Der Fuchs und die Füchsin waren stolz auf den Ausgang des Treffens ihrer Jungen mit der Kreuzotter, und der Fuchs verbreitete in Windeseile die gute Nachricht, daß die Schlange bereit sei, den Narbigen zu töten. Einige der Tiere atmeten erleichtert auf, andere waren überrascht, daß der noch nicht voll erwachsene Kühne es so schnell geschafft haben sollte, der schlauen Kreuzotter etwas einzureden. Der Waldkauz meinte: »Sie ist also darauf hereingefallen? Alle Achtung! Es ist wirklich nicht leicht, diesen alten Schuft hinters Licht zu führen.«

Vor allem der Hase war zufrieden. »Ich warte voll Ungeduld, daß es passiert«, sagte er zum Fuchs. »Dann können sich Tiere wie die Kaninchen und wir, die besonders gefährdet sind, wieder einigermaßen sicher fühlen.«

Als letzter hörte der Dachs davon, und trotz der Erleichterung, die auch er verspürte, machte er sich doch Sorgen, was danach kommen würde. »Ich hoffe nur, daß du mit deiner Annahme, die anderen Füchse würden wenig Lust zu Angriffshandlungen verspüren, recht hast«, meinte er seinem Freund gegenüber. »Wenn sie danach beschließen sollten, sich gegen uns zusammenzutun, könnte es viele Tote geben.«

»Mach dir keine Sorgen«, sagte der Fuchs ruhig. »Sie haben keinen Anführer. Wenn der Narbige aus dem Weg geräumt ist, haben sie niemand, der sie lenkt. Er duldet keine Rivalen in seinem Revier, also hat er auch keinen Nachfolger herangezogen.«

»Wann will die Kreuzotter zuschlagen?«

»Wer kann das sagen, Dachs? Sie muß auf die richtige Gelegenheit warten.«

»Und wann haben wir die Nachricht?«

»Dann, wenn die Kreuzotter einen von uns getroffen hat«, sagte der Fuchs. »Wenn nicht der Turmfalke etwas sieht. Ich weiß, daß er vorhat, alle Bewegungen des Narbigen scharf zu überwachen.«

»Ach, wenn doch nur erst alles vorbei wäre«, seufzte der Dachs. »In letzter Zeit haben wir mit der Angst leben müssen. Wie schön, wenn wir erst wieder frei herumstreifen können, ohne überall Gefahren zu fürchten.«

Aber die Dinge spielten sich nicht so ab, wie alle es erwarteten. Es vergingen einige Tage, bis sie alle wußten, was sich wirklich ergeben hatte. Die Kette der Ereignisse, die zur Aufdeckung der Wahrheit führte, fing damit an, daß der Pfeifer beschloß, am Bach weiter oben als sonst zu fischen.

Er und seine Gefährtin hatten geduldig im seichten Wasser des Grenzbaches gestanden und nach Beute Ausschau gehalten. Aus dem Augenwinkel bemerkte der Pfeifer eine Bewegung am Ufer. Er blickte auf. Es war ein junger Fuchs, den er noch nie gesehen hatte. Er wollte auf die Wasserratten Jagd machen, und obwohl er das auf der »falschen« Seite tat, schien seine Jagd doch harmlos (außer vielleicht den Wasserratten), und der Pfeifer wandte sich wieder den Fischen zu. Das nahm ihn vollkommen in Anspruch, bis er und seine Gefährtin schließlich eine ausgiebige Mahlzeit beisammen hatten. Als sie satt waren, sah sich der Pfeifer nach dem Fremdling um. Er bemerkte ihn etwas weiter entfernt, und immer noch schien er ganz unschuldig umherzustreifen. Es überraschte den Reiher, daß der Fuchs plötzlich zusammenzuckte und einen lauten Schreckensschrei ausstieß. Er behielt den Fuchs noch etwas länger im Auge, aber weiter geschah nichts, also vergaß er den Zwischenfall, legte seine Beine bequem unter sich zusammen und setzte sich mit seiner Gefährtin zu einem Nickerchen hin.

Als sie aufwachten, ging gerade die Sonne unter. In der Nähe konnten sie eine Reihe von Klageschreien hören, einer durchdringender als der andere. Der Pfeifer konnte nicht sofort erkennen, von wem sie kamen, brachte sie aber schließlich mit dem Fuchs von vorhin in Verbindung.

»Ob er Schmerzen hat?« fragte seine Gefährtin.

»Es hört sich genauso an«, sagte der Pfeifer. »Ich werde nachsehen.«

Er fand einen schwankenden Fuchs vor, der nicht mehr zu wissen schien, wo rechts und links war. Sein Atem ging in lauten Stößen, und dann gaben seine Beine plötzlich unter ihm nach, und er fiel auf die Seite. Er wollte wieder hochkommen, aber sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt und war schließlich ganz gelähmt. Sofort wußte der Pfeifer, warum. Die Kreuzotter hatte das falsche Tier gebissen.

