tun sollte. Am liebsten wäre es geflohen.

»Ich sehe da keinen Unterschied«, sagte der Waldkauz wegwerfend. »Genausogut hätte der Winter ihn töten können.«

»Für die meisten von uns hat jede Heimat ihre Gefahren«, bemerkte der Fuchs. »Damit müssen wir nun einmal leben. Und doch, mein Freund, wünschte ich«, fuhr er fort und blickte das Hermelin an, »du hättest woanders gejagt.« Jetzt fühlte sich das Hermelin sicher und wurde kühn. »Und ihr Füchse — jagt ihr etwa nicht? Wohin geht denn ihr, wenn ihr Futter braucht?«

»Ja, ja, du hast recht, wir jagen überall — genau wie du.«

»Einen solchen Winter habe ich noch nie erlebt«, seufzte das Hermelin. »Meine Gefährtin ist schon tot. Und an eurer Magerkeit sehe ich, daß ihr genauso leidet. Nur der Dachs scheint mir wohlgenährt.«

Etwas unbehaglich wetzte der Dachs hin und her.

»Ja natürlich! Dich habe ich doch schon einmal gesehen«, rief das Hermelin. »Damals warst du nicht so dick. Du hast wohl mehr Glück gehabt als wir anderen.«

»Wenn eine böse Verletzung Glück genannt werden kann, dann hast du recht«, erwiderte der Dachs geheimnisvoll. Das Hermelin blickte verständnislos in die Runde.

»Der Wildhüter hat ihn gefunden und gepflegt«, erklärte das Wiesel.

»Eine Art Zunahmediät«, fügte der Waldkauz boshaft hinzu. »Schon gut, schon gut«, rief der Dachs. »Darf ich das denn niemals vergessen? Wäre es euch lieber gewesen, wenn ihr mich steifgefroren und tot aufgefunden hättet?«

»Rede keinen Unsinn, Dachs«, fuhr ihn der Waldkauz an. »Niemand hat sich mehr über deine Wiederherstellung gefreut als ich.«

»Wie lange muß ich dann noch deine Sticheleien ertragen?« fragte der Dachs irritiert.

»Du liebe Güte«, lächelte das Hermelin. »Das scheint ja zwischen euch ein richtiger Zankapfel zu sein.«

»Lassen wir es dabei«, schlug der Fuchs vor, »und lassen wir unseren Freund in Ruhe fressen. Ich hoffe nur, daß der Hase nicht in der Nähe ist und mitbekommen hat, was ich gesagt habe. Er würde mir nie verzeihen.«

»Und ich werde mich in Zukunft bemühen, diese Gegend zu meiden«, versprach das Hermelin. »Ihr seid mehr als nett zu mir gewesen.«

»Leben und leben lassen«, entgegnete der Fuchs. »Schließlich gehört der Park uns allen.«

Sie brachen auf und zerstreuten sich in alle Richtungen. »Hm, das war ja ein richtig philosophischer Abend«, meinte der Waldkauz bei sich, als er geräuschlos zu seinem Nest flog.

 

Was die Tiere im Park erlebten
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