Nach ihrem Gespräch mit der Kröte hatte die Kreuzotter beschlossen, unverzüglich ihren Plan auszuführen. Sie war eigentlich recht dankbar für ihre Einsamkeit, weil diese es ihr ermöglichte, ohne Einmischung von außen zu handeln. Aber bevor sie zuschlagen konnte, mußte sie wissen, was der Narbige machte. Dicht am Bach rollte sie sich an einem Weidenrosenbusch zusammen und beobachtete das Kommen und Gehen am Ufer. Einmal fing sie eine Wassermaus, aber abgesehen davon fraß sie nichts. Dann kam die Nacht des Alleinangriffs des Narbigen.

Die Kreuzotter sah ihn zum Ufer humpeln und behutsam ins Wasser gleiten. Er hatte beim Schwimmen Schwierigkeiten, und die Kreuzotter sah mit Befriedigung, daß er kaum laufen konnte. Jetzt brauchte sie nur noch auf seine Rückkehr zu warten. Sie sah, daß die Stelle, die er sich für seinen Abstieg ausgesucht hatte, nicht so steil war wie das übrige Ufer, hoffte, daß der Narbige auch an dieser Stelle wieder zurückkommen würde, und glitt am entgegengesetzten Ufer ins Wasser.

Die Kreuzotter war eine gute, wenn auch keine begeisterte Schwimmerin. Normalerweise schwamm sie nur, wenn es nötig war. Heute ging sie aus freien Stücken ins Wasser. Zuerst wurde sie von der Strömung abgetrieben, aber sie kämpfte dagegen an, hielt sich am Ufer und schlängelte sich auf die flache Stelle zu. Dann fand sie mitten im Bach Schlingpflanzen und wickelte sich fest darum, nur ihr Kopf ragte über die Wasseroberfläche. So verging die Nacht.

Als der Morgen dämmerte, freute sie sich, denn das Wasser war kalt, und mit den ersten Sonnenstrahlen begann es sich aufzuwärmen. Die Kreuzotter hielt ihre liderlosen Augen fest auf das Ufer gerichtet, sie wußte, daß sie von dort aus nicht zu sehen war. Schließlich erblickte sie im frühen Morgenlicht die Gestalt, auf die sie wartete.

Das Gesicht des Fuchses trug ganz unverkennbar einen Ausdruck von Bosheit und Grausamkeit, als er nach rechts und links blickte. Oben am Ufer setzte er sich und gähnte beim Anblick des Wassers. Ein paar Minuten saß er ganz still und lauschte mit gespitzten Ohren auf das leiseste Geräusch. Dann blickte er über den Bach und direkt zur Kreuzotter hin.

Die Schlange ließ sich tiefer in das Geriesel sinken, so daß ihr Kopf bis auf die Nasenöffnungen fast ganz unter Wasser lag. Wieder vergingen einige Minuten. Nichts geschah. Die Kreuzotter riskierte einen Blick. Immer noch saß der Narbige am Ufer, aber er hatte den Kopf abgewandt und blickte zurück. Da wußte die Kreuzotter, daß er sie nicht gesehen hatte.

Der Narbige blickte sich wieder um, und dann stand er auf. Langsam, sehr langsam ließ er sich das Ufer hinabgleiten. Die Kreuzotter machte sich bereit. Der Fuchs watete in den Bach und paddelte steif auf die Bachmitte zu. Unbeweglich erwartete ihn die Kreuzotter. Im allerletzten Augenblick, als der Narbige mit ihr auf gleicher Höhe war, ließ sie die Wasserpflanzen los und nahm all ihre Kraft für den Stoß nach oben zusammen. Ihre Giftzähne bohrten sich in das weiche Hinterteil des Fuchses unter seiner Flanke und gaben all ihr aufgespartes Gift ab. Der Fuchs stieß einen Schmerzens- und Schreckensschrei aus, doch die Kreuzotter ließ sich lediglich tiefer sinken und von der Strömung bachabwärts treiben. Der Narbige konnte gerade noch mühsam ans andere Ufer gelangen und sich hochziehen. Von der Kreuzotter war nichts mehr zu sehen.

Der Narbige, von seinem Kampf mit dem Fuchs noch sehr geschwächt, lag zitternd am Ufer. Er hatte Angst und war wütend. Wieder hatten die Tiere aus dem Farthing-Wald zugeschlagen. Waren sie ihm schließlich doch zum Verderben geworden? Erst nach einiger Zeit rang er sich zur Erkenntnis durch, daß die Kreuzotter am Ende mit einem meisterlichen Plan den Sieg errungen hatte. Zu seinem Bau wollte er nun nicht mehr zurück, denn bald würde er wie der junge Fuchs sterben müssen. Er erkannte, daß er die ganze Zeit das eigentliche Ziel seiner Feinde gewesen war. »Aber ein paar habe ich mit auf den Weg genommen«, murmelte er und gab dabei ein kehliges Lachen von sich. »Die werden mich nicht vergessen!«

Inzwischen hatte die Kreuzotter das Wasser verlassen und sich schwerfällig auf den Weg zurück zur Stelle ihres Triumphes begeben. Sie fühlte sich ausgehöhlt und erschöpft — aber sie hatte gesiegt. Als sie sich dem Narbigen näherte, wirkte das Gift schon, und sie brauchte sich nicht mehr zu fürchten.