Der Fuchs war nicht mehr zu retten. Sein Ende nahte. Einen Augenblick lang fragte sich der Pfeifer, was er tun sollte, aber auf der anderen Seite des Baches tauchten in der Abenddämmerung andere Füchse auf, die von den Schreien des sterbenden Tieres alarmiert worden waren. Sie riefen ihn an, und er antwortete mit schwacher Stimme. Nun wußte der Pfeifer, welche Gefahr drohte.

Für die Kreuzotter fürchtete er nichts, die hatte sich längst verzogen. Aber wenn der Fuchs die Schlange erkannt hatte, die ihn angegriffen hatte, dann würde seine Familie bald davon wissen. Und der Narbige würde das nicht ruhig hinnehmen.

Der Pfeifer wußte, was er nun zu tun hatte. Schnell flog er zu seiner Gefährtin zurück.

»Es ist schief gelaufen«, sagte er. »Die Kreuzotter hat einen fürchterlichen Fehler gemacht. Wir müssen unsere Freunde warnen, daß der Narbige immer noch lebt und daß sie den falschen Fuchs getötet hat. Suche alle auf, die du finden kannst, und gib die Nachricht weiter. Ich fliege in diese Richtung. Wir müssen schnell handeln. Der Himmel weiß, was passiert, wenn der Narbige das Furchtbare ahnt.«

Während die beiden Reiher sich auf die Suche nach den Farthing-Wald-Tieren machten, kam der Narbige zum Bach, als der vergiftete Fuchs eben starb. Die anderen, die den Bach überquert hatten, ahnten nichts von der Bedeutung dieses Todes. Ihr Verwandter hatte eine Schlange gestört und dafür bezahlen müssen. Aber der hartgesottene Veteran ihres Rudels war ganz anderer Meinung. Er beschnüffelte den Toten genau und suchte nach Anhaltspunkten. Dann setzte er sich und blickte seine Anhänger an. »Ein ungewöhnliches Zusammentreffen«, meinte er, aber niemand antwortete. Er blickte von einem zum anderen. »In Zukunft seid lieber vorsichtig. Um Schlangen sollte man einen Bogen machen, wenn man nicht der Stärkere ist. Ich habe zu meiner Zeit eine ganze Reihe getötet. Ja, und sie auch gefressen. Hat jemand diese Schlange hier gesehen?«

Sie schüttelten den Kopf.

»Hier in dieser Gegend sieht man immer nur eine Schlange«, sagte der schlaue Narbige. »Wenn einer von euch sie erblickt, möge er mir Nachricht geben.« Dann wandte er sich um und schwamm über den Bach zurück. Der Pfeifer flog geradenwegs zum Fuchs und rief ihn aus seinem Bau. Als der Fuchs alles gehört hatte, sah er grimmig drein. »Was um Himmels willen hat die Kreuzotter da gemacht?« sagte er. »Dies ist nicht der Augenblick für dumme Streiche. Jetzt sitzen wir alle in der Patsche.«

»Sollte sie jenes Tier mit dem Narbigen verwechselt haben?« fragte der Pfeifer.

»Nicht die Kreuzotter!« war die entschiedene Antwort. »Den Narbigen kann man nicht verwechseln. Ich werde mir unseren Freund einmal vornehmen müssen, wenn er kommt und berichten will. In der Zwischenzeit wollen wir Wachen aufstellen für den Fall, daß wir angegriffen werden. Flieg du weiter und warne Kaninchen und Hasen, damit sie sich gut verstecken.«

Der Fuchs eilte, mußte den Dachs, das Wiesel und den Waldkauz auftreiben, dann stellten er und die Füchsin sich an verschiedenen Stellen auf und blieben da die Dunkelheit über. Nach einer ruhigen Nacht gingen sie im Morgengrauen auseinander, nur der Fuchs blieb über der Erde und wartete auf die Kreuzotter. Hoch über dem fremden Revier wachte der Turmfalke über sie alle.

Der Morgen zog sich in die Länge. Im Fuchsbau fürchtete der Kühne das Auftauchen der Kreuzotter. Wenn man die Schlange beschuldigte, neue Gefahren heraufbeschworen zu haben, würde sie sicher nicht zögern, die Schuld auf ihn abzuwälzen. Die Füchsin bemerkte seine Nervosität, und dem Friedfertigen war sie noch deutlicher anzusehen. Aber die Füchsin war klug genug, den Mund zu halten, bis die Jungen von selbst den Mund aufmachen würden.

Am frühen Nachmittag näherte sich die Schlange dem Fuchsbau. Sie sah, wie der Fuchs mit dem Kopf auf den Pfoten in der warmen Sonne döste, rollte sich still neben ihm ein und wartete. Als er aufwachte, hatte die Kreuzotter eine richtig selbstgefällige und zufriedene Miene aufgesetzt.

»Ich weiß gar nicht, warum du so wohlgelaunt bist«, knurrte der Fuchs. »Wir haben durch den Pfeifer von deinen Taten gehört. Ich finde, du hast dich ganz und gar unverantwortlich benommen.«

Die Kreuzotter erstarrte, aber wie immer verriet sie von ihren Gefühlen nichts. »Es steht dir frei, das zu finden«, zischte sie leise. »Mir ist das vollkommen egal.«

Der Fuchs blickte sie böse an. »Wirklich, Kreuzotter, ich hatte dir mehr Vernunft zugetraut. Als ob die Situation nicht schon schlimm genug wäre...«

»Ehern — von welcher Situation sprichst du?« fragte sie kühl.

»Hör auf, um den heißen Brei herumzureden. Ich spreche von der Feindschaft zwischen uns und den Anhängern des Narbigen.«

»Es scheint so, als ob ich mein Leben für nichts und wieder nichts aufs Spiel gesetzt hätte«, bemerkte die Schlange. »Ich habe die Untat gerächt, aber ich hätte wohl besser gar nichts unternehmen sollen, oder?«

Der Fuchs wurde ein wenig milder gestimmt, denn man mußte zugeben, daß die Kreuzotter wirklich viel riskiert hatte. »Warum hast du nur so hastig gehandelt? Hätte es dir denn soviel ausgemacht, noch ein paar Tage länger auf den Richtigen zu warten?«

»Den Richtigen?« wollte die Schlange wissen. »Da komme ich nicht ganz mit.«

»Willst du damit sagen, daß du nicht gewußt hast, daß der Narbige gemeint war?« fragte der Fuchs ärgerlich.

»Aha, ich fange an zu verstehen«, sagte die Schlange. »Leider muß ich dir deine Illusionen rauben. Keiner deiner — ehem — Botschafter hat den Narbigen erwähnt.«

»WAS!« explodierte der Fuchs so laut, daß der Kühne es drinnen im Bau hören konnte.

»Mir wurde nur angedeutet, daß ich den Tod der Gefährtin des Hasen rächen sollte — was ich auch getan habe«, erklärte die Schlange. »Leider war mir die Tatsache, wie wichtig es gewesen wäre, den Narbigen selbst zu töten, nicht bewußt.«

»Aber darum ging es ja gerade!« meinte der Fuchs müde. »Wir hatten beschlossen, ihn auszuschalten, weil er die einzige wirkliche Bedrohung unserer Sicherheit darstellt. Ich Weiß genau, keiner seiner Anhänger wäre auf den Gedanken gekommen, uns für seinen Tod verantwortlich zu machen. Es scheint, daß wir uns völlig mißverstanden haben.«

»Das scheint mir auch so«, sagte die Kreuzotter. »Vielleicht hättest du deine Sprößlinge etwas genauer ausfragen sollen?«

»Das werde ich nachholen«, sagte der Fuchs mit bedeutsamem Blick. »Kühner! Komm sofort her!« brüllte er nach drinnen.

Schüchtern schlich sich der junge Fuchs aus dem Bau. »Es ist alles meine Schuld, Vater«, sagte er mit leiser Stimme. »Die Kreuzotter hat gesagt, sie würde für den gerechten Ausgleich sorgen, und ich habe gedacht, sie würde den Narbigen angreifen.«

»Wie konntest du nur so etwas annehmen, wenn du den Namen des Narbigen kein einziges Mal erwähnt hattest? Jetzt siehst du, was du angerichtet hast. Du hast es geschafft, daß die Lage gefährlicher ist als vor deiner Lügerei. Du hast versagt und es mir als einen Erfolg hingestellt.« Der Kühne ließ den Kopf hängen, so daß die Kreuzotter dachte, sie müsse ein gutes Wort für ihn einlegen. »Vielleicht habe ich auch ein bißchen schuld«, sagte sie großzügig. »Ich hätte mir denken können, wie er es meinte. Aber vielleicht ist alles doch nicht so schlimm, wie ihr glaubt. Ich bin ganz sicher, daß mein Opfer mich nicht erkannt hat, und es gibt doch noch mehr Kreuzottern im Park.«

»Ein schwacher Trost, Kreuzotter«, sagte der Fuchs kopfschüttelnd. »Ich kenne den Narbigen. Der gibt keine Ruhe, bis er den Beweis für seinen Verdacht hat — und dann wehe uns allen!«

 

Was die Tiere im Park erlebten
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