Der Narbige hatte sofort den abgebissenen Schwanz der Schlange erkannt. »Du warst das also«, flüsterte er. »Die Kreuzotter aus dem Farthing-Wald?«

»Genau die«, bestätigte die Kreuzotter mit einem schiefen Lächeln.

»Ja, du hast mehr geschafft als dein mutiger Anführer«, sagte der Narbige. »Vielleicht solltet ihr die Plätze tauschen?« Er rang nach Luft, als die ersten Schauer durch seinen Körper liefen.

Kalt blickte ihn die Kreuzotter an. »Du hast nur bekommen, was du verdienst«, war alles, was sie sagte.

»Vielleicht«, antwortete der Narbige heiser. »So ist das Leben nun einmal.« Er zitterte stärker. »Du — hast — mich — getötet«, keuchte er, »aber — denk daran...« Sein Atem kam nur noch mühsam. »Ich bin — nicht — der letzte — meines Stammes...« Rauh und gequält brachte er seine Worte heraus, es waren seine letzten.

Die Kreuzotter verweilte nicht länger. Die Drohung des Narbigen beeindruckte sie nicht, sie war zufrieden, daß er tot war. Zurück über den Bach und den langen Heimweg zu ihren alten Freunden. Sie mußten die Nachricht hören, und das war auch gut so.

Auf ihrem Rückweg rutschte sie fast unter die Hufe des Alten Hirsches.

»Vorsicht, lieber Freund«, sagte der Alte Hirsch gut gelaunt. »Du scheinst es eilig zu haben?«

»Vielleicht«, gab die Kreuzotter erschöpft zurück.

»Ich möchte dich nicht aushorchen«, fuhr er fort, »du hast sicher etwas vor.«

Die Kreuzotter konnte ein trockenes Lachen nicht unterdrücken. »Ich hatte etwas vor«, zischelte sie böse. Nachdenklich betrachtete sie der Alte Hirsch und bemerkte ihren verstümmelten Schwanz. »Du hast wohl einen Kampf hinter dir?« meinte er dann.

»So ist es — aber ich habe überlebt.«

Ihre Art zu sprechen fiel dem Alten Hirsch sofort auf und schien seinen Verdacht zu bestätigen. »Gehe ich recht in der Annahme, daß dein Gegner nicht überlebt hat?« fragte er eindringlich.

Die einzige Antwort war ein ironisches Lächeln.

»Es scheint so, als ob du mir einen Besuch erspart hast«, sagte der Alte Hirsch.

»Da ich nicht weiß, wen du besuchen wolltest, kann ich dir wohl kaum weiterhelfen«, entgegnete die Schlange.

»Schluß mit dem Reden um den heißen Brei«, sagte der Hirsch. »Ich wollte gerade den narbigen Fuchs aufsuchen.«

»Tatsächlich?« zischte die Kreuzotter. »Dann laß dir sagen, daß du ihn ganz in der Nähe findest.«

Der Alte Hirsch seufzte. »Deine Zurückhaltung in allen Ehren, aber bitte, beantworte mir eine höfliche Frage. Hat es einen Zweck, daJß ich meinen Weg fortsetze?«

»Hm — nein«, erwiderte die Kreuzotter.

»Danke. Alles klar. Aber vielleicht betrübt es dich zu hören, daß einige deiner Reisegefährten in der vergangenen Nacht von deinem Gegner getötet wurden.«

»Um so mehr freue ich mich, daß ich es getan habe«, sagte die Kreuzotter. »Aber wer von meinen Freunden mußte sterben?«

Und der Alte Hirsch berichtete.

»Soso«, seufzte die Schlange erleichtert auf, denn trotz ihrer früheren bitteren Gefühle freute sie sich, daß der Fuchs nicht darunter war.

»Ich hoffe, daß der Park jetzt wieder so ruhig wird wie früher«, sagte der Alte Hirsch.

»Ich auch«, erwiderte die Kreuzotter. »Jetzt mußt du mich entschuldigen, ich habe Botschaften zu überbringen.«

»Natürlich.« Der Alte Hirsch trat zur Seite und blickte der Kreuzotter nach. Er zuckte die Achseln. Bei sich dachte er: Es scheint doch so, als ob Taten mehr bewirken könnten als Worte.

Sein Blick war lange in die Ferne gerichtet, dann drehte er sich um und trabte majestätisch zu seinem Rudel zurück.

 

Was die Tiere im Park erlebten
